Einführende Hinweise zum Mittelhochdeutschen

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Transkript:

Einführende Hinweise zum Mittelhochdeutschen Periodisierung der deutschen / germanischen Sprachgeschichte Sprachliche Kennzeichen Graphie und Aussprache Besondere sprachliche Erscheinungen Dr. Martin Schuhmann Goethe-Universität Frankfurt 17.05.2008

Periodisierung der deutschen / germanischen Sprachgeschichte (Vorschlag, vgl. Wilhelm SCHMIDT: Deutsche Sprachgeschichte, Stuttgart 8 2000, S. 35ff.) Heutige Standardsprache: Neuhochdeutsch um 1650 Beginn der neuhochdeutschen Sprachperiode um 1350 Beginn der frühneuhochdeutschen Sprachperiode um 1050 Beginn der mittelhochdeutschen Sprachperiode um 750 Beginn der althochdeutschen Sprachperiode Einsetzen der schriftlichen Überlieferung des Althochdeutschen; die 2. Lautverschiebung erscheint in den überlieferten schriftlichen Zeugnissen weitgehend abgeschlossen. ca. 500 n.chr. Beginn der 2. ((alt)-hochdeutschen) Lautverschiebung Mit der 2. Lautverschiebung, also einer weiteren systematischen Überführung bestimmter Konsonanten in andere Konsonanten, die nur im (Hoch-)deutschen durchgeführt wurde, unterscheidet sich das Deutsche von allen anderen germanischen Sprachen. So wird beispielsweise germ. /p/ zu ahd. /pf, f, ff/: engl. pipe dt. Pfeife. ab 200 n. Chr. Germanische Sprachen bzw. Dialekte Mit der Völkerwanderung im weiteren Sinn werden die einzelnen Germanenstämme historisch greifbar, vereinzelt gibt es jetzt schriftliche Überlieferungen, in denen die germanischen Sprachen voneinander unterscheidbar sind. ------------------------------------------------------ Beginn der Zeitrechnung -------------------------------------------------- ca. 100 v. Chr. Abschluss der 1. Lautverschiebung, Germanisch Die germanischen Sprachen (z.b. Englisch, Niederländisch, Deutsch, Schwedisch) unterscheiden sich von den anderen indogermanischen Sprachen dadurch, dass in ihnen bestimmte Konsonanten in bestimmten Umgebungen regelmäßig in andere Konsonanten überführt wurden. So wird beispielsweise idg. /p/ zu germ. /f/: lat. pater engl. father. Dieses Phänomen nennt man 1. Lautverschiebung. Da kein lateinisches Lehnwort im Germanischen von der 1. Lautverschiebung betroffen war, geht man davon aus, dass diese Lautverschiebung beendet war, als Germanen und Römer in Kontakt kamen (ca. 113 v. Chr.). 5000 v. Chr. Indogermanische Grundsprache??? Es ist auffällig, dass sehr viele Sprachen zwischen Island und Indien große strukturelle Ähnlichkeiten zueinander aufweisen. Diese Ähnlichkeiten lassen sich so interpretieren, dass diese Sprachen historisch alle miteinander verwandt seien und/oder sich gegenseitig stark beeinflusst haben. Aber wie hängen diese Sprachen genau zusammen? Verschiedentlich wurde in der Forschung ein indogermanisches Urvolk postuliert, das eine einheitliche Ursprache gesprochen habe und danach in einzelne Völker zerfallen sei, die jeweils eine eigene regionale Variante des Indogermanischen gesprochen haben. Aus diesen Dialekten hätten sich dann die indogermanischen Sprachen entwickelt. Diese Stammbaumtheorie ist aber genauso hypothetisch wie eine andere Erklärung, die Wellentheorie. Diese geht nicht mehr von einer homogenen Ursprache, sondern von einem Sprachverbund mit vielen dialektalen Unterschieden aus, in der da und dort auftauchende Sprachveränderungen sich von ihrem Ausgangspunkt (dem jeweiligen Dialekt) wellenförmig ausbreiten und die umliegenden Dialekte unterschiedlich beeinflussen. Durch den Verlust der Übergangsdialekte zwischen den einzelnen regionalen Varianten entstehen Einzelsprachen. Die wieder anders argumentierende Substrattheorie (lat. stratum, Schicht) geht davon aus, dass die Sprache indogermanischer Eroberer von der Sprache der eroberten Völker beeinflusst und so verändert wurde. Die Entfaltungstheorie wiederum rechnet mit parallelen, aber voneinander unabhängigen Entwicklungen. 1

Sprachliche Kennzeichen des Mittelhochdeutschen Mittel-hoch-deutsch Mittel- ist eine zeitliche Bestimmung, zwischen Alt- und Neuhochdeutsch, zwischen ca. 1050 und 1350 gesprochen. -Hochdeutsch ist eine geographische und sprachliche Bestimmung: Sie bezeichnet den Teil des deutschen Sprachgebietes, in dem die zweite Lautverschiebung ganz oder teilweise vollzogen wurde (in Abgrenzung zum Niederdeutschen). Monophthongierung und Diphthongierung Eines der wichtigsten Abgrenzungskriterien des Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen ist die Frage, ob die Monophthongierung bzw. die Diphthongierung schon vollzogen wurde. Die Beherrschung der Regeln für Monoph- und Diphthongierung erleichtert das Textverständnis sehr! Monophthongierung: Diphthonge /ie/, /üe/, /uo/ werden lange Monophthonge /i/, /ü/, /u/ Merksatz: lieber müeder bruoder (mhd.) lieber müder Bruder (nhd.). Diphthongierung: Lange Monophthonge î, iu, û werden Diphthonge /ei/, /eu/, /au/. Merksatz: mîn niuwes hûs (mhd.) mein neues Haus (nhd.). Hinweis: Betroffen sind nur Diphthonge und nur die Vokale, die in den Merksätzen enthalten sind, und das sind immer Langvokale: <î>; <û>; <iu> (= langes /ü/). Die Kurzvokale i, ü, u sind von der Monophthongierung nicht betroffen: mhd. sint nhd. sind, mhd. übele nhd. Übel, mhd. du nhd. du! Unabhängig davon gibt es im Mittelhochdeutschen schon (ähnliche oder gleiche) Lautqualitäten, wie sie bei Monoph- und Diphthongierung erst entstehen, also bspw. /ei/, /ü/ etc. Die Vokallängen haben sich vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen geändert Alle einfachen Vokale, die das Zeichen ^ ( Zirkumflex ) tragen, sind lang auszusprechen, alle anderen einfachen Vokale sind kurz, was für neuhochdeutsche Ohren recht ungewöhnlich klingt: des habent die wârheit / sîne lantliute: / si jehent er lebe noch hiute (Iwein 12ff.). Dehnung und Kürzung Mittelhochdeutsch kurze Vokale in offener Tonsilbe wurden im Übergang zum Neuhochdeutschen gedehnt. Offene Tonsilben sind Silben, die auf Vokal enden: ich lo-be, im Gegensatz zu daz lop (geschlossene Tonsilbe). Sie sehen graphisch keinen Unterschied zum Neuhochdeutschen: nhd. ich lobe, aber mhd. ich lobe, aber im Mittelhochdeutschen ist der Vokal kurz, im Neuhochdeutschen lang! Mittelhochdeutsch lange Vokale in geschlossener Silbe werden im Neuhochdeutschen gekürzt (seltener, vor allem vor /ht/ und /r + Konsonant/). Auslautverhärtung ist schon im Übergang vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen lautlich eingetreten. Das Phänomen besteht im Neuhochdeutschen noch. Stimmhafte Plosivlaute (/b, d, g/) werden im (Silben-)Auslaut stimmlos und damit als (/p, t, k/) gesprochen. Diese Regel gilt auch im Neuhochdeutschen auf der lautlichen Ebene, sie wird nur nicht graphisch vollzogen: Vgl. Sie Ihre eigene Aussprache für die Graphien <der Tag> <des Tages> - sprich: <ta:k> <ta:ges> Im Mittelhochdeutschen wird dagegen so geschrieben, wie gesprochen wird: <(ich bin) liep liebe; hant handes; der tac des tages; singen sanc; des landes lantliute>. Innerhalb des gleichen Wortstamms (auch bei den Verben) begegnen also unterschiedliche Laute. Vermehrte Umlautschreibung Umlaute gibt es im Neuhochdeutschen noch, ins Deutsche kommen Sie in althochdeutscher Zeit. Dort werden Sie vermutlich schon gesprochen; bedeutungsunterscheidend und vermehrt geschrieben werden sie erst in mittelhochdeutscher Zeit. Umlautfähige Vokale (a, o, u als Kurz- und Langvokale und als Bestandteil von Diphthongen) können durch /i/ und /j/ in der Folgesilbe umgelautet werden: Haus > häuslich. Der Umlaut kann auch dann erhalten bleiben, wenn das i oder j der Folgesilbe nicht mehr besteht: brennen (Infinitiv) ist die umgelautete, brannte (Prät.) die nicht umgelautete Form. Achten Sie darauf, lange Umlaute (ae, oe, iu) nicht mit Diphthongen zu verwechseln. 2

Graphie und Aussprache des Mittelhochdeutschen Im Folgenden wird hier in spitzen Klammern die Graphie (Schreibung) [ <tag> ], in Schrägstrichen vereinfacht die Lautqualität dargestellt [ /tak/ ]. Im normalisierten Mittelhochdeutsch, wie Sie es in den meisten Ausgaben finden, gelten gewisse graphische Konventionen, die vor allem zu Ihrer Leseerleichterung vom Herausgeber in den Text eingefügt wurden. Die wichtigsten Regeln: Vokallänge wird durch ^ gekennzeichnet: Alle einfachen Vokale, die das Zeichen ^ ( Zirkumflex ) tragen, sind lang auszusprechen, alle anderen einfachen Vokale sind kurz, was für neuhochdeutsche Ohren recht ungewöhnlich klingt: des habent die wârheit / sîne lantliute: / si jehent er lebe noch hiute (Iwein 12ff.). Kurze Umlaute tragen Trema (übergesetzte Punkte): <ä, ö, ü>; lang zu sprechende Umlaute werden als Ligatur geschrieben <æ, œ>. Eine Ausnahme gilt hierbei für das lange <ü> (/y/) lesen Sie weiter. Langes /y/ (nhd. <ü>) wird (aus sprachgeschichtlichen Gründen) als Zeichen <iu> geschrieben. <iu> ist also kein Diphthong, sondern langer Umlaut: mhd. triuwe, sprich /trywe/ (nhd. Treue). Es gibt drei Diphthonge (Zwielaute), die es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt: /ie/, /üe/, /uo/ - lieber müeder bruoder. Die Betonung liegt auf dem ersten Vokal, der folgende Vokal schlägt schwächer nach. Daneben gibt es noch weitere Diphthonge: <ei> und <ou>. Beide Diphthonge werden anders als die heutigen Diphthonge <ei> und <au> ausgesprochen. <ou> wird dunkler als mhd. Frau, ungefähr wie <ow> in engl. show gesprochen: vrouwe. Mhd. <ei> entspricht ungefähr dem engl. play: kleine. (allerdings gilt für bairische Texte wie die von Walther von der Vogelweide eher die nhd. Aussprache als /ai/). <h> ist im Anlaut und zwischen Vokalen immer als Hauchlaut /h/ hörbar, sonst, also vor Konsonant oder im Auslaut, wird es als Reibelaut /ch/ gesprochen auch wenn es als /h/ geschrieben wird: mhd. haben, se hen, de-hein, reht, sah <z> wird im Anlaut und nach Konsonant als Affrikate /ts/ gesprochen (vgl. nhd. Zeitung, Herz; sonst ist es stimmloses /s/ (mhd. wazzer), genauso wie <s>. Weiterführendes: Die Schreibung <z, zz> kennzeichnet, dass dieser Laut erst in der 2. Lautverschiebung aus /t/ entstanden ist. Es wird in mittelhochdeutschen Ausgaben auch als Schwänzchen-z dargestellt. Daneben gibt es auch <s> als Graphie in Fällen, wo /s/ schon germanisch stand. Die beiden Schreibungen kennzeichneten vermutlich unterschiedliche Aussprachen, die spätmhd. aber zusammengefallen sind. mhd. /s/, <s> stand vermutlich in der Mitte zwischen nhd. /s/ und /sch/, wir unterscheiden die Aussprache nicht. Die Schreibungen <v> und <f> sind stellungsbedingt. Sprechen Sie <v> in mhd. Texten als /f/. Weiterführendes: Ursprünglich bezeichnete <v> vermutlich eine schwach stimmhaftes /f/, /f/ wurde stimmlos ausgesprochen. Zur Schreibung: Anlautend und innervokalisch steht überwiegend <v>, im Auslaut und in den Kombinationen /ft, fs/ überwiegend <f>. <sk, sc> entsprechen dem neuhochdeutschen /sch/: mhd. scone <ph> steht für /pf/: mhd. phlegen Denken Sie daran, dass auch Diphthonge Umlaute haben können: /ou/ - /öu/; /uo/ - /üe/ Prägen Sie sich dazu das Phänomen der Auslautverhärtung gut ein: /b, d, g/ werden im Auslaut als /p, t, k/ gesprochen. Diese Regelung gilt auch heute noch beim Sprechen des Neuhochdeutschen (sagen Sie laut Bad und baden und achten Sie auf die unterschiedliche Aussprache des <b>!). Im Neuhochdeutschen wird dieser Unterschied aber nicht wie im Mittelhochdeutschen auch in der Schreibung realisiert: <si werben> - <er warp>; <schlagen> - <schlac>; <des tages> - <der tac>. Denken Sie daran, die graphische Ebene von der lautlichen zu unterscheiden. Wenn beispielsweise mhd. vil, nhd. aber viel steht, hat das nichts mit Monophthongierung oder Diphthongierung zu tun. Das /i/ ist zum Neuhochdeutschen hin gedehnt worden, das <ie> zeigt keinen Diphthong an, sondern nur die Vokallänge! In den Handschriften, die Ihrer Leseausgabe zu Grunde liegen, werden Sie keine Zirkumflexe oder Tremapunkte bei den Umlauten finden. Manche Wörter werden ganz anders geschrieben sein. Mittelhochdeutsche Texte kennen zwar auch eine interne Laut-Buchstaben- Zuordnung (bestimmte Lautqualitäten werden durch bestimmte Buchstabenkombinationen ausgedrückt), es gibt aber keine einheitliche Schriftsprache oder gar eine Rechtschreibung im neuhochdeutschen Sinne. 3

Besondere sprachliche Erscheinungen des Mittelhochdeutschen Mittelhochdeutsche Texte tragen viel stärker als schriftlich fixierte neuhochdeutsche Texte - Merkmale gesprochener Sprache: Laute werden abgeschwächt, ausgelassen, miteinander verschmolzen und aneinander angeglichen; auch Wörter können miteinander verschmolzen werden. Denken Sie an die Auslautverhärtung (S. 2)! Volle Vokale in unbetonten kurzen, nicht sinntragenden Wörtern (Präpositionen, Pronomen, Artikel etc.) können zu /e/ abgeschwächt werden: zuo ze (Iwein, V. 32), daz dez. Kontraktion ist die Zusammenziehung von Lauten innerhalb eines Wortes: gibet gît. /ei/ entsteht aus der Verbindung /ege/ und /age/ (letzteres nur vor t oder st): leget leit; saget seit; traget treit, maget - meit /î/ entsteht aus /ige/, /ibe/, /ide/: liget lît, gibet gît, quidet quît (nhd. sagen) In den Texten existieren Langformen und Kurzformen nebeneinander. Wortverschmelzungen sind das Zusammengehen eines kurzen, unbetonten Wortes (Pronomen, Artikel) mit einem anderen Wort. Dabei fallen Laute aus. Proklise (Verschmelzung mit dem folgenden Wort): in deme imme Enklise (Verschmelzung mit dem vorangehenden Wort): bist du bistu Mittelhochdeutsche Beispiele: mirz mir daz (Lindenlied, III,9), zeinen ze einen (Iwein, V. 33), hulfez hulfe ez (Iwein V49). Wortverschmelzung hat mit Wortbildung (lant-liute, bette-stat) nichts zu tun! Folgende Beispiele sind ebenfalls keine Wortverschmelzungen: enwelle (bestimmte Art der Verneinung, Negationspartikel) swenne, swer etc. (besonderes, regelmäßig so gebildetes verallgemeinerndes Pronomen) und unde (Endvokal fällt zum Neuhochdeutschen hin ab). Krasis: Bei Proklise und Enklise kann es zu Vokalveränderungen kommen: daz ist deist, dest, dast Synkope: Aus unbetonten Silben fallen Laute aus gegezzen gezzen, er gihet er giht (nhd. sagt) Apokope: Verlust von Lauten im Wortauslaut ich sage ich sag Assimilation: Angleichungen von Lauten an benachbarte Laute: umbe umme (nhd. um), under, ich wolde Ein Übungsbeispiel: Hartmann von Aue, Iwein, Vv. 524ff. 524 ich sprach " ich wil dich wizzen lân, 525 ich suoche âventiure. " 526 dô sprach der ungehiure 527 " âventiure? waz ist daz? " 528 " daz wil ich dir bescheiden baz. 529 nû sich wie ich gewâfent bin: 530 ich heize ein riter und hân den sin 531 daz ich suochende rîte 532 einen man der mit mir strîte, 533 der gewâfent sî als ich. 534 daz prîset in, und sleht er mich: 535 gesige aber ich im an, 536 sô hât man mich vür einen man, 537 und wirde werder danne ich sî. 538 sî dir nû nâhen ode bî 539 kunt umb selhe wâge iht, 540 des verswîc mich niht, 541 unde wîse mich dar, 542 wand ich nâch anders nihte envar. " 543 Alsus antwurt er mir dô 544 " sît dîn gemüete stât alsô 545 daz dû nâch ungemache strebest 546 und niht gerne sanfte lebest, 547 ichn gehôrte bî mînen tagen 548 selhes nie niht gesagen 549 waz âventiure waere: 550 doch sag ich dir ein maere, 551 wil dû den lîp wâgen, 552 sone darftû niht mê vrâgen. Textnachweis: Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. Herausgegeben. von G.F. Benecke und Karl Lachmann. Neu bearbeitet von Ludwig Wolff. Siebente Ausgabe 1968. Band 1, Text 4