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Transkript:

Ludwig N. Braun & Markuss Weber Kommission für Erdmessungg und Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Alfons-Goppel-Str. 11 80539 München ++4989 23031 1196 Ludwig.Braun@ @kfg.badw.de oder Wasti.Weber@ @kfg.badw. de weitere aktuelle Informationenn im Internet unter http://www.glaziologie.de

Ludwig N. Braun & Markus Weber Kommission für Erdmessung & Glaziologie der Bay. Akademie d. Wiss. München Information für Gletscher-Exkursionen in der Region Ötztal / Vernagtferner für Bergführer und Lehrer Nachfolgend einige Fakten und Hintergründe zum Thema Klimawandel Gletscherverhalten (1) Der Zusammenhang zwischen Klima und Gletscher ist im Hinteren Ötztal besonders gut ersichtlich, da dort schon über 400 Jahre wissenschaftliche Beobachtungen vorliegen. (2) Der letzte maximale Gletscherstand in historischer Zeit ist deutlich durch die mächtigen Seitenmoränen dokumentiert, wie auch auf dem Titelbild ersichtlich. Er fällt mit dem Ende der so genannten Kleinen Eiszeit (Dauer ca. 1500 bis 1850) zusammen. (3) Die Ausmaße der Vergletscherung des hinteren Ötztals im Jahre 1869 zeigt das Panorama von der Kreuzspitze, welches im Auftrag des Gletscherpfarrers Franz Senn erstellt wurde. Es existieren moderne Panoramaphotos, z.b. von 2005, die durch den Vergleich das Zurückschmelzen der Gletscher eindrücklich dokumentieren (Siehe Faltblatt KfG). (4) Die Veränderungen des Vernagtferners sind in der Literatur seit dem Jahr 1600 mehr oder weniger präzise beschrieben. Dem zufolge stieß dieser Gletscher immer wieder (ca. alle 80 Jahre) unberechenbar bis zur Zwerchwand vor und staute die Rofenache auf. Der dadurch gebildete Rofener Eissee hatte ein Volumen von bis zu 6 Mio. m³, brach öfters katastrophenartig aus und verwüstete das Ötztal. Der letzte dieser Ausbrüche erfolgte 1848. (5) Der Vernagtferner reagiert deshalb so sensitiv auf die herrschenden Klimabedingungen, weil er überwiegend auf einem Hochplateau zwischen 3000 und 3300 m und damit knapp oberhalb der gegenwärtigen klimatischen Schneegrenze liegt. Wenn sich in dieser Höhenzone über mehrere Jahrzehnte im Sommer immer mehr Schnee ansammelt (wie z.b. in den kühlen feuchten Sommern wie in der Zeit von 1800 bis 1850, aber auch in den 1970er Jahren), dann wird der Gletscher im sogenannten Akkumulationsgebiet schnell dicker, gewinnt also deutlich an Masse. Diese verbleibt nicht vollständig dort, sondern ein beträchtlicher Anteil wird durch die Gewichtskräfte angetrieben entlang dem Gefälle des Gletscherbetts kriechend talwärts verfrachtet. Dadurch bildete der Gletscher in Wachstumsperioden eine mächtige Zunge, die weit ins Tal reichte. Besonderheiten des Untergrundes (z.b. Steilstufen) bewirkten ein beschleunigtes Vorstoßen der Gletscherzunge (ein sog. Surge, wie er eindrücklich z.b. um 1900 beobachtet wurde). Damals wurden Fliessgeschwindigkeiten von bis zu 300 m pro Jahr gemessen, normalerweise gleitet das Eis eines normalen, gesunden Alpengletschers um 20 30 m pro Jahr zu Tal, heute sind es wegen des massiven Massenschwundes nur noch 2-3 m. (6) Die Umlagerung von Eis durch die Fließbewegung zeigt sich nicht allein im Vorstoß der Gletscherzunge. Eingezwängt in das Gletscherbett kann sich die fließende Eismasse nicht nach allen Richtungen ausbreiten, sondern wird durch starke Gegenkräfte an den Rändern und der Gletschersohle in seine aktuellen Umrisse gezwungen. Übersteigen diese Kräfte die Gewichtskräfte, drängt es das Eis zwangsläufig vertikal in die Höhe. Ähnlich wie bei einer Luftmatratze oder besser einem Gelkissen erzwingt ein Eindrücken der Oberfläche an einer Stelle an anderer Stelle deren Hebung. Bei einem Gletscher befinden sich die Bereiche mit das Abfließen von Eises und damit verbundenem Einsinken der Oberfläche (Submergenz) 1

Fakten und Hintergründe zum Thema Gletscher - Klimawandel im Akkumulationsgebiet, während die Hebung der Oberfläche (Emergenz) durch den Zufluss des Eises am Auslauf der Gletscherzunge am stärksten ausgeprägt ist. Die Geschwindigkeit dieser Hebungsbewegung hängt natürlich sowohl von den örtlichen Gegebenheiten als auch dem Ausmaß des Eisflusses ab. Da sie mit der Höhenänderung der Oberfläche als Folge von Akkumulation und Ablation (hauptsächlich Schmelze) gegensinnig überlagert ist (Abbildung 1), wird sie nur selten unmittelbar wahrgenommen. Man erhält sie jedoch aus der Differenz der geodätisch (z.b. GPS) gemessenen tatsächlichen Höhe der Oberfläche und der, die man an diesem Ort nach der glaziologisch (mit Pegelstangen) gemessenen Bilanz aus Zuwachs und Schmelze theoretisch berechnen würde. Am Vernagtferner beispielsweise ergaben sich in der Vergangenheit beachtliche jährliche Raten: ca. 0.3 bis 0.5 m Absenkung im Akkumulationsgebiet und etwa 1.5 m Hebung im Bereich des Auslaufs der Gletscherzunge. Verglichen mit den gleichzeitig beobachteten Höhenänderungen durch die Massenänderungen an der Oberfläche (0.3 bis 0.7 m im Akkumulationsbereich und -2.5 bis -5 m an der Gletscherzunge) bestimmt die Auswirkung der Eisbewegung die Entwicklung des Gletschers nachhaltig. Die heute beobachtete rasante Zurückschmelzen der Gletscherzungen ist nicht allein höheren Schmelzraten geschuldet, sondern vor allem auch eine Folge der nachlassenden Hebung im Zungenbereich wegen des fehlenden Nachschubes an Eis. Abbildung 1: Jährliche gemessene Höhenänderung der Oberfläche des Vernagtferners durch die Eisbewegung, die Schneeakkumulation und die Eisablation. (7) Die Verlangsamung der Eisbewegung ist auch an der Rückbildung der früher überall vorhandenen Gletscherspalten ersichtlich. Stattdessen haben sich vor allem am Gletscherrand große Eishöhlen gebildet, u.a. dort, wo seitlich Bäche unter den Gletscher fließen. Die so gebildeten Hohlräume können beim Ausdünnen der Eisdecke in sich zusammenfallen und stellen für den Bergsteiger eine neue, echte Gefahr dar (Abb. 2). Eine weitere neue Bedrohung besteht aufgrund des Auftauens von Permafrost (typischerweise um 3000 m ü NN), was die Ursache von Felsstürzen sein kann. Diese Entwicklung ist so kurzfristig, dass sie in keinem Tourenführer zeitnah dokumentiert werden kann. Deshalb muss sich der Bergführer immer wieder vergewissern, ob die Sicherheit der Routen gewährleistet ist. 2

Ludwig N. Braun & Markus Weber Kommission für Erdmessung & Glaziologie der Bay. Akademie d. Wiss. München Abbildung 2: Eishöhle am Vernagtferner im August 2007 mit sich von der Decke gelösten Eistrümmern. (Foto: M. Weber) (8) Die erste genaue Karte des Vernagtferners mittels terrestrischer Photogrammetrie wurde von Prof. Sebastian Finsterwalder (München) für das Jahr 1889 erstellt. Danach wurde der Gletscher im Abstand von Dekaden erneut kartiert, wodurch die Bestimmung der Volumenänderungen und Flächenänderungen des Vernagtferners seit 1889 ermöglicht wurde. Die Kartierung des Gletscherbettes im Jahre 1968 bzw. 2007 erlaubt eine Angabe der Gesamtmasse des Gletschers, welche zurückgerechnet auf das Jahr 1850 einen Wert von knapp einer Milliarde Tonnen ergab, von dem im Jahr 2011 noch ca. 217 Millionen Tonnen übrig sind. Somit hat der Gletscher in den vergangenen 160 Jahren beinahe 80% der ursprünglichen Masse verloren. (Siehe auch Abb. 3) (9) Der Energieverbrauch zum Schmelzen dieser Eismasse erfordert eine Dauerleistung von ca. 5 Watt über die vergangenen 150 Jahre auf jedem m² Gletscherfläche. Gemessen an der aus der Atmosphäre empfangenen Wärmestrahlung, welche in der Höhenlage eines Gletschers typischerweise 250 W/m² beiträgt, sind dies lediglich 2 %. Ein Teil dieser atmosphärischen Strahlung wird durch die sogenannten Treibhausgase (im wesentlichen CO 2 und Methan) geliefert. Deren Konzentration hat seit Beginn der Industrialisierung durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe bzw. intensiver Tierhaltung messbar zugenommen (CO 2 von 280 ppmv auf 390 ppmv, Methan um 250 %). Diese Zunahme erklärt zu etwa 2/3 die beobachtete Erwärmung der unteren Atmosphäre. Das überaus wichtigste Treibhausgas ist jedoch der Wasserdampf. Da in einer wärmeren Atmosphäre mehr davon enthalten ist, kommt es mit der Zeit zu einem sich selbst verstärkenden Effekt, welcher der menschlichen Kontrolle gänzlich entzogen ist. Das Klima ergibt sich als Gleichgewichtszustand aus sämtlichen Energieströmen an der Erdoberfläche. Das Beispiel des Treibhauseffekts zeigt, dass schon relativ kleine prozentuale Veränderungen in einer einzelnen Komponente eine deutliche Veränderung des Klimas bewirken kann. 3

Fakten und Hintergründe zum Thema Gletscher - Klimawandel Abbildung 3: Beobachtete Veränderung der Masse des Vernagtferners nach Messdaten und Schätzungen seit seinem letzten Maximalstand in Relation zur mittleren relativen Änderung der bodennahen Temperatur auf der Nordhalbkugel (rot), dem hinteren Ötztal (orange), der Zugspitze (lila) und der Klimastation Vernagtbach (grün). Die Abbildung wurde ergänzt um wichtige Meilensteine der Erforschung des Gletschers. Zu beachten ist dabei, dass die Messverfahren und die Datendichte im Laufe der Zeit immer weiter verbessert wurden. Glaziologische, meteorologische und hydrologische Datensätze mit ausreichendem Informationsgehalt zur Untersuchung der Beziehung Klima-Gletscher beschränken sich auf den Zeitraum der letzten 30 Jahre! 4

Ludwig N. Braun & Markus Weber Kommission für Erdmessung & Glaziologie der Bay. Akademie d. Wiss. München (10) Analogie zur Auswirkung einer Änderung im Treibhauseffekt: die Einnahmen und Ausgaben auf dem Lohnkonto sind bei einem Lehrer über das Jahr gesehen Monat für Monat recht konstant. So stehen z.b. EUR 3000.- Einnahmen 2800.- Ausgaben gegenüber, d.h. eine Differenz von EUR 200.-, die z.b. für den Urlaub jeden Monat aufs Sparkonto gelegt werden können. Bekommt der Lehrer 2 % mehr Lohn, dann hat er monatlich EUR 3060.- auf dem Lohnkonto, und seine Bilanz beträgt EUR 260.- (bei konstant gebliebenen Ausgaben), was einer Zunahme des ersparten Betrags von ca. 33 % entspricht. (11) Ein wichtiger Faktor für die Gletscherschmelze ist die Einstrahlung der Sonne. Die auch als kurzwellige Einstrahlung bezeichnete Energiezufuhr erreicht im Hochsommer seinen mittäglichen Maximalwert von etwa 1000 W/m². Der aktuelle Wert ist abhängig vom Sonnenstand und der Trübung der Atmosphäre. Außerhalb der Atmosphäre ist die Strahlung direkt von der Sonne langfristig bemerkenswert konstant und erreicht einen Wert von 1366 W/m² im Jahresmittel, daher wird dieser Wert auch als Solarkonstante bezeichnet. Klar erkennbare Veränderungen dieser Größe können auf die Veränderung der astronomischen Konstellation Sonne Erde zurückgeführt werden. Darauf beruht die anerkannte Eiszeit- Warmzeit -Theorie von Milankowitch. (12) Entscheidend für die Eisschmelze ist jedoch der Wirkungsgrad der Energieaufnahme aus dem Angebot. Dieser wird durch den Zustand der Oberfläche und deren Reflexionsvermögen (Helligkeit der Oberfläche) bestimmt. Über Schnee wird ca. 80 %, über Firn 50 % und über Gletschereis 30 % reflektiert, d.h. es werden bei Schnee maximal 200 W/m², bei Firn 500 W/m² und bei Eis 700 W/m² über Mittag für die Eisschmelze verwendet. Somit kann ein aperer (= schneefreier) Gletscher viel mehr Sonnenstrahlung aufnehmen als ein schneebedeckter. Ansammlungen von Flugstaub (wie z.b. Saharastaub) lassen Schnee und Eis dunkler erscheinen, daher beschleunigt sich das Abschmelzen wenn große Teile der Gletscher ihre schützende Schnee- und Firndecke verloren haben. Aber auch die Luftfeuchte hat einen wichtigen Einfluss auf die Beschaffenheit der Oberfläche und die resultierenden Schmelzraten. Je höher der Wasserdampfgehalt der Luft, desto effizienter die Schmelze. (13) Es wurde anhand der weltweit verfügbaren Messreihen der bodennahen Lufttemperatur festgestellt, dass deren Mittelwert über einen Zeitraum von 9 Jahren und die gesamte nördliche Halbkugel seit 1850 um 0.8 zugenommen hat (siehe auch Abb. 3), anhand der Klimastationen in den Alpentälern hat die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) im hinteren Ötztal sogar einen Anstieg um mehr als 2 innerhalb von 150 Jahren ermittelt. Dies belegt auch die Messreihe des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom Gipfel der Zugspitze, die seit Beginn der Aufzeichnungen vor 110 Jahren bereits eine Zunahme um 2.3 dokumentiert. In den letzten knapp 30 Jahren wird dieser Trend auch durch die Messungen an der Pegelstation Vernagtbach bestätigt. Man könnte daraus ableiten, dass die Klimaerwärmung ausgerechnet in den Alpen besonders ausgeprägt sei. Die lokal gemessene bodennahe Lufttemperatur ist jedoch überwiegend das Resultat des Energieumsatzes in der unmittelbaren Umgebung an der Erdoberfläche. Wird dort eine gewisse Menge an Energie zur Schmelze von Schnee und Eis verbraucht oder wegen der Oberflächenhelligkeit zurückgestrahlt, steht diese nicht mehr für die Erwärmung der Oberfläche und damit der darüber liegenden Luftmasse zur Verfügung. Typischerweise erwärmt sich eine Schneeoder Eisoberfläche generell nie über 0 C, unabhängig von der aktuell herrschenden Lufttemperatur. Deshalb ist es über Gletschern oder Schneeflächen erfahrungsgemäß deutlich kühler als über dem benachbarten aperen Gelände. Allerdings fühlt man die Kühlwirkung des Eises auch in einiger Entfernung in Form von herabwehenden kühlen Windböen (Gletscherwind). Es ist daher auch in der Umgebung der Gletscher und Gipfel kühler als an einem vergleichbaren Ort außerhalb des Gebirges. Nehmen die schnee- und 5

Fakten und Hintergründe zum Thema Gletscher - Klimawandel 6 eisbedeckten Flächenanteile der Alpen immer weiter ab, wird gleichsam auch immer weniger Energie für die Schmelze verbraucht bzw. durch Schnee reflektiert. Der dadurch frei verfügbare Anteil an Wärme kann nun die Luft über den Alpen zusätzlich erwärmen, so dass sich die alpine Region klimatisch immer mehr dem weitgehend schneefreien Umland angleicht. Das Resultat ist ein gegenüber der globalen Erwärmung noch rascherer Anstieg der Temperaturen in den Alpen, wie er bereits beobachtet wird. (14) Die bislang aufgeführten Fakten zum Zusammenhang des Rückgangs von Schnee und Eis in den Alpen und der Änderung des Klimas sind keinesfalls vollständig. Dennoch zeigen bereits die erwähnten Zusammenhänge die Gefahr von sich selbst verstärkenden Wechselwirkungen. Unabhängig davon, wie groß der Anteil des Menschen an der Klimaänderung tatsächlich ist, handelt es sich bei dem System Atmosphäre Erdboden um ein sehr sensibel reagierendes Beziehungsgeflecht, bei dem einmal eingeleitete Veränderungen wegen ihrer noch nicht gänzlich verstandenen Eigendynamik nicht mehr ohne weiteres rückgängig gemacht werden können. Als Beispiel sei nur die nur die durch die extremen Eisverluste der letzten Jahre im Nährgebiet abgeschwächte Eisdynamik genannt. Diese muss erst durch einen ordentlichen Massenzuwachs in Gang kommen, bevor der Flächenverlust am Zungenende tatsächlich gestoppt wird. Nicht zuletzt wegen der erwähnten Verstärkungseffekte hat sich der Verlust der Gletschermasse seit 1980 erheblich beschleunigt. Somit hat der Vernagtferner in den vergangenen 30 Jahren im Mittel über die gesamte Gletscherfläche 20m an Eisdicke verloren (in hoch gelegenen Bereichen ca. 6 m, in der Umgebung des Zungenendes sogar über 50 m), im Mittel also jährlich 66 cm. Der mittlere Eisverlust hat sich gegenüber dem für die Zeit von 1889 bis 1980 von ca. 33 cm/jahr verdoppelt. (15) Die Zukunft der Alpengletscher bleibt unsicher. Es gibt bislang kein verlässliches Anzeichen für eine Trendumkehr des Gletscherrückgangs. Der Eisverlust des Jahres 2003 mit über 2 m im Mittel dürfte trotzdem vorerst eine Ausnahme darstellen, zeigt aber deutlich die mögliche Variationsbreite für den Eisverlust, die offensichtlich das 4 bis 5fache des langjährigen Durchschnittwertes erreichen kann. Er beruht auf der einmaligen starken Zunahme der Anzahl der Schmelztage von normalerweise zwischen 15 und 30 auf insgesamt 100 Tage, wodurch erstmalig seit Beginn der Beobachtung die gesamte Fläche des Vernagtferners zum Ablationsgebiet wurde. Damit wuchs auch die Schmelzwassermenge auf ein bislang unerreichtes Maximum, was im Juli und August zu extremen Füllständen der Gletscherbäche führte, die sonst nur während regelrechten Unwettern erreicht werden. Das Überschreiten der Bäche wird unter diesen Umständen ausgesprochen schwierig und ist stellenweise ohne künstliche Hilfsmittel (Behelfsbrücken) gar nicht mehr möglich. (16) Die extremen Bedingungen von 2003 beeinflussen auch den Massenhaushalt der Gletscher in den kühleren Folgejahren, da das Akkumulationsgebiet erst allmählich wieder aufgebaut werden muss, damit die Eisbewegung wieder angefacht wird. Deshalb waren auch in den deutlich kühleren Jahren 2004 und 2007 weiterhin überdurchschnittliche Eisverluste zu beobachten. Ein Massenzuwachs wurde zuletzt in den 1970er-Jahren festgestellt, der im Vergleich zur Gegenwart durch extrem feuchte und kühle und somit ungemütliche Sommer gekennzeichnet waren. Damals betrug der Zuwachs typischerweise 30 cm im Jahr. Es würde folglich einen zusammenhängenden Zeitraum von gut 50 Jahren mit winterlichen Sommerperioden erfordern, um die angesprochenen Verluste der letzten 25 Jahre auszugleichen. (17) Verlässliche Prognosen über die weitere Entwicklung der Gletscher erfordern wegen der komplexen Zusammenhänge umfangreiche Informationen, die jedoch nur teilweise verfügbar sind. Einfache Extrapolationen der beobachteten Trends liefern nur sehr grobe Abschätzungen, da sie die Wechselwirkungen und Verstärkungseffekte nicht ausreichend berücksichti-

Ludwig N. Braun & Markus Weber Kommission für Erdmessung & Glaziologie der Bay. Akademie d. Wiss. München gen. Tatsächlich erlauben nur komplexe mathematische Modelle, welche auf der Basis der aller verfügbaren Daten des Eiskörpers (zum Gletscherbett und der örtlichen Eismächtigkeit) und des Wetters die Massenänderungen und die resultierenden Umrissveränderungen berechnen. Das zukünftige Wetter ist natürlich bis auf einige Kenngrößen nicht bekannt, so dass auf sogenannte Szenarien zurückgegriffen werden muss, in denen die Daten des künftigen Wetterablaufs auf der Basis begründeter Annahmen künstlich erzeugt werden. Ein Beispiel für die Ergebnisse der neuesten Computersimulation des weiteren Schicksal des Vernagtferners, die im Rahmen des Verbundforschungsprojektes GLOWA-Danube in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt wurde, zeigt die Abbildung 4. Sie basiert auf Messungen der Eisdickenverteilung und der Umrisse des Gletschers aus dem Jahr 2006 und einer allgemein anerkannten Entwicklung des regionalen Klimas entsprechenden den Simulationen des REMO-Modells am MPI Hamburg, welches im Einzugsgebiet der oberen Donau eine weitere mittlere Zunahme der bodennahen Temperatur um 5.2 und eine Abnahme der Jahressumme des Niederschlags um 12% bis 2100 voraussagt. Diesen Zeitpunkt wird auch ein so großer Gletscher wie der Vernagtferner gar nicht mehr erleben, denn nach diesen Simulationen, welche alle bekannten Wechselwirkungen berücksichtigt, werden bereits 2030 nur noch marginale Reste übrig sein. Nach den Berechnungen werden die einst mächtigen südexponierten Gletscher am Alpenhauptkamm im Bereich des inneralpinen Trockentals früher verschwinden als beispielsweise die deutlich tiefer, aber am niederschlagsreicheren Alpennordrand gelegenen kleinen Gletscherreste an der Zugspitze. Abbildung 4: Ergebnisse einer Modellrechnung der künftigen Umrisse des Vernagtferners im Rahmen des Projektes GLOWA-Danube unter der Bedingung einer weiteren Erwärmung entsprechend der Ergebnisse der Zukunftssimulation des Klimamodell REMO des MPI. 7

Fakten und Hintergründe zum Thema Gletscher - Klimawandel (18) Welche Folgen hat der Gletscherschwund für die Wasserverfügbarkeit in den inneralpinen Flüssen und in den Flüssen im Alpenvorland? Hier muss deutlich unterschieden werden zwischen den direkt die Gletschern enthaltenden sogenannten Kopfeinzugsgebiete wie beispielsweise das der Pegelstation Vernagtbach (11km 2, ) oder der Gemeinde Vent (98km 2 ), wo die Gletscherfläche deutlich mehr als 25% der Gesamtfläche einnimmt und die der größeren Zuflüsse der Donau, wie beispielsweise Inn und Salzach, wo der Anteil der Gletscher weniger als 5% beträgt. Prinzipiell werden die geschmolzenen Eisreserven den Gletscherbächen zugeführt und bezuschussen damit den Abfluss. An der Pegelstation Vernagtbach war die Zunahme der Gletscherspende durch den Gletscherschwund in der Verteilung der gemessenen Abflussmengen in den letzten 4 Dekaden deutlich sichtbar (Abb. 5). Hier stammt im Mittel mehr als die Hälfte des Wassers aus der Gletscherschmelze, der Rest setzt sich aus geschmolzenem Schnee oder abfließenden Regen zusammen. Abbildung 5: Mittlerer Jahresgang des Abflusses an der Pegelstation Vernagtbach. Diese Unterteilung des Abfluss nach Herkunft kann nur ein komplexes hydrologisches Modell wie beispielsweise das im Projekt GLOWA-Danube entwickelte Promet/Danubia leisten. Mit wachsendem Abstand vom Gletscher wird die Eisschmelze rasch durch das Schneeschmelzund Regenwasser verdünnt, so dass dessen Anteil flussabwärts immer mehr an Bedeutung verliert (Abb.6). Während die Gletscherschmelze in Vent im Jahresdurchschnitt zu einem guten Drittel zum Abfluss beiträgt, sind es einige Kilometer weiter in Huben nur noch ein Viertel und in Innsbruck weniger als ein Zehntel. Fast vernachlässigbar ist der Beitrag nach der Einmündung des Inns in die Donau bei Achleiten. Sind die Gletscher verschwunden, fehlt die Eisschmelze im Abfluss. Dies wird sich dort bemerkbar machen, wo die Gletscher einen wesentlichen Beitrag zum Abfluss liefern, also in Abbildung 7 in den Flussabschnitten mit blauer bis grüner Färbung. Außerhalb der Alpen jedoch ist der Beitrag der Gletscher zum Wasserangebot im Verhältnis zu Schneeschmelze und Regenabfluss aus den Bergen in der Regel vernachlässigbar. 8

Ludwig N. Braun & Markus Weber Kommission für Erdmessung & Glaziologie der Bay. Akademie d. Wiss. München Abbildung 6: Mittlerer Jahresgang des Abflusses und der Eisschmelze für drei Teileinzugsgebiete und das Einzugsgebiet der oberen Donau am Pegel Passau-Achleiten. Abbildung 7: Anteil Gletscherschmelzwasser am Abfluss der Zuflüsse zur Donau. 9