Zeitschrift für Feldherpetologie 13: 225 234 Oktober 2006 Die Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) in Baden-Württemberg mit Hinweis auf eine Reproduktion im Freiland ALEXANDER PIEH 1 & HUBERT LAUFER 2 1 Kaiserslautererstr. 64, D-70499 Stuttgart, pieh@fgs-landesgartenschau.de 2 Büro für Landschaftsökologie Laufer, Friedenstraße 28, D-77654 Offenburg, bfl.laufer@t-online.de The red-eared slider (Trachemys scripta elegans) in Baden-Württemberg, with a hint of a reproduction in nature The capture of a juvenile red-eared slider (Trachemys scripta elegans) at the Altrhein in Kehl (Baden-Württemberg) is taken for the occasion to discuss the situation of this turtle subspecies in Baden-Württemberg. The living conditions of the red-eared slider in its natural distribution area are shortly reported, and opposed to observations at released specimen in Baden-Württemberg. We assume that the juvenile turtle resulted from a successful natural reproduction of a released or escaped female, and that the turtle had already survived its first winter in nature or in its nest hole. Key words: Reptilia, Testudines, Trachemys scripta elegans, distribution, habitat, egg deposition and successful breeding in Baden Württemberg, Germany. Zusammenfassung Der Fang eines Jungtiers der Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) am Altrhein in Kehl (Baden-Württemberg) wird zum Anlass genommen, um die Situation dieser Schildkrötenunterart in Baden-Württemberg zu diskutieren. Die Lebensbedingungen der Rotwangen-Schmuckschildkröte im natürlichen Verbreitungsgebiet werden kurz wiedergegeben und Beobachtungen an ausgesetzten Exemplaren in Baden-Württemberg gegenüber gestellt. Es wird angenommen, dass es sich bei dem Jungtier um eine erfolgreiche Reproduktion eines ausgesetzten oder entwichenen Weibchens handelt und die Schildkröte bereits den ersten Winter im Freiland oder in der Nesthöhle überlebte. Schlüsselbegriffe: Reptilia, Testudines, Trachemys scripta elegans, Verbreitung, Lebensräume, Eiablage und Naturbrut in Baden-Württemberg. 1 Einleitung Das natürliche Verbreitungsgebiet von Rotwangen-Schmuckschildkröten erstreckt sich über den Südosten der USA und die angrenzenden Gebiete Mexikos (vgl. u.a. IVERSON 1992, ERNST et al. 1994). Alle Vorkommen in Deutschland sind daher entweder auf freigelassene oder verwilderte Heimtiere zurückzuführen. Die Wasserschildkröten wurden über Jahrzehnte meist als Jungtiere in Zoogeschäften oder sonstigen Tierhandlungen für wenig Geld angeboten. Oftmals wurde sogar damit geworben, Laurenti-Verlag, Bielefeld, www.laurenti.de
226 PIEH & LAUFER dass die Schildkröten»gartenteichtauglich«sind. Aus solchen Freilandhaltungen konnten häufig Schildkröten entweichen. Andere Exemplare wurden aufgrund der Größenzunahme und des entsprechend höheren Pflegebedarfs in die Natur entsorgt. Mitunter mag auch der Gedanke, unsere Natur mit bunten Tieren aufzumöblieren, zu einer Aussetzung von Schmuckschildkröten geführt haben. Schmuckschildkröten gehören in Baden-Württemberg zu den lokal häufigen Reptilien und werden vor allem in städtischen Anlagen angetroffen (LAUFER im Druck). Bei den 108 Fundmeldungen, die dem ABS (Amphibien und Reptilien Biotopsschutz Baden- Württemberg) vorliegen, handelt es sich meist um adulte oder subadulte Tiere. Aus Baden-Württemberg liegen vor allem Meldungen über die Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) vor, seltener tritt die Gelbwangen-Schmuckschildkröte (T. s. scripta) auf und nur wenige Fundorte sind von der Cumberland oder Troosts-Schmuckschildkröte (T. s. troostii) bekannt. Eine sichere Reproduktion, die ein Überleben der Jungtiere während der ersten Jahre mit einschließt, ist aus Deutschland bisher nicht belegt. Beobachtungen von erfolgreichen Überwinterungen und von Eiablagen liegen hingegen mehrere vor. Am Kehler Altrhein (Ortenaukreis) konnte 2004 neben mehreren adulten Exemplaren von T. s. elegans u. a. ein Weibchen bei der Eiablage beobachtet und ein Jungtier der Rotwangen-Schmuckschildkröte im ersten Lebensjahr gesichtet und schließlich gefangen werden. 2 Habitate Im nordamerikanischen Verbreitungsgebiet lebt Trachemys scripta elegans in einer Vielzahl von Lebensräumen. Hinsichtlich der Gewässertypen ist die Art als Habitatgeneralist zu bezeichnen. Grundsätzlich werden größere Stillgewässer mit weichem Grund bevorzugt, die viele Wasserpflanzen und zum Sonnenbaden geeignete Stellen aufweisen (CARR 1952, CONANT & COLLINS 1991, ERNST et al. 1994). Typische Lebensräume sind Altarme von Flüssen, breite Wassergräben, Sümpfe, Seen und große Teiche. Vorkommen in Kleingewässern (kleine Teiche, Tümpel) befinden sich in der Nähe größerer Gewässer (CARR 1952). Jungtiere werden meist in Gewässern mit reicher Schwimmblattvegetation angetroffen (BRINGSØE 2001). Die Vorzugstemperatur bei T. s. elegans liegt im natürlichen Verbreitungsgebiet bei 25,6 C (Spanne 16,8 32,1 C) (NUTTING & GRAHAM 1993). Die Schildkröten verbringen den Winter meist unter Wasser. Einige Exemplare suchen jedoch auch geschützte Stellen in Ufernähe auf, z. B. Bisambauten (CAGLE 1950). In sehr kalten Wintern kommt es zu einer hohen Sterblichkeitsrate (BRINGSØE 2001). In Deutschland werden die Schildkröten gewöhnlich in Gewässern gefunden, die stark antropogenen Einflüssen unterliegen, etwa in öffentlichen Park- und Grünanlagen, in geringerem Maße auch in Gewässern im weiteren Umfeld von Städten, z. B. in Naherholungsgebieten (vgl. PHILIPPEN 1982, KORDGES 1990, THIESMEIER & KORDGES 1990, 1991). Die Jahresaktivität reicht in Baden-Württemberg von März bis Oktober.
Die Rotwangen-Schmuckschildkröte in Baden-Württemberg 227 Die meisten Bobachtungen stammen aus den Monaten April bis August. Das früheste Sichtungsdatum ist der 11. März, das späteste Datum ist der 17. Oktober. 3 Überlebensrate Während einer 13-Jährigen Untersuchung in South Carolina wurde festgestellt, dass nur 10 % einer Population ein Mindestalter von 10 Jahren erreichen und nur 1 % der Schildkröten 20 Jahre alt wird (GIBBONS 1987). Die Angaben zum Höchstalter der Schildkröten divergieren sehr stark, so hält CAGLE (1950) ein Höchstalter von rund 75 Jahren für möglich, während von GIBBONS & SEMLITSCH (1982) ein Maximalalter von 30 Jahren angenommen wird. Altersuntersuchungen zu den baden-württembergischen Vorkommen gibt es nicht. Es werden jedoch vor allem große, adulte Weibchen gesichtet. Nach eigenen Beobachtungen (A. P.) überstehen Weibchen in heimischen Freilandteichen unsere gegenüber dem natürlichen Verbreitungsgebiet längeren Winter besser als Männchen. So verstarben innerhalb von zwei Wintern (1984/1985 und 1985/1986) alle männlichen Exemplare, die aus einem Auffangpaludarium stammten, nach der Überführung in einen Gartenteich in Südhessen, während die meisten Weibchen noch viele Jahre in selbigem Gartenteich weiterlebten. Möglicherweise ist dies auf die geringere Körpermasse der Männchen und die daraus resultierenden geringeren Energiereserven zurück zu führen. Im Frühjahr gefangene Exemplare sind in beiden Geschlechtern oftmals in geschwächter Verfassung und weisen Verpilzungen sowie geschwollene Augen auf. 4 Nahrung Trachemys scripta elegans ist opportunistisch omnivor. Das Nahrungsspektrum im natürlichen Verbreitungsgebiet reicht von verschiedenen Invertebraten über Vertebraten bis zu Pflanzen. Jungtiere sind eher carnivor (insektivor) orientiert, während bei älteren Exemplaren pflanzliche Nahrungskomponenten eine größere Bedeutung haben oder sogar dominieren (PARMENTER & AVERY 1990, ERNST et al. 1994). Im Wasser werden Süßwasserschwämme, Schnecken, Muscheln und Krebse gefressen. Bei den als Nahrung nachgewiesenen Insekten (Imagines und Larven) handelt es sich um Heuschrecken, Grillen, Käfer, Fliegen, Hummeln, Feuerameisen, Wasserwanzen, Libellen, Eintagsfliegen, Schmetterlinge und Köcherfliegen. Neben Fischen (Lepomis, Notropis, Perca, Umbra) werden Frösche, Laich, Kaulquappen und selbst Wassernattern der Gattung Nerodia erbeutet. Auch Aas und abgehäutete Carapax- und Plastronschilde dienen als Nahrung. Selbst Koprophagie ist beobachtet worden (GOODMAN & STEWART 1998). Der Ernährungszustand von im deutschen Freiland gefangenen Tieren ist, soweit nicht zugefüttert wird, meist als schlecht zu bezeichnen (Teiche der Universität Hohenheim, Tümpel bei Scharnhausen nahe Stuttgart, Altrhein Kehl). In Deutschland wurde die Rotwangen-Schmuckschildkröte beim Fressen von Wasserfröschen (Rana esculenta, R. lessonae und R. ridibunda) und von Molchen (Triturus spec.) beobachtet
228 PIEH & LAUFER (KLEWEN 1988, KLEWEN & MÜLLER 1988). In den öffentlichen und städtischen Parkund Grünanlagen von Essen wurden Wasserschnecken, Wasserflöhe und Aas, bspw. tote Fische, als Hauptfutter von T. s. elegans festgestellt (KORDGES 1990). 5 Reproduktion Nicht alle Weibchen reproduzieren jedes Jahr. In South Carolina setzten jährlich nur 27 47 % der Weibchen Eier ab (FRAZER et al. 1990). Anscheinend wird die Eiablage durch Regenfälle am vorausgehenden Tag ausgelöst. Die Eiablage erfolgt in Nestgruben. Für die Eiablage dienen offene, nicht beschattete Flächen. Der Boden darf nicht schlammig sein, und die Stelle sollte durch Pflanzen etwas Bedeckung aufweisen (CAGLE 1937, 1950). Häufig wird ein dem Gewässer nahegelegener Ort gewählt, der diese Bedingungen erfüllt. Um einen geeigneten Eiablageplatz zu finden, wandern manche Weibchen jedoch auch bis zu 1,6 km vom Gewässer weg (BRINGSØE 2001). Die Gelegegröße ist sehr variabel und liegt zwischen 2 und 23 Eiern (ERNST et al. 1994). Bei vielen Populationen beträgt die durchschnittliche Eizahl eines Geleges 6 11 Eier. Der Rekordwert mit 30 Eiern stammt aus Illinois (TUCKER 1996). Zwischen der Gelegegröße und der Größe des Muttertiers besteht eine positive Korrelation. In einem Jahr können im Extremfall bis zu fünf Gelege abgesetzt werden (ERNST et al. 1994). Oftmals überwintern die Schlüpflinge noch in der Eigrube. So ist aus South Carolina bekannt, dass hier 87 % der Jungtiere in der Nestgrube den ersten Winter verbringen. In Südeuropa pflanzt sich die Art zumindest gelegentlich fort. In Spanien bei Barcelona kam es unter Freilandbedingungen zu einer Vermehrung (MARTÍNEZ-SILVESTRE et al. 1997). Arvey & SERVAN (1998) und CADI et al. (2004) berichten von erfolgreichen Reproduktionen in Südfrankreich. In Rom existieren u. a. in zwei künstlichen Teichen größere Kolonien von T. s. elegans (BRUNO 1986, LANZA & CORTI 1993, LUISELLI et al. 1997). In Mitteleuropa dürfte es nur als Ausnahme unter besonders günstigen klimatischen Bedingungen zu Reproduktionen kommen. Unter seminatürlichen Bedingungen (in einem Gartenteich in Leibnitz, Steiermark) ist ein Fall bekannt, bei dem Jungtiere im Frühjahr schlüpften, die offenbar im Ei oder in der Gelegegrube überwintert hatten (ANONYMUS 1995, GEMEL et al. 2005). Eier legen die Weibchen wohl auch in Deutschland regelmäßig ab, zumindest sind einige Beobachtungen aus der Oberrheinebene und dem Stuttgarter Raum bekannt. Im Botanischen Garten von Stuttgart-Hohenheim wurde auf einer südwestexponierten Rasenfläche an einem Weinberg Mitte der 1990er Jahre ein Gelege mit sechs Eiern abgesetzt. Ein Teil des Geleges (3 Eier) wurde künstlich gezeitigt und es schlüpften zwei Jungtiere (H. MÜLLER pers. Mitt.). Die Ablagestelle mit den restlichen Eiern wurde mit einem Gitter abgedeckt, um eine Prädation zu verhindern. Es kam jedoch zu keinem weiteren Schlupf (vgl. H. RAHMANN pers. Mitt. in BRINGSØE 2001). Im Jahr 2000 versuchte am Inselsee/Eissee ein Weibchen in der Nähe des Gewässers eine Eigrube zu graben (SCHMOLZ in QUETZ 2003). In der Oberrheinebene konnten im Ortenaukreis bei Achern (LAUFER 1997 unveröff.) und bei Oberkirch (K. HIRSCHFELD pers. Mitt. 2004.) Eier legende Weibchen beobachtet werden. Im Garten legen bei K. HIRSCHFELD die Rotwangen-Schmuckschildkröten seit
Die Rotwangen-Schmuckschildkröte in Baden-Württemberg 229 vielen Jahren Eier ab, ohne das bisher jedoch ein Schlupf beobachtet werden konnte. An einem Baggersee bei Altrip (Raum Ludwigshafen/Mannheim) wurden im September 1999 zwei Schlüpflinge mit Eizahn entdeckt (I. PAULER pers. Mitt. 1999 in BRINGSØE 2001). 6 Der Jungtierfund in Kehl Beim Kehler Altrhein handelt es sich um ein innerstädtisches Stillgewässer, das durch den Rheindamm vom Hauptstrom abgeschnitten ist. Bis zur Sanierung des Gewässers waren Schildkröten in dem Gewässer sehr häufig (A. NEUMANN pers. Mitt. 2004). Die Sanierungsmaßnahmen im Vorfeld der Landesgartenschau 2004 führten wahrscheinlich zu einem starken Individuenverlust. Zwischen Mai und Oktober 2004 konnten in Abb. 1: Jungtier der Rotwangen-Schmuckschildkröte, gefangen am Kehler Altrhein. Foto: A. PIEH. Juvenile red-eared slider captured at the Kehler Altrhein.
230 PIEH & LAUFER Tab. 1: Messwerte des Trachemys scripta elegans-jungtieres, gemessen Anfang Oktober 2004. Measurements of the juvenile Trachemys scripta elegans, measured in the beginning of October 2004. Merkmal Messergebnisse in (mm) Carapaxlänge 49,9 Carapaxbreite 48,1 Panzerhöhe 22,3 Plastronlänge 43,6 Zuwachsstreifen zwischen Marginale und 2. Caudale 3,4 Interabdominalnahtbreite 2,9 dem Gewässer immer noch mehrere adulte Rotwangen-Schmuckschildkröten beobachtet werden. Zumindest bei einem Exemplar handelte es sich augenscheinlich um ein Männchen (Carapaxlänge und -form, Länge der Krallen an den Vorderzehen). Am 06. 07. 2004 nach einer regenreichen Nacht und schwülwarmem Wetter wurde auf einer Rasenfläche der zu diesem Zeitpunkt hier stattfindenden Landesgartenschau (LGS) ein Weibchen beim Graben einer Nistgrube beobachtet. Um das Tier vor den LGS-Besuchern zu schützen, wurde es an einen befreundeten Terrarianer weiter vermittelt. Hier legte das Tier die Eier ab, ohne dass sie gefunden werden konnten, ein Schlupf erfolgte nicht (W. MATZANKE pers. Mitt.). In der ersten Oktoberwoche 2004 konnte im Kehler Altrhein ein Jungtier (Abb. 1) gefangen werden. Die Fundumstände und die Carapaxgröße (Tab. 1) legen die Vermutung nahe, dass eine erfolgreiche Reproduktion im sehr warmen und sonnigen Jahr 2003 stattgefunden hatte und das Tier den Sommer 2004 im Freiland überlebte. Ob das Tier noch vor der Überwinterung 2003/2004 die Eigrube verließ, ist unklar. Das Jungtier wurde Mitte September erstmals gesichtet. Es sonnte sich auf der Umrandung zweier etwa 2 m von einem Steg entfernten, zu einer Insel verbundenen Wasserfässer am südlichen Ende des Altrheins (Abb. 2). Die Wasserfässer dienten bereits zuvor einer Schildkröte zum Sonnenbaden. Erst nach dem Wegfangen dieses Tieres (Graptemys spec.) im Juli wurde das Jungtier im September gesichtet, wobei im August keine Begehungen stattgefunden hatten. Bei Annäherung flüchtete das Tier ins Wasser und suchte den Sonnenplatz erst nach Stunden wieder auf. Fangversuche vom Ufer und von einem Ruderboot mit einem Kescher (2,5 m-stil) scheiterten an der hohen Fluchtdistanz der Schildkröte. Erst das Untertauchen der Fässer und das Abgreifen vom Sonnenplatz brachte schließlich den erwünschten Erfolg. Während der ersten Monate in Gefangenschaft verhielt sich das Tier ausgesprochen scheu und im Gegensatz zu Makrobenthosorganismen (Blasenschnecken, Wasserasseln, Eintagsfliegenlarven, Flohkrebse) wurde Trockenfutter (Bachflohkrebse) anfänglich verschmäht. Die hohe Fluchtdistanz und das scheue Verhalten werden als weitere Indizien aufgefasst, dass es sich bei dem Jungtier um eine erfolgreiche Reproduktion eines ausgesetzten bzw. entwichenen Weibchens handelt. Zumal die Einfuhr lebender Trachemys scripta elegans in alle Länder der Europäischen Gemeinschaft seit Dezember 1997 verboten ist und nur noch relativ teure Nachzuchten für den Heimtiermarkt angeboten werden. Eine Aussetzung erfolgt außerdem meist bei für die Haltung zu groß gewordenen Schildkröten und nicht bei den hinsichtlich des Platzbedarfes noch anspruchslosen sowie vom Aussehen noch putzigen Jungtieren. Es wird daher vermutet,
Die Rotwangen-Schmuckschildkröte in Baden-Württemberg 231 Abb. 2: Kehler Altrhein (Ortenaukreis, Baden-Württemberg). Foto: A. PIEH. Kehler Altrhein (Ortenaukreis, Baden-Württemberg). dass die Schildkröte den Winter 2003/2004 bereits im Freiland überstand oder noch in der Nesthöhle zubrachte. Mit knapp 50 mm entspricht die Carapaxgröße der, die BRINGSØE (2001) für Jungtiere im natürlichen Verbreitungsgebiet während der ersten Wachstumssaison angibt. Letztendlich können Restunsicherheiten hinsichtlich des Ursprungs der Schildkröte jedoch nicht vollständig ausgeräumt werden. 7 Schlussbemerkung Die Reproduktion von Trachemys scripta elegans wird als seltener Ausnahmefall, bedingt durch den warmen Sommer 2003 und das günstige Klima der Ortenau gewertet. Seit in Kraft treten der Verordnung (EG) Nr. 2551/97 mit Wirkung vom 22. Dezember 1997 sind mehrere Jahre vergangen, und das Aussetzen dieser Schildkröten in größeren Mengen dürfte in absehbarer Zeit beendet sein. Langzeituntersuchungen zur Entwicklung der Schmuckschildkrötenbestände wären wünschenswert, zumal bisher aus der Zahl der Meldungen über diese Art, die dem ABS vorliegen, kein Rückgang der Bestände in Baden-Württemberg feststellbar ist (vgl. LAUFER im Druck). Hier mag ein Zeitversatz zwischen Kaufdatum und dem Aussetzen von zu groß gewordenen Exemplaren eine Rolle spielen. Es ist in diesem Zusammenhang als ein Versäumnis zu betrachten, dass in der Tierhaltungsverordnung (BGB1 II Nr. 486 Anlage 3) bei den Mindestanforderungen an ein Freilandterrarium nicht explizit auf eine geeignete, ausbruchssichere Umzäunung hingewiesen wird.
232 PIEH & LAUFER Auswirkungen der Schmuckschildkröten auf die einheimische Fauna sind bisher nur wenig bekannt, jedoch auch nicht genauer untersucht. In Baden-Württemberg kommt T. s. elegans u. a. vergesellschaftet mit der Ringelnatter (Natrix natrix) und der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) vor. Es ist zu vermuten, dass Jungtiere der Ringelnatter ähnlich wie es aus Nordamerika über Nerodia berichtet wird (GOODMAN & STEWART 1998) den Schmuckschildkröten hin und wieder zum Opfer fallen. Die gemeinsamen Vorkommen der beiden Schildkrötenarten beschränken sich auf zwei Gewässer nordöstlich von Stuttgart und auf zwei Gewässer direkt bei Stuttgart sowie vier Gewässer in der Oberrheinebene. Die Bestände an Europäischen Sumpfschildkröten sind in den genannten Arealen allochthon. Im Lebensraum der möglichen autochthonen Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte in Oberschwaben kommt die Schmuckschildkröte selten vor, sodass bisher keine negativen Auswirkungen bekannt sind. Durch das oftmals geringe Vorhandensein an geeigneten Sonnenplätzen könnte es zur Konkurrenz mit der Europäischen Sumpfschildkröte kommen (vgl. HANKA & JOGER 1998, CADI & JOLY 1999). Untersuchungen über das Konkurrenzverhalten zwischen den beiden Arten unter kontrollierten Bedingungen erbrachten sowohl eine Abnahme der Masse wie auch eine erhöhte Sterblichkeit bei der Europäischen Sumpfschildkröte (CADI & JOLY 2004). Mit Amphibien kommt die Rotwangen-Schmuckschildkröte vor allem gemeinsam mit Erdkröte (Bufo bufo), Teichfrosch (Rana esculenta), Grasfrosch (Rana temporaria) und den vier Molcharten (Triturus alpestris, T. cristatus, T. helveticus, T. vulgaris) vor. Auf ein zumindest opportunistisches Fressen von Amphibien wurde durch KLEWEN (1988) und KLEWEN & MÜLLER (1988) hingewiesen. Es besteht eine generelle Gefahr durch die Verschleppungen durch Krankheiten (vgl. BUWAL 1995), die nicht nur Schildkröten betreffen müssen. Gleichfalls ist das Nahrungsspektrum aus Deutschland nicht hinreichend bekannt, sodass die Auswirkungen auf Fisch- und Makrobenthosorganismen nicht abgeschätzt werden können. Die durch BRINGSØE (2001) geäußerte Befürchtung, dass ein Importverbot für eine Unterart von Trachemys (unter Anwendung der trinären Nomenklatur) die aufgezeichnete Problematik nur auf andere nordamerikanische Taxa verschiebt, ist als weiterhin aktuell anzusehen. SO berichten FRITZ & LEMANN (2002) vom Fund von Schlüpflingen der nordamerikanischen Zierschildkröte (Chrysemys picta bellii) an einem Gewässer in Baden-Württemberg. Nach unserer Ansicht gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zumindest bei den durch den Menschen geprägten, für den Naturschutz unbedeutenden Gewässern, nicht die Notwendigkeit eines Wegfangens von Rotwangen-Schmuckschildkröten. Aus Tierschutzgründen wäre eine Unterbringung der Schildkröten unter ihren Bedürfnissen gerecht werdenden Bedingungen jedoch wünschenswert. Danksagungen Wir danken RICHARD GEMEL und HANS-DIETER PHILLIPEN für die kritische Durchsicht eines Vorläufermanuskriptes dieser Arbeit und ihren bereichernden Anmerkungen. SIMONE FOLTYN und ALEXANDER NEUMANN gaben uns freundlicherweise Informationen über den Kehler Altrhein und die Entwicklung der darin lebenden Schildkrötengruppe.
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