Predigt von Pfarrerin Elke Stamm am Sonntag Kantate, den 22. Mai 2011 in Straßlach und Icking: Kantate Singt! An diesem Sonntag Kantate halte ich gerne mal eine Predigt über ein Lied. Und welches Lied würde in dieser Jahreszeit, zu Beginn des Sommers, besser passen, als Paul Gerhardts Geh aus mein Herz und suche Freud, das wir gerade gesungen haben. Es ist eins der bekanntesten Lieder nicht nur in unserem Gesangbuch. Es ist längst zum Kulturgut geworden und findet sich auch in vielen Volksliedersammlungen. Für mich ist es immer ein besonderer Augenblick im Kirchenjahr, wenn das Wetter zu diesem Lied passt und ich es im Gottesdienst zum ersten Mal singen kann. Mir geht tatsächlich das Herz auf, wenn ich mir die Bilder vorstelle, die Paul Gerhardt uns hier vor Augen malt: 1.Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben, sich ausgeschmücket haben. 2. Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich decket seinen Staub mit einem grünen Kleide; Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide, als Salomonis Seide. 3. Die Lerche schwingt sich in die Luft, das Täublein fliegt aus seiner Kluft und macht sich in die Wälder; die hochbegabte Nachtigall ergötzt und füllt mit ihrem Schall Berg, Hügel, Tal und Felder, Berg, Hügel, Tal und Felder. 4. Die Glucke führt ihr Völklein aus, der Storch baut und bewohnt sein Haus, das Schwälblein speist die Jungen, der schnelle Hirsch, das leichte Reh ist froh und kommt aus seiner Höh ins tiefe Gras gesprungen, ins tiefe Gras gesprungen. 5. Die Bächlein rauschen in dem Sand und malen sich an ihrem Rand mit schattenreichen Myrten; die Wiesen liegen hart dabei und klingen ganz vom Lustgeschrei der Schaf und ihrer Hirten, der Schaf und ihrer Hirten. 6. Die unverdrossne Bienenschar fliegt hin und her, sucht hier und da ihr edle Honigspeise; des süßen Weinstocks starker Saft bringt täglich neue Stärk und Kraft in seinem schwachen Reise, in seinem schwachen Reise. 7. Der Weizen wächset mit Gewalt; darüber jauchzet jung und alt und rühmt die große Güte des, der so überfließend labt und mit so manchem Gut begabt das menschliche Gemüte, das menschliche Gemüte. 8. Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen; ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen, aus meinem Herzen rinnen
für meine Predigtgedanken und zum Predigtschreiben habe ich mir dieses Mal Plätze in der Natur ausgesucht. Ich will Sie nun mitnehmen auf eine Phantasiereise auf die Terrasse des Pfarrhauses. Wenn man von dem ein oder anderen Motorengeräusch auf der nahliegenden Straße zum Kloster mal absieht, ist das vorherrschende Geräusch das laute Zirpen der Grillen auf der Kuhweide vor mir. Die Vögel im Wald versuchen sie mit ihrem Gesang zu übertönen. Ein betörender Duft erfüllt die Luft: Der wohlriechende Jasmin hat seine ersten Blüten geöffnet. Und vor mir strahlen die vielen Blüten eines Clematis in dunklem Violett, dahinter leuchtet die Wiese in frischem Grün und rings um mich strahlen Blumen in allen Farben. Wer es bisher noch nicht wusste, ahnt es jetzt vielleicht: Ich bin eine begeisterte Gärtnerin, die Tochter eines Gärtners. Und mein Garten ist einer meiner liebsten Orte. Hier fällt es mir leicht, die Worte Paul Gerhardts nachzuempfinden. Hier geht mir das Herz auf. Hier empfinde ich auch große Dankbarkeit für die wunderbare Schöpfung Gottes. Die Welt Paul Gerhardts allerdings ist eine ganz andere! Umso erstaunlicher, dass er so ein Lied dichten kann und noch viele mehr, die eine ähnliche Stimmung wiedergeben: Der Grundtenor seiner Lieder ist das Lob Gottes. Die Welt, in der Paul Gerhardt das Lied schreibt, ist die Welt kurz nach Ende des dreißigjährigen Krieges. Er war 12 Jahre alt, als der Krieg begann. Er hat in seinem Leben solches Grauen, so schreckliches Leiden und so bittere Not erlebt Das ist für uns unvorstellbar. In einem Dank-Lied, das er zum Anlass des Friedensschlusses 1648 schrieb, beschreibt er die Not: Gott Lob! Nun ist erschollen das edle Fried- und Freudenwort, dass nunmehr ruhen sollen die Spieß und Schwerter und ihr Mord. Wohlauf und nimm nun wieder dein Saitenspiel hervor, o Deutschland, und sing Lieder in hohem vollen Chor. Erhebe dein Gemüte Zu deinem Gott und sprich: Herr, deine Gnad und Güte Bleibt dennoch ewiglich! Das drückt uns niemand besser In unser Seel und Herz hinein Als ihr zerstörten Schlösser Und Städte voller Schutt und Stein; Ihr vormals schönen Felder Mit frischer Saat bestreut, jetzt aber lauter Wälder und dürre wüste Haid; ihr Gräber voller Leichen und blutgem Heldenschweiß, der Helden, derengleichen auf Erden man nicht weiß. Eindrucksvoll beschreibt Paul Gerhardt hier die Folgen des Krieges. Und zugleich wird in diesem Lied deutlich, wie Paul Gerhardt mit dem Leid des Krieges umgeht, nämlich anders als viele seiner Zeitgenossen:
Auch Paul Gerhardt sieht sich - wie damals viele Menschen vor die Frage gestellt: Wenn es Gott gibt, warum geschieht dann so viel Böses? Er bemüht sich in seinen Liedern darum, eine Antwort zu finden. (Auch während des Krieges: da sind z.b. die Lieder Nun ruhen alle Wälder und Nun danket all und bringet Ehr entstanden.) Die Schuld an diesem Krieg weist er nicht Gott, sondern den Menschen zu, die die Frage nach Gottes Gerechtigkeit erst dann stellen H.J. Beeskow), wenn das Übel bereits geschieht. In der 4. Strophe seines Liedes Nun danket all und bringet Ehr formuliert er es so: Der (gemeint ist Gott), ob wir ihn gleich hoch betrübt, doch bleibet guten Muts, die Straf erlässt, die Schuld vergibt, und tut uns alles Guts. Menschen sind für die Kriege verantwortlich, und laden damit große Schuld auf sich. In seiner Gnade und Güte vergibt Gott die Schuld und tut uns Gutes. (H.J. Beeskow) Angesichts der grausamen Wirklichkeit, redet Paul Gerhardt von Dankbarkeit und Hoffnung. Während viele seiner Zeitgenossen in Trauer, Verzweiflung und Wut verharren, lädt er dazu ein, hinauszugehen mit dem Herzen und Freude zu suchen. Geh aus mein Herz und suche Freud! Nicht nur seine Zeitgenossen berührt er mit solcher Hoffnung auch für uns können seine Lieder Hoffnungsschimmer in dunklen Zeiten sein. Geh aus mein Herz und suche Freud! von einem Krieg in unserer Zeit erzählt Eva Demenski in ihrem Buch Gartengeschichten : Sie berichtet darin von einer Reise mit Schriftstellerkollegen nach Sarajevo nach Kriegsende 1996. Zerstörte Häuser undtausende von Gräbern prägen das Bild. Viele sind hier vom Krieg traumatisiert. Kaum einer scheint zum Leben zurückfinden zu können oder zu wollen. Doch da sieht sie eines Morgens eine Frau, die einen großen Philodendron in ein Haus auf der anderen Seite der Straße schleppte. Die Balkone ringsum sahen so aus, als könnten sie nicht einmal mehr einen Vogel tragen aber sie standen voller bepflanzter Töpfe. Ich erkannte kleine Tomaten und Rosmarin. Es waren Rudimente, Erinnerungen, Wiedererweckungen von Gärten, die man überall sehen konnte ( ) Jedes Petersilienbüschel war für mich ein Beweis für die Möglichkeit von Hoffnung. Auf der Suche nach Hoffnung fährt sie in die menschenleeren Dörfer und findet inmitten aller Trostlosigkeit, Zerstörung, Stille und Leere blühende Bauerngärten. Und schließlich, zuletzt, findet sie dort einen Menschen: Einen alten Mann, der auf der Bank vor einem halb verfallenen Haus inmitten eines blühenden Garten sitzt und ein Stück Speck verzehrt.
Ich hatte nie zuvor, schreibt sie, einen Menschen gesehen, der so ganz bei sich und für sich zu sein schien wie dieser alte Mann mit seinem Stück Speck, zwischen Trümmern und blühenden Gärten. Und sie erinner sich an Paul Gerhardts Lied und zitiert still für sich: und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben... Wenn Paul Gerhardt von der Hoffnung nach dieser Welt im reichen Himmelszelt singt, dann tut er es nicht in Abkehr von der trostlosen diesseitigen Welt. Sondern gerade aus der Freude am Diesseits, an der schönen Erde, die Gott uns schenkt, erwächst Vertrauen, Glaube und Hoffnung, dass die jenseitige Welt bei Gott erst recht noch um vieles schöner sein wird: Welch hohe Lust, welch heller Schein wird wohl in Christi Garten sein. Und in der nächsten (12.) Strophe heißt es: Doch gleichwohl will ich, weil ich noch hier trage dieses Leibes Joch, auch nicht gar stille schweigen; mein Herze soll sich fort und fort an diesem und an allem Ort zu deinem Lobe neigen, zu deinem Lobe neigen. Lob und Dank prägen die weiteren Strophen: Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über könnte man sagen: Der von Gott gesegnete Mensch, beschenkt mit den Gaben der wunderbaren Schöpfung Gottes, glaubt, bekennt und dankt und lobt Gott von früh bis spät: Paul Gerhardt lebt in dieser Haltung. Vielleicht hilft sie ihm, zu überleben, trotz allem. Trotz allem. Trotz allem dankbar sein und die Fröhlichkeit ins Herz lassen. Vielen Trauernden, Einsamen, Kranken fällt das schwer. im Altenheim, wo es viel Krankheit, Einsamkeit, Trauer und Angst gibt, scheint eine solche Haltung für viele fehl am Platze. Es gibt so vieles, worüber man traurig, wütend, verbittert sein kann. Dazu kommt die Angst vor dem Sterben. Es gibt Menschen dort, die nur noch weinen können, oder nur noch schimpfen oder ganz still geworden sind. Und es gibt andere: Die nicht aufgeben. Die trotzdem dankbar sind und froh sind für ihr Leben. Eine Frau lebt dort, die lächelt fast immer, wenn ich sie sehe. Sie kümmert sich liebevoll um die Traurigen, die Einsamen, die Wütenden, die Sterbenden. Und strahlt dabei eine umwerfende Fröhlichkeit aus. Obwohl ihr Schicksal schwer ist...
Sie hat mir einmal gesagt: Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, blicke ich zum Fenster raus. Dann sehe ich die Blumen auf meiner Terrasse und die Berge dahinter. Und dann freue ich mich und schicke dem lieben Gott ein Dankgebet in den Himmel. Dann wird mir gleich viel leichter ums Herz. mit der Dankbarkeit, die Paul Gerhardts Lieder vermitteln, kann uns auch leichter ums Herz werden, wenn wir unser Herz öffnen, hinausgehen und die Freude suchen, die Gott uns schenkt. Und seine Vergebung annehmen und befreit aufatmen, weil wir spüren, dass er uns so viel Gutes bereitet, trotz allem, was wir tun. In Str. 13 heißt es: Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe. Wie in allen seinen Liedern nimmt Paul Gerhardt auch in diesem Lied viele biblische Texte auf. Vor allem Jesu Gleichnisse und Psalmworte. Hier ist es ein Wort aus dem Alten Testament: Gott spricht zu Abraham: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein. Paul Gerhardt vermittelt diesen Zuspruch wieder in einem Bild der Natur. Und macht ihn für uns so begreiflich, bringt ihn uns nah: Gott sorgt dafür, dass ich wachsen, blühen und gedeihen kann und schließlich Früchte bringe. (Bild von Emil Nolde: Der große Gärtner. Liebevoll betrachtet Gott seine Blumen und Pflanzen und hegt und pflegt sie) Gott hilft uns zum Leben, zum Danken, zum Glauben und zum Handeln. Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir wird ein guter Baum, und lass mich Wurzel treiben. Mit allen Sinnen kann ich das Wirken Gottes in mir spüren und wachsen und stark werden wie ein Baum und fest verwurzelt stehen. Dann kann mich so leicht nichts umwerfen. Ich bleibe in Gottes Garten, ewig. Über das Leben auf dieser Erde hinaus, in Gottes Paradies darf ich an Leib und Seele grünen. Konsequent führt Paul Gerhardt seine Bilder weiter: Nicht nur der Geist und die Seele, auch der Leib wird ins Paradies eingehen. Die Blume, der Baum, die Pflanze darf weiter wachsen und blühen. Mit allen Sinnen Gott loben und daraus leben, will Paul Gerhardt. Und das Ich im Lied meint uns alle und lädt uns dazu ein. Amen.