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Transkript:

1802 bis 1945 Die Akademischen Heilanstalten der Christian-Albrechts-Universität Karl-Werner Ratschko Der bescheidene Anfang der Medizin in Kiel Parallel zu den Krankenhausbauten an den medizinischen Zentren Westeuropas entwickelte sich auch im kleinen, dem dänischen Gesamtstaat zugehörigen Schleswig-Holstein an der Christian-Albrechts-Universität Kiel Anfang des 19. Jahrhunderts ein Akademisches Lehrkrankenhaus. Die mühsamen Anfänge und die wechselvolle Geschichte des Universitätsklinikums in Kiel bis zu seinem nur mit größten Mühen ermöglichten Weiterleben nach den Zerstörungen im Bombenhagel des 2. Weltkrieges gehören zur Vorgeschichte des heutigen Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Am 5. Oktober 1665 wurde vom Herzog von Gottorf, Christian Albrecht, die Kieler Universität gegründet. Er wurde nicht nur Namensgeber der Universität, sondern - wie das damals so üblich war - auch ihr Gründungsrektor. Die Anfänge waren bescheiden. Von der Stadt Kiel war das nach 1242 gegründete Franziskanerkloster, das nach der Reformation 1530 von König Friedrich I. (von Dänemark) Kiel geschenkt worden war, zur Verfügung gestellt worden. So standen der neu gegründeten Universität lediglich vier Zimmer als Hörsäle zur Verfügung, allerdings braucht sie auch nicht mehr, denn ihre Auslastung mit Studenten war recht gering. Im Jahre der Gründung hatte Kiel 140 Studenten, jedoch im Sommersemester 1700 wurden nur noch 42, im Wintersemester 1700/01 dann sogar nur noch 26 Studenten immatrikuliert. Diese Zahl sank im Verlaufe des 19. Jahrhunderts noch weiter ab. (Immatrikulationen 1713: 19; 1728: 18; 1763: 15; 1767: 8). 1800 gab es insgesamt 140 und 74 Studenten im Jahr 1807, erst ab 1829 steigen mit 358 Studenten die Zahlen deutlich an. 1 Das waren natürlich nicht alles Medizinstudenten. Ihr Anteil war wesentlich kleiner, in der Regel waren es pro Semester drei oder vier. Es gab in den Jahren nach der Gründung zwei Professoren der Heilkunde, die beiden obligatorischen Vertreter der Theoretica und Practica, die nach den Statuten mindestens vier Stunden Vorlesung pro Woche halten mussten. Besondere Institutionen waren nicht vorgesehen. Durch Tausch zwischen Katharina der Großen - sie hatte von ihrem 1762 ermordeten Ehemann Zar Peter III. das gottorfsche Fürstentum Kiel geerbt - und König Christian IV. von Dänemark erhielt dieser 1773 den noch den Gottorfern verbliebenen Teil Holsteins, zu dem auch Kiel gehörte. Kiel wurde Landesuniversität für die Herzogtümer Schleswig und Holstein. Die Zahl der Medizinstudenten blieb auch in der ganzen 2. Hälfte der 18. Jahrhunderts gering, meist zwischen vier bis fünf Studenten, bei immerhin einem Lehrangebot von fünf Professoren. Nicht selten mussten sich fünf Professoren vier Studenten teilen. Das erste Lehrkrankenhaus Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gaben Medizinprofessoren wie Philipp Gabriel Hensler (1733-1805), Leonhard Fischer (1760-1833), Joachim Dietrich Brandis (1762-1845), Christoph Heinrich Pfaff (1773-1852) und Georg Heinrich Weber (1752-1828) der Kieler Medizinischen Fakultät ein völlig neues Gesicht. Weber gründete 1788 das Krankenhaus an der Prüne als medizinische Klinik und richtete eine medizinische Poliklinik ein. Schon in den Jahren darauf wurden knapp 300 Patienten pro Jahr versorgt. 2 In das Krankenhaus wurden auch chirurgische Patienten aufgenommen, drei Jahre später wurde auch ein Entbindungszimmer eingerichtet. 1791 hatte das Krankenhaus 23 Betten. 3 1802 wurde es durch königliche Resolution Akademisches Lehrkrankenhaus. 4 Und wenn die Anfänge auch sehr klein waren: Das war die Geburtsstunde der Akademischen Heilanstalten in Kiel. 1805 wurden die bisherigen Hebammenschulen aus Altona und Flensburg nach Kiel verlegt. Sie 56

wurden Bestandteil der unter der Leitung von Christian Rudolf Wiedemann (1770-1840) im gleichen Jahr eröffneten Universitäts-Frauenklinik und Hebammenlehranstalt. 5 Brandis gründete 1807 das Privatspital in der Haßstraße, die Vorstufe des später berühmt gewordenen Friedrich-Spitals in der Flämischen Straße. 6 Pfaff befasst sich mit der naturwissenschaftlichen Seite der Medizin, macht sich einen Namen durch geschickte Übersetzungen und veröffentlicht 1831 die Pharmacopoea Slesvico-Holsatica. 7 Klinische Einrichtungen wurden erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa wie z. B. in Wien (1753), in Prag (1769) und in Paris (1795) eingerichtet. Kiel war mit seinen Akademischen Heilanstalten im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Universitäten (Ausnahmen: Wien, Göttingen) früh mit dabei. Dr. Georg Friedrich Weber Um 1800 gab es in der Medizinischen Fakultät schon ein kleines Professorenkollegium, das sich eigener Kliniken und Institute sowie bescheidener Laboratorien bedienen konnte, aber es gab kaum Medizinstudenten. An den Gesamtstudentenzahlen waren sie mit etwa fünf Prozent beteiligt, sodass bei Zahlen von z. B. 151 Studenten im Jahre 1800 nur acht zur Medizinischen Fakultät gehörten, 1802 waren es neun, 1819 dann immerhin 52, 36 Studenten im Jahr 1847. 8 Auch sollte die Medizin praktischer vermittelt werden. Im Jahre 1801 ist dies einer königlichen Verfügung zu entnehmen: Es sollen die Candidaten inskünftige von einem Mitgliede der Fakultät an das Bett eines Kranken im klinischen Institute geführt werden und desselben Krankengeschichte aufsetzen und die Cur anzuordnen gehalten seyn. 9 medizin und wissenschaft 1811 wurden durch eine königliche Resolution die Krankenhäuser funktionell in die der großen klinischen Gebiete Medizin, Chirurgie und Frauenheilkunde getrennt. Neben dem akademischen Krankenhaus in der Vorstadt gab es das chirurgisch geleitete Friedrichs-Krankenhaus in der Flämischen Straße und seit 1805 die Gebär- und Hebammenanstalt erst in der Haßstraße später dann in der Fleethörn. Dies geschah unter außerordentlich mangelhaften Bedingungen: Die napoleonischen Kriege, die Kontinentalsperre und der dänische Staatsbankrott von 1813 machten staatliche Finanzspritzen unmöglich. Eine endgültige Regelung der Verhältnisse erfolgte in der zweiten 10 Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Differenzierung der klinischen Institutionen zusammen mit dem Einbau naturwissenschaftlicher Methoden in die Medizin verschafften damals der Kieler Medizinischen Fakultät eine Spitzenstellung in Deutschland. Das gemeinsame Krankenhaus Trotzdem wurde gebaut und umgebaut. Alles wurde jedoch schnell zu klein und entsprach immer weniger den Bedürfnissen der sich immer weiter spezialisierenden Medizin. Die drei Akademischen Krankenhäuser führten hinsichtlich ihrer Enge und des Hygienemangels zu ständigen Klagen. Der Gynäkologe Gustav Adolph Frontansicht des Hauses Flämische Straße 22 - Friedrichshospital 57

Michaelis und der Chirurg Bernhard Langenbeck bemühten sich 1847 mit Nachdruck um einen Neubau, jedoch der schleswig-holsteinische Krieg von 1848 bis 1852 stand weiteren Entwicklungen im Wege. Der Chirurg Louis Stromeyer (s. a.: Schirren, C., SHÄ 1/2005, S. 55-57), der Internist Emil Friedrich Goetz, wie auch der 1849 als Nachfolger von dem 1848 durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Michaelis Carl Conrad Theodor Litzmann erreichten dann 1854 die Genehmigung zum Neubau. Das Gebäude des akademischen Krankenhauses sollte auf der Schlüterschen Koppel, dem heutigen Klinikshügel, entstehen, wo auch Platz für weitere Neubauten vorhanden war. 11 Der Bezug des neuen gemeinsamen Krankenhauses 1862 bildete dann einen Markstein auf dem Wege zu fachlich stärker ausdifferenzierten Akademischen Heilanstalten. 12 Es entstand ein medizinisch-chirurgisches Krankenhaus mit 120 Betten, von denen 52 medizinische im Erdgeschoss und 68 chirurgische im Obergeschoss untergebracht waren. In der Chirurgie wurden auch Augenkranke mitversorgt. Die Küche und Vorratsräume befanden sich im Keller, von dort führte ein Versorgungsgang in die östlich gelegene, mit sechzehn Betten ausgestattete Gebäranstalt. Die Errichtung der beiden Direktorenhäuser 1869 für die Medizinische und die Chirurgische Klinik, das Quincke- und das Esmarchhaus, rundeten diese Baumaßnahme ab. 13 Zur 200-Jahr-Feier im Jahre 1865 gab es in Kiel 60 Medizinstudenten. Die nicht zufrieden stellenden Bedingungen veranlassten die Medizinische Fakultät dann jedoch 1871 beim Senat der Universität die Errichtung einer Kommission zu beantragen, die die nachteiligen Verhältnisse untersuchen sollte. Der Bericht der Kommission bestätigt die Einschätzung. Die Medizinische Fakultät habe bei 50 von 136 Studenten im Jahre 1872 von einem Nothstand gesprochen. Es bestehen in der Kette der Lehrämter Lücken, welche das Ineinandergreifen der Glieder zum harmonischen wirkungsvollen Ganzen theils erschweren, theils hindern. Sie zeigen sich am auffälligsten in den Naturwissenschaften, und hemmen damit nicht bloß einen Theil der philosophischen Studien, sondern auch die medizinischen im höchsten Grade 14. Die Mediziner seien, zumal in der Chemie, entwöhnt, praktisch zu arbeiten. Botanik und Physik seien unzureichend. Der Zustand der Kliniken verlange neue Anbauten und Einstellung von Personal. 15 Die Differenzierung in einzelne Fachkrankenhäuser Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs folgte eine Phase zunehmender Differenzierung der medizi- Chirurgische Klinik, Südansicht Ende der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts 58

Lageplan der akademischen Heilanstalten 1862 Lageplan der Akademischen Heilanstalten Ende der Zwanzigerjahre 1 Universitätsgebäude, 2 Universitätsbibliothek, 3 Chemisches Institut, 4 Anatomisches Institut, 5 Physikalisches Institut, 6 Zoologisches Institut, 7 Physiologisches Institut, 8 Kunsthalle, 9 Seeburg - Studentenheim, 10 Boots- und Fechthalle, 11 Augenklinik, 12 Personalgebäude und Wäschemagazin, 13 Kuratorialdienstgebäude, 14 Anthropologisches Institut und Institut für Physikochemische Medizin, 15 Frauenklinik, 16 Direktorwohnhaus, 17 Villa Klein-Elmeloo, 18 Hauptverwaltung, 19 Personalwohnhaus, 20 Hals-, Nasen-, Ohrenklinik, 21 Hautklinik und Isolierhaus, 22 Hauptküche, 23 Wirtschaftsgebäude und Kesselhaus, 24 Ärztekasino, 25 Außenstation der Chirurgischen Klinik, 26 Pharmakologisches Institut, 27 Gewächshäuser, 28 Botanisches Institut, 29 Gärtnerhaus, 30 Hygieneinstitut, 31 Chirurgische Klinik, 32 Pathologisches und Gerichtsärztliches Institut, 33 Inspektorwohnhaus, 34 Historisches Seminar, 35 Mineralogisches Institut, 36 Medizinische Klinik, 37 Fliegeruntersuchungsstelle, 38 Germanistisches und Nordisches Institut, 39 Universitätssportplatz, 40 Waschanstalt, 41 Zahn- und Kieferstation, Homiletisches Seminar und Institut für Politik, 42 Häuser Fleckenstraße 26-32, 43 Kinderklinik, 44 Seminargebäude, 45 Geologisches Institut 59

Hauptgebäude der Medizinischen Klinik Ende der Zwanzigerjahre nischen Fächer und damit verbunden eine rege Bautätigkeit. Für die ganze Universität war ein neues Universitätsgebäude zwingend erforderlich geworden. 1873 konnte die Grundsteinlegung im nördlichen Teil des Kieler Schlossgartens stattfinden und am 25. Oktober 1876 die Einweihung erfolgen. 1884 wurde das heute noch stehende Gebäude der Universitätsbibliothek vollendet. Die Zahl der Medizinstudenten entwickelte sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts so erfreulich (1876: 73 Medizinstudierende [von 214 insgesamt]; 1890: 227 [von 447]; 1885: 356 [von 640]; 1907: 507 [von 1 649]), dass die Kieler Medizinische Fakultät die zweite Stelle unter allen preußischen Universitäten einnahm. 16 Erweiterungsbauten der 1862 fertig gestellten Akademischen Heilanstalten gab es ständig bis zur Jahrhundertwende. Schon vierzehn Tage nach Bezug der Chirurgischen Klinik musste die Bettenzahl durch Hinzustellen von Betten auf 73 erhöht werden. 1898 wurde ein Anbau der Universitätsfrauenklinik in Betrieb genommen. 1904 erfolgte dann die Fertigstellung der neuen Chirurgischen Klinik. Damit stand das ehemals gemeinsame Haupthaus der Medizinischen Klinik allein zur Verfügung. 1888 wurde der Neubau der Augenklinik mit 40 Betten fertig gestellt, 1910-12 folgte noch ein Erweiterungsbau, der eine Erhöhung der Bettenzahl auf 70 zuließ, 1901 wurde die Psychiatrische und Nervenklinik mit 125 Betten, 1905 die Kinderklinik bezogen. Die Ohrenklinik, zunächst noch mit der Augenklinik vereint, war dann in angemieteten Räumen sowie im Esmarch- oder Quinckehaus untergebracht und wurde 1917 in den westlichen Anbau des Hauptkrankenhauses verlegt. Die Hautklinik musste sich bis Ende der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts mit angemieteten Räumen in der Hospitalstraße begnügen und konnte dann 1928 das völlig instandgesetzte Gebäude der alten Medizinischen Klinik beziehen. 17 Dem Direktor der Medizinischen Klinik, Alfred Schittenhelm, gelang es Mitte der Zwanzigerjahre, das preußische Kultusministerium zum Erwerb des 1869-1872 erbauten, für das 100 000- Mann-Heer der Weimarer Republik nicht benötigten Marinelazaretts zu bewegen. Im September 1928 konnte es nach dreijährigem Umbau bezogen werden. Das Hauptgebäude der neuen Medizinischen Klinik hatte eine Frontlänge von 135 m und zwei Flügelbauten an den Ost- und Westseiten. Es war bei den Umbauarbeiten um einen Hörsaalneubau für 200 Hörer erweitert worden und hatte 160 Betten. 18 Die neue Klinik umfasste einschließlich der Nebenräume mit 60

46 945 m 3 umbauten Raums mehr als das Doppelte der alten Medizinischen Klinik (21 367 m 3 ). Schittenhelm hatte in der Folgezeit die größte Mühe, das Preußische Finanzministerium von der (leicht nachvollziehbaren) Notwendigkeit zusätzlicher Personalstellen zu überzeugen. 19 Hörsaal der Medizinischen Klinik Ende der Zwanzigerjahre Die Institute der Medizinischen Fakultät standen hinter den Kliniken der Akademischen Heilanstalten nicht zurück. Ihre Entwicklung soll hier kurz ergänzend dargestellt werden: So wurde die Anatomie einschließlich der mit ihr zunächst (bis 1851) vereinigten Pathologischen Anatomie 1839 von der Chirurgie getrennt und in den Warleberger Hof in der Dänischen Straße verlegt. Das Physiologische Laboratorium kam 1853 in ein gemietetes Haus in der Kattenstraße. 1876 bis 1878 erfolgten die Erstellung des Pathologisch-Anatomischen Instituts sowie 1881 des Anatomischen Instituts. 1888 wurde das Hygienische Institut gegründet. Es kam in einer der ehemaligen Bettenstation der Augenklinik in der Hospitalstraße 34 unter. 1907 wurde ein weiterer Neubau für die Pathologie bezogen, der neben dem Pathologischen auch das Institut für gerichtliche und soziale Medizin aufnahm, 1908 übernahm das Pharmakologische Institut die alten Räume des Pathologischen Instituts. 1897 wurde das Gebäude des Physiologischen Instituts vollendet. 1929 wurde im Keller und Erdgeschoss des durch die Verlegung der Medizinischen Klinik in das ehemalige Marinelazarett freiwerdenden Esmarchhauses das Institut für Physikochemische Medizin eingerichtet, das Ober- und Dachgeschoss erhielt das Anthropologische Institut. 20 Die weitere Entwicklung bis zum Ende des 2. Weltkrieges Das Wachstum der Studentenzahlen und der Kieler Bevölkerung ließen jeden Neubau bei Bezug schon wieder zu klein sein, sodass bald wieder Um- und Ergänzungsbauten folgen mussten. Die Akademischen Heilanstalten in Kiel waren am Ende der Weimarer Republik nicht nur Stätte praktischer Ausbildung für Medizinstudenten, sondern auch unentbehrlicher Bestandteil der stationären Versorgung der Bevölkerung Kiels und seiner weiteren Umgebung. In den Jahren des Nationalsozialismus gab es Planungen für Neu- und Erweiterungsbauten, die jedoch wegen des 2. Weltkrieges nicht realisiert wurden. Nach der Zerstörung großer Teile des Klinikums durch Bomben waren Ausweichkrankenhäuser 1944/45 über das ganze Land verteilt. Die Krankenversorgung ging mit viel Improvisationskunst weiter. Es sollte aber noch eine ganze Reihe von Jahren dauern, bis die Akademischen Heilanstalten sich etwa ab Mitte der Fünfzigerjahre wieder in einer einigermaßen erträglichen Raumsituation befanden. Literatur und Abbildungsnachweise beim Verfasser oder im Internet unter www.aerzteblattsh.de Dr. Karl-Werner Ratschko, Havkamp 23, 23795 Bad Segeberg 61