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(Privatbesitz) * 13.8.1921 (Vestre Aker/Norwegen) Ingenieur; 1942 Verhaftung wegen Widerstandstätigkeit; Deportation ins KZ Sachsenhausen; 30.3.1945 Überführung ins Skandinavierlager des KZ Neuengamme im Rahmen der Aktion Bernadotte ; 20.4.1945 Evakuierung mit den Weißen Bussen des Schwedischen Roten Kreuzes über Dänemark nach Schweden. Nach seiner Heimkehr Ende Mai 1945 nahm seine Arbeit beim Norwegischen Rundfunk wieder auf.

2 wurde am 13. August 1921 in Vestre Aker bei Oslo geboren. Seine Familie war sozialdemokratisch orientiert, der Vater war an seinem Arbeitsplatz als Sattler und später als Industriearbeiter Vertrauensmann. Durch die politische Arbeit in kleinen Theatergruppen und Sprechchören bekam früh Kontakt zu sozialdemokratischen Jugendorganisationen. Das politische Interesse meines Vaters führte dazu, dass er sehr früh schon mit einem Buch nach Hause kam, das von einem Gefangenen im damaligen KZ Oranienburg geschrieben worden war. [...] Ich las über die Greueltaten, die in Oranienburg begangen wurden. Für einen Jugendlichen, der ja an den Frieden und ein friedliches Miteinander glaubte, war die Lektüre dieses Buches schrecklich. Damals war es ja noch nicht so, dass wir aus der ganzen Welt Nachrichten über Krieg und Mord und Totschlag bekamen, das war neu. Auf jeden Fall, dass man wegen seiner politischen Anschauung misshandelt und teilweise auch getötet wurde. (. Interview, 17.7.2002 in Oslo. ANg. Auch die folgenden Zitate sind diesem Interview entnommen.) beobachtete das politische Geschehen genau. In den sozialdemokratischen Jugendorganisationen war die 1936 in Norwegen ausgesprochene Verleihung des Friedensnobelpreises an den seit 1934 im KZ Esterwegen

3 inhaftierten deutschen Pazifisten Carl von Ossietzky ein wichtiges Thema und Gegenstand von Solidaritätsaktionen. Auch durch deutsche politische Flüchtlinge, die in den sozialdemokratischen Organisationen in Oslo mitarbeiteten, gelangten Informationen über Nazi-Deutschland in die Jugendgruppen. verließ die Schule nach der siebten Klasse. Ich hatte keine Lust, weiter zur Schule zu gehen. Er arbeitete beim Norwegischen Rundfunk, zunächst als Laufbursche, dann als Lehrling für Radiotechnik und später nach dem Besuch einer Fachschule als Ingenieur. Die deutsche Besetzung Norwegens empfand als einen tiefen Einschnitt in seinem Leben. [...] und als ich dann am 9. April 1940 in Oslo auf der Straße stand und die deutschen Truppen mit ihren Stahlhelmen und Gewehren anmarschieren sah, da wurde mir klar, dass etwas geschehen würde. Das war ein schmerzlicher Tag! Nachdem die politischen Zeitungen verboten worden waren, entstanden viele illegale Publikationen, bei deren Verteilung die sozialdemokratischen Jugendorganisationen halfen. So begann Ende 1940/Anfang 1941 mit dem Verteilen der Zeitung Fri Fagbevegelse (Freie Gewerkschaft). Er holte diese illegale Zeitung zuvor in Oslo ab. Am 5. März 1941 erhielt von einem Freund die Mitteilung, dass die Gefahr einer Verhaftung

4 bestehe und er sich daher nicht zu Hause aufhalten solle. Er übernachtete bei einem befreundeten Ehepaar aus der Jugendorganisation, doch als am nächsten Morgen ein anderer dort wohnender Kollege verhaftet wurde, nahm die Gestapo auch mit. Im Gestapo-Gefängnis Møllergaten 19 in Oslo wurde Sigurd Syversen verhört und mit anderen Gefangenen in eine Zelle gesperrt. Ihm war bekannt, dass Folter zur Aussageerpressung angewandt wurde. Die Gestapo zeigte ihm die Folterinstrumente. Einer der Zellenkameraden hatte Funkverbindungen nach Großbritannien aufgebaut und rechnete damit, erschossen zu werden. Er gab alle Informationen, die er hatte, weil er einen Fluchtversuch wagen wollte. Sigurd Syversen wollte sich nicht beteiligen und erhielt einen Faustschlag ins Gesicht, als der Kamerad versuchte, sich mit Bettlaken aus dem Fenster hinunterzulassen. Er wurde jedoch entdeckt und abgeführt. In der Nacht wurde er im Erdgeschoss des Gefängnisses schwer misshandelt. Sigurd Syversen hörte es in seiner Zelle. Ich muss sagen, dass ich in der Zelle lag und zitterte, denn ich hatte Angst, er könnte unter Zwang erzählen, dass auch ich über seine Kontakte Bescheid wusste. Das war ja das Dumme. Es war entsetzlich, sich das anzuhören. Und ich wusste ja, dass er es war, der dort misshandelt wurde. Schreie, die ganze Nacht, und das wiederholte sich in den darauf folgenden Nächten.

5 Møllergaten 19, Polizeihauptquartier und Haftstätte in Oslo. Aufnahme aus den 1930er- Jahren. Foto: unbekannt. (NRM)

6 Am Karsamstag 1942, dem 4. April, wurde in das Polizeigefangenenlager Grini in Oslo gebracht. Bereits am nächsten Tag wurde eine große Gruppe nach Sachsenhausen geschickt. Es waren ja auch schon früher Gefangene aus Grini nach Sachsenhausen geschickt worden und es sind Todesnachrichten zurückgekommen. Das Ganze mit Sachsenhausen und Deutschland schwebte wie eine Bedrohung über Grini. [...] Allmählich verstanden wir, dass wir Gefahr liefen, nach Deutschland geschickt zu werden. Für den 15. Februar 1943 sollte sich eine Gruppe von Häftlingen für den Transport nach Deutschland bereithalten. Die Häftlinge hofften, dass dieser Transport nicht nach Sachsenhausen gehen würde, sondern in die Kriegsindustrie. Kurz vor dem Transport nach Deutschland wurde Sigurd Syversen einer Gruppe zugeteilt, die Kartoffeln aus Oslo abholen sollte. Es wurde so eingerichtet, dass er dort seine Eltern und seine Großmutter kurz grüßen konnte. Ich erinnere mich daran, dass meine Großmutter kurz vor dem Abschied sagte: Gott sei mit dir, mein Junge. Am 15. Februar wurden wir zur Bryggen [Pier in Oslo] gefahren. [...] Zusammen waren wir über 125 Personen, die mit einem der so genannten Sklavenschiffe, das,monte Rosa hieß, weggeschickt wurden.

7 Zeichnung von Odd Nansen. Er schrieb darunter: In der Finsternis und Dunkelheit der Nacht, aber unter schwacher Beleuchtung, gehen auch die Deutschland-Transporte im Osloer Hafen an Bord. Odd Nansen, Sohn des Polarforschers Fridtjof Nansen, war bis März 1945 im KZ Sachsenhausen und anschließend mehrere Wochen im KZ Neuengamme inhaftiert. Odd Nansen gelang es, die gesamte Zeit über ein Tagebuch zu führen und es später auch mit nach Norwegen zu nehmen. Aus: Odd Nansen: Fra dag til dag, Bd. 1, Oslo 1946.

8 In Århus in Dänemark angekommen, musste die gesamte Häftlingsgruppe vom Hafen durch die Stadt zu Fuß zum Bahnhof laufen. Auf dem Weg erkannte einen Mann mit einer Tasche unter dem Arm, der zu einer Gruppe dänischer Genossen gehörte, die engen Kontakt zu norwegischen Sozialdemokraten hielten. konnte ihn ansprechen. Er übermittelte die Nachricht über die Ankunft an die Eltern nach Norwegen. Per Bahn wurden die norwegischen Häftlinge in das KZ Sachsenhausen gebracht. Dort wurden die Neuankömmlinge zum Schuhlaufen kommandiert, später musste Sigurd Syversen im Außenkommando DEMAG arbeiten. Für diese Metallfabrik wurde bald ein eigenes Außenlager in Falkensee eingerichtet, in dem unerträgliche Arbeits- und Lebensbedingungen herrschten. In einem weiteren Außenlager, das auch zur DEMAG gehörte, erhielten die norwegischen Häftlinge zum ersten Mal ein Essenspaket aus Beständen des Roten Kreuzes. Anfang 1945 kamen Gerüchte auf, dass die dänischen und norwegischen Häftlinge vom Schwedischen Roten Kreuz abgeholt werden sollten. Sie wurden für einige Wochen zunächst zurück ins KZ Sachsenhausen gebracht. Eines Tages mussten sie sich aufstellen und konnten aus dem Lagertor marschieren. Dort stand eine lange Reihe Weißer Busse des Schwedischen Roten Kreuzes, die sie am 30. März 1945 ins KZ Neuengamme brachten.

9 Weiße Busse eines Häftlingstransports zum KZ Neuengamme in der Nähe von Wittenburg. Foto: unbekannt. (SRK)

10 kam zuerst in eine Holzbaracke, in der ausschließlich Skandinavier waren. Seine Kameraden und er empfanden die Zustände im KZ Neuengamme schlimmer als in Sachsenhausen. Ich erinnere mich, dass ich in eine Baracke kam, in der Gefangene auf dem Fußboden lagen. Einen von ihnen kannte ich bereits, Trygve Bratteli, der später norwegischer Staatsminister wurde. Ich dachte nicht, dass er überleben würde, so wie er aussah, in der Verfassung, in der er war! Nach kurzer Zeit wurden sie in dem neu eingerichteten Skandinavierlager im westlichen Klinkergebäude einquartiert. Die Einrichtung dieser neuen Unterkunft hat Sigurd Syversen unmittelbar miterlebt. Er erfuhr, dass der norwegische Vertrauensmann Sverre Løberg vom Kommandanten des KZ Neuengamme verlangte, die Leichen aus den vier Blocks des westlichen Klinkergebäudes zu entfernen, sonst seien die skandinavischen Gefangenen nicht bereit, dort einzuziehen.

11 Die Einrichtung des Skandinavierlagers führte zu einer deutlichen Verbesserung der Situation der skandinavischen Häftlinge. Sie mussten nicht mehr arbeiten, wurden nicht mehr misshandelt und ihnen wurden Pakete des Roten Kreuzes ausgehändigt. Zu Häftlingen anderer Nationalitäten hatten sie kaum Kontakt. In Erwartung der Befreiung durch die alliierten Truppen und zur Vorbereitung auf die Nachkriegszeit nahm Sigurd Syversen mit anderen norwegischen Häftlingen an einem Englischkurs teil, den der Mitgefangene Josef Berg in seinem Block organisierte. Ich erinnere mich daran, dass wir einen Mitgefangenen hatten, der mehrere Sprachen beherrschte, Josef Berg. Er war in Auschwitz gewesen. Er hielt einen Englischkurs ab für uns, die kein Englisch konnten, damit wir wussten, was zu sagen ist, wenn wir mit alliierten Soldaten in Kontakt kommen sollten.

12 Eine Kladde mit Notizen aus dem Englischkurs konnte Sigurd Syversen mit nach Hause in die Freiheit nehmen. Er übergab diese Kladde im Frühjahr 2004 der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. (ANg)

13 gehörte zu den letzten skandinavischen Gefangenen, die am 20. April 1945 mit schwedischen Rote- Kreuz-Bussen und Fahrzeugen des dänischen Jyllandskorpset aus dem KZ Neuengamme abgeholt wurden. Nach langer Wartezeit kam endlich ein Bus, der auch Sigurd Syversen und seine Kameraden aufnahm. Doch da es schon spät am Abend war, fuhr dieser Bus nur bis Friedrichsruh im Sachsenwald. Hier übernachteten die befreiten Häftlinge. Uns wurde befohlen, dass wir uns draußen unter freiem Himmel hinlegen sollten. Das ist auch so ein Erlebnis, das ich nicht vergessen werde. Ich konnte überall hingehen, wohin ich wollte, und mich dort hinlegen. Das war neu. Und ich schlief. Am nächsten Morgen ging ich dann zurück zu den Bussen, wir hatten ja das Essen dort. Graf Folke Bernadotte hatte ja die Erlaubnis bekommen, uns von Neuengamme bis über die dänische Grenze zu bringen.

14 Die Weiterfahrt durch Dänemark gestaltete sich zu einem Triumphzug. Das war ja für uns so etwas wie der 17. Mai [norwegischer Unabhängigkeitstag]. Es gab Flaggen und entlang der Wege standen Menschen, die jubelten und uns empfingen und uns das eine oder andere gaben. Und die Aufpasser wurden mit der Zeit immer schlapper, sodass sie uns mehr erlaubten als auf dem ersten Abschnitt der Reise. Am 1. Mai 1945 kam mit seiner Gruppe in Schweden an. Sie wurden medizinisch versorgt und gegebenenfalls im Krankenhaus behandelt. war zuerst in dem kleinem Ort Bolmen untergebracht und kam dann in das Sanatorium Ramlösa Brunn. Man sammelte uns letztendlich alle an einem Ort [...], an dem wir uns erholen sollten, alle Norweger, wo wir ein wenig Geld ausgezahlt bekamen. Wir, die beim Staat arbeiteten, bekamen noch mehr Geld. Mehrere von uns fuhren eines Tages in die nächste Stadt und kauften uns Jacken und Hemden, schöne Kleidung, und wir sahen so gut aus. Ende Mai 1945 kamen wir nach Hause nach Norwegen zu Großmutter und meinen Eltern.

15 Ehemalige norwegische Häftlinge in Ramlösa Brunn. Foto: unbekannt. (NRM)

16 nahm seine Tätigkeit beim Norwegischen Rundfunk wieder auf. Durch die KZ-Haft bedingt hatte er jedoch Schwierigkeiten, in einem geschlossenen Raum zu sitzen. Er wurde deshalb zu Außendiensttätigkeiten eingeteilt. Für ihn und viele seiner Kameraden war es unmöglich, über die Zeit der Deportation zu sprechen. Zwar erzählte Sigurd Syversen seiner Frau und den Kindern über seine Erlebnisse in deutschen Konzentrationslagern, aber der übrigen Familie gegenüber verheimlichte er sie. Auch hielt er sich von Menschen fern, die ein ähnliches Schicksal wie er hatten und ständig darüber sprechen wollten. Ohne parteipolitisch aktiv zu sein, blieb Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Wir waren uns alle einig: als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, jetzt würde all das mit Krieg und Grausamkeit [aufhören], jetzt würde niemand auf die Idee kommen können, schon

17 wegen der Atombombe, einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen. All die Teufel während des Zweiten Weltkrieges, 50 Millionen Menschen verloren ihr Leben, aber es kam ja anders, es fing ja recht schnell wieder an. Korea! Mitte der 1980er-Jahre begann in Norwegen die Organisation Weiße Busse nach Auschwitz mit ehemaligen Häftlingen und Schulkindern die Stätten zu besuchen, in denen Norwegerinnen und Norweger während des Zweiten Weltkrieges Verfolgung und Tod erleiden mussten. Auch in den Schulen nahm zu dieser Zeit das Interesse zu, ehemalige Häftlinge in den Geschichtsunterricht einzuladen. Sigurd Syversen engagierte sich sowohl als Zeitzeuge bei den Busreisen als auch im Schulunterricht. Darüber hinaus betätigte er sich in der Betreuung des Grini-Museums und in der Ver-einigung der politischen Gefangenen Foreningen av politiske fanger 1940 1945, deren Vorsitzender er viele Jahre lang war. Beruflich war zuletzt als Oberingenieur beim Norwegischen Rundfunk tätig.