Der Hahn auf dem Stephansdom

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Transkript:

Der Hahn auf dem Stephansdom Dem Kaiser Maximilian I. diente einst am Hofe zu Wien ein kluger Mann. Es war der junge Ritter Kaspar von Schlezer, der dem Herrscher mit Rat und Tat zur Seite stand. Mit seiner hübschen Gemahlin wohnte er zufrieden in einem kleinen Schloss, als eines Tages an ihn die Aufforderung erging, dem Sultan von Konstantinopel eine wichtige und geheime Botschaft zu überbringen. Seine Frau war wegen der gefahrvollen Reise in die Türkei voll Sorge, doch der Ritter sagte beim Abschied zu ihr: Dieses Kreuz, das ich auf meiner Brust trage, wird mein Schutz in Not und Gefahr sein. Wird es dir von einem Boten überbracht, so vertraue auf ihn und glaube alles, was er dir mitteilt! Herr von Schlezer machte sich mit drei Begleitern auf die Reise und gelangte glücklich in den Palast des Sultans. Dem Herrscher der Türkei überreichte er die geheime Botschaft seines Kaisers. Bei der Heimreise jedoch wurde das Schiff des Ritters auf hoher See von Räubern überfallen, die seine Begleiter erschlugen, ihn fesselten und auf dem Land an einen reichen Gutsbesitzer verkauften. Als Sklave musste er von nun an schwere Arbeit verrichten. Er aber verzagte nicht. Das Silberkreuz, das er stets unter seinem Hemd verborgen hielt, gab ihm Hoffnung, dass er irgendwann wieder in Freiheit leben werde. So verging Jahr um Jahr. Seine Gattin trauerte zu Hause fünf Jahre lang um ihn. Doch eines Tages verlobte sie sich mit dem Freund ihres Mannes und bereitete die Hochzeit vor. Um diese Zeit hatte in der Fremde Herr Schlezer einen seltsamen Traum. Er befand sich plötzlich im Stephansdom zu Wien und erblickte vor dem Altar seine Frau mit einem fremden Mann. Der Priester schickte sich an die beiden zu trauen.

Da rief eine Stimme: Herr von Schlezer, morgen wird deine Frau eine neue Ehe eingehen. Noch ist es Zeit, dies zu verhindern! Schweißgebadet wachte er auf. Ihm war klar, dass er unmöglich bis zum nächsten Tag nach Wien gelangen könne. Rasend vor Schmerz rief er: Ich muss morgen in Wien sein. Ich gebe gern dem Teufel meine Seele, wenn er mich dahinbringt und ich meine Frau in die Arme schließen kann. Kaum hatte er die letzten Worte gesprochen, da stand auch schon der Leibhaftige vor ihm. Er bot an, ihn rechtzeitig nach Wien zu bringen, wenn er sich ihm mit Haut und Haar verschreibe. Da erschrak der Ritter und brachte kein Wort heraus. Der Teufel aber zauberte einen Gockel zur Stelle und sagte: Dieser Hahn wird uns in kurzer Zeit in deine Heimat bringen. Beim Wort Heimat überwältigte den Ritter die Sehnsucht danach, er willigte ein, jedoch nur unter der Bedingung, dass er während des Fluges nicht erwache. Andernfalls solle der Teufel seine Seele nicht bekommen. Hierauf hockten Schlezer und der Teufel sich auf den Rücken des Federviehs, und der Edelmann griff heimlich nach seinem Kreuz, gab seine Seele in Gottes Hand und schlief ein. Unterdessen sauste der Teufelshahn mit seiner schweren Last nach dem Westen. Und als der Morgen graute, waren sie schon über Wien. Im Morgengrauen ragte der Turm des Stephansdomes aus dem Häusermeer empor. Knapp vor dem Ziel überfiel den Hahn eine Schwäche, seine Flügel schienen zu erlahmen. In höchster Not stieß er ein lautes Kikeriki aus. Davon erwachte der Ritter und der Höllenfürst wurde so wütend, dass er Hahn und Ritter mit einem grässlichen Fluch in die Donau schleuderte. Zwei Fischer, die alles beobachtet hatten, zogen den erschöpften Ritter aus dem Wasser. Zum Dank an den Hahn, der ihn gerettet, ließ der Ritter ein Abbild des Federviehs, eine eiserne Figur anfertigen und auf dem Dachfirst der Stephanskirche anbringen.

Der Zahnweh-Herrgott In Alt-Wien lebten einmal drei lustige Junker. Sie saßen oft beisammen und zechten bis tief in die Nacht hinein. Junker Diepold war es, der nie nach Hause gehen wollte und oft noch auf dem Weg aus der Schenke ein tolles Stücklein lieferte und manchem Wiener einen Streich spielte. Einmal saßen die liederlichen jungen Leute wieder beim Becher und der Wirt hatte schon Sorge, wie er die Sperrstunde einhalten sollte. Als die Glocke das Zeichen zum Zusperren verkündete, führte er einfach die Pferde der drei Trunkenbolde vors Wirtshaus, kassierte die Zeche und drängte sie durch die Tür auf die Straße hinaus. So machten sie sich also auf den Heimweg. Dieser führte sie am Dom vorbei. Dabei sahen sie im Schein einer Lampe, dass die Dornenkrone der Christusfigur mit frischen Blumen geschmückt war. Damit sie der Wind nicht fortblasen konnte, hatte man sie mit einem Tuch festgebunden. Dieses reichte vom Scheitel über die Wangen bis unter das Kinn herab, wo es verknüpft war. Diepold bemerkte sofort, dass dies einem Tuche glich, wie es einer, der Zahnschmerzen hat, um die Backen bindet. Er lachte laut und rief übermütig: Schaut nur, jetzt hat sogar unser Herrgott schon Zahnweh.

Ein Wunder ist es ja nicht. Er steht ja auf einem zugigen Platz. Eine Weile scherzten sie noch, dann ritt jeder nach Hause. Doch siehe, in dieser Nacht konnte Junker Diepold nicht einschlafen. Die Wangen brannten, und nicht lange darauf wurde er von Zahnschmerzen befallen, die immer ärger wurden. Er rieb sich die Backen und stocherte in den Zähnen herum, spülte sich den Mund mit scharfen Schnaps aus, aber es nützte nichts. Am Morgen holte er den Arzt, doch auch der konnte nichts machen. Er fand keinen einzigen kranken Zahn. Verständnislos schüttelte er den Kopf und sagte: Sonderbar, ihr seid heute schon der dritte in Wien, der über Zahnschmerzen klagt, ohne dass ich einen Grund entdecken kann. Jetzt wurde dem Junker klar, dass sie der Totenherrgott auf dem Friedhof bestraft haben musste. Auf der Stelle nahm er sich vor, die Statue um Verzeihung zu bitten. Er band sich ein warmes Tuch um den Kopf und reuevoll ging er zur Stephanskirche. Doch als er zum Christusbild kam, was sah er da? Seine beiden Zechbrüder, ebenfalls mit Tüchern rund um die Wangen gebunden, knieten vor dem Heiland und taten Buße. Auch Diepold kniete nieder und bat weinerlich um Verzeihung. Und siehe da! Die Reumütigen wurden erhört und der Zahnschmerz verschwand noch in dieser Stunde.

Alle neun Auf dem Turm zu St. Stephan gab es einmal eine Kegelbahn, die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts noch bestand. Sie befand sich in einem Stübchen der Turmwächterwohnung und war eigenartig eingerichtet. Der Raum war eng und niedrig und die Bahn überaus kurz. Die Spieler konnten sich nur mit dem Rücken zur Bahn aufstellen und mussten die Kugel zwischen den Beinen durch den Laden hinausrollen. Daher war es auch für geschickte Spieler sehr schwer, die Kegel zu treffen. Der Turmwächter lud seine Freunde immer wieder zu einem Spiel und Zechgelage ein. Da ging es dann sehr lustig und lautstark zu, so dass man den Lärm in den Häusern ringsum hören konnte. Vor dem Riesentor verkaufte zu dieser Zeit ein altes Mütterlein Tag für Tag Wachskerzen. Bei jedem Wetter stand sie hier, um einige Groschen zum Überleben zu verdienen. Ihr einziger Sohn aber war schon als Lehrling von seinem Meister zum Kegelspiel auf den Turm mitgenommen worden. Zuerst stellte er nur die Kegel auf und durfte hie und da einen Schub machen. Doch später kegelte er eifrig mit und brachte es schon bald zu solcher Fertigkeit, dass er bei jedem Schub alle neun Kegel traf. Schon bald wollte niemand mehr mit ihm um die Wette spielen, und so spielte er meistens allein. Als er eines Sonntags wieder zur Turmstube emporsteigen wollte, flehte ihn die Mutter an, wenigstens am Tag des Herrn davon zu lassen. Doch er hörte nicht auf sie und stieg die Stufen hinauf. Die Mutter aber rief ihm nach, dass sie ab nun nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. Die anderen Spieler wollten mit dem Trunkenbold auch nicht spielen und so musste er warten bis spät in die Nacht, bis die Bahn frei war. Nun kegelte er ganz allein und trank dabei so viel Wein, dass er fast nicht mehr stehen konnte.

Als es zwölf Uhr schlug, stand plötzlich ein hagerer Mann vor ihm, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Aus dem bleichen Gesicht starrten ihn zwei dunkle Augen unheimlich an, dass ihm das Blut in den Adern stockte. Diese seltsame Gestalt war in einen grauen Mantel gehüllt und warf im Mondlicht keinen Schatten. Der unheimliche Gast legte dem jungen Spieler die Hand auf die Schulter und flüsterte: Die Mitternacht ist da, beende dein Spiel!. Den Kegler schauderte, doch trank er rasch einen Becher Wein und rief dann zornig: Ich kegle bis zum Jüngsten Tag, wenn ich will. Spiel mit, allein ist es recht langweilig. Da erhob der Graue drohend seine knochigen Finger und sagte: So komm, du unverbesserlicher Wicht. Jeder Schub von mir trifft alle Neune. Wenn ich verliere, so zahle ich jeden Betrag, den du verlangst! Angenommen! Es gilt!, rief der Geselle und schleuderte einen Kegel zum Fenster hinaus auf die Straße. So haben wir nicht gewettet, rief der Graurock, warf seinen Mantel ab, und ein Totengerippe zeigte sich dem nun entsetzten Trunkenbold. Also vorwärts!, rief es, der Tod wartet nicht! Gelingt es dir aber nicht, alle neun Kegel zu treffen, so bist du mir verfallen und kommst nicht mehr lebend vom Turm herab! Da erschrak der Geselle gewaltig, die Angst rüttelte ihn und er suchte verzweifelt nach dem neunten Kegel. Aber der lag doch unten auf der Straße. Ich muss den neunten Kegel haben!, stöhnte er und stieß wütende Flüche aus. Dann kniete er neben die Kegel, zählte mehrere Male, aber ach, es fehlte immer wieder der neunte. Da rief der Knochenmann: Nun, du toller Junge, glaubst du, ich bräuchte den neunten Kegel? Der Tod trifft auch alle neun, wenn es nur acht sind. Mit diesen Worten erfasste er die Kugel und warf sie so gewaltig in die Kegel, dass alle und auch der junge Geselle mit wildem Gepolter zusammenstürzten. Am nächsten Morgen fand ihn der Turmwächter tot zwischen den Kegeln liegen. Noch lange war es Sitte, dass die Besucher der Türmerstube auf dem Stephansturm einen Schub zur Erlösung der armen Seele tun mussten.

Die Dienstboten Muttergottes Vor vielen Jahren war Agnes, ein überaus fleißiges und ehrliches Mädchen bei einer Gräfin in Stellung. Diese zahlte den Dienstboten zwar wenig Lohn, hatte aber immer sehr viel Arbeit für sie. Außerdem durfte Agnes nur einmal in vier Wochen an einen Sonntag für wenige Stunden ihren Arbeitsplatz verlassen, um ihre Eltern und ihren Verlobten Franz zu besuchen. Trotzdem war das Mädchen mit seinem Schicksal zufrieden. Ihre einzige Sorge war, woher sie das Geld für ihre Aussteuer nehmen sollte, damit sie Franz endlich heiraten konnte. Als sie nun am Ende eines freien Nachmittages wieder zur Gräfin zurückkehrte, musste sie dieser beim Ankleiden für ein Fest helfen. Aus ihrer Schmuckschatulle wählte sie einige besonders wertvolle Stücke aus, und so verließ die Gräfin das Haus. Zurück blieb Agnes voll Kummer, weil sie noch immer keinen Ausweg aus ihren Geldnöten wusste. Am nächsten Morgen sollte Agnes in Gegenwart der Herrin den Schmuck wieder in der Schatulle verwahren. Doch welch ein Unglück! Ein kostbarer Ring fehlte und war trotz intensiven Suchens nicht aufzufinden. Sofort verdächtigte die Gräfin das junge Mädchen, den Ring gestohlen zu haben.

Dann schickte sie nach der Wache und befahl Agnes, bis zum Eintreffen der Männer im Zimmer zu bleiben. Völlig verzweifelt kniete das Mädchen vor einer im Raume befindlichen Muttergottesfigur nieder und flehte Maria um Hilfe an. Darüber war die Herrin empört und schrie Agnes an, sie möge die Muttergottes aus dem Spiel lassen, diese sei nicht für diebische Dienstboten da. Als die Wache kam, wurde noch einmal das ganze Haus sorgfältig nach dem verschwundenem Ring durchsucht. Und siehe da, in einem Sack des Kleides, das die Gräfin zum Feste getragen hatte, fand man den vermissten Ring. Die Unschuld des Mädchens war nun erwiesen. Jetzt taten der Gräfin die harten Worte gegen Agnes leid. Zur Sühne dafür schenkte sie dem Mädchen nicht nur die Marienstatue, sondern auch eine Rolle Dukaten. Nun konnte Agnes endlich ihren Franz heiraten. An ihrem Hochzeitstag aber brachte sie die Statue in den Stephansdom, wo sie heute noch zu sehen ist und seither Dienstboten-Muttergottes genannt wird.

Hans Puchsbaum und der Nordturm von St. Stephan Zur Zeit als Peter von Prachatitz Dombaumeister war, arbeitete bei ihm ein tüchtiger Werkmeister, Hans Puchsbaum. Der junge Mann war äußerst geschickt und fleißig, diente seinem Herrn treu und ausdauernd. Prachtitz hatte ein schönes Töchterlein, Maria genannt, das der junge Puchsbaum verehrte. Maria erwiderte seine Zuneigung, aber die jungen Leute verbargen ihre Liebe vor den Augen des Vaters. Lange überlegte Hans, ob er dem Dombaumeister etwas sagen sollte. Endlich brachte er es übers Herz um die Hand des Mädchens anzuhalten. Prachatitz war sehr verärgert, ließ sich aber nichts anmerken und sagte zu dem Werkmeister: Lieber Hans, dein Wunsch sei erfüllt, doch knüpfe ich eine Bedingung daran. Vollende den zweiten Turm innerhalb eines Jahres. Ist er dann genau so hoch, wie der Südturm, so will ich dir meine Maria zur Frau geben. Verzweifelt schlich Hans durch die Straßen von Wien. Den Nordturm innerhalb eines Jahres zu vollenden, war für einen Menschen unmöglich.

Da näherte sich ihm der Teufel. Er machte sich erbötig, den Turm für Hans Puchsbaum zu vollenden. Dieser musste versprechen, während der Bauzeit weder den Namen Gottes noch den der Jungfrau Maria noch den irgendeines anderen Heiligen auszusprechen, sonst sei seine Seele dem Teufel verfallen. Da Puchsbaum keine andere Möglichkeit sah, seine Maria zur Frau zu bekommen, willigte er in den Vorschlag des Höllenfürsten ein. Von dieser Zeit an wuchs der Bau unheimlich schnell empor. Der junge Werkmeister aber machte sich die heftigsten Vorwürfe, dass er sich auf diesen Handel eingelassen hatte. Eines Tages stand er gegen die Mittagszeit hoch oben auf dem Gerüst, um den Fortschritt der Arbeiten zu beaufsichtigen. Da sah er unten auf dem Platz vor dem Dom Maria, seine Verlobte. Die Sehnsucht nach ihr wurde so groß in ihm, dass er ihren Namen rief. In diesem Augenblick erschall ein höllisches Gelächter. Der Teufel stand plötzlich neben ihm, packte den Unglücklichen, der auf sein Abkommen vergessen hatte und schleuderte ihn vom Gerüst in die Tiefe. Dort blieb der Körper des Hans Puchsbaum zerschmettert liegen. Der Bau des zweiten Turmes wurde von dieser Zeit an nicht mehr weiterbetrieben und daher blieb er bis heute unvollendet.