Ermittlungen von Völkerstrafrechtsverbrechen Die zuständigen zivilen Behörden

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Transkript:

Alberto Fabbri Ermittlungen von Völkerstrafrechtsverbrechen Die zuständigen zivilen Behörden Der Kurzbeitrag skizziert die innerstaatlichen Zuständigkeiten bei der Strafverfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (Völkerstrafrechtsverbrechen) nach geltendem Recht und deutet die möglichen zukünftigen Regelungsmechanismen nach der Umsetzung des Römer-Statuts ins schweizerische Strafrecht an. Inhaltsübersicht I. Zuständigkeit de lege lata und de lege ferenda 1. Für den Tatbestand Völkermord 2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit 3. Für Kriegsverbrechen II. Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes III. Die ersten praktische Erfahrungen mit der Anwendung von Art. 264 StGB I. Zuständigkeit de lege lata und de lege ferenda 1. Für den Tatbestand Völkermord [Rz 1] Das Schweizerische Strafrecht verfügt seit dem 15. Dezember 2000 über einen Tatbestand des Völkermordes 1. Die Verfolgung und Beurteilung von Völkermord wurde exklusiv den zivilen Strafverfolgungsbehörden 2 übertragen, wenn die strafbare Handlung unter mehrere Strafbestimmungen fällt, die teils der militärischen, teils der zivilen Gerichtsbarkeit unterstehen, und es sich bei einer der strafbaren Handlungen um Völkermord nach Art. 264 StGB handelt. Allerdings ist diese Bestimmung nicht in Kraft gesetzt worden, da im Rahmen der ergänzenden Massnahmen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eine Neuordnung der Zuständigkeit der zivilen und militärischen Gerichtsbarkeit bei der strafrechtlichen Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgenommen werden soll. [Rz 2] Nach geltendem Recht werden Zivil- und Militärpersonen (mit Ausnahmen von Schweizer Militärpersonen) für die Begehung von Völkermord von der Ziviljustiz verfolgt. Die Handlungen nach Art. 264 StGB unterstehen gestützt auf Art. 340 Ziff. 2 StGB der Bundesgerichtsbarkeit und werden nach dem Gesetz über die Bundesrechtspflege (BStP) untersucht. [Rz 3] Nach dem Konzept für die Umsetzung des Römer Statuts soll die Aufteilung der Zuständigkeit zwischen ziviler und militärischer Gerichtsbarkeit nicht mehr anhand des jeweiligen Delikts erfolgen; massgebend soll die Tätereigenschaft sein. Solange in der Schweiz Friedenszeiten herrschen, sollen die zivilen Strafverfolgungsbehörden des Bundes die Verfahren wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen Schweizer Zivilpersonen und Personen (auch Militärpersonen) nicht schweizerischer Nationalität führen. [Rz 4] Anerkannte Anknüpfungspunkte für die Anwendung von nationalem Strafrecht auf Auslandssachverhalte sind die Staatsangehörigkeit von Täter oder Opfer (sog. aktives bzw. passives Personalitätsprinzip). Bereits heute sind die Schweizer Behörden für die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord und Kriegsverbrechen unabhängig von Tatort und der Nationalität des Täters oder des Opfers zuständig. Die Zuständigkeit der Schweiz zur Strafverfolgung ist jedoch nicht umfassend. Art. 264 StGB sieht in Absatz 2 für den örtlichen Anwendungsbereich das 3 Universalitätsprinzip vor und schränkt dieses in zweifacher Hinsicht ein: Der Beschuldigte muss sich in der Schweiz befinden und er kann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht ausgeliefert werden, obwohl es sich 4 um ein Auslieferungsdelikt handelt. Die Schweiz schliesst damit für sich aus, in Abwesenheit des Täters ein Verfahren eröffnen und durchführen zu müssen. Seite 1 von 5

[Rz 5] Vorrang vor der schweizerischen Strafgerichtsbarkeit besitzt auch die Überstellung von Ausländern an ein internationales Strafgericht, wenn das Verbrechen im Ausland begangen worden ist und das internationale 5 Strafgericht von der Schweiz anerkannt wird. [Rz 6] Im Dezember 2003 hat die Bundesversammlung für Kriegsverbrechen das zusätzliche Erfordernis in das 6 Militärstrafgesetz eingefügt, dass der Täter einen «engen Bezug» zur Schweiz haben muss. Ob und inwieweit dieses Erfordernis in die Umsetzungsarbeiten zum Römer-Statut einfliesst, wird sich noch weisen und dürfte meines Erachtens in der Doktrin noch für Diskussionsstoff sorgen. 2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit [Rz 7] Die schweizerische Rechtsordnung kennt keinen Tatbestand «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Die meisten durch Art. 7 des Römer-Statuts verpönten Verhaltensweisen sind dennoch im schweizerischen Recht unter dem einen oder anderen Titel strafbar, so z.b. Mord, vorsätzlich Tötung, Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung, strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität, etc. [Rz 8] Falls die Voraussetzungen für die Anwendung der «gewöhnlichen» Tatbestände des StGB und MStG gegeben sind, werden solche Sachverhalte nach Massgabe der allgemeinen Regeln von der zuständigen kantonale Justizbehörde verfolgt (Art. 343 StGB). [Rz 9] Angesichts der grossen Dimension der Verbrechen gegen die internationale Gemeinschaft und des Umfangs der Mittel, welche in eine entsprechende Strafuntersuchung zu investieren sind, erscheint es von Vorteil, die Verfolgung dieser Verbrechen auf Bundesebene zu zentralisieren. Da solche Verbrechen in aller Regel im Ausland begangen werden, ist auch kein direkter Anknüpfungspunkt bei einem Kanton gegeben. Durch eine Übertragung der Strafverfolgung auf die Bundesbehörden wird eine einheitliche Betrachtung von komplexen und politisch heiklen Sachverhalten und Praxis in Rechtsfragen erreicht. [Rz 10] Daher dürften sinnvollerweise Handlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch Bundesgerichtsbarkeit begründen und das bereits in Art. 264 StGB verankerte Universalitätsprinzip sollte auch für den neuen Tatbestand gelten. 3. Für Kriegsverbrechen [Rz 11] Im schweizerischen Recht werden Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht gestützt auf Art. 108 114 MStG (Verletzung des Völkerrechts im Falle bewaffneter Konflikte) geahndet. Die schweizerischen Militärgerichte können solche Verbrechen unabhängig davon beurteilen, ob sie in einem internationalen oder einem internen bewaffneten Konflikt begangen worden sind, ob das Verbrechen auf schweizerischem Hoheitsgebiet oder im Ausland erfolgte, ob der Täter oder das Opfer schweizerischer oder ausländischer Nationalität war und ob der Täter zivilen oder militärischen Status besass. Kriegsverbrechen werden heute ausschliesslich von der Militärjustiz 7 geahndet. Da in Zukunft auch die Ziviljustiz für die Verfolgung von Kriegsverbrechen zuständig sein wird, ist die Einführung der entsprechenden Bestimmungen auch im StGB vorzusehen. II. Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes [Rz 12] Das Verfahren des Bundesstrafprozesses ist in folgende Phasen eingeteilt: Das Vorverfahren bestehend aus dem gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren, der eidgenössischen Voruntersuchung und der Versetzung in den Anklagezustand, dem Hauptverfahren sowie dem Rechtsmittelverfahren. Der Bundesanwalt bzw. seine Stellvertreter eröffnen und leiten das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren. Dieses dient dazu, die Täterschaft und den wesentlichen Sachverhalt festzustellen, die Tatspuren und Beweismittel zu sichern sowie die unaufschiebbaren weiteren Massnahmen zu treffen. Die für die Ermittlungen eingesetzte (Bundeskriminal-)Polizei steht unter der direkten Aufsicht und Leitung der Bundesanwaltschaft. [Rz 13] Hat sich der Anfangsverdacht für eine Straftat erhärtet, für welches nach Art. 340 und 340bis StGB 8 Bundesgerichtsbarkeit gegeben ist, beantragt die Bundesanwaltschaft die Einleitung der Voruntersuchung beim Seite 2 von 5

eidgenössischen Untersuchungsrichter. Mit der Einleitung der Voruntersuchung erfolgt somit ein Wechsel in der Verfahrensleitung. Der eidgenössische Untersuchungsrichter stellt den Sachverhalt soweit fest, dass der Bundesanwalt entscheiden kann, ob Anklage zu erheben oder ob die Untersuchung einzustellen ist. Während der Voruntersuchung sind der Bundesanwalt bzw. seine Stellvertreter Partei und können u.a. entsprechend Beweisanträge stellen und Akteneinsicht verlangen. 9 [Rz 14] Seit dem 1. April 2004 beurteilt die Strafkammer des Bundesstrafgerichts Strafsachen, soweit der Bundesanwalt die Untersuchung und Beurteilung nicht den kantonalen Behörden übertragen hat. Eine Ausnahme ist nur noch bei einfachen Fällen vorgesehen, bei denen die Untersuchung und Beurteilung delegiert werden kann (Art. 18bis BStP). Da es sich bei Straftaten gegen die Interessen der Völkergemeinschaft generell um äusserst komplexe Verfahren handelt, welche Spezialkenntnisse sowie bedeutende Mittel voraussetzen, dürfte eine Delegation von 10 Völkermord unwahrscheinlich sein. [Rz 15] Bei Kompetenzkonflikten zwischen Bund und Kantonen entscheidet nach Art. 28 SGG die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts; Kompetenzstreitigkeiten zwischen Zivil- und Militärjustiz entscheidet gestützt auf Art. 223 MStG bereits nach geltendem Recht das Bundesstrafgericht. Es sei darauf hingewiesen, dass bei Ermittlungen im Zusammenhang mit einem internationalen oder internen Konflikt häufig Völkerstrafrechtsverbrechen begangen werden, deren korrekte Zuordnung zu einem oder mehreren der drei Verbrechenstatbestände nicht bereits zu Beginn erfolgen kann und unter Umständen erst durch das erkennende Gericht vorgenommen wird. [Rz 16] Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts übt auch die Oberaufsicht über die Gerichtspolizei des Bundes aus und behandelt demgemäss Beschwerden gegen Amtshandlungen oder Säumnis des Bundesanwalts (und der eidgenössischen Untersuchungsrichter) in Bundesstrafsachen. [Rz 17] Das Personal, welches die Bundesanwaltschaft und die Bundeskriminalpolizei im Rahmen der so genannten 11 «Effizienzvorlage» erhalten hat, ermöglicht, ein bis zwei Verfahren pro Jahr wegen Völkermordes zu führen. Ob und inwiefern sich der personelle Aufwand erhöht, wenn die zivilen Strafverfolgungsbehörden von der Militärjustiz auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen übernehmen sollte, kann heute kaum abgeschätzt werden. III. Die ersten praktische Erfahrungen mit der Anwendung von Art. 264 StGB [Rz 18] Seit In-Kraft-Treten des Völkermordtatbestands wurden der Bundesanwaltschaft mehrere Sachverhalte wegen Verdachts der Beteiligung an einem Völkermord und wegen anderer Tatbestände auf Strafanzeige zur Beurteilung vorgelegt. [Rz 19] Die Anwendung von Art. 264 StGB musste in einigen Fällen gestützt auf das in Art. 2 Abs. 1 StGB statuierte Rückwirkungsverbot verneint werden. Eine direkte Anwendung der Art. II und III der 12 Völkermord-Konvention wurde mangels konkreter und präziser Strafandrohung in den Konventionsbestimmungen ebenfalls verneint. [Rz 20] In den überwiegenden Zahl der zu prüfenden Sachverhalte hielten sich die beanzeigten Personen nicht auf Schweizer Hoheitsgebiet auf und konnten somit nicht dem Schweizer Strafrecht unterworfen werden (Art. 6bis und Art. 264 Abs. 2 StGB). [Rz 21] Einer Strafverfolgung durch Schweizer Justizbehörden stand in drei Fällen die Immunität eines 13 ausländischen Staatsoberhauptes und Ministers entgegen. Einerseits geniesst ein «acting head of state» eine absolute Immunität und anderseits steht anderen Regierungsmitgliedern, welche an offiziellen Missionen und in Erfüllung amtlicher Funktionen im Ausland teilnehmen, vollständige strafrechtliche Immunität sowohl im Zielstaat 14 der Mission als auch in Durchreisestaaten zu. Zudem lag in concreto gegen die Personen auch kein Haftbefehl eines Internationalen Strafgerichtshofs vor, welches die Schweiz zum entsprechenden Handeln verpflichtet hätte. [Rz 22] Sämtlichen Anzeigen wurde nach Art. 100 Abs. 3 BStP keine Folge gegeben. Gegen die Verfügungen der 15 Bundesanwaltschaft wurden durch die Anzeigesteller keine Beschwerden erhoben. Seite 3 von 5

Der Autor, Alberto Fabbri, ist stellvertretender Staatsanwalt des Bundes und Angehöriger der Militärjustiz. Er vertritt im Beitrag seine persönliche Meinung. 1 Art. 264 Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0); zum Ganzen Hans Vest, Zum Handlungsbedarf auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts - Elemente eines Gesetzgebungsvorschlags, ZStrR 121 (2003) 46 ff. und Basler Kommentar (BSK) StGB II-Wehrenberg, Art. 264 N 1 ff. 2 Vgl. Art. 221 Abs. 2 Militärstrafgesetz (MStG, SR 321.0); da die Genozidkonvention Geltung unabhängig von bewaffneten Konflikten beansprucht, legen es rechtssystematische Überlegungen nicht unbedingt nahe, ihre Verletzung im Militärstrafgesetz zu regeln und ihre Verfolgung den Organen der Militärjustiz zu übertragen (BBl 2000 2168). 3 Die Anwendbarkeit des Universalitätsprinzips ist überdies auszudehnen auf die «Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit» im Sinne von Artikel 259 StGB, auf die «Strafbare Vorbereitungshandlungen» im Sinne von Artikel 260bis StGB und auf die «Kriminelle Organisation» im Sinne von Artikel 260ter StGB. 4 Art. 35 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die Internationale Rechtshilfe (IRSG, SR 351.1). Mit dem Vorbehalt der Auslieferung von Tätern nicht schweizerischer Nationalität wird anerkannt, dass einer Auslieferung und damit einem effektiven Strafverfahren auf Grund des Territorialitätsprinzips im Staat der Tatbegehung oder auf Grund des Personalitätsprinzips im Heimatstaat des Täters an sich der Vorrang gegeben wird. Dieses Vorgehen dient der Gerechtigkeit im Einzelfall und der Prozessökonomie in der Regel am Besten, da die Beweisaufnahme am Tatort die zuverlässigsten Ergebnisse verspricht. Es ist auch nicht zu übersehen, dass die Verfolgung einer solchen Tat in der Schweiz ohne vorherige Abklärung, ob der Tatortstaat um Auslieferung ersucht, unter dem Gesichtspunkt der völkerrechtlichen Souveränität problematisch sein kann. Die schweizerische Gerichtsbarkeit ist deshalb grundsätzlich erst dann zu bejahen, wenn bei einer möglichen Auslieferung der ausländische Tatortstaat auf Anfrage hin auf eine Strafverfolgung ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BGE 121 IV 145). Ist die Auslieferung eines ausländischen Täters für ein im Ausland begangenes Verbrechen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich, soll die Geltung des schweizerischen Rechts auch bei Auslandtaten sicherstellen, dass der Täter für die Verübung oder die Beteiligung an solchen Verbrechen nicht straflos bleibt und die Schweiz als so genannten «sicheren Hafen» missbrauchen kann. 5 Für eine Überstellung an ein internationales Strafgericht, z.b. die beiden Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda sowie der Spezialgerichtshof für Sierra Leone, ist vorausgesetzt, dass ein entsprechendes Überstellungsersuchen vorliegt und dass das Gericht von der Schweiz anerkannt ist. 6 Art. 9 Abs 1bis MStG; siehe für die Diskussionen in den Räten AB 2003 S 938 ff. und AB 2003 N 1983 ff.; vgl. Stefan Wehrenberg, Die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Militärjustiz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, Jusletter vom 14. März 2005. 7 Vgl. Wehrenberg, a.a.o., Rz 22. 8 Felix Bänziger/Luc Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der Strafverfolgung: Kurzkommentar zur «Effizienzvorlage», Bern 2001, N 40ff. 9 Bundesgesetz vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht (Strafgerichtsgesetz, SGG, SR 173.71); Eine Übersicht über das neu geschaffene erstinstanzliche Strafgericht findet sich in Christina Kiss, Das neue Bundesstrafgericht, AJP 2/2003, 141ff. 10 Eine Vertretung der Anklage durch den Bundesanwalt vor dem kantonalen Gericht findet nicht mehr statt; vgl. auch Botschaft zur Totalrevision der Bundesstrafrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4202, 4369. 11 Bänziger/Leimgruber, a.a.o., N 9 ff. 12 Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (SR 0.311.11). 13 Seite 4 von 5

Vgl. das Urteil vom 14.02.2002 des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Sachen Demokratische Republik Kongo versus Belgien, abgedruckt in: International Legal Materials (ILM) 41 (2002) 536-653. Das Institut der Staatenimmunität vor nationalen Gerichten dient dem internationalen Rechtsfrieden. Die Immunität eines Staatsoberhauptes, von Regierungsmitgliedern und Diplomaten reicht unterschiedlich weit. Z.B. geniesst ein Aussenminister während seiner Amtszeit Immunität in Bezug auf amtliches Handeln. Das Urteil wird eingehend besprochen in Andreas Ziegler, AJP 2/2003, 214ff. 14 Rechtsgutachten des Eidgenössischen Departements des Äusseren zuhanden der Bundesanwaltschaft in SZIER 7 (1999) 697. 15 Art. 105bis Abs. 2 BStP verleiht dem Anzeigesteller keine Legitimation, den Entscheid der Bundesanwaltschaft, von der Eröffnung einer Strafverfolgung abzusehen, mit Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts anzufechten (BGE 128 I 223); dito gilt, wenn der Anzeigersteller Geschädigter wäre (BGE 129 I 197). Eine Beschwerdelegitimation eines Opfers im Sinne des Opferhilfegesetzes (Art. 8 OHG, SR 312.5) müsste indes bejaht werden. Rechtsgebiet: Völkerrecht Erschienen in: Jusletter 21. März 2005 Zitiervorschlag:, in: Jusletter 21. März 2005 Internetadresse: http://www.weblaw.ch/jusletter/artikel.asp?articlenr=3857 Seite 5 von 5