Heimliche Nachbarn mitten unter uns. Seit 30 Jahren engagieren sich Biologen und Naturschützer für die Fledermäuse

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Transkript:

Heimliche Nachbarn mitten unter uns Seit 30 Jahren engagieren sich Biologen und Naturschützer für die Fledermäuse René Güttinger, Nesslau Zweifarbenfledermaus (Vespertilio murinus): Wie alle kleinen Säugetiere sind auch Fledermäuse äusserst hübsch. Bilder René Güttinger Ein friedlich-sympathisches Schmatzen erfüllt den Raum. Eine Handvoll Menschen stehen im Kreis um den Ort des Geschehens. Leicht vornübergebeugt, unbeweglich, drehen sie einander immer wieder das Gesicht zu, mit einem gönnerhaften Lächeln auf den Lippen. Die im Staccato rasch aufeinanderfolgenden Schmatzlaute erinnern an einen Igel, der genüsslich und mit einer Hartnäckigkeit sondergleichen an einer kaum kleiner werdenden Nacktschnecke herumkaut. Allerdings: Ein Igel kann es nicht sein, denn es ist mitten im Winter. Bei dieser Kälte befinden sich Igel üblicherweise versteckt im Winterschlaf. Die Erklärung für das Schauspiel ist eine andere. Jährlich im Februar trifft sich in Triesen eine Schar naturinteressierter Personen, um Neues über die Biologie einer gefährdeten Tiergruppe zu erfahren und Pfleglinge zu füttern, die regelmässig aus ihrem künstlichen Winterschlaf geholt und mit Mehlwürmern dazu motiviert werden, sich neuen Winterspeck anzufressen. Die Rede ist von kleinen, heimlichen Mitbewohnern unserer Kulturlandschaft, welche nicht minder anmutig sind als Igel den Fledermäusen. Besondere Säugetiere Fledermäuse gehören zu den kleinsten Säugetieren. Im zoologischen System werden sie der Ordnung «Handflügler» zugeordnet (im Fachjargon: Chiroptera). Dazu gehören nebst den eigentlichen Fledermäusen auch die meist markant grösseren Flughunde, von denen die grössten eine Flügelspannweite von eineinhalb Metern erreichen. Die Tiergruppe umfasst weltweit rund 1000 Arten und ist innerhalb der Säugetiere die zweitgrösste Ordnung. Einzig die Nagetiere (Ordnung Rodentia) sind mit rund 3000 Arten noch zahlreicher und machen damit rund die Hälfte der aktuell lebenden Säugetierarten aus. Exklusives Fledermausmerkmal innerhalb der Säugetiere ist das Flugvermögen. So können sich Fledermäuse durch ihren Flügelschlag aktiv in der Luft fortbewegen. Diese Fähigkeit unterscheidet sie von anderen Säugetieren wie Gleithörnchen, Riesengleitern oder Flugbeutlern, welche 34 4/2013

Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii): Die auffallend grossen Ohren spielen eine wichtige Rolle bei der Echo-Ortung. Braunes Langohr (Plecotus auritus): Fledermäuse fliegen mit den Händen. Grosses Mausohr (Myotis myotis) im «Winterschlaf»: Winterquartiere müssen feucht und kalt, dabei aber auch frostsicher sein. lediglich im passiven Gleitflug auf kurzen Strecken durch die Luft gleiten können. Biologisch betrachtet ist der Begriff «Handflügler» wesentlich treffender und einiges stichhaltiger als «Fledermäuse». Denn Fledermäuse sind, wie soeben dargelegt, gar keine Mäuse, sondern mit den Händen fliegende Säugetiere ganz eigener Prägung. Ihre Hand- und Fingerknochen haben sich im Laufe der Stammesgeschichte zu filigranen, elastischen Knochenspangen verlängert. Bei unseren Fledermäusen ist einzig der Daumen als markanter, beweglicher Finger von kurzem und kräftigem Bau und nach wie vor mit einer Kralle bewehrt, sodass er als nützlicher Kletterhaken beim Herumkrabbeln auf abschüssiger Holz-, Rinden- oder Felsunterlage eingesetzt werden kann. Raffiniert und in seiner Komplexität ebenfalls den Fledermäusen vorbehalten ist das Echoortungsverhalten. Mit diesem Orientierungssystem können sich Fledermäuse anhand von Ultraschalllauten im Dunkeln perfekt im Raum orientieren und ihre Beute punktgenau lokalisieren. Die grossen Ohrmuscheln, wie sie bei manchen Arten unverkennbar sind, lassen die beträchtliche Spezialisierung der Fledermäuse erkennen. Dem Volksglauben zum Trotz sind Fledermäuse jedoch nicht blind. Mit ihren zum Teil recht grossen Augen verfügen sie vor allem über ein leistungsfähiges Sehvermögen für Hell-dunkel-Kontraste. Anpassung an die Jahreszeiten In unserer Kulturlandschaft passen Fledermäuse ihren Jahreszyklus auf einzigartige Weise den jahreszeitlich wechselnden Umweltbedingungen an. Von den im Einzugsgebiet dieser Zeitschrift (im Text fortan als «Gebiet» benannt, falls nicht näher bezeichnet) lebenden Fledermausarten hat jede ihren eigenen, arttypischen Lebensstil, doch lässt sich insgesamt trotzdem ein markantes Grundmuster beschreiben, das sich in abgeänderter Form bei allen Fledermausarten wiederholt. Vom Frühjahr bis Herbst leben die Tiere meist in kopfstarken Kolonien in Sommerquartieren, wo sie auch ihre Jungen meist ein Einzelkind auf die Welt bringen und bis zum Flüggewerden säugen. Diese Kolonien bestehen bei vielen Arten fast ausschliesslich aus erwachsenen Weibchen und werden häufig auch «Wochenstuben» genannt (sinngemäss von «Wöchnerin» und «Stubete» abgeleitet). Männchen werden in diesen Gruppen nicht geduldet und bewohnen als Einzelgänger individuelle Tagesverstecke. Es gibt jedoch einzelne Arten ohne strikte Geschlechtertrennung. Im Spätsommer und Herbst ist Paarungszeit. Jetzt scharen die Männchen in nahezu täglich wechselnder Zusammensetzung kleine Haremsgrüppchen um sich. Trotz zahlreicher Begattungen mit immer wieder wechselnden Partnern findet jedoch keine Befruchtung statt. Durch Speichern der Spermien im weiblichen Körper über den Winter bis zum Frühjahr werden die Befruchtung und damit der Beginn einer Trächtigkeit mehrere Monate hinausgezögert. Diese Fortpflanzungsstrategie ist unter Säugetieren einmalig und zeigt die perfekte Anpassung an eine Umwelt, die in klimatisch ganz unterschiedliche Jahreszeiten gegliedert ist. So macht es denn tatsächlich wenig Sinn, im Herbst bei abnehmendem Nahrungsangebot und kühler werdenden Nächten und vor Beginn des Winterschlafs noch eine Schwangerschaft zu beginnen. 4/2013 35

Grosses Mausohr (Myotis myotis): Deren Wochenstubenkolonien zählen mehrere Dutzend bis mehrere Hundert Tiere. Hätten Sie den Unterschied erkannt? Kleines Mausohr (Myotis oxygnathus) und rechts davon ein Grosses Mausohr (Myotis myotis). Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros): Namensgebend ist der hufeisenförmige Hautlappen auf der Nase. Im Frühling hingegen, wenn das Leben in der Natur erwacht, die Nächte wärmer und Beutetiere wieder ausreichend verfügbar sind, kann ein Weibchen die energetische Mehrbelastung einer Schwangerschaft meist problemlos bewältigen. Den Winterschlaf verbringen Fledermäuse in frostsicheren Quartieren wie Felshöhlen, Stollen, Kellern sowie in Felsspalten, Baumhöhlen oder Scheiterbeigen. Während gewisse Arten in derselben Landschaft überwintern, in der sie auch den Sommer über leben, ziehen andere Arten lieber in wärmere Regionen. Im Frühjahr schliesslich kehren die Weibchen wieder in ihre Wochenstubenquartiere zurück. Hotspot der Artenvielfalt In der Schweiz und in Liechtenstein kennen wir insgesamt 30 Fledermausarten das ist rund ein Drittel aller Säugetierarten. Im Einzugsgebiet von Rhein, Seez, Walensee und Linth leben auf liechtensteinischem und schweizerischem Hoheitsgebiet 22 Arten (siehe Tabelle). Die klimatische Gunstlage in den Föhntälern sowie ein breites Angebot an verschiedenen naturnahen Lebensräumen ist die Grundlage für diese hohe Artenvielfalt sowie das Vorkommen besonders seltener Fledermausarten im Gebiet. Eine grosse Rarität ist das Kleine Mausohr, welches in Fläsch, Triesen und Gams gemeinsam mit dem Grossen Mausohr gemischte Wochenstuben bildet. In der Schweiz kennt man lediglich ein Dutzend solcher Mischkolonien, die alle in Kirchen leben. Im Bereich des Alpenrheintals ist die Anzahl Kolonien besonders hoch: Vorarlberg (1), Liechtenstein (1), Kanton St. Gallen (2) und Graubünden (5). Die Mausohrkolonie in Fläsch ist mit über 1000 Alttieren übrigens eine der grössten Fledermauskolonien der Schweiz. Von der Kleinen Hufeisennase kennen wir im Gebiet lediglich noch eine einzige Fortpflanzungskolonie in Flums. Mit 70 Alttieren handelt es sich dabei um eine stattliche Kolonie und gleichzeitig um die letzte bekannte Wochenstube dieser Art im Kanton St. Gallen. In Liechtenstein gilt die Art als ausgestorben, und auch in der Bündner Herrschaft konnten in den vergangenen Jahren keine Wochenstuben mehr gefunden werden. Interessanterweise existiert in Graubünden weiter südlich, 36 4/2013

Alpenlangohr (Plecotus macrobullaris): Die Art gehört zu den faunistischen Besonderheiten der Region. Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus): Die gelben Ohrmilben sind typisch und scheinen die Fledermäuse nicht zu beeinträchtigen. Braunes Langohr (Plecotus auritus): Noch ist die Art nicht allzu selten, doch hat sie während der letzten Jahrzehnte schleichend an Terrain eingebüsst Tendenz steigend. im Einzugsgebiet des Rheins, eine gesamtschweizerisch einmalige Konzentration mit mehreren Wochenstuben. Ebenfalls eine faunistische Besonderheit ist das Alpenlangohr, von dessen Existenz wir erst seit wenigen Jahren wissen. Nach bisheriger Kenntnis liegt sein Verbreitungsschwerpunkt in den Zentral- und Südalpen. Auf der Alpennordseite hingegen zählt es zu den seltenen Fledermausarten. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass im Gebiet in Kirchen und Kapellen doch einige Wochenstuben leben, so in Liechtenstein (Ruggell und Balzers), im Werdenbergischen (Sennwald und Wartau) sowie im Sarganserland (Flums). Im unteren St. Galler Rheintal gibt es zudem eine weitere Kolonie in Oberriet. Ebenfalls eine Besonderheit ist das Vorkommen des Grauen Langohrs in Liechtenstein. Das einzige Wochenstubenquartier dieser Art befindet sich in Mauren, während sich weitere neun Quartiere im Talraum über das Ländle verteilen. Von der Breitflügelfledermaus, welche in den Südalpen ebenfalls wesentlich häufiger vorkommt, kennen wir im Gebiet lediglich zwei Wochenstubenquartiere in Vaduz und Balzers sowie ein Quartier in Sennwald. Auch die Breitflügelfledermaus zählt auf der Alpennordseite zu den seltenen Fledermausarten. Im Gebiet existieren weitere Fledermausarten, welche aufgrund ihrer Seltenheit massgeblich zur «Qualität» der regionalen Biodiversität beitragen. Dazu zählen die Bechsteinfledermaus, von welcher 2013 in Schaan eine Wochenstube in einer Silberweide gefunden wurde, die Mopsfledermaus, von der in Wartau regelmässig Einzeltiere nachgewiesen werden, aber auch die in der Schweiz nur noch in wenigen Reliktbeständen anzutreffende Grosse Hufeisennase. Von dieser können in Wartau und Igis immer noch Einzeltiere beobachtet werden, obwohl im Gebiet die letzte Wochenstube in Balzers bereits seit 20 Jahren verwaist ist. Quartiere erhalten und neu schaffen Für unsere Fledermäuse gestaltet sich das Zusammenleben mit dem Menschen nicht ganz einfach. So hat in Europa um die Mitte des 20. Jahrhunderts ein je nach Fledermausart und Region beträchtlicher Bestandesrückgang eingesetzt. In der Schweiz haben sich dachstockbewohnende Arten wie das Grosse Mausohr bis heute nicht davon erholt. Die Art bevorzugt grosse Dachstühle und gilt auch heute noch als klassische «Kirchenfledermaus». Immerhin konnte dank eines rigorosen Quartierschutzes der Rückgang dieser grössten einheimischen Fledermausart gestoppt werden. Heute hat sich der schweizerische Bestand des Grossen Mausohrs auf rund 100 Wochenstubenkolonien eingependelt. Unter den gebäudebewohnenden Fledermäusen gehört aktuell das Braune Langohr zu den Verlierern. Diese immer noch recht verbreitete Fledermausart wird in der Ostschweiz regional immer seltener. Grund dafür ist der Verlust von traditi- Verstorbenes Jungtier der Grossen Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum): Hinweis auf eine der letzten Geburten in der Region aus dem Jahr 1992. 4/2013 37

Eigenkonstruktion: Das vor dem Stolleneingang montierte Gittertor schliesst Störenfriede aus, lässt Fledermäuse und andere Stollenbewohner hingegen passieren. verschlossen worden. Ebenfalls in Wartau ist man aktuell dabei, im Festungsgebiet Magletsch die von der Armee ausgemusterten Stollen für Fledermäuse aufzuwerten. Auch im Linthgebiet konnten in Schänis sowie in Benken auf Anregung des lokalen Naturschutzes mehrere Stolleneingänge «fledermausfreundlich» verschlossen werden. Zuletzt darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass etliche Fledermäuse als Quartiere Baumhöhlen bevorzugen. Dies können Spechtlöcher sein, aber auch Faulhöhlen, die zum Beispiel in alten Bäumen mit Zwieselwuchs entstehen. Hier ist es bedeutsam, dass private wie öffentliche Waldbewirtschafter möglichst viele Höhlenbäume so lange wie möglich stehen lassen. onell genutzten Dachstühlen in Wohnhäusern, welche in zunehmendem Masse zu Wohnungen ausgebaut werden. Wie zahlreiche Beispiele aus der Ostschweiz beweisen, kann ein derart gefährdetes Quartier durch guten Willen der Hauseigentümer und eine zielgerichtete Beratung vonseiten des Fledermausschutzes oftmals gerettet werden, ohne substanzielle Einbussen für beide Parteien. So gibt es mittlerweile zahlreiche Beispiele, wo bei umfassenden Gebäudesanierungen den darin befindlichen Fledermausquartieren höchste Priorität zukam. Dies gilt unter anderem für die Renovation der Kirchen in Triesen, Sennwald, Gams, Gretschins, Bad Ragaz, Amden, Gommiswald sowie die umfassende Sanierung des Maschinengebäudes Pravizin in Flums oder des ehemaligen Pfarrhofes in Balzers. Ebenfalls in die richtige Richtung weisen neu geschaffene Fassadenquartiere, wie sie im Gebiet in den letzten Jahren dank der Initiative von Hauseigentümern und Handwerkern an mehreren Orten neu realisiert worden sind. Auch Stollen und Felshöhlen können mit einfachen Mitteln zu Fledermaus-Winterquartieren aufwertet werden. So ist in Wartau auf Initiative der Jagdgesellschaft Gauschla eine Naturhöhle, bei welcher am Eingang bereits mehrmals seltene Fledermausarten wie Grosse Hufeisennase und Mopsfledermaus gefangen wurden, mit einem «fledermausdurchlässigen» Gitter Fledermausarten im Sarganserland, Werdenberg, Obertoggenburg, Fürstentum Liechtenstein und in der Bündner Herrschaft orange = Fortpflanzung nachgewiesen; gelb = Fortpflanzung wahrscheinlich; weiss = Status ungewiss; blau = saisonale Gäste). Die Liste entspricht dem aktuellen Wissensstand und ist, auch nach über 30 Jahren regionaler Fledermausforschung, mit Sicherheit noch unvollständig. Grosse Hufeisennase Kleine Hufeisennase Bartfledermaus Fransenfledermaus Grosses Mausohr Kleines Mausohr Bechsteinfledermaus Wasserfledermaus Zwergfledermaus Mückenfledermaus Rauhautfledermaus Weissrandfledermaus Alpenfledermaus Grosser Abendsegler Kleiner Abendsegler Breitflügelfledermaus Nordfledermaus Zweifarbenfledermaus Mopsfledermaus Braunes Langohr Alpenlangohr Graues Langohr Rhinolophus ferrumequinum Rhinolophus hipposideros Myotis mystacinus Myotis nattereri Myotis myotis Myotis oxygnathus Myotis bechsteinii Myotis daubentonii Pipistrellus pipistrellus Pipistrellus pygmaeus Pipistrellus nathusii Pipistrellus kuhlii Hypsugo savii Nyctalus noctula Nyctalus leisleri Eptesicus serotinus Eptesicus nilssonii Vespertilio murinus Barbastella barbastellus Plecotus auritus Plecotus macrobullaris Plecotus austriacus 38 4/2013

Laubholzreiche Mischwälder mit Hallenstruktur: Typische Jagdlebensräume des Grossen Mausohrs (Myotis myotis), des Braunen Langohrs (Plecotus auritus) und der Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii). In der Kulturlandschaft (über)leben Seit über 30 Jahren engagieren sich die Behörden im Fürstentum Liechtenstein und in den Kantonen Graubünden, St. Gallen und beiden Appenzell für den Schutz der Fledermäuse. Unterstützt werden sie vom «Verein Fledermausschutz St. Gallen Appenzell Liechtenstein», welcher das «Fledermaustelefon» und darüber hinaus aktive Sympathiewerbung für die kleinen Säugetiere betreibt. Die Knochenarbeit an der Front Beratungen bei Problemen mit Fledermäusen, Bestandeszählungen in wichtigen Quartieren, Schulbesuche und Publikumsexkursionen wird von ausgebildeten Biologen geleistet, gemeinsam mit einer motivierten Gruppe ehrenamtlich tätiger Personen. Immer wieder werden auch kleinere, schutzorientierte Forschungsprojekte lanciert mit dem Ziel, Fragen zu den Ansprüchen gefährdeter Fledermausarten an ihren Lebensraum zu klären. Aktuell ist eine Lebensraumstudie zum Alpenlangohr in Planung. Ebenso aktuell sind Windkraftprojekte, bei denen die Umweltverträglichkeit für Fledermäuse abzuklären ist. Denn leider sind die Rotoren der Windräder an gewissen Standorten eigentliche Totschlagfallen für Fledermäuse (und Vögel). Ein zunehmendes Problem ist auch die Lichtverschmutzung, die dazu führt, dass für lichtscheue Fledermausarten der nachts unter Dauerlicht stehende Raum zwischen Quartieren im Siedlungsraum und Jagdgebieten in der Landschaft zur Barriere wird und deshalb nicht mehr durchflogen wird. Bei vielen Kirchen beginnen diese Probleme bereits vor dem Quartier, was im schlimmsten Fall zur spontanen Aufgabe des Quartieres führen kann. Probleme sind da, um gelöst zu werden und daraus zu lernen. Neue Erkenntnisse über die Fledermäuse in der Praxis nutzbringend umzusetzen und die Bevölkerung für diese besonderen Tiere zu faszinieren, ist und bleibt die Hauptaufgabe des regionalen Fledermausschutzes. (rg) Grossflächige Magerwiesen sind rar geworden: Nur in solchen Lebensräumen findet das Kleine Mausohr (Myotis oxygnathus) noch ausreichend Heuschrecken. 4/2013 39

Jagdlebensräume fördern Grosse Mausohren, mit 40 Zentimetern Flügelspannweite unsere grösste Fledermausart, müssen pro Nacht mehrere Dutzend Laufkäfer jagen, um ihren täglichen Energiebedarf zu decken! Dabei legen Sie jede Nacht eine Distanz von gegen zehn oder noch mehr Kilometern zurück legen, um irgendwo in der Landschaft gezielt diejenigen Lebensrauminseln aufzusuchen, welche für die Nahrungssuche besonders ergiebig sind. Weil sie ihre Beute am Boden jagen, haben sie ganz bestimmte Anforderungen, die erfüllt sein müssen: So jagen sie gerne, knapp über dem Boden fliegend, in hallenartigen Mischwäldern ohne Unterholz, zwischendurch jedoch gelegentlich auch auf kurzgrasigen Wiesen und Weiden. Das Kleine Mausohr, das trotz seines Artnamens nur unwesentlich kleiner ist als das Grosse Mausohr, verteilt sich nachts ebenfalls über eine grosse Fläche. Fünf Weibchen aus Fläsch wurden mithilfe eines ins Rückenfell geklebten Minisenders auf ihrem nächtlichen Ausgang verfolgt, um ihre Aufenthaltsorte und Jagdlebensräume kennenzulernen. Die gefundenen Jagdgebiete lagen im Raum Pfäfers St. Margrethenberg, im Gebiet der Ellwiesen auf dem Fläscherberg sowie 25 Kilometer entfernt im Schanfigg im Gebiet von Tschiertschen Praden. Die Kleinen Mausohren haben zielgerichtet geschützte Magerwiesen, Extensivwiesen («Ökoheu-Wiese») und Magerweiden aufgesucht. Denn nur noch auf solchen naturnahen Grasflächen findet das Kleine Mausohr seine Leibspeise, grosse Heuschrecken, in ausreichender Zahl. Weitere Jagdlebensräume sind unter anderem die Binnenkanäle und Kiessammler, über deren Wasseroberfläche die Wasserfledermäuse nach schlüpfenden Mücken jagen, die Kronen alter Eichen, in denen die seltene Bechsteinfledermaus nach Beute jagt, oder Baumgruppen an Gewässern, wo Arten wie die Zwergfledermaus schwärmenden Fluginsekten nachstellen. Die Wahl der Jagdlebensräume ist bei allen Fledermausarten abhängig von der bevorzugten Beute und dem Jagdverhalten. Bei 22 Fledermausarten wird deshalb schnell klar, dass diese Tiergruppe in der Summe hohe Ansprüche an die Landschaft stellt. Ökologische Ausgleichsflächen im landwirtschaftlichen Kulturland und naturnaher Waldbau zielen in die richtige Richtung, in dem sie zur Erhöhung der Naturvielfalt auf der gesamten Landesfläche beitragen sollen. Selbstverständlich gehören dazu auch der Schutz von Fledermausquartieren in Gebäuden und die Förderung naturnaher Grünflächen im Siedlungsraum. Die Kirche Sennwald beherbergt eine Wochenstubenkolonie des Alpenlangohrs (Plecotus macrobullaris). Fledermäuse sind Kulturfolger und leben in enger Nachbarschaft mit uns Menschen. Zum Weiterlesen empfohlen: Jürg Paul Müller, Hannes Jenny, Miriam Lutz, Erich Mühlethaler, Thomas Briner: «Die Säugetiere Graubündens». Stiftung Sammlung Bündner Naturmuseum und Desertina Verlag, Chur, 2010. Mario F. Broggi, Denise Camenisch, Michael Fasel, René Güttinger, Silvio Hoch, Jürg Paul Müller, Peter Niederklopfer, Rudolf Staub: «Die Säugetiere des Fürstentums Liechtenstein (Mammalia)». Amtlicher Lehrmittelverlag, Vaduz, 2011 (Naturkundliche Forschung im Fürstentum Liechtenstein, Band 28). Kontakt Auskünfte über Fledermäuse und Tipps zur Problemlösung in Konfliktsituationen findet man unter folgenden Adressen: Fledermaustelefon 079 775 41 66 St. Gallen-Appenzell 078 608 23 64 Lichtenstein Ohne Vorurteil betrachtet: Fledermäuse sind faszinierende Säugetiere. Homepage «Verein Fledermausschutz St. Gallen Appenzell Liechtenstein» www.verein-fledermausschutz.ch 40 4/2013