Inhalt. Wolfgang Bunzel Einleitung Silvio Vietta Die Frühromantik... 11

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Transkript:

Inhalt Wolfgang Bunzel Einleitung... 7 Silvio Vietta Die Frühromantik... 11 Detlef Kremer /Christoph Kleinschmidt Die mittlere Phase der Romantik... 26 Wolfgang Bunzel Die Spätromantik... 42 Ulrich Breuer Friedrich Schlegel... 60 Jochen Strobel August Wilhelm Schlegel... 76 Herbert Uerlings Novalis (Friedrich von Hardenberg)... 92 Dirk Kemper Wilhelm Heinrich Wackenroder... 107 Achim Hölter Ludwig Tieck... 123 Hartwig Schultz Clemens Brentano... 138 Ulfert Ricklefs Ludwig Achim von Arnim... 152 Hartmut Steinecke E.T.A. Hoffmann... 169

6 Inhalt Renate Moering Joseph von Eichendorff... 183 Barbara Becker-Cantarino Schriftstellerinnen der Romantik... 200 Gerhart Hoffmeister Romantik als europäisches Phänomen... 216 Bibliografie... 232

Silvio Vietta Die Frühromantik Autoren, Zentren Wenn wir wie die Forschung es mit guten Gründen vielfach tut die Frühromantik als eine gesonderte Phase der Romantik behandeln, so sind es in erster Linie vier junge Autoren, die im Zentrum stehen: Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, Friedrich Schlegel, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck. Novalis stammt aus niederem Adel, der Vater Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg war Gutsbesitzer und Salinendirektor, seine Mutter Bernhardine eine Geborene von Bölzig. Der Vater von Friedrich und August Wilhelm Schlegel, der Generalsuperintendent Johann Adolf Schlegel, war mit der Tochter des Mathematikprofessors Hübsch, Johanna Christiana Erdmute, verheiratet. Wilhelm Heinrich Wackenroder stammte aus großbürgerlichem Hause in Berlin, sein Vater Christoph Benjamin war Justizbürgermeister in Berlin. Ludwig Tieck stammt aus einer Berliner Handwerkerfamilie, der Vater Johann Ludwig war Seilermeister. Generell gilt für die Familienstrukturen der Spätaufklärung: Sie waren streng patriarchalisch organisiert. Zumeist war die Mutter der emotionalere, verständnisvollere Elternteil, während der Vater die oftmals repressive gesellschaftliche Autorität repräsentierte. Darin liegt eine Begründung für die Melancholie vieler Romantiker. Ihre Selbstfindung vollzieht sich in der Abwendung von der väterlichen Autorität und generiert eine Protesthaltung gegen sie. Alle vier Autoren der Frühromantik haben studiert: Novalis studiert nach dem Besuch des Gymnasiums abherbst 1790 an der Universität Jena, ab Herbst des Folgejahres in Leipzig und 1793/94 in Wittenberg, wo er ein juristisches Examen ablegt. Friedrich Schlegel studiert nach einer Kaufmannslehre ab 1790 Rechtswissenschaft in Göttingen, ab 1791 in Leipzig, wo er aber den Entschluss fasst, Schriftsteller zu werden. Ab Herbst 1793 studiert auch Wilhelm Heinrich Wackenroder nach dem Besuch des Friedrich-Werderschen Gymnasiums in Berlin und einem Studiensemester in Erlangen mit seinem Freund Ludwig Tieck für zwei Semester Jura ingöttingen. Kennzeichnend für diese jungen Studenten ist aber, dass sie sich weniger für ihr Brotstudium als für Fragen der Ästhetik und Literatur interessieren. Sie leben in einer Zeit der Leserevolution in welcher die Publikation von Romanen stark zunimmt

12 Silvio Vietta und damit auch das extensive Lesen von Belletristik. 1 Diese Generation verschlingt geradezu Literatur, Schlegel und Novalis dazu auch die Philosophie ihrer Zeit, Wackenroder die kunstgeschichtliche Literatur, Tieck vor allem englische Literatur, auch Werke der Trivialliteratur. Die Grenzen der Nationalliteratur werden dabei übersprungen. Vor allem die Brüder Schlegel und Tieck lesen die Klassiker der europäischen Literatur, besonders Shakespeare, Dante, Cervantes, die sie ja auch ins Deutsche übersetzen. Die Genannten verfügen damit über ein europäisches Literaturbewusstsein, das insbesondere bei Friedrich Schlegel auch die antiken Autoren umfasst. Die Frühromantik ist eine Epoche vor der eigentlichen Nationalisierung der Literaturen und entsprechenden nationalphilologischen Einengung der Literaturwissenschaften. Die Frühromantiker waren trotz ihres geringen Alters europäische Gelehrte, ihr Bewusstsein umfasste einen Kanon großer europäischen Literatur. Regional differenziert sich die Frühromantik dann nach den Lebensräumen der Autoren aus: Das gewichtigste Zentrum dieser Phase war Jena, wo sich ab 1796 Friedrich Schlegel und Novalis trafen, nach dem Tod von Wackenroder auch Tieck. In Jena lehrte auch der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, dessen Ich-Philosophie für die Romantik von großer Bedeutung war. Neben Jena war Berlin als Geburtsort und Lebensraum Wackenroders und Tiecks von Bedeutung, dies aber eher im Sinne einer inneren Emigration aus der kühlen protestantisch-pragmatischen Aufklärungswelt der preußischen Hauptstadt in die inneren Gefilde ihrer Lektüre- und Kunstmeditationen. 2 Die ästhetische Revolution: Von der Nachahmungs- zur Produktionsästhetik Um genauer zu verstehen, warum sich in der Ästhetik der Frühromantik ein fundamentaler und für die gesamte ästhetische Moderne konstitutiver Umbruch vollzieht, ist es hilfreich, auf andere Revolutionen vor der Romantik zu rekurrieren. AmAnfang der Modernisierungsprozesse der Neuzeit steht die naturwissenschaftliche Revolution, wie sie mit Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton in Gang kam. Der wissenschaftlichen folgt die philosophische Revolution der Aufklärung, wie sie insbesondere Descartes formuliert. Diese will nämlich die Methode der Wissenschaftserkenntnis nach dem Schock der naturwissenschaftlichen Revolution neu begründen und tut dies in der Form einer reflexiven Selbstbegründung der menschlichen Rationalität in Abwendung von einer Theorie der nachahmenden Erkenntnis. Dabei tritt in der Philosophiege-

Frühromantik 13 schichte immer deutlicher die Selbsterkenntnis zu Tage, dass das menschliche Wissen keine fixe Substanz ist ( res cogitans ), sondern eine Form der Produktivität des Geistes. Descartes Begriff der denkenden Substanz wird so in der philosophischen Erkenntnistheorie der Aufklärung umkodiert in Begriffe der Produktion von Wissen bis hin zu jener Formulierung von Fichte, dass eben das Ich nichts anderes sei als absolute Produktivität. 3 Diese wissenschaftlich-philosophische Revolution geht einher mit der Doppelrevolution (Eric Hobsbawm) von Politik und Ökonomie, welche in der Politik zumindest idealiter das Ich frei setzt von traditionellen Bindungen der Feudalgesellschaft zugunsten der politischen Selbstbestimmung des Menschen. In der Ökonomie dieser Zeit wird nun auch der Reichtum der Gesellschaft durch den Begriff der produktiven Arbeit definiert (vgl. Adam Smith). In seiner Kritik der reinen Vernunft hat Kant den Übergang von Naturwissenschaften in Transzendentalphilosophie genau bezeichnet. Kant schreibt, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt 4.Novalis notiert sich bei seinem Kant-Studium genau diesen Gedanken (vgl. Novalis-HKA, Bd. 2, S. 386). Und er macht die Vorstellung von der Produktivität des Geistes zur Basis seiner eigenen Reflexionen: Wir wissen etwas nur insofern wir es ausdrücken i.e. machen können. Je fertiger und mannichfacher wir etwas produciren, ausführen können, desto besser wissen wir es Wir wissen es vollkommen, wenn wir es überall, und auf alle Art mittheilen, erregen können einen individuellen Ausdruck desselben in jedem Organ bewircken können.(ebd.,s.589) Der Gedanke der Produktivität des menschlichen Geistes führt dazu, dass auch die ästhetische Praxis selbst zu einer produktiven Tätigkeit umkodiert wird. Daher kann der Begriff der Nachahmung, der ja seit Aristoteles in verschiedenen Variationen der Zentralbegriff der Ästhetik war, diese Funktion nicht mehr erfüllen. Die neuen Leitvokabeln der frühromantischen Ästhetik heißen produzieren, schaffen, experimentieren. Die Praxis der Künste wird auf diese Weise zu einer freien, produktiven, experimentellen Tätigkeit umgedacht, soinnovalis Formulierung: Kunst Fähigkeit bestimmt und frey zuproduciren (ebd., S. 585). Nach Novalis ist es nur der Geist [...], der die Gegenstände, die Veränderungen des Stoffs poëtisirt (ebd., S.573). Somit gilt, dass das Schöne, der Gegenstand der Kunst uns nicht gegeben wird oder in den Erscheinungen schon fertig liegt (ebd.). Der Künstler selbst, nicht die Natur, produziert das Schöne. Novalis zeigt dies an der Musik: Alle Töne, die die Natur hervorbringt sind rauh und geistlos nur der musikalischen Seele dünkt oft

14 Silvio Vietta das Rauschen des Waldes, das Pfeifen des Windes, der Gesang der Nachtigall, das Plätschern des Bachs melodisch und bedeutsam. (Ebd., S. 573f.) Und er folgert daraus: Der Musiker nimmt das Wesen seiner Kunst aus sich auch nicht der leiseste Verdacht von Nachahmung kann ihn treffen. (Ebd., S.574) Dies gelte auch für die Malerei: Dem Mahler scheint die sichtbare Natur überall vorzuarbeiten durchaus sein unerreichbares Muster zu seyn Eigentlich ist aber die Kunst des Mahlers so unabhängig, so ganz a priori entstanden, als die Kunst des Musikers. [ ] Seine Kunst ist die Kunst regelmäßig, und Schön zu sehn. Sehn ist hier ganz activ durchaus bildende Thätigkeit. (Ebd.) Novalis kann daraus dann die generelle Konsequenz ziehen: Fast jeder Mensch ist in geringen Grad schon Künstler Ersieht in der That heraus und nicht herein Er fühlt heraus und nicht herein. (Ebd.) Der Hauptunterschied sei nur der, dass der Künstler [...] den Keim des selbstbildenden Lebens in seinen Organen stärker belebe, die Reitzbarkeit der selben für den Geist erhöht habe und mithin imstande sei, Ideen nach Belieben ohne äußre Sollicitation (ebd.) aus sich heraus zuproduzieren. Der Künstler wird indieser frühromantischen Definition zu einem Experimentator mit Bildern und Begriffen im Vorstell[ungs]V[ermögen] (ebd., Bd. 3,S.443), zu einem Createur absolu (ebd., S. 415). Novalis entwirft in seiner späten Fragmentensammlung, dem Allgemeinen Brouillon eine Form der Poesie, in welcher der Poet selbst frei mit den Worten und Ideen spielt: Der Poët braucht die Dinge und Worte, wie Tasten und die ganze Poësie beruht auf thätiger Idéenassociation auf selbsthätiger, absichtlicher, idealische Zufallsproduktion (ebd., S. 451). Der Autor wird hier eigentlich zum Medium des Spielens mit Worten und Ideen, oder gar der Worte und Ideen mit sich, wie es Novalis Text Monolog formuliert: mit der Sprache sei es wie mit den mathematischen Formeln [...] Sie machen eine Welt für sich aus Sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur aus... (ebd., Bd. 2,S.672). Autonomie der Künste Im Sinne der produktionsästhetischen Definition der Künste und Kunstpraxis ist es konsequent, dass Novalis Freund Friedrich Schlegel in seinen für die frühromantische Kunsttheorie grundlegenden Athenäums- Fragmenten benannt nach der von den Schlegel-Brüdern herausgegebenen frühromantischen Zeitschrift Athenäum (1797-1800) die Forderung formuliert: Eine Philosophie der Poesie überhaupt aber, würde mit

Frühromantik 15 der Selbstständigkeit des Schönen beginnen, mit dem Satz, dass esvom Wahren und Sittlichen getrennt sei (FS-HKA, Bd. 2, S. 207). Wenn der Künstler, wie Novalis fordert, seine Werke infreiheit produziert, dann ist es konsequent, dass er sich dabei auch von moralischen wie theologischen wie philosophischen Vorgaben lösen muss. Anders formuliert: Diese Instanzen können nicht mehr beanspruchen, Vormund der Kunstpraxis zu sein. Friedrich Schlegel hat das in seinem berühmten 116. Athenäums-Fragment soformuliert: Die romantische Poesie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist, und das als ihr oberstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide (ebd., S. 183). Mit anderen Worten: das Gesetz des Künstlers ist sein eigenes Gesetz. Keine Morallehre, keine Theologie, keine Ideologie kann und soll der Kunst dazwischenreden und ihre Regeln und Darstellungsformen von außen zu steuern unternehmen. Denn die Künste sind, das ist die frühromantische Entdeckung, in ihrer Semantik und ihren Darstellungsformen nicht fremden Maßstäben unterworfen, sondern frei. Die Romantik hat damit auch einen Standard der Kunstkritik festgeschrieben, der seitdem ingeltung ist: Kunst muss nach Kunstregeln beurteilt werden und nicht nach anderen, äußerlichen Kriterien. Künstlerromane Die wichtigsten Künstlerromane der Frühromantik sind Wackenroders Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger aus den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders von 1797 (recte 1796), nicht eigentlich ein Roman, sondern eine selbstständige Erzählung in dieser Sammlung, Ludwig Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen, die als Gemeinschaftswerk mit Wackenroder geplant waren, dann aber nach dem Tode Wackenroders 1798 im selben Jahr als Tiecks eigene Publikation fertig gestellt wurden und erschienen sowie Novalis Heinrich von Ofterdingen, postum veröffentlicht 1802. Ein Künstlerroman ist auch Dorothea Schlegels Roman Florentin, der unter der Herausgeberschaft Friedrich Schlegels 1801 herauskam. Die Texte von Wackenroder und Tieck zeigen stärker als Novalis Roman die innere Gebrochenheit der romantischen Künstlerfigur. Wackenroders Musiker Berglinger ist ein unglücklicher Künstler. Er flüchtet sich geradezu indie Kunst und entflieht damit seinem eigenen sozialen Elend, nicht ohne dabei Schuld auf sich zuladen. Denn Joseph lässt seine Geschwister indem armseligen und nach dem Tod der Mutter auch verwilderten Arzthaushalt seines Vaters zurück, seine inneren Phanta-