. global news 3462 25-04-16: Was Auschwitz, Leningrad, Tschernobyl und Ilulissat verbindet Vier Plätze, die mich heute noch im Gedenken umtreiben: Auschwitz, der Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof im damaligen Leningrad, Tschernobyl und Ilulissat auf Grönland. Sie verbinden sich für mich nur als Plätze der Erinnerung, nicht weil die Ereignisse dahinter vergleichbar wären, zumal vor allem Auschwitz in seiner schrecklichen Dimension unvergleichbar ist. Auschwitz besuchte ich vor 39 Jahren im Gefolge des damaligen Bundeskanzlers Schmidt. Es war ein dunkler, ungemütlicher Novembertag, der uns von Auschwitz bis ins nahe gelegene ehemalige Vernichtungslager Birkenau mit seinen bei Auflösung des Lagers gesprengten Krematorien brachte. Von Birkenau aus hielt Schmidt eine Rede an das polnische Volk, die vom polnischen Fernsehen übertragen wurde: "Wir sind nach Auschwitz gekommen, um uns und andere daran zu erinnern, daß es ohne Erkenntnis der Vergangenheit keinen Weg in die Zukunft gibt". Zur Erkennntis der Vergangenheit gehörte für mich Jahre später ein Besuch in der jüdischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Erschütternd das dort ausgestellte Wannseeprotokoll der Konferenz zur Endlösung der Vernichtung von elf Millionen Juden. Die Teilnehmer unter Vorsitz von Heydrich gönnten sich am Ende der Konferenz ein Frühstück mit Sekt. Wie es in Auschwitz zuging, ist eindringlich im Erinnerungsbuch der früheren Häftlings Primo Levi "Ist das ein Mensch?" nachzulesen. Er stellt darin die totale Entmenschlichung der Opfer dar. Und er beschreibt seiner Meinung nach typisch deutsche Eigenschaften, die sich im Lager neben unbeschreiblicher Grausamkeit austobten, wie Ordnungsinn, Organisation, Anbrüllen, Bürokratie, http://www.jjahnke.net - rundbr3462-26.4.16-1 / 6
so daß man sich fragen möchte, ob Auschwitz - wenn auch zum Extrem gebracht - Teil eines deutschen Volkscharakters war. http://www.jjahnke.net - rundbr3462-26.4.16-2 / 6
http://www.jjahnke.net - rundbr3462-26.4.16-3 / 6
Nach Leningrad kam ich ebenfalls bei einer offiziellen Reise. Dazu gehörte der Besuch des Piskarjowskoje-Gedenkfriedhofs. Hier sind eine halbe Million Menschen begraben, die der 2 1/2-jährigen grausamen Belagerung durch die deutschen Truppen zum Opfer fielen. Insgesamt sollen 1,1 Millionen umgekommen sein, die meisten verhungert. Das war auch das systematische Ziel der Belagerung gewesen. Durch die Hauptallee über einen Friedhof mit so vielen Massengräbern zu laufen, die fast gleichzeitig entstanden sind, und dabei aus einem Land zu kommen, dessen Armee dieses Kriegsverbrechen angerichtet hatte, läßt sich nicht vergessen. Tschernobyl gehört einer jüngeren Vergangenheit an. Doch der Ort ist ähnlich eindrucksvoll in seiner grausamen radioaktiven Verwüstung. Oft bin ich dort gewesen. Zu meinen Verantwortungen als Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gehörte ein Fonds für die nukleare http://www.jjahnke.net - rundbr3462-26.4.16-4 / 6
Sicherheit, der damals auf etwa 1 Mrd. Euro hochlief. Er war vor allem für Einrichtungen zur Aufarbeitung und Lagerung nuklearer Reste und den Bau einer neuen Ummantelung für den vor 30 Jahren explodierten Reaktor in Tschernobyl geschaffen worden. Jede Reise an den Unglücksort bis in die unmittelbare Nähe des Reaktors hat sich in mein Gedächtnis eingegraben. In ganz anderer Weise ist auch dies ein Ort, der für menschlichen Wahnsinn steht. Tschernobyl wäre nie so gefährlich geworden, wenn seine Konstruktion nicht gleichzeitig dem Erbrüten von Plutonium für das menschheitsvernichtende Nuklearwaffenarsenal hätte dienen müssen. Das folgend Bild zeigt mit dem blauen X, wo der explodierte Reaktorblock gestanden hatte. Vor vierzehn Jahren besuchte ich zu einer internationalen Konferenz den 4500- Seelen-Ort Ilulissat auf Grönland. Zwei Flüge und am Ende noch einer mit dem Hubschrauber hinauf auf den größten Festlandgletscher der nördlichen Hemisphäre, eine durchschnittlich 2.000 Meter starke Eisdecke, die allein 10 % der Wasservorräte der Welt bindet. Der Ilulissat-Eisfjord ist UNESCO- Weltnaturerbe. Unvergeßlich schön anzusehen, solange man vergißt, was sich hier unter den eigenen Füßen im Eis abspielt. Schon eine globale Erwärmung um drei Grad Celsius ließe nach wissenschaftlichen Modellrechnungen das Grönlandeis rapide schmelzen. Bliebe es beim derzeitigen Ausstoß von http://www.jjahnke.net - rundbr3462-26.4.16-5 / 6
Treibhausgasen in die Atmosphäre, könnte dieser Prozeß bereits 2050 unwiderruflich in Gang gesetzt werden. Schon jetzt bewegt sich das Eis im Jahresmittel fast dreimal schneller als noch in den 90er-Jahren. Ein völliges Abschmelzen würde den Meeresspiegel weltweit um etwa 7 Meter anheben. Seit dieser Reise in das nicht mehr ewige Eis verfolgt mich das Bild des ins Meer hinunterdonnernden Eisschilds, aus dem die Eisberge kommen. Wird auch der Ilulissat-Eisfjord eines Tages zu einem bedrückenden Denkmal menschlicher Zerstörungskraft werden? * * * * * Hier können Sie diesen Rundbrief bewerten. http://www.jjahnke.net - rundbr3462-26.4.16-6 / 6