OrganisationsEntwicklung



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Transkript:

OrganisationsEntwicklung OrganisationsEntwicklung Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management 212 Kreativität im Change Management Mit Design Thinking Organisationen verändern Radikale Innovation für die Organisationsentwicklung Design Thinking Pionier Larry Leifer im OE-Exklusivinterview Guerillastrategien zur innovativen Organisation Embedded Design Thinking als Wandelansatz Kundenorientierung im Change Management Service Design Methoden in der Werkzeugkiste Was Change Manager von Architekten lernen können Gestaltungsansätze für ein kreatives Change Management Was würde Steve tun? Zum narrativen Schatten großartiger Führungspersönlichkeiten

Gespräch Schwerpunkt Das Neue denken! Michael Shamiyeh Das Neue denken! Oder: Was können Change Manager von Architekten lernen? Ein Gespräch mit dem österreichischen Architekten, Design Thinking Pionier, Professor, MBA-Leiter und Unternehmensberater Michael Shamiyeh über die Grenzen betriebswirtschaftlicher Methoden und die Nutzung von Prototypen, Iteration und Abduktion in Wandelvorhaben. OE: Herr Shamiyeh, Sie haben den Begriff «Design Thinking» bereits im Jahr 2003 mit Ihren Konferenzzyklen und Ihrem Buch «Organizing for Change» aufgegriffen. In den Konferenzen und dem Buch haben Sie untersucht, wie architektonische Denkweisen im Unternehmenskontext ihre Wirksamkeit entfalten können. Sie sind neben Ihrer Tätigkeit als Professor, MBA- Lehrgangleiter und Unternehmensberater auch ausgebildeter (Harvard) Architekt. Deshalb zunächst die Frage: Was zeichnet das Denken von Architekten aus? «Managementausbildungen waren von einem Denken geprägt, das sich am Existenten orientierte.» MSH: Architekten haben einen grundlegend anderen Zugang zur Problemlösung als Manager. Organisationen und Manager gehen immer von ihrer Ressourcenausstattung aus, sprich von dem, was sie zur Aufgabenerfüllung oder Problemlösung zur Verfügung haben. Wir Architekten haben da einen anderen Zugang und kennen das Problem der bestehenden Ressourcen nur bedingt. Wir verfügen eher über ein leeres Feld, auf das Ressourcen hinkommen, d.h. wir sind in der schönen aber auch schwierigen Situation, dass wir immer «was wäre wenn» Fragen stellen. OE: Für kreative Lösungen muss man also von diesem Ressourcen-Allokationsreflex wegkommen und mehr in neuen offenen Strukturen denken. Ist es das, was wir von Architekten lernen können? MSH: Richtig. Manager sollten nicht immer automatisch auf die bestehende Situation schauen wenn sie innovativ sein wollen. Manager fragen sich zu oft: Was ist das, was wir haben und wie können wir uns damit irgendwo hin bewegen? OE: Und was fragt der Architekt? MSH: Was wäre das Ideal für eine bestimmte Situation? Um es einfach zu formulieren: Managementausbildungen waren lange Zeit von einem Denken geprägt, das sich am Existenten, also an bestehenden Ressourcen orientierte. Ein Unternehmen möchte sich mit den vorhandenen Ressourcen irgendwo hin bewegen. Weitgehend frei von Ressourcenzwängen lassen sich Architekten auf einen Kreationsprozess ein, in dem sie Vorstellungen von einem Idealzustand in die Realität überführen. Das ist ein ganz anderer Prozess. OE: In welchen Bereichen des Managements haben Sie diese Denkweise des Möglichkeitssinns ausprobiert? MSH: Das beginnt bei der Strategie, noch konkreter vielleicht beim Geschäftsmodell, denn es werden ja immer mehr Veränderungsprozesse durch neue Geschäftsmodelle getrieben. Dabei ist folgende Erkenntnis wichtig: Es gibt Situationen, in denen ich mich an gegenwärtige Veränderungsprozesse in der Gesellschaft nicht mehr adäquat anpassen kann. Es hat z.b. wenig Sinn, dass ich mir den Kopf darüber zerbreche, wie ich die Vertriebswege der Schallplatte optimiere, wenn der Kunde schon längstens den Online-Download von MP3 wünscht. OE: Der Architekt kann mir somit helfen, zu überlegen, welches die richtige Ebene des Wandels sein sollte. Er hilft mir bei der Frage: Setze ich nicht auf einer zu tiefen Ebene mit dem Wandel an? Muss die Transformation unserer Unternehmung fundamentaler sein? 32 OrganisationsEntwicklung Nr. 2 2012

Michael Shamiyeh Das Neue denken! Schwerpunkt Gespräch MSH: Ja, aber ich würde mich davor hüten, zu sagen, dass ein Architekt so ohne weiteres ein Unternehmen beraten kann. Vielmehr empfehle ich, diese Denkart oder diesen Zugang zur Problemlösung in andere Bereiche zu übertragen. Doch dieser Transfer scheitert auch sehr oft aufgrund verschiedener Sprachen bzw. wegen fehlender Grundlagen für ein gemeinsames Verständnis. Es nützt nichts, wenn der Architekt Visionen oder sonstige radikalen Neuerungen präsentiert und auf der anderen Seite beim Management der Eindruck entsteht, dass da we nig Kenntnis von Ressourcen oder Prozessen besteht, die notwendig sind, um derartige Vorstellungen eine Realität werden zu lassen. OE: Gibt es noch weitere Bereiche außer der Sprache und dem Detailwissen über betriebswirtschaftliche Zusammenhänge die Konflikte zwischen Architekten und Managern verursachen? Wo haben sie gemerkt, dass da unterschiedliche Mentalitäten vorhanden sind? MSH: Das ist eine gute Frage. Da gibt es schon ganz konkrete Reibungspunkte: Führung oder Management bedeutet ja auch, Entscheidungen rechtfertigen zu können, vor den eigenen Mitarbeitern oder auch vor den Aktionären und anderen Interessensgruppen. Darum ist die betriebswirtschaftliche Ausbildung sehr analytisch geprägt, so dass ich fundiertes Material vorlegen kann, auf dem ich meine Entscheidungen und auch Risikobewertungen basieren kann. Doch das geht im Innovationsbereich teilweise nicht. Bei radikal neuen Produkten kann man das Nutzungsverhalten von Menschen im Vorfeld nicht abfragen oder beweisen, da Menschen mögliche Erfahrungen in der Nutzung von neuen Produkten nur sehr schwer antizipieren können. Damit haben sie automatisch das Problem, dass sie eigentlich eine Stoßrichtung vorantreiben müssen, die sie nicht belegen können. OE: Das Joch der Managerargumentation, das sich mit dem Visionären, Kreativen der Architekten beißt, das sehen Sie als Reibungsfläche? Dieser Zwang zur Argumentation, zum Zerreden, zum Kritisieren, den es bei den Managern gibt. MSH: Ja genau. Das war ja beim ipad oder bei Energy Drinks wie Red Bull sehr ähnlich. Man wusste nicht sicher, dass die Menschen es mögen würden, man musste es ausprobieren. OE: Die Manager können von den Architekten lernen, dass man das Mögliche in der Realität gar (noch) nicht bewerten kann. Deshalb muss man es ausprobieren. Die Architekten machen das durch Modelle und durch Visualisierung. Wie arbeitet denn ein Architekt, um an dieser möglichen Zukunft mitzugestalten und inwieweit sind seine Entwurfstechniken aufs Management übertragbar? Gibt es da 1:1 Entsprechungen oder ist es mehr eine Geisteshaltung, die man auch auf das Change Management übertragen kann? MSH: Es gibt zwei ganz elementare Techniken, die sich sehr wohl in die Betriebswirtschaftslehre oder ins Change Management übertragen lassen. Die eine ist Prototyping, die andere Iteration. «Wie ein Anthropologe wird dann beobachtet, wie sich Personen in einem bestimmten Kontext verhalten, um dann konkret darauf zu reagieren.» Prototyping bedeutet, dass ich sehr rasch konkrete Situa tio nen entwerfe. Das heißt, dass wir uns fernab vom Sender-Receiver-Kommunikations-Modell bewegen. Wenn wir von Ide en oder Wissenstransfer sprechen, wird oft diese lineare Betrachtung zwischen Sender und Empfänger angeschaut. Wir unterhalten uns und versuchen, ein Gespräch aufzubauen, in welchem wir ein Verständnis aufbauen. Ein Prototyp, der sehr visuell oder haptisch zwischen dem Empfänger und dem Sender steht, kann sehr fruchtbar für die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses sein weil er einen eigenen Raum aufbaut, indem wir uns wiederfinden. Ein gutes Beispiel ist die Geschichte, wie BMW damals das idrive erfunden hat. Das ist ein Rad in der Mitte des Auto-Cockpits, von dem sich vom Radio bis hin zur Schaltung alles bedienen lässt. Als nur darüber gesprochen wurde, dass es so etwas geben wird, haben alle gesagt: das wird nie funktionieren, das wird vom Kunden nicht angenommen. Wie dann der Prototyp da war, gab es einen radikalen Bruch und entgegen aller Prognosen wurde erkannt, dass das auch vom Kunden angenommen wurde. Heute wissen wir, dass jedes Premiummodell ab der Mittelklasse dieses idrive enthält, weil ein starker Wunsch von Seiten des Kunden besteht. Die Leute konnten es ausprobieren und die Erfahrungen, die damit gemacht wurden, waren sehr positive. Das heißt: ein Prototyp kann einen gemeinsamen Verständnisraum öffnen und dadurch zu etwas sehr starkem, sehr präzisem, sehr konkretem führen und für gemeinsames Verständnis sorgen. OE: Was bedeutet dieser Prototypenansatz für einen Manager oder eine Managerin, die für eine Reorganisation in einer Unternehmung zuständig ist? MSH: Es kann Szenarienentwicklung oder Rollenspiele bedeuten. Das heißt, dass wir versuchen, Szenarien zu entwickeln, die wir visuell und vielleicht auch haptisch erfahren können. Aber ich würde sogar einen Schritt weiter gehen, und versuche das wieder mit einem Beispiel zu untermauern. Es ist vor OrganisationsEntwicklung Nr. 2 2012 33

Gespräch Schwerpunkt Das Neue denken! Michael Shamiyeh Jahren eine Bank zu uns gekommen, die gesagt hat: «Lieber Herr Architekt, wir brauchen eine neue Filiale, bauen Sie uns die.» Angesichts der veränderten Möglichkeiten für Kunden, ihre Ban k geschäfte zu erledigen hatten wir gleich zu Beginn Zweifel an dem an uns herangetragenen konventionellen Kassen- Schalter-Konzept der Bank. Wir haben daher drei Tage lang die Bank besucht und sehr genau beobachtet, wie sich die Kunden dort verhalten. Die Konsequenz war, dass die Bank, wie sie genutzt wurde und hätte umgebaut werden sollen, als solche von Kunden kaum mehr aufgesucht wurde. Aus dem einfachen Grund, dass für diese Kunden nichts da war, was irgendwie von Relevanz gewesen wäre, weil alles elektronisch abgewickelt werden konnte. Wir haben dann den Vorschlag unterbreitet, und da kommen wir jetzt zum konkreten Prototyping, dass eigentlich das Konzept, wie die Bank heute noch funktioniert, vollkommen überaltert ist und überdacht werden sollte, weil 90 Prozent der zur Verfügung stehenden Flächen für bankeninterne Flächen aufgewendet wird und zehn Prozent der Flächen zur Kundenbetreuung dient. Es sollte eigentlich umgekehrt sein: zehn Prozent Officebereich und der Rest für den Kunden. Unsere Idee war, dass die Bankmitarbeiter zu Kuratoren von einer Reihe von attraktiven Ereignissen werden und dadurch wieder intensiven Kontakt zum Kunden aufbauen können; zum Beispiel durch lokale Kunstaustellungen, Seminaren oder andere Anlässe. Das lässt sich sehr wohl als Prototypen ausprobieren. Es sollten ganz bewusst gewisse Situationen nachgestellt werden, um zu sehen, wie sie in der Realität funktionieren. Wie ein Anthropologe wird dann beobachtet, wie sich Personen in einem bestimmten Kontext verhalten und kann dann konkret darauf reagieren. «Zusammengefasst: Bei jeder neuen Iterationsschleife geht es darum, mehr Information in das vorgeschlagene Gedankenmodell zu bringen.» OE: Das kann für Change Manager Prozesssimulationen bedeuten oder auch Rollenspiele mit Beteiligten. Einige Firmen setzen dazu ja auch Kurzvideos ein, um zu zeigen, wie die neue Welt sich anfühlen wird. Neben dem Prototyping haben Sie Iteration als Werkzeug erwähnt, was hat es damit auf sich? MSH: Iteration ist etwas, das sich sozusagen in Schleifen von der Vorstellung eines möglichst idealen Zustandes zu etwas Konkretem hin bewegt. Nehmen wir das Beispiel des traditionellen Zirkus, der in der Krise ist. Wie kann der neu gedacht werden? Wenn Sie dieses Problem BWL-Studierenden oder Managern geben, werden diese vermutlich dazu tendieren, das Problem in systematische Einzelteilte zu zerlegen und auf ihre Ursache-Wirkung-Relation zum Ganzen zu untersuchen. OE: Sie gehen die Kosten- und dann die Erlösstruktur durch, das wäre der klassische betriebswirtschaftliche Ansatz. MSH: Genau. Der Iterationsansatz wäre jetzt: Was ist denn eigentlich der ideale Zirkus, den ich gerne hätte? Der wäre vielleicht gar nicht mit Tieren ausgestattet sondern wäre broadwayartig inszeniert mit irgendeinem Thema, das sich durchzieht, das ganz neue Erfahrungen in Musik bietet. Daraus ergeben sich folgende Fragen: 1. Schleife: Wer ist die Zielgruppe? Will ich Kinder oder will ich Erwachsene erreichen? Vielleicht zielt das Thema doch mehr auf die Bedürfnisse von Erwachsenen, da diese eher geneigt sind, broadwayartige Vorführungen zu besuchen. 2. Schleife: Was heißt das für Erwachsene? Vermutlich sollte dieser zahlungskräftigeren Klientel auch ein bes seres Ambiente geboten werden. Denn wenn ich eine Zirkusveranstaltung wie ein Broadwaystück mit einem Thema versehe, dann bedeutet das vielleicht eine entsprechende Zeltarchitektur. 3. Schleife: Was bedeutet das für die Logistik? Ich kann vielleicht weniger mobil sein und muss vielmehr länger stationär an attraktiven Orten Veranstaltungen anbieten. Vielleicht muss ich Engagements eingehen in Las Vegas, so dass ich die Aufführung dort permanent zwei Jahre lang anbiete. Dafür kann ich ein besseres Zelt bauen. Darauf folgt eine vierte Konkretisierungsschleife und so weiter. Zusammengefasst: Bei jeder Iterationsschleife geht es darum, mehr Information in das vorgeschlagene Gedankenmodell zu bringen und zu ergründen, inwiefern sich die eingebrachten hypothetischen Annahmen auf eine letztendliche Realisierung auswirken könnten. Dieser Prozess kann jedoch auch dazu führen, dass ich ir gendwo an einen toten Punkt gelange, an dem es nicht weiter geht. Dann gehe ich eine Schleife zurück und durchlaufe sie neu und bringe andere Möglichkeiten ein. OE: Ich glaube, Herr Shamiyeh, damit haben Sie sehr gut das Credo des Design Thinking-Ansatzes beschrieben. Oder sehen Sie Unterschiede zu dem, was momentan als Design Thinking propagiert wird, und dem, was Sie gerade beschrieben haben, also diesen Prototypen-getriebenen, iterativen Ansatz, der von der möglichen Zukunft ausgeht und nicht von den Ressourcenengpässen der Gegenwart? MSH: Das Problem ist, dass Design Thinking sehr oft auf etwas Lineares und Analytisches reduziert wird, im Sinne von: Beobachte wie ein Anthropologe eine bestimme Situation, verstehe und leite daraus Ideen ab, erstelle Prototypen und lerne von den Konsequenzen. An diesem Punkt waren wir bereits Ende der 60iger, Anfang der 70iger Jahre: Wenn Du diesen Prozess durchläufst, wirst Du eine gute Designlösung herausbringen. Das ist es eben nicht! Es gibt dieses Moment, das einen guten Künstler von einem schlechten Künstler unterscheidet, nämlich dort, wo die In tui tion hereinkommt, wo Sie sagen: da machen 34 OrganisationsEntwicklung Nr. 2 2012

Michael Shamiyeh Das Neue denken! Schwerpunkt Gespräch Sie vollkommen neue Verbindungen, weil Sie einfach spüren, das sie wichtig sind. OE: Ihnen missfällt also eine Auslegung von Design Thinking, die davon ausgeht, dass durch ausreichende Beobachtung, sich die Innovation automatisch aus dem Bedürfnis ergibt. Das ist nicht immer so, weil die Menschen in ihrem momentanen Verhalten das Neue noch gar nicht abbilden. Damit lässt es sich auch nicht beobachten. Sie betonen die zentrale Rolle der Intuition, doch wie lässt sich diese Fähigkeit, das Neue zu spüren und zu denken, schulen? Ist das überhaupt trainierbar und können wir auch da von Architekten lernen? MSH: Als Architekt habe ich mit großer Verwunderung wahrgenommen, dass im Management eigentlich nur zwei Denkrichtungen gelehrt und geschult werden: Induktion und De duk tion, die ja sehr analytisch sind. Wir wissen aber von Charles Peirce aus der Philosophie, dass die dritte Denkrichtung, die Abduktion, die Denkweise ist, die Neues schafft. Man hat sich sehr stark auf zwei sehr analytische Denkweisen festgefahren, ohne vielleicht zu lehren, was es denn bedeutet, Möglichkeiten zu denken. Und ich glaube, das kann man sehr wohl nicht nur unterrichten, sondern auch praktizieren. Peter Senge stellt hierzu den Vergleich an zwischen der Reparatur von etwas, das zerbrochen ist und dem kreativen Akt, es ganz neu zu konzipieren. OE: Wie würden Sie iteratives Vorgehen und Prototyping schulen? MSH: Da kann ich folgende Tipps geben, die auch für die Architektur ihre Gültigkeit besitzen. Erstens, lösen Sie sich vom Konzept des Problemlösens, vom Festhalten am Bestehenden und dem Versuch, eine existente Situation modifizieren oder optimieren zu wollen. Eine derartige Herangehensweise kann sehr rasch zu Lösungen aus der Vergangenheit verleiten oder gar zu einer Betrachtung, in der die Realität zum Feindbild wird. Lassen Sie sich vielmehr auf einen umfangreichen Prozess ein, bei dem Sie das kreieren, was Sie im tiefsten Inneren intuitiv spüren oder wünschen. Zweitens, beginnen Sie in diesem Prozess mit sehr vagen Vorstellungen und bewegen Sie sich schritt weise zum Detail. Es hat einen Grund, weshalb man in der Architektur mit sehr großen Maßstäben wie 1:500 oder 1:200 beginnt und dann schrittweise in kleinere Maßstäbe wechselt und Details präzisiert. Man kann in großen Maßstäben schlicht weg keine Türklinken und Rahmen spezifizieren. D.h., nähern Sie sich in verschiedenen Maßstäben dem Thema. Das kann auch in der BWL gelehrt werden. Drittens, co-kreieren Sie mit Aktionären, Mitarbeitern oder Kunden Szenarien, Rollenspiele oder Modelle bei jeder weiteren Detailierungsphase, um die vage Vorstellung für alle Beteiligten schrittweise verständlich zu machen. OE: Design Thinking Schulung für Manager besteht also darin, eine Denkweise zu trainieren, Annahmen zu hinterfragen und den Kontext dessen, was man verändern möchte, zu erweitern. Nicht einfach wieder irgendeinen Bereich zu optimieren, der vielleicht bald obsolet wird. Und das, sagen Sie, das geht am besten durch konkrete Veränderungsprojekte, in denen diese Iteration praktiziert wird, in denen schnell vom Analysieren zum Gestalten übergegangen wird. MSH: Ja, es geht darum, eine Denkweise zu trainieren, die sich dem Schaffen von Möglichkeiten und nicht der Modifizierung von Existentem widmet. Sie haben gesagt: den Kontext erweitern. Ich gehe weiter und sage: den Kontext vergessen, alles ausblenden, und sich fragen: Wenn ich s mir wünschen könnte, was würde ich mir wünschen? Dabei sollte man das Ziel zuerst sehr vage formulieren und versuchen, diese vage Vorstellung dann in die Realität hinunter zu brechen. OE: Also können wir zum Abschluss zusammenfassen, dass Change Manager, die Design Thinking ausprobieren wollen, zwar vorerst ihren Kontext sehr gut verstehen müssen, um die Organisation dann auch mobilisieren zu können. Sie müssen aber auch in der Lage sein, diesen Kontext mindestens für eine Weile völlig zu vergessen, sich zu emanzipieren von der Ressourcenlage, um das Neue, das Wünschenswerte offen zu denken. Dann erst sollten sie in Schlaufen, wie Sie es genannt haben, wieder zurückkommen zu der eigentlichen Ressourcensituation. Denn wenn ich immer die aktuelle Ressourcensituation als Ausgangspunkt nehme, dann kann ich nie eine wirklich innovative Zukunft gestalten. MSH: Dann bin ich immer gefangen, richtig! OE: Herr Shamiyeh, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Das Interview führte unser Redakteur Martin J. Eppler. Prof. Dipl.-Ing. M.A. Michael Shamiyeh Leiter des Design-Organisation-Media (DOM) Researchlab sowie MBA-Leiter an der Austrian Business School Kontakt: shamiyeh@michaelshamiyeh.com OrganisationsEntwicklung Nr. 2 2012 35

OrganisationsEntwicklung Ihr Partner in allen Veränderungsprozessen Die Zeitschrift OrganisationsEntwicklung ist die einzige deutschsprachige Fachzeitschrift für Unternehmens- und Organisationsentwicklung sowie Change Management. Das viermal jährlich erscheinende Heft richtet sich an Unternehmensberater und Führungskräfte aus den Bereichen Unternehmensentwicklung, Personal, Weiterbildung und Organisation. OrganisationsEntwicklung berichtet über Planung, Gestaltung und Umsetzung strategischer und organisatorischer Veränderungsprozesse. Das damit verbundene Projekt- und Prozess- Management wird vielseitig beleuchtet, wobei stets eine gute Balance zwischen theoretischer Reflexion und Praxisnähe wichtig bleibt. Jeder Abonnent erhält einen kostenfreien Zugang zur Online-Datenbank mit allen Aus gaben der OrganisationsEntwicklung seit 1992. inkl. Datenbank Ihre exklusiven Abo-Vorteile: Jedes Quartal fundierte Fachbeiträge zu den aktuellen Fragen der Unternehmensentwicklung und des Change Managements Kostenloser Zugriff auf die Online- Datenbank www.zoe.ch mit allen Ausgaben ab dem Jahr 1992 Nützlicher Newsletter mit allen Themen der kommenden Ausgabe sowie praktischen Verlinkungen zu den Heftbeiträgen Vorzugspreis auf das CD-ROM-Archiv der OrganisationsEntwicklung Mehr Informationen: www.zoe.ch Rückseite ausfüllen, faxen und Vorteile sichern

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