Europäische Landschildkröten im Biotop: Zur Umsetzung der natürlichen Lebensweise in der Pflegepraxis

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Transkript:

Europäische Landschildkröten im Biotop: Zur Umsetzung der natürlichen Lebensweise in der Pflegepraxis von Horst Köhler, Friedberg Erfreulicherweise bereisen immer mehr Schildkröten-Autoren und auch -Liebhaber die natürlichen Verbreitungsgebiete der Landschildkröten und beobachten die Lebensweise und das Verhalten der dort wild lebenden Tiere. Bild 1: Auf dieser Aufnahme ist diese maurische Landschildkröte in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in der Südtürkei noch gut zu erkennen, doch auf vegetationslosen, nur mit Steinen übersäten Terrain (z.b. Bild 5) übersieht man die Tiere leicht. Doch wie viel von dem, was man im Biotop sieht, soll und darf man bei der Haltung im Garten oder auch im Terrarium umsetzen? Über diese Frage kann nämlich durchaus kontrovers diskutiert werden. Sicher scheint zu sein, dass sich nicht alle natürlichen Randbedingungen auf die Situation zuhause übertragen lassen. Ein typisches Beispiel ist die Weite des natürlichen Lebensraumes.

Bild 2: Hier finden Schildkröten viele verschiedene Geländetypen: im Hintergrund hohe Bäume und Vollschatten am Boden, davor eine Obstbaumplantage, die Halbschatten erzeugt und im Vordergrund eine offene Steppe mit vertrockneter Vegetation. Wenn ich Glück habe, finde ich auf dem rund 100.000 m 2 großen Areal am Tag drei bis vier Schildkröten. Wenn im Süden oder Südosten Europas eine Landschildkröte nach zwei Stunden Wanderung im Gelände immer noch auf keinen Artgenossen getroffen ist, dann ist dies etwas, was wir in unseren begrenzten Gehegen auch nicht annähernd realisieren können: selbst wenn sich ein Züchter den Luxus leistet, eine kleine aus nur drei Tieren (zwei Weibchen und ein Männchen) bestehende Zuchtgruppe auf einer gut strukturierten Fläche von zum Beispiel 500 m 2 mit vielen Versteckplätzen zu halten, wird ein paarungswütiges Männchen die beiden Weibchen schon nach kurzer Zeit aufgespürt haben und sie verfolgen. Notfalls wird der Züchter natürlich eingreifen und das Männchen entfernen bzw. von vornherein bis auf zwei oder drei Wochen im Frühjahr während der Paarungsperiode eine konsequente Geschlechtertrennung bei geschlechtsreifen Tieren vornehmen. Diese Maßnahme kennt die Natur nicht. Wir könnten aber nach meiner Meinung durchaus die Gehegegröße ohne schlechtes Gewissen verringern bzw. dafür zwei oder drei voneinander getrennte Areale für verschiedene Zuchtgruppen oder Schildkrötenarten anlegen. In der Natur gibt es Beispiele dafür, wie mitunter (zu) viele Individuen auf vergleichsweise engem Raum zusammenleben. Denken wir dabei an die Kolonie von zurzeit (noch!) etwa 100.000 Riesenschildkröten Dipsochelys dussimieri auf dem unbewohnten Aldabra-Atoll im Indischen Ozean. Da rund 95 % dieser Großreptilien auf der nur etwa 116 km 2 großen Teilinsel Grande Terre leben, trifft zwar rein rechnerisch auf eine Riesenschildkröte eine Landfläche von 35 x 35 m Größe, doch wegen teilweiser unzugänglicher Flächen und des Mangels an ausreichenden Schattenspendern (Sträucher, Bäume) ist in Wirklichkeit die tatsächlich bewohnbare Fläche kleiner. Noch deutlicher wird die Überpopulation, wenn man das ungefähre Gewicht der auf einer Fläche von 1 km 2 lebenden Riesenschildkröten errechnet: es sind 35 Tonnen/km 2, mehr als doppelt so viel als beispielsweise die Biomasse aller großer Säugetiere im Serengeti-Nationalpark in Tansania, Ostafrika [Devaux, 2008]. Die negativen Folgen sind unübersehbar: weiterhin abnehmende

Populationsgröße, geringer werdendes mittleres Lebensalter der Tiere auf dem Aldabra-Atoll, Körpergewicht und -Größe nehmen ab. Wie ist das also mit dem Vorbild Natur? Nicht alle Situationen im Biotop können für die heimische Pflege direkt übernommen werden. Im Gegensatz dazu können wir Schildkröten-Terrarianer bei anderen Punkten vom Vorbild der Natur viel lernen und übernehmen. Hierzu einige Beispiele aus dem Bereich der Zucht: Warum sollten Züchter die ausgegrabenen Schildkrötengelege in einem Inkubator in einem hellen Raum zeitigen, wo sich doch die Gelege in der Natur im Boden ohne jegliches Sonnenlicht entwickeln? Warum wird mitunter die Frage diskutiert, ob man die Eier eines Gelege vor der künstlichen Bebrütung reinigen soll oder nicht wo dies doch in der Natur auch nicht erfolgt? Oder, ein etwas heikler Punkt, den aber jeder Züchter für sich selbst entscheiden muss: soll man das auffällig kleinste Ei eines zweiten oder gar dritten Saisongeleges eines Schildkröten-Weibchens überhaupt ausbrüten und das geschlüpfte Tier mit zeitintensiver Einzeltierfütterung, Vitaminspritzen usw. hochpäppeln, wohl wissend, dass ein schildkrötenunerfahrener Käufer damit nicht glücklich werden kann? In der Natur kommen ohnehin nicht so viele Babys wie beim Züchter durch (Bild 3). Etwaige zurückgebliebene Schlüpflinge, so genannte Kümmerlinge, haben im Biotop keine große Überlebenschance, wenn sie es überhaupt geschafft haben, sich aus der tiefen Nisthöhle aus eigener Kraft an die Erdoberfläche zu arbeiten. Ich selbst werde jedenfalls kein Schildkröten-Ei ausbrüten, das deutlich kleiner als der Durchschnitt der anderen Eier ist: es sterben aufgrund meiner Umfrage bei Abnehmern ohnehin schon genügend Schildkröten-Babys innerhalb des ersten Jahres, so dass diese Verlustrate nicht auch noch durch kleinwüchsige Schlüpflinge mit möglicherweise nicht voll funktionstüchtigen inneren Organen vergrößert werden muss.

Bild 3: Eine knapp zweijährige Testudo graeca ibera hat hier frisches Grün entdeckt und frisst sich satt. Dies ist das kleinste Jungtier, das ich bei mindestens sechs Besuchen des gleichen Schildkrötenbiotops bisher fand. Schlüpflinge im ersten Lebensjahr leben sehr versteckt im feuchten Dickicht und sind kaum zu entdecken. Als ich im Frühjahr letzten Jahres mit den Arbeiten zu meinem Buch begann [Köhler, 2008a], stellte ich zunächst einmal generell alles infrage, was mir an Pflegeempfehlungen von anderen Autoren bekannt war und orientierte mich nur an der Situation in den natürlichen Lebensräumen der Landschildkröten und erst in zweiter Linie an meinen jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Haltung und Aufzucht dieser Tiere. Viele allgemeine Haltungsempfehlungen sah ich zwar bestätigt, eine Reihe anderer allerdings nicht.

Bild 4: Wenn ich so manche luxuriöse Schlafhäuschen bei Haltern von Landschildkröten sehe, dann geht es den bei uns gepflegten Tieren wirklich gut: hier eine natürliche Schildkröten-Schlafhöhle im Biotop von Testudo graeca ibera, die ich schon seit über 10 Jahren zum ersten Mal sah, die aber immer noch benutzt wird. Auf drei dieser Punkte darf ich hier kurz eingehen, siehe auch [Köhler, 2008a]: (1) Die Empfehlungen in dem deutlich überwiegenden Teil der vorhandenen populärwissenschaftlichen Schildkrötenliteratur, die Tiere bei der Innenhaltung oder bei der Pflege in Frühbeethäusern bzw. Gewächshäusern mit Wärmelampen so zu bestrahlen, dass im Lichtkreis der Lampe am Boden eine Temperatur von konstant 40 45 C oder noch höher entsteht, hält einen Vergleich mit der im natürlichen Verbreitungsgebiet vorhandenen Situation nicht stand. Natürlich treten im Sommer an heißen Tagen in den Mittagsstunden derartig hohe Werte auf, doch sich genau in diesen Stunden im freien Gelände sonnende Schildkröten dürfte man kaum finden es sei denn, es handelt sich um kranke oder sterbende Tiere. Dies ist eigentlich auch nicht allzu verwunderlich, denn Schildkröten-Körpertemperaturen von 40 C und mehr sind nicht gerade gesundheitsfördernd! Meine Carapax-Temperaturmessungen im Biotop an vielen dort vorgefundenen Schildkröten haben gezeigt, dass das Sonnenbaden spätestens dann ein Ende nimmt, wenn die Carapax-Temperatur über 32 C hinaus ansteigt (Bild 5).

Bild 5: Hier sitzt eine Testudo graeca ibera ungeschützt an der vollen Sonne, doch dieses Bild nahm ich Ende Mai um 10 Uhr auf, wie aus dem langen Schatten oben unschwer nachvollziehbar ist. Um 13 Uhr und entsprechend hohem Sonnenstand sind hier keine Schildkröten beim Sonnenbaden anzutreffen. Dann nämlich verziehen sich die Tiere in den Halb- oder Vollschatten. Genau das gleiche Verhalten zeigen übrigens auch meine eigenen griechischen und maurischen Landschildkröten: liegt in unseren Breiten die Tageshöchsttemperatur bei über 30 C (im Schatten gemessen), vergraben sich die Tiere sogar für mehrere Stunden im Substrat. Es erschließt sich mir deshalb nicht, warum bei der Haltung Besonnungstemperaturen von 35-40 C vorgeschlagen werden, auch wenn die Tiere die Möglichkeit haben (müssen), sich aus dem Wärme- bzw. Lichtkegel zu entfernen. In ähnlich kritischer Weise sehe ich so manche Empfehlungen zur UVB-Bestrahlung. Ich kann verstehen, dass aus nachvollziehbaren Gründen Industrie und Fachhandel gerne leistungsstarke und damit teure UVB-Spezialstrahler vertreiben. Doch selbst eine Kurzzeitbestrahlung mit einer starken 300-W-Lampe aus 80 cm ist etwas, was so in der Natur nie stattfindet, ganz abgesehen davon, dass die Tiere für eine derartige Bestrahlung aus ihren (oft zu niederen) Terrarien herausgenommen und in ein enges Behältnis gesetzt werden, aus dem sie nicht entweichen können. Tierschützer könnten sogar von Tierquälerei sprechen! Die UVB-Abgabe vieler dieser Speziallampen ist viel zu hoch [Köhler, 2008b], wohl deswegen, weil sich die Hersteller an den wenigen veröffentlichten maximalen UVB-Intensitäten der Sonne orientieren, die am Äquator während der Mittagszeit im Sommer und an einem

wolkenlosen Tag gemessen wurden. Ein UVB-Strahlungs-Level von beispielsweise 400 µw/cm 2 ist an solchen Tagen in äquatorialen Breiten durchaus typisch, aber nur, wenn mit dem Messinstrument direkt in die Sonne gemessen wird. Doch die Schildkröten bewegen sich am Boden in der niederen Vegetation oder im niederen Gras und erhalten dort eine deutlich geringere Dosis. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob man in Augenhöhe mit dem optischen Strahlmessgerät direkt in die Sonne misst oder ob man sich die Mühe macht, in die Knie zu gehen und das Instrument neben eine ruhende Schildkröte auf den Boden zu platzieren [Köhler, 2008b]. Außerdem leben unsere europäischen Landschildkröten nördlich vom Äquator: dort ist die solare UVB-Intensität wegen der schräg einfallenden Sonnenstrahlung geringer. Ein drittes Beispiel aus der Natur, aus dem wir lernen können, ist die saisonale Änderung in der Menge und Zusammensetzung der Schildkrötennahrung. Im Frühjahr und im Herbst, wenn die Vegetation noch bzw. wieder grün ist, fressen die in Freiheit lebenden Tiere frisches, fettes Wiesen- und Ackergrün. In diesen Monaten legen sie auch deutlich an Größe und Gewicht zu. Doch in den bekannten Schildkrötenländern Südeuropas ist die Vegetation zwischen Ende Mai und Ende September weitgehend vertrocknet (Bild 6). Bild 6: Von diesen kleinen Pflänzchen muss sich die wild lebende Schildkröte im Sommer ernähren. Was für ein Gegensatz zu den fetten Grünfutterportionen, mit denen der Halter seine Lieblinge verwöhnt. Vertrocknete Pflanzen enthalten zwar, weil ihnen das Wasser fehlt, mehr Protein (Eiweiß) als im Saft stehende Grünpflanzen, doch gilt diese Aussage nur bezogen auf die gleiche Pflanzenmasse von beispielsweise 100 g oder 1 kg. Daraus für unsere Haltung von Schildkröten zu folgern, in der heißen Jahreszeit besonders proteinreich füttern zu müssen, wäre also nicht richtig. Die Schildkröten finden nämlich im natürlichen Biotop gar nicht so viel Trockennahrung, dass man von einem Proteinüberschuss in der Nahrung in den Sommermonaten sprechen könnte. Angebracht ist es bei der Haltung, unsere Pfleglinge den Sommer über mit etwas weniger Futter zu verwöhnen und dabei eine Mischung aus Grün- und Trockenfutter (statt ausschließlich nur frisches, zartes Wiesengrün) anzubieten.

Wenn dieser Beitrag online gestellt wird, bin ich vielleicht mit weiteren Erkenntnissen schon wieder aus Südosteuropa zurück. Bild 7: Der Verfasser dieses Beitrages beim Vermessen einer maurischen Landschildkröte in der Türkei. Genau das gleiche Gebiet suche ich zur Durchführung eines kleinen Forschungsvorhabens Anfang Juni 2008 wieder auf. Alle Fotos vom Autor. Zu meiner Ausrüstung zählen unter anderem Thermoelement, Thermometer, Hygrometer, UVB-Radiometer, Maßband, Waage und natürlich Pinzette (zur Entfernung von Zecken an Schildkröten) und Fotoapparat. Literatur: Devaux Bernhard (2008): Die Aldabra-Riesenschildkröte Dipsocheyls dussumieri. Reptilia Nr. 70, Jahrgang 13(2), Februar/März Köhler Horst (2008a): Die Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys. Schildi- Verlag Augsburg, ISBN 978-3-00-023839-0 Köhler Horst (2008b): Die UV-BV-Bestrahlung von Landschildkröten: im Biotop und bei der Innenhaltung. Artikelserie www.schildi-online.eu/fachartikel