denke, dahinter steckt die selbe Frage nach Heil, nach Angenommensein, nach einem Grund, der uns trägt.

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Transkript:

Liebe Gemeinde, ich habe kürzlich noch einmal den Film über Martin Luther gesehen, der vor einigen Jahren im Kino kam, und fand ihn noch einmal sehr eindrücklich. Auf zwei ganz unterschiedliche Weisen ist da Martin Luther zu sehen: Einmal, wie er fest entschlossen, mit kräftigen Bewegungen seine 99 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg schlägt. An einem 31. Oktober, den wir heute als Reformationsfest und Beginn der Reformation begehen. Ganz anders und einige Zeit davor: Da kämpft ein total verzweifelter Mensch mit seinem Gott in sich verkrümmt auf dem Boden, anklagend und zitternd, schreiend und weinend. Was beide Szenen verbindet, ist die Ernsthaftigkeit und Unbedingtheit und die Energie, mit der da einer seinen Weg mit Gott sucht und geht. Ein weiter Weg lag für ihn dazwischen. Ein Ringen um das Verstehen der Bibel, ein Ringen mit seinem Bild von Gott. Und dann gab es einen Durchbruch, eine Einsicht, die ihn wie auf einen Schlag erlöste von seinem Kampf. Er hatte verstanden, was Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom erklären möchte. Ein Kernabschnitt daraus ist der heute Predigttext. Ich lese ihn aus der Gute-Nachricht-Bibel von 1997. Sehr dicht ist es, was Paulus hier schreibt, und nicht leicht zu verstehen. Aber es waren diese Gedanken des Paulus, die Luther befreit haben. Er verstand: Was Jesus Christus für uns getan hat, das genügt für alle Zeit und Ewigkeit. Und ich darf sein, der ich bin: Ein Mensch mit Stärken und Schwächen, ein Mensch, der Fehler macht und dazulernt, ein Mensch, der hinfällt und wieder aufstehen kann. Gott will nicht, dass wir Angst vor ihm haben, sondern Vertrauen. So können wir übersetzen, was Luther mit Glauben meinte. So hat Luther einen ganz neuen Lebensgrund und halt gefunden.

Mögen die Gedanken eines Paulus oder Luther uns auch fremd erscheinen ihre Erfahrungen sind es nicht. Denn es geht um Grundfragen unserer menschlichen Existenz. An der Zunahme von Phänomenen wie Burn-out und Depressionen lässt sich ablesen, dass Menschen auch heute um ihren Lebensgrund ringen ringen müssen. Wer bin ich? Was trägt mich? Und was trägt diese Welt mit all ihren Brüchen, Widersprüchen, Ambivalenzen? jeder sich diese Anerkennung selbst erarbeiten? Durch Erfolg im Beruf und im Privaten... Die Anforderungen dafür steigen immer mehr in einem manchmal nicht mehr menschlichen Maß. Und immer mehr Menschen fallen unten durch. Die, die nicht oder nicht mehr so leistungsfähig und belastbar sind wie andere, die alt oder krank sind oder auf irgendeine Weise gehandicapt. Welchen Wert haben sie? Woher bekommen sie Anerkennung? Wir allerdings fragen nicht mehr, was uns gerecht macht, sondern: Bin ich gut genug? Eine Frage, die in unserer Gesellschaft überall präsent ist. In der Schule, im Betrieb... Vermutlich hat Luther recht, wenn er sagt, diese Orientierung an der Leistung liegt in der menschlichen Natur überhaupt. Anerkennung ja, anscheinend unser Lebensrecht überhaupt bekommen wir durch das, was wir leisten. Anerkennung, auf die wir alle so sehr angewiesen sind vielleicht mehr, als auf das tägliche Brot. Muss nicht Manchmal ist es paradoxerweise nicht einmal die Anerkennung von außen, die uns antreibt, sondern von innen her - die Frage: Wie werde ich mir selbst gerecht? Meinen Fähigkeiten, meinen Möglichkeiten...? Wie schaffe ich es, dass mein Leben gelingt? Für Luther ging es um sein Seelenheil. Wir sagen nicht mehr Heil dazu, wir suchen das gelingende Leben, wir suchen die Fülle, suchen Glück. Und meinen, dass wir es selbst hinkriegen müssen. Das klingt oberflächlicher. Aber ich

denke, dahinter steckt die selbe Frage nach Heil, nach Angenommensein, nach einem Grund, der uns trägt. Eine besondere Form des Leistungsdrucks besser: Anforderungsdruck - erlebe ich, wenn ich die schrecklichen weltweiten Entwicklungen an mich heranlasse, wie sie letzte Woche wieder in einem Film über den wachsenden Hunger in der Welt zu sehen waren. Da fühle ich mich aufgefordert, etwas zu tun und fühle mich im gleichen Augenblick auch überfordert und ohnmächtig. Und wünsche mir doch so sehr, dass die Menschen, die hungern und noch viel ohnmächtiger sind als ich, Hilfe bekommen. Was kann ich beitragen - und was auch nicht? Wie gehe ich mit den Grenzen meiner Belastbarkeit um und was mache ich mit den belastenden Bildern? Hinter Luthers Verzweiflung sehe ich noch eine andere Ebene und vermutlich ist die auch heute hinter unserer Leistungsorientierung und manchem Burnout am Werk: die Erfahrung von Einsamkeit. Das Gefühl einer inneren Verlorenheit und Beziehungslosigkeit. Wo niemand ganz durchdringt und vielleicht lasse ich auch niemanden durch zu meinem verletzten inneren Kind, zu meiner Angst, zu meiner ungestillten Sehnsucht, so geliebt zu werden, wie ich bin. Grunderfahrungen und Grundfragen menschlicher Existenz, die uns suchen lassen nach unserem Lebensfundament, nach dem, was uns trägt und Halt gibt. Luther hat im Gefolge des Paulus gefunden, was ihm einen neuen, festen Stand gegeben hat: Gott schenkt mir das, was ich nicht verdienen kann. Alles, wonach ich gesucht habe, worum ich mich bis zum Zusammenbruch bemüht habe all das bekomme ich aus Gnade, gratis umsonst. Luther folgt der Gedankenwelt des Paulus: Gott macht mich gerecht und gut. Ich bin Gott nichts mehr schuldig.

Darauf dürfen und sollen wir vertrauen. Daran sollen wir glauben und uns darauf gründen. Dahinter hat Luther nach langer Suche entdeckt, was vielleicht seine und unsere tiefste Sehnsucht ist: Gottes Liebe. Er spricht vom großen Feuer der Liebe Gottes, die unser Herz sicher, zufrieden und froh macht. Er hat in Jesus Christus Gottes Stimme gehört, die zu ihm und zu jedem Menschen sagt: Es ist gut, dass Du da bist. Ich freue mich an dir, gerade so, wie Du bist. Du brauchst Dich nicht mehr zu mühen, anders, besser zu werden. Du bist Gottes geliebtes Geschöpf, Gottes geliebtes Kind. Vertraue mir, gründe dich in mir. Dann wird alles andere von alleine geschehen, aus meiner Kraft, in meinem Geist. Anselm Grün, der bekannte Benediktinerpater, hat diese Gnade Gottes einmal als inneren Raum beschrieben, den wir im Gebet betreten. Er schreibt: Im Gebet steige ich hinab in den Raum, der allein von Gott bewohnt ist. Es ist ein weiter Raum. Gott lässt mich dort weit werden, frei und echt. Ich komme da nicht nur mit Gott in Berührung, sondern durch ihn auch mit meinem eigenen wahren Kern. Dort kann ich auf neue Weise auch die Frage beantworten, wer ich eigentlich bin. Da definieren wir uns nicht mehr von Zuwendung oder Anerkennung her, nicht mehr von unseren Beziehungen her. Da hat keiner mehr Macht über mich. Ich bin von Gott berührt, gottunmittelbar. Im Bild des Raumes beschreibt Anselm Grün die Beziehung zu Gott. Sie ist es, die uns durchs Leben tragen kann. Die Beziehung zu einem Gott, der uns sieht, wie es einst Hagar in der Wüste erlebt hat. Zu einem Gott, der uns liebevoll und so stelle ich mir vor immer wieder lachend ansieht und uns sagt: Wie schön, dass du da bist! Wie geht es Dir? Komm, bei mir kannst Du einfach

sein. Da kannst Du zu Dir finden. Hier kannst Du aufatmen und alles ablegen, was Dich bedrängt. Diese Freiheit von Zwängen, diese Gelassenheit, dieses Gegründetsein in der Gnade Gottes. Und immer wieder auch eine tiefe Freude an Gott, am Dasein in diesem Beziehungsraum. Wie hat Luther sie gefunden, wie Paulus? Sie haben danach gesucht und mussten darum ringen. Es ist ihnen nicht einfach in den Schoß gefallen. Auch wenn es wohl zum Schluss dann so war, dass es ihnen plötzlich zugefallen ist, dieses Gefühl, frei und erlöst zu sein... Immer wieder gehört dazu auch so etwas wie Umkehr nicht im moralischen Sinn, sondern eine bewusste Abkehr von dem Sog, der uns immer wieder nach unten zieht, eine Abkehr von dem, was uns unter Druck setzt und vereinnahmen will. Luther hat sich immer wieder selber daran erinnern müssen: Du bist getauft. Gott hat dich in Christus angenommen. Du hast Dein Heil geschenkt bekommen ganz umsonst. Zu dieser Gewissheit will uns auch das Abendmahl helfen, indem es uns in die Weite der Gottesbegegnung führt, fühlbar, schmeckbar. Luther hatte einen geistlichen Mentor und Brüder, die ihn begleitet haben, bei denen er sich aussprechen konnte, die für ihn gebetet haben. Er hat bei ihnen die Aufmerksamkeit und Liebe Gottes ganz konkret erfahren. Ich glaube, ohne eine solche vermittelnde Erfahrung ist Gottes Liebe nur schwer zu fassen. Deshalb brauchen wir einander als Brüder und Schwestern. Deshalb gibt es eine neue Suche nach geistlicher Begleitung und inzwischen auch viele, die darin ausgebildet sind und sich dafür zur Verfügung stellen. Der Reformationstag lädt uns ein, dankbar zu sein für die heilende und befreiende Beziehung zu Gott. Er lädt

uns ein, immer neu in diesen Beziehungsraum einzutreten. Dann können wir, wenn es darauf ankommt, so hinstehen, wie es Martin Luther vor 493 Jahren gemacht hat. Dann haben wir festen Grund unter den Füssen. Und wir können immer wieder einstimmen in Lieder, die von unserer Freiheit singen. Wie etwa in den Psalm von Hans Dieter Hüsch: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit. Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen. Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit. Amen.