Ratifizierung der Istanbul-Konvention: Wo stehen wir? 11. Mai 2011 = Auflage zur Unterzeichnung. 11. September 2013 = Unterzeichnung durch die Schweiz
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1 Istanbul-Konvention Bedeutung für die Schweiz Juristinnen Schweiz November 2015, Zürich Ratifizierung der Istanbul-Konvention: Wo stehen wir? 11. Mai 2011 = Auflage zur Unterzeichnung 11. September 2013 = Unterzeichnung durch die Schweiz 1. August 2014 = die Konvention tritt in Kraft (zur Zeit 19 Mitgliedstaaten; 20 weitere Staaten haben die Konvention unterzeichnet) 7. Oktober 2015 = Eröffnung Vernehmlassungsverfahren (Frist: 29. Januar 2016)?? = Ratifizierung durch die Schweiz 2 1
2 Analyse des Bundesrates im Vernehmlassungsbericht Anerkennung eines ganzheitlichen und globalen Ansatzes bei der Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt Beitrag zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau Rechte, Schutz und Unterstützung der Opfer zentral Fazit des Bundesrates: «Das schweizerische Recht vermag den Anforderungen der Konvention grundsätzlich zu genügen.» 3 Analyse des Bundesrates im Vernehmlassungsbericht (Teil 2) Die Rechte der I.-K. sind durch das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung, das Opferhilfegesetz, den zivilrechtlichen Gewaltschutz, das Ausländer- und Asylgesetz etc. gewährleistet. sie gelten für Frauen und Männer gleichermassen (Art. 2 Abs. 2 I.-K.) vereinzelt bestehen spezifische Bestimmungen für Frauen und Mädchen (z.b. in der Strafprozessordnung, im Asylgesetz etc.) = Umsetzung (Strafverfolgung, Opferhilfe, Opferschutz, Bereitstellung von Schutzunterkünften für Gewaltopfer) fällt in die Kompetenz der Kantone 4 2
3 Analyse des Bundesrates im Vernehmlassungsbericht (Teil 3) Probleme sieht der Bundesrat vor allem im Bereich der kantonalen Zuständigkeiten. Die Frage, ob in den Kantonen genügend Schutzunterkünfte bestehen, wird noch abgeklärt (Art. 23 I.-K.) Helpline / Telefonberatung (Art. 24 Istanbul-K): in der Schweiz fehlt eine kostenlose, landesweite, vertrauliche und anonyme, sowie täglich rund um die Uhr erreichbare Telefonberatung für Opfer aller Formen von Gewalt. = «Das BJ erarbeitet zusammen mit der SODK ein Konzept». 5 Vorbehalte Grundsatz: Die Istanbul-K. lässt keine Vorbehalte zu (Art. 78 I.-K). Ausnahmen: Vorbehalte zu folgenden Bestimmungen sind zulässig Art. 30 I.-K. (Schadenersatz und Entschädigung) Art. 44 Abs. 1 Bst. e und Abs. 2 und 3 I.-K. (Gerichtsbarkeit) Art. 55 I.-K. (Verfahren auf Antrag und von Amtes wegen bezüglich Vergehen) Art. 58 I.-K. (Verjährungsfristen) Art. 59 I.-K. (Aufenhaltsstatus) Zu den fett markierten Bestimmungen schlägt die Schweiz gesamthaft 4 Vorbehalte vor: 6 3
4 Vorbehalt zu Art. 44 Abs. 1 Bst. e I.-K. (Gerichtsbarkeit) Art. 44 Abs. 1 Bst. e I.-K. lautet: «Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen, um ihre Gerichtsbarkeit über die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten zu begründen, wenn die Straftat wie folgt begangen wird:. e. von einer Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet hat.» Im schweiz. Strafrecht begründet der gewöhnliche Aufenthalt keinen Anknüpfungspunkt für die Ausübung der Gerichtsbarkeit 7 Vorbehalt zu Art. 44 Abs. 3 I.-K. (Gerichtsbarkeit) Art. 44 Abs. 3 I.-K. lautet: «Zur Verfolgung der nach den Artikeln 36, 37, 38 und 39 umschriebenen Straftaten treffen die Vertragsparteien die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen, um sicherzustellen, dass die Begründung ihrer Gerichtsbarkeit nicht davon abhängig ist, dass die Handlungen in dem Hoheitsgebiet, in dem sie begangen wurden, strafbar sind.» Schweiz. Recht sieht die Strafbarkeit für im Ausland begangene Taten vor bei Zwangsheirat (Art. 37 I.-K. siehe Art. 181a StGB) und bei Genitalverstümmelung (Art. 38 I-K. siehe Art. 124 StGB), nicht aber bei sexueller Gewalt gegen Erwachsene (Art. 36 I-K.) und bei Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation (Art. 39 I-K.) 8 4
5 Vorbehalt 3 zu Art. 55 Abs. 1 I.-K. (Verfahren auf Antrag und von Amtes wegen) Art. 55 Abs. 1 I.-K. lautet: «Die Vertragsparteien stellen sicher, dass, wenn die Straftat ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde, Ermittlungen wegen oder die Strafverfolgung von nach den Artikeln 35, 36, 37, 38 und 39 umschriebenen Straftaten nicht vollständig von einer Meldung oder Anzeige des Opfers abhängig gemacht werden und das Verfahren fortgesetzt werden kann, auch wenn das Opfer seine Aussage oder Anzeige zurückzieht.» Vorbehalt wurde aufgrund der Bestimmung in Art. 55a StGB nötig. Änderungen im Sinne der Konvention werden diskutiert (Neuregelung der Einstellungspraxis; siehe Vernehmlassungsvorlage «Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen») 9 Wortlaut Art. 55a StGB: Einstellung des Verfahrens Bei einfacher Körperverletzung, wiederholten Tätlichkeiten, Drohung und Nötigung können die Staatsanwaltschaft und die Gerichte das Verfahren sistieren, wenn: das Opfer der Ehegatte oder die eingetragene Partnerin/Partner des Täters ist und die Tat während der Ehe oder innerhalb eines Jahres nach deren Scheidung bzw. Auflösung der eingetragenen Partnerschaft begangen wurde, oder der hetero- oder homosexuelle Lebenspartner beziehungsweise der noch nicht ein Jahr getrennt lebende Ex-Lebenspartner des Täters ist; und das Opfer darum ersucht oder einem entsprechenden Antrag der zuständigen Behörde zustimmt. Das Verfahren wird wieder an die Hand genommen, wenn das Opfer seine Zustimmung innerhalb von sechs Monaten seit der Sistierung schriftlich oder mündlich widerruft. Wird die Zustimmung nicht widerrufen, so verfügen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte die Einstellung des Verfahrens. = Folge: die überwiegende Mehrheit der Verfahren werden eingestellt. 10 5
6 Vorbehalt 4 zu Artikel 59 I.-K. (Aufenthaltsstatus) «Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen, um sicherzustellen, dass ein Opfer, dessen Aufenthaltsstatus vom Aufenthaltsstatus seiner Ehefrau oder Partnerin im Sinne des internen Rechts beziehungsweise seines Ehemanns oder Partners im Sinne des internen Rechts abhängt, im Fall der Auflösung der Ehe oder Beziehung bei besonders schwierigen Umständen auf Antrag einen eigenständigen Aufenthaltstitel unabhängig von der Dauer der Ehe oder Beziehung erhält. Die Bedingungen für die Bewilligung und Dauer des eigenständigen Aufenthaltstitels werden durch das internen Recht festgelegt.» Abs. 2: Möglichkeit, die Ausweisung des Opfers zusammen mit dem Ehegatten/Partner auszusetzen um dem Opfer zu ermöglichen, eigenständigen Aufenthaltstitel zu beantragen. Abs. 3: Erteilung eines verlängerbaren Aufenthaltstitel, wenn der Aufenthalt aufgrund der persönlichen Lage des Opfers oder für die Zusammenarbeit mit dem Opfer beim Strafverfahren erforderlich ist. Abs. 4: Ermöglichung der Wiedererlangung der Aufenthaltsbewilligung für Opfer von Zwangsheirat. 11 Vorbehalt 4 zu Artikel 59 (Aufenthaltsstatus) (2) Die Schweiz behält sich das Recht vor, Art. 59 «teilweise nicht anzuwenden» Vorbehalt nötig, da das schweizerische Recht die Frage der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wegen wichtiger persönlicher Gründe ins Ermessen der zuständigen Migrationsbehörden legt. 12 6
7 Finanzielle Auswirkungen Fazit Bundesrat: «Der Beitritt zum Übereinkommen hat nur geringfügige finanzielle Auswirkungen auf den Bund.» Eine Mehrbelastung des Bundes wird erwartet aufgrund Der Arbeiten im Zusammenhang mit der Überwachung der Umsetzung der Konvention Der Schaffung einer Koordinationsstelle (gemäss Art. 10 I.-K.), die beim EBG (Fachbereich Häusliche Gewalt) verortet wird. Eine Mehrbelastung der Kantone wird erwartet aufgrund Der «eventuellen» Schaffung einer einheitliche Telefon-Hotline Der Schaffung zusätzlicher Plätze in Frauenhäusern «Ein allfälliger Zusatzaufwand aufgrund der intensivierten internationalen Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung und im Bereich der Prävention dürfte mit den bestehenden Ressourcen zu bewältigen sein». 13 Bedeutung der Istanbul-Konvention für die Schweiz Hinweise Minimalstandards / Richtschnur für die Bemühungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen Verstärkung des internationalen Dialogs (Rechenschafts-pflicht der Schweiz gegenüber den anderen Mitgliedern der Konvention und dem Überwachungsgremium GREVIO) Verstetigung der Bemühungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen «nationales Gewaltschutzgesetz» Vorwirkungen Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR (der EGMR orientiert sich bei der Beurteilung der Schutzpflichten des Staates an der I.-K.). 14 7
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