Kooperativer Föderalismus im Bildungsbereich: rechtliche Voraussetzungen und praktische Instrumentierung am Beispiel der Schweiz

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Transkript:

Kooperativer Föderalismus im Bildungsbereich: rechtliche Voraussetzungen und praktische Instrumentierung am Beispiel der Schweiz Hans Ambühl, Generalsekretär der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK 1. Die Schweiz ist nicht Deutschland: ein anderes Land ein anderer Föderalismus Grosse Diversität auf kleinem Raum: Die Schweiz ist im Vergleich zu Deutschland ein sehr kleines Land, sowohl territorial als auch hinsichtlich Einwohnerzahl: auf einer Fläche von 41'285 qkm leben knapp 8 Millionen Einwohner (Einwohnerzahl Niedersachsens). Der Kleinstaat birgt indes eine beträchtliche Komplexität: viele kleine Regionen mit ausgeprägten kulturellen Unterschieden, denen auch in der institutionellen Gliederung föderalistische Kleinststrukturen entsprechen 26 Kantone, deren bevölkerungsmässig kleinster (Appenzell-Innerrhoden) gerade mal 15'700 Einwohner, deren bevölkerungsmässig grösster (Zürich) 1,373 Millionen Einwohner zählt; in den 26 Kantonen bestehen insgesamt 2 600 Gemeinden unterschiedlichster Grösse. Sodann die Mehrsprachigkeit in vier angestammten Sprachregionen: 64% der Bevölkerung sprechen Deutsch, 20% französisch, 6,5% Italienisch und noch 0,5% der Bevölkerung sprechen Rätoromanisch. Indes haben in der heutigen Schweiz 10% der Bevölkerung eine andere Muttersprache als eine der vier genannten Landessprachen. Das verweist auf den vergleichsweise hohen Ausländeranteil: in der Bevölkerungsgruppe der unter 15-jährigen beträgt er gegen 25%; in seiner Zusammensetzung ist er sehr heterogen. Direkte Demokratie, Steuerwettbewerb, Konkordanz: Die direkte Demokratie spielt sich in der Schweiz auf allen drei staatlichen Ebenen ab. Dies führt dazu, dass die Hälfte aller weltweit durchgeführten Volksabstimmungen in der Schweiz stattfindet. Die Spannweite der Volksentscheide reicht von den Verfassungen des Bundes und der Kantone (welche auch mittels Volksinitiativen geändert werden können) über Bundes- und kantonale Gesetze (obligatorisches oder fakultatives Gesetzesreferendum) bis zu kommunalen Geschäften, von Grundrechten über komplexe Sachvorlagen bis zum jährlichen Voranschlag (Haushalt) der Gemeinde. In der direktdemokratischen Schweiz ist traditionell vergleichsweise weniger Bewusstsein und Verständnis vorhanden für den arbeitsteiligen Rechtsstaat und für die repräsentativen Elemente der Demokratie als in Deutschland. Als weitere schweizerische Ausprägung des Föderalismus besteht die Steuerhoheit auf allen drei Staatsebenen (Bund, Kantone und Gemeinden). Dies führt einerseits zu fiskalischer Äquivalenz, anderseits zu einem Steuerwettbewerb sowohl zwischen den Kantonen als auch unter den Gemeinden. Sodann ist auf das schweizerische Regierungsprinzip der Konkordanz hinzuweisen: beim Bund und in den Kantonen bestehen seit vielen Jahrzehnten Regierungen, in welche alle grösseren Parteien eingebunden sind und die im jeweils grösstmöglichen Konsens entscheiden (kein System von Regierung und Opposition). Auch verfügen die Präsidien der Regierungen über keine Richtlinienkompetenz, was die Ressorts vergleichsweise stark macht. Schliesslich verfügt die Schweiz über keine Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene.

2. Föderale Zusammenarbeit (horizontal und vertikal): Verfassungsprinzip im Bildungsbereich Am 21. Mai 2006 stimmte das Schweizer Stimmvolk über neue Bildungsartikel der Bundesverfassung ab. Mit einer grossen Mehrheit von 86% nahmen das Volk und alle Stände die neue Bildungsverfassung an. In deren Zentrum steht als Programm- Norm Artikel 61a BV: Bund und Kantone sorgen gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz. Sie koordinieren ihre Anstrengungen und stellen ihre Zusammenarbeit durch gemeinsame Organe und andere Vorkehren sicher. Gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten sollen die Kantone und der Bund für den Bildungsraum Schweiz sorgen ein Widerspruch? Mitnichten. Vielmehr geht es um die Wahrung eines kohärenten Systems bei durchaus geteilten Zuständigkeiten. So ist mit Artikel 61a BV keine Gemeinschaftsaufgabe im Sinne einer gemeinsamen Kompetenz gemeint, wie dies etwa in Art. 91a des deutschen Grundgesetzes vorgesehen war. Wo die Kantone zuständig sind, ist weder ein Mitwirkungsrecht des Bundes in Form einer materiellen Gesetzgebungskompetenz noch eine Rahmenkompetenz vorgesehen. Auch überschneiden sich die Zuständigkeiten nicht. Vielmehr handeln Bund und Kantone auf allen Bildungsstufen je im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, jedoch unter gegenseitiger Abstimmung. Das Prinzip von Koordination und Zusammenarbeit gibt zusammen mit den Maximen der Qualität und der Durchlässigkeit die Grundsätze der Steuerung im Bildungsraum Schweiz vor. Diese Grundsätze entfalten sich in den übrigen Bestimmungen der Bildungsverfassung, die zu jeder Bildungsstufe die Zuständigkeiten definieren. Neu bietet die Verfassung somit auch eine explizite Grundlage für die Schaffung gemeinsamer Organe durch die Kantone zur Wahrnehmung der Koordinationsaufgaben untereinander und mit dem Bund. Sie verpflichtet die Kantone für den Bildungsbereich ausdrücklich, ihre Zusammenarbeit durch gemeinsame Organe und andere Vorkehren sicher zu stellen die EDK, gegründet 1897 und seit 1970 auf Grundlage eines Staatsvertrages sämtlicher Kantone tätig (Schulkonkordat), handelt damit seit 2006 auch in einem expliziten Auftrag der Bundesverfassung. 3. Klare Zuständigkeiten auch hinsichtlich Koordination zwischen den Gliedstaaten Für das gesamte Schulwesen der Schweiz sind die Kantone zuständig (Art. 62 BV). Die Bundesverfassung weist zwei Bildungsbereiche in die Zuständigkeit des Bundes: ihm obliegt die Gesetzgebung über die Berufsbildung (mit Ausnahme der Unterrichtsberufe) (Art. 63 BV) und über die Weiterbildung (Art. 64a BV). Im Hochschulbereich besteht eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Kantonen für die Koordination (Art. 63a BV). Kooperieren kann nur, wer je über klare Zuständigkeiten verfügt. Und seitens der Gliedstaaten gehört dazu unseres Erachtens auch die geregelte Zusammenarbeit

untereinander, weil die Koordination im Bereich ihrer angestammten Zuständigkeiten die eigene Angelegenheit der Gliedstaaten ist, wenn es denn gliedstaatliche Zuständigkeiten bleiben sollen. Die Alternative kann deshalb nicht einfach heissen: Bundeszuständigkeit, sofern und soweit die Möglichkeiten des einzelnen Gliedstaates überstiegen werden. Umgekehrt heisst dies aber auch: Klärung der Zuständigkeiten des Bundes. Dabei empfiehlt es sich unseres Erachtens, Rolle und Aufgaben des Bundes nicht primär oder gar ausschliesslich über so genannte anstossende Bereiche (vorschulische Förderung der Kleinkinder; arbeitsmarktliche Massnahmen zugunsten jugendlicher Schulabgänger; Schulsozialarbeit u.ä.), also gleichsam auf Umwegen zu definieren; vielmehr sind sie vorzugsweise klar und eindeutig als partnerschaftlich auszuübende Teil-Zuständigkeiten im Bildungsbereich zu gestalten. Nur so sind und bleiben sie auch hinlänglich eingegrenzt, was für eine langfristig verlässliche Partnerschaft in der Systemsteuerung wesentliche Voraussetzung ist. Bleibt jedoch der Bund auf die blosse Rolle eines von der Seite her als Anschub- und Projektfinanzierer ins Bildungssystem hinein Agierender verwiesen, sind Störungen im vertikal-föderalen Verhältnis und Inkohärenzen in der Sache vorprogrammiert. 4. Verständigung über die zu harmonisierenden Eckwerte im vielfältigen Bildungsraum Sofern und soweit der Bildungsföderalismus kein gesamtstaatliches Interesse unerfüllt lässt, verursacht er kein Problem. Unterschiede zumal in einem Bereich wie der Bildung, die sich per definitionem dezentral ereignet und wo das Entscheidende auf der Mikro-Ebene geschieht sind nicht einfach per se schlecht. Sie sind es nur, sofern und soweit sie dem einzelnen Menschen und/oder dem Staat beim Vorankommen hinderlich sind. Es stellt sich also die Frage: Welche Eckwerte im konkreten Bildungsraum verlangen aus so verstandenem gesamtstaatlichen Interesse mehr und verbindlichere Abstimmung der gliedstaatlichen Bildungssysteme aufeinander? Hierzu macht die schweizerische Bildungsverfassung von 2006 eine Vorgabe und benennt in Art. 62 Abs. 4 folgende minimale Eckwerte, welche im kleinteiligen Bildungsraum Schweiz zu harmonisieren sind: Schuleintrittsalter Schulpflicht Dauer der Bildungsstufen Ziele der Bildungsstufen deren Übergänge, sowie Anerkennung der Abschlüsse. Die Verfassung erachtet die Ratio zur Harmonisierung dieser Eckwerte als derart zwingend, dass sie vorsieht: Kommt hinsichtlich dieser Eckwerte keine Harmonisierung auf dem Koordinationsweg will heissen: unter den (in der Sache zuständigen) Kantonen zustande, so erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften (Art. 62 Abs. 4 BV). Diese subsidiäre Bundeskompetenz, die auch in der deutschen Diskussion stets viel Aufmerksamkeit findet, besteht also nicht generell und beliebig, sondern einzig bezogen auf diese konkreten Eckwerte, welche von Verfassung wegen zu harmonisieren sind. Mit der Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat) von 2007, in Kraft seit 2009 und in den Kantonen

umzusetzen bis 2015, hat die EDK die Verfassungspflicht zur Harmonisierung der genannten Eckwerte für den Bereich der obligatorischen Schule wie folgt konkretisiert: Schuleintrittsalter: erfülltes 4. Altersjahr (Stichtag 31. Juli) Schulpflicht: 11 Jahre Dauer der Bildungsstufen/Übergange: o Primarstufe (inkl. Kindergarten oder Eingangsstufe): 8 Jahre; o Sekundarstufe I: 3 Jahre Ziele der Bildungsstufen: o Auf gesamtschweizerischer Ebene: Bildungsstandards in der Form von Grundkompetenzen; von der EDK erlassen 2011, erstmalige Überprüfung des Erreichungsgrades in Vorbereitung. o Auf sprachregionaler Ebene: Harmonisierung der Lehrpläne und Koordination der Lehrmittel; in der französischen Schweiz neuer Lehrplan in Kraft, in der deutschen und der italienischen Schweiz noch in Erarbeitung. 5. Instrumentierung der föderalen Zusammenarbeit... Die föderale Zusammenarbeit muss instrumentiert sein, wenn sie funktionieren soll, das heisst: sie muss ihre Strukturen, Prozesse und Verbindlichkeiten haben. Dieser Einsicht trägt die Bildungsverfassung in Art. 61a Absatz 2 BV ja Rechnung, wie wir gesehen haben ( Sie koordinieren ihre Anstrengungen und stellen ihre Zusammenarbeit durch gemeinsame Organe und andere Vorkehren sicher ). Die horizontale Bildungskooperation in der Schweiz ist vorab über das seit 1970 bestehende Schulkonkordat der Kantone und dessen Behörde, die EDK, instrumentiert. Die EDK arbeitet mit Verträgen, mit Empfehlungen, mit Rahmenlehrplänen, mit dem Betreiben fachlicher Netzwerke und dem Führen von Fachagenturen. Die vertikale Bildungskooperation verfügte bereits vor der neuen Bildungsverfassung über vereinzelte Instrumente von Bund und Kantonen, namentlich in Form gemeinsam geführter oder beidseits finanzierter Fachagenturen. Diese konnten ab 2006 im Sinne von Art. 61a Abs. 2 BV in den Dienst genommen werden, so namentlich die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), welche heute mit dem Bildungsmonitoring und der periodischen Bildungsberichterstattung von Bund und Kantonen betraut ist. Das wohl wichtigste gemeinsame Organ von Bund und Kantonen wird voraussichtlich 2015 eingesetzt werden: die Schweizerische Hochschulkonferenz (SHK), welche die Aufgabe haben wird, die gemeinsame Sorge von Bund und Kantonen für die Koordination und für die Gewährleistung der Qualitätssicherung im schweizerischen Hochschulwesen wahrzunehmen (Art. 63a BV). Die bundesseitige Rechtsgrundlage hierfür in Form eines Bundesgesetzes steht, der Staatsvertrag der Kantone hierzu war gerade in Anhörung. 6....und Gestaltung als kontinuierlicher politischer Prozess Wie wird nun aus dem Ganzen ein kontinuierlicher bildungspolitischer Prozess?

Der zentrale Vorgang zur Gestaltung der gemeinsamen Sorge für Qualität und Durchlässigkeit im Bildungsraum Schweiz sind das Bildungsmonitoring und die Bildungsberichterstattung: Bund und Kantone lassen gemeinsam das System analysieren und periodisch Bericht erstatten; sie werten den Bildungsbericht gemeinsam aus und legen anschliessend gemeinsam bildungspolitische Ziele fest, die jeder im Rahmen seiner Zuständigkeiten umzusetzen versucht; gleichzeitig wird im Rahmen des Monitoring-Programms festgelegt, mit welchen statistischen Indikatoren und/oder forschungsgestützten Erkenntnissen die Zielerreichung überprüft werden kann. Der Monitoring-Prozess wird durch einen gemeinsamen Steuerungsausschuss pilotiert. Im Lichte des Bildungsberichts 2010 haben also die Exekutivbehörden von Bund (Ministerium) und Kantonen (EDK) im Jahre 2011 eine gemeinsame Erklärung verabschiedet unter dem Titel Chancen optimal nutzen. Zu den gemeinsamen bildungspolitischen Zielen, die darin für die nächsten Jahre benannt werden, gehören beispielsweise die drei folgenden: 95% aller 25-Jährigen verfügen über einen Abschluss der Sekundarstufe II; die Abschlüsse der höheren Berufsbildung sind international anerkannt; die Validierung non-formaler und informeller Bildungsleistungen und deren Anrechnung an formale Abschlüsse sind im gesamten Bildungssystem etabliert. Dieser Prozess des gemeinsamen Bildungsmonitorings läuft in der Schweiz nun zum ersten Mal in einem vollständigen Zyklus und wird sich weiter einspielen müssen. Er ist noch nicht im Bewusstsein aller; aber er ist auf die lange Dauer angelegt und hat entsprechend Potenzial. 01.02.2013