Gottesdienst am 11. November 2012 in der Stiftskirche Stuttgart mit Taufe von Levi Marth Predigt über Hiob 14,1-6 von Prälat Ulrich Mack

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Transkript:

Gottesdienst am 11. November 2012 in der Stiftskirche Stuttgart mit Taufe von Levi Marth Predigt über Hiob 14,1-6 von Prälat Ulrich Mack 1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. Liebe Gemeinde, vielleicht denken Sie jetzt: der November ist schon so ein grauer Monat, voller Nebel, fallende Blätter, länger werdende Nächte. Soll da auch noch im Gottesdienst ein so trauriger Text laut werden? Könnten wir heute, wenn wir feierliche Bläsermusik hören und eine Taufe feiern könnten wir da nicht einen anderen Text hören als einen solch resignierten? Eine frohe Botschaft anstatt einer solchen Hiobsbotschaft? Aber Hiobsbotschaften gibt es nun mal. Unsere Welt kennt sie. Wir kennen sie vielleicht auch aus unsrem Leben. Hiobsbotschaften sind schlechte Nachrichten, über die man erschrickt. Einmal ist es eine Krankheit, ein andermal ein Streit, manchmal schleicht sich die Zerstörung in ein Leben ein wie bei jener Frau, die am Telefon klagt: Ich weiß nicht mehr weiter, ich bin 35, verheiratet, im Grunde glücklich, aber die Probleme wachsen mir über den Kopf. Die Kinder sind nicht einfach, im Beruf viel Stress, blanke Nerven jetzt habe ich angefangen zu trinken, und ich trinke immer mehr, und es frisst mich auf. Manchmal denke ich: Alkohol ist wie eine Strafe, aber wofür werde ich bestraft? Ich bin am Ende. Mein Leben ein Wrack. Ich würde ihr gern helfen, dieser Frau Hiob, aber was soll ich sagen? Es gibt Hiobsituationen, in die Worte gar nicht mehr eindringen können. Wenn Eltern die Nachricht bekommen: Ihre Tochter ist tödlich verunglückt. Dort auf der Landstraße. Ein junges Leben, blühend auf ein Mal ist es aus, wie weggeblasen. Wie sagt Hiob hier in unseren Versen: Der Mensch geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Es ist nicht nur die Novemberstimmung mit den fallenden Blättern und längeren Nächten, die uns sensibel machen für solche Worte. Es ist unsere Erfahrung, dass

es im Leben fallende Blätter gibt, ein Älterwerden und Vergehen, Gräber und Tränen, und Nächte gibt es, nicht nur November-lange, sondern wochen- und monatelange Nächte. Die hellen Tage im Leben lieben wir und wir feiern sie. So wie heute die Freude am neugeborenen Kind in der Taufe. Oder wenn jemand Geburtstag feiert oder eine bestandene Prüfung. Die hellen Tage lieben wir. Aber es gibt eben auch die anderen. Es ist wichtig, das Leben ganz zu sehen. Auch die Nächte, Leid, Schatten der Trauer, Tiefen des Zweifels. So wie Hiob sie erlebte. Das möchte ich jetzt fragen an diesem Novembersonntag: Kann Hiob uns weiter helfen? Sehen wir die Geschichte des Hiob an: Er war einst glücklich: Reich und fromm und dankbar; eine liebevolle Familie hatte er, dazu nicht nur ein Haus, sondern Wohlstand, einen ganzen Hof. Dann geschieht das Unbegreifliche. Die Bibel berichtet von einer Art Wette zwischen Gott und dem Teufel. Es geht um die Frage: Ist Hiob nur fromm, so lange es ihm gut geht? Eine schreckliche Zeit beginnt nun für den gottesfürchtigen Mann. Erst wurden ihm Rinder und Esel genommen, Schafe und Ziegen, die Kamele, der ganze Hof auch, und dann, was wohl am schlimmsten ist: Auch die Kinder. Auf tragische Weise fallen alle zehn einer Naturkatastrophe zum Opfer. Ob einer einen solchen Schlag überhaupt überleben kann? Hiob nimmt ihn hin in unvorstellbarer Gefasstheit: Der Herr hat s gegeben, der Herr hat s genommen: der Name des Herrn sei gelobt! Und die nächste Attacke folgt. Hiob wird geschlagen mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel. Doch auch jetzt lässt er seine Frömmigkeit noch nicht fahren: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? So sagt er tatsächlich zunächst. Aber dann versagen seine Kräfte. Der Teufel scheint Recht zu bekommen. Hiob beginnt mit einer herzzerreißenden Klage. Drei Freunde treten auf, wollen ihm helfen. Was aber können Freunde in so tiefem Schmerz ausrichten? Worte, das wissen alle,

die in solchen Situation trösten wollen, Worte prallen da ab wie Tropfen an einem Regenmantel; erst recht können fromme Worte, auch Bibelverse, manchmal genau gegenteilig wirken, auch wenn sie gut gemeint sind. Die Freunde des Hiob sehen, wie groß sein Schmerz ist. Sie reden nicht gleich los. Sie setzen sich neben ihn auf die Erde. Sie halten das Schweigen mit ihm aus. Nicht nur sieben Minuten oder sieben Stunden. Nein, ganze sieben Tage lang schweigen sie mit ihm. Dann ist die Kraft aller erschöpft. Dann bricht das Schweigen. Und es bricht die Verzweiflung aus Hiob heraus. Seine Wut. Seine Verlassenheit. Seine Wehklage. Und sein Zorn gegen einen Gott, der ihm solches zufügt. Jetzt senkt er nicht mehr fromm ergeben sein Haupt, jetzt begehrt er auf gegen einen Herrn im Himmel, der so mit den Menschenkindern umspringt. Der fromme Hiob nimmt kein Blatt mehr vor den Mund und da sind wir beim Bibelabschnitt für heute: Was ist der Mensch? Eine fallende Blume, ein Schatten nur und trotzdem verurteilst du ihn, Gott. Du bestimmst die Grenzen seines Lebens, seine Monate und Jahre.... Blick doch weg von ihm, lass den Mensch doch in Ruhe, gönn ihm das bisschen Lebensfreude und Hiob meint mit dem Menschen zuerst sich selbst. Mit anderen Worten gesagt: lass mich doch in Frieden, Gott, du ferner, unbegreiflicher Gott, du plagst mich nur. Warum siehst du mich überhaupt, warum ziehst du mich vor Gericht? Warum bricht es über mich herein? So bricht es aus Hiob heraus. So klagt er Gott an. So ringt er mit ihm. Darf man das? Ja - und das empfinde ich zuerst einmal wichtig und tröstlich: dass solche Verse überhaupt in der Bibel stehen. Wer solche Stellen zum ersten Mal liest, wird vielleicht staunen, dass unsere Heilige Schrift solche Klagen überhaupt überliefert. Wer aber länger darüber nachdenkt und solche Verse wie eine Folie über Erfahrungen des eigenen Lebens und der eigenen Leiderfahrungen legen kann, der wird bald merken, welch tröstliche Kraft schon allein darin steckt, dass Menschen der Bibel so klagen konnten und durften. Dass Gott es nicht verbietet und dass die Schreiber der Bibel es nicht verschämt verschweigen wollten.

So können diese Verse eine eindrucksvolle Erlaubnis sein, ja, eine Einladung an alle Leidenden und Angefochtenen, ihren Schmerz, ihren Zorn, ihr Unverständnis nicht fromm ergeben zu schlucken, sondern laut werden zu lassen, Gott in die Ohren zu schreien. Wir müssen nicht frömmer sein als der fromme Hiob. Nicht nur im Buch Hiob sehen wir das. Auch Psalmen loten manchmal eine Tiefe des menschlichen Lebens aus. Sie geben uns Worte für Situationen, in denen uns die Worte fehlen. Der Beter von Psalm 88 etwa ruft so: Herr, ich schreie Tag und Nacht vor dir... du hast mich in Finsternis und Tiefe gelegt... Warum verstößt du, Herr, meine Seele? Warum? Der Klagepsalm 22 fängt so an: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Jesus hat diesen Sterbepsalm am Kreuz gebetet. Wir leben nicht in einer Welt ohne Leid. Darum stehen auch solche Verse der Klage in der Bibel. Darum dürfen sie auch in unserem Leben laut werden. Wobei mir eines auffällt bei Hiob und in den Klagepsalmen: Sie reden nicht nur über Gott. Sie schimpfen nicht nur auf Gott. Sie klagen nicht nur gegen Gott. Sie reden vielmehr mit Gott. Das ist doch erstaunlich: Mitten in seiner Klage findet Hiob zum Du: Du ziehst mich vor Gericht, du, Gott zählst die Tage und Jahre. Lass du mich in Ruhe! Da weiß sich Hiob so weit weg von Gott und spricht ihn doch an. Da weiß sich der Beter von Psalm 22 von Gott verlassen und sagt doch du zu ihm warum hast du mich verlassen?. Da ist es wie ein erstes Geländer in Leiderfahrungen unseres Lebens: Da ist dieses DU trotz allem. Und wenn es zuerst nur ein Du der Klage ist. Aber auch ein DU der Klage öffnet eine tiefe Schicht des Vertrauens, dass ich doch auf eine unsichtbare Weise getragen werde. Dass trotz allem einer die Fäden meines Lebens führt, auch wenn ich es nicht spüre und erst recht nicht begreife. Dass mein kleines Leben, ob alt oder jung, mein so vergängliches und angefochtenes Leben in einer tieferen Weise gehalten ist, als ich es im Moment ahne. Doch ich kann Du sagen, Gott du - auch wenn ich nur klagen und nicht weiter beten kann. Johann Albrecht Bengel hat einmal gesagt: Wenn du nicht mehr beten kannst, dann sage es Gott und siehe, schon betest du. Hiob klagt nicht ins Nichts, er ruft nicht ins Leere. Er bleibt nicht ohne Echo. Er kann DU sagen. Er hat eine Adresse seiner Klage. Und das macht sein Schreien anders.

So kann er Gott die Vergänglichkeit seiner Existenz und der Welt vorhalten, auch die Frage, ob das denn alles gerecht ist, was er erlebt, und wie er, Hiob, doch noch Ruhe finden könnte. Und er bleibt am Ende nicht ohne Antwort. Er macht die Erfahrung, dass seine Klage nicht ins Nichts verhallt ist. Lange ziehen sich die Kapitel des Hiobbuches zwar hin mit den Reden der Freunde und Hiobs Antworten aber am Ende kommt der fromme Mann zur Ruhe, kommt zum Wohlstand auch wieder, aber vor allem kommt er zu neuem Vertrauen: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und ganz am Ende wird er sich über dem Staub für mich erheben, so fängt Hiob dann einige Abschnitte nach unserem Predigttext an. Er fängt an, es wieder zu bekennen, und am Ende kann er Gott loben und als gesegneter Mensch sterben. Er, Hiob, kann. Wir auch? Wir Christen, die in manchen Lebensnächten Hiob so nahe sind? Aber nahe sind wir ihm eben als Christen und darum auch Christus so nahe. Christus, der, so sagte ein Kommentator, Christus - der Hiob des Neuen Testaments. Mein, Gott, warum hast du mich verlassen, betet er wie Hiob, als ihm alles genommen wurde wie dem Hiob, und alle haben ihn verlassen, selbst seine Freunde. Aber Gott hat ihn nicht verlassen. Auch in der Tiefe nicht. Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist, so konnte Jesus am Ende noch beten. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, bekannte Hiob; und da klingt schon eine Spur von Ostern an - mitten im Leid. Ostern beginnt in der Nacht, Auferstehung aus der Tiefe. Es kann ein weiter Weg sein, aus Hioberfahrungen zum Hiobbekenntnis zu kommen, von der Hiobsbotschaft zur Frohbotschaft: Er lebt, mein Erlöser. Ich weiß es. Es kann ein schwerer Weg sein, den wir oder unsere Mitmenschen zu gehen haben. Jene Frau mit ihren Sorgen und der Flucht in den Alkohol. Oder die Eltern der tödlich verunglückten Tochter im langen Weg der Trauer. Und manchmal kann auch der Blick auf unsere Tage und Jahre schwer werden, wie sie vorübergehen und zulaufen auf den Tag, an dem unser endliches Leben einmal zuende ist. Es im Sterben dann zu wissen, dass mein Erlöser lebt, das macht froh in allem Schweren. Und das macht erst recht in hellen Tagen gelassen und gehalten.

An einer Stelle in diesen sechs Versen leuchtet etwas Wichtiges hindurch. Hiob sagt: Blicke doch weg von ihm, dem leidenden Mensch. Aber Gott blickt nicht weg von Hiob. Er, das zeigt sich am Ende des Buches, er blickt Hiob an, trotz allem. Von Jesus hieß es immer wieder: Er sah ihn an, den Blinden, oder sie, die kranke Frau. Und wenn Jesus Menschen ansieht, sieht er mit Gottes Augen, mit liebenden, tröstenden Augen. Auch, wenn wir hier feiern in Jesu Namen, tut er das. Er sieht die älteren an, die auf viele Tage und Nächte zurückblicken. Und er sieht den Levi an, der heute getauft wird. Und Jesus sieht auch die an, die dem Hiob gerade sehr nahe sind. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt das ist Hiobs Botschaft mitten in alle Hiobsbotschaften unserer Zeit. Amen Gebet: (zunächst Gebet der Paten für Levi) Herr Jesus Christus, Quelle unseres Lebens und unserer Hoffnung. Du rufst uns dazu auf, mit allem, was uns belastet, zu dir zu kommen. Du willst, dass wir uns aufrichten und frei werden. Im Aufsehen auf dich wollen wir leben und hoffen, auch bei allem Schweren und Dunklen in unseren Tagen. Du bist selbst in die Tiefe des Leids gegangen. Sei du bei den Leidenden unserer Zeit. Du hast den Tod durchlitten. Sei bei den Sterbenden und bei denen, die trauern. Du bist auferstanden und lebst, Sei denen nahe, die meinen, keine Hoffnung zu haben. Und fülle uns immer wieder neu mit dem Vertrauen, dass unser Leben in deiner Hand gehalten ist. So befehlen wir dir uns und unsere Mitmenschen. Gehe mit uns in den Sonntag und in die neue Woche und lass uns leben zu deiner Ehre. Amen Vater unser