VG Augsburg, Beschluss v. 23.03.2012 Au 7 S 12.371 Titel: Normenketten: VwGO 80 V StVG 3 I FeV 47 I 80 Abs. 5 VwGO 80 Abs. 3 S. 1 VwGO 47 Abs. 1 S. 1 FeV VwGO 80 V 80 Abs. 5 VwGO 80 Abs. 3 S. 1 VwGO 47 Abs. 1 S. 1 FeV VwGO 80 V Orientierungsatz: Langjährige Alkoholabhängigkeit mit Abstinenzphasen; Fahrerlaubnisentzug nach Rückfall; Regelfall der einjährigen Abstinenz und Nachweise Schlagworte: Fahrerlaubnisentzug, Alkoholabhängigkeit, Alkoholentzug, Fahreignung, Abstinenz, Gutachten Rechtsmittelinstanz: VGH München Beschluss vom 23.05.201211 CS 12.832 Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt. Gründe I. 1 Der Antragsteller wendet sich gegen den sofortigen Vollzug der Entziehung seiner Fahrerlaubnis. 2 Dem Antragsteller wurde am 1. Juli 1997 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 wieder erteilt. 3 Der Antragsteller ist seit ca. 1983 alkoholabhängig. 4
Von August bis November 2002 absolvierte er eine Entwöhnungsbehandlung in einer Fachklinik. Bis Mitte 2005 hat der Antragsteller abstinent gelebt, dann aber wieder Alkohol konsumiert. Vom 19. bis 29. Juli 2007 war der Antragsteller in stationärer Behandlung wegen des Alkoholproblems. 5 Am 7. August 2009 kam es nach einem Rückfall zu einer Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,94 Promille. 6 Durch Urteil des Amtsgerichts... vom 24. Februar 2010 wurde der Antragsteller deshalb zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,- EUR wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 5 Monaten angeordnet. 7 Am 20. April 2010 beantragte der Antragsteller die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B und BE. 8 Hierzu legte der Antragsteller vier Laboruntersuchungen aus dem Zeitraum vom 5. September 2009 bis 22. April 2010 vor, welche unauffällige Leberwerte aufwiesen. Am 6. Mai, 18. Mai und 8. Juli 2010 ließ der Antragsteller Urinkontrollen durchführen, welche negativ ausfielen. 9 Nach Aufforderung durch die Fahrerlaubnisbehörde legte der Antragsteller am 5. August 2010 ein medizinischpsychologisches Gutachten vor. Aus diesem geht hervor, dass es dem Antragsteller bewusst sei, dass er alkoholabhängig ist, es nicht möglich ist, kontrolliert zu trinken und er auf Alkohol verzichte. Der Rückfall sei als solcher erkannt und würde verarbeitet werden. Nach Ansicht der Gutachter ist die Alkoholabhängigkeit als überwunden anzusehen. Die Abstinenz sei hinreichend belegt. 10 Darauf wurde am 9. August 2010 dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B und BE wiedererteilt. 11 Am 5. September 2011 teilte die Abteilung Sicherheitsangelegenheiten des Landratsamts... der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass der Antragsteller am 19. August 2011 durch die Polizei in das Bezirkskrankenhaus (BKH)... eingewiesen wurde. 12 Vorausgegangen waren Äußerungen hinsichtlich einer Selbstgefährdung in einer Selbsthilfegruppe. Der Antragsteller hatte über einen Zeitraum von ca. vier Wochen nach dem Scheitern einer Beziehung wieder Alkohol zu sich genommen. Er habe bei Einlieferung in das BKH eine BAK von 0,3 Promille gehabt. Er habe täglich ca. eine halbe Flasche Cognac getrunken. 13 Der Antragsteller selbst führt auch an, er habe während dieser Phase Urlaub gehabt und mit seiner Zeit nichts anzufangen gewusst. Ein KFZ wurde in diesem Zeitraum vom Antragsteller nicht geführt. 14 Im BKH wurde auf eigenen Wunsch eine Entgiftung über sechs Tage durchgeführt. 15 Die Entlassung erfolgte am 24. August 2011 nach klarer Distanzierung von Selbstgefährdungsabsichten. Eine weiterführende Behandlung wurde angeboten, aber nicht angenommen. 16 Dem Entlassungsbericht ist zu entnehmen, dass der Alkoholrückfall auf einer psychosozialen Belastungssituation beruht. Es wurde eine Alkoholabhängigkeit (ICD-10 F10.20) nach der ICD-Klassifikation
psychischer Störungen diagnostiziert. Die Entlassung erfolgte in stabilisiertem Zustand, jedoch mit der Empfehlung einer langfristigen Stabilisierung in einer offenen suchtspezifischen Station. 17 Am 25. Oktober 2011 wurde der Antragsteller von der Fahrerlaubnisbehörde aufgefordert, bis 9. Januar 2012 ein fachärztliches Gutachten beizubringen, da Zweifel an der Fahreignung bestünden. 18 Das vorgelegte Gutachten des Herrn Dr.... vom 12. Januar 2012 bestätigt, dass nach der ICD-Klassifikation psychischer Störungen eine Alkoholabhängigkeit (ICD-10 F10.20) besteht. 19 Seit dem 19. August 2011 sei der Antragsteller abstinent und es liege aktuell kein Alkoholkonsum vor. Der Antragsteller bagatellisiere die Umstände, die zum Rückfall führten, jedoch nicht den Rückfall selbst. Der Antragsteller habe selbst die Überzeugung, abstinent bleiben zu müssen. 20 Der Gutachter führt allerdings aus, dass nach den Begutachtungsrichtlinien nicht von einer Abstinenz ausgegangen werden könne, da nach der Entgiftung in der Regel eine einjährige Abstinenz nachgewiesen werden müsse. Der Antragsteller sei daher noch nicht als zum Führen von Fahrzeugen geeignet anzusehen. Dies könne erst nach einer einjährigen, kontrollierten Abstinenz beurteilt werden. 21 Am 24. Januar 2012 teilte die Fahrerlaubnisbehörde ihre Absicht mit, die Fahrerlaubnis zu entziehen und gab dem Antragsteller Frist zur Stellungnahme hierauf. 22 Am 8. Februar 2012 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit, dass es richtig sei, dass das Gutachten zu dem Schluss kommt, dass eine Fahreignung nicht besteht. Allerdings sei von einer atypischen Fallkonstellation nach Nr. 3 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) auszugehen. 23 Der Antragsteller nimmt an einem Programm der... GmbH zum Nachweis der Alkoholabstinenz seit 31. Januar 2012 teil. 24 Am 21. März 2012 legte der Antragsteller eine Zwischenbescheinigung der... GmbH vom 16. März 2012 vor. Diese weist einen Ethylglucuronidwert nach CEDIA von 0,10 mg/l auf und sei als negativ anzusehen. Nach diesem Befund sei auf eine Alkoholabstinenz innerhalb von 2-3 Tagen vor der unangekündigten und unvorhersehbaren Urinabgabe am 7. März 2012 zu schließen. Eine Urinverdünnung durch übermäßige Flüssigkeitsaufnahme läge nach den ermittelten Kreatininwerten nicht vor. 25 Mit Bescheid vom 2. März 2012 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis in vollem Umfang (Ziffer I.1. des Bescheids) und verpflichtete ihn zur Ablieferung seines Führerscheins binnen 5 Tagen (Ziffer I.2. des Bescheids). 26 Für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung beim Antragsgegner abliefere, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- EUR angedroht (Ziffer I.3. des Bescheids). 27 In Ziffer II. des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer I.1. angeordnet. 28
Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers laut Empfangsbekenntnis am 7. März 2012 zugestellt. 29 Am 14. März 2012 ließ der Antragsteller von seinem Bevollmächtigten Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit dem Antrag, den Bescheid vom 2. März 2012 aufzuheben. 30 Weiter ließ der Antragsteller von seinem Bevollmächtigten am 14. März 2012 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg einen Antrag nach 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) stellen und beantragen, 31 die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids des Landratsamtes... vom 02.03.2012, Ziffer II. wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage angeordnet. 32 Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nicht überprüft worden sei, ob Eignungsmängel durch Rehabilitationsmaßnahmen hätten ausgeräumt werden können. 33 Eine Langzeittherapie sei erfolgreich durchgeführt worden, welche schon einmal zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis geführt habe. 34 Der erneute Alkoholkonsum im Jahr 2011 sei auf eine depressive Episode zurückzuführen. Der Antragsteller habe in dieser Phase aber kein KFZ geführt und dies vom Alkoholkonsum trennen können. Seit der damaligen Entgiftung, die auf eigenes Bestreben durchgeführt worden sei, lebe der Antragsteller abstinent und sei stabil. 35 Aus den Gesamtumständen sei daher auf eine atypische Fallkonstellation zu schließen. Es sei hier möglich und ausreichend, Abstinenznachweise zu fordern, zu denen der Antragsteller bereit sei. Der Bescheid sei daher unverhältnismäßig. 36 Das Gutachten gehe zu schematisch am Regelfall vor. 37 Die atypische Fallgestaltung zeige sich darin, dass trotz vierwöchigen Rückfalls von einer stabilen Alkoholabstinenz ausgegangen werden könne. In diesem Punkt würden das Gutachten und der Entlassungsbericht des BKH übereinstimmen. Es sei eine Verhaltensänderung eingetreten, da der Antragsteller über einen langjährigen Zeitraum seine Alkoholabhängigkeit meistern konnte. Es seien auch keine Verkehrsauffälligkeiten festgestellt worden. 38 Es liege nicht die typische Konstellation vor, dass ein Alkoholabhängiger nicht nur kurzfristig zurück falle und dann auch am Straßenverkehr teilnehme. 39 Der Antragsteller würde überdies seine Fahrerlaubnis benötigen, um zur Arbeitstelle zu gelangen. Aufgrund von Schichtarbeit sei es nicht möglich, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. 40 Ein Abstinenzprogramm mit Nachweisen sei ausreichend als Maßnahme. 41 Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 22. März 2012,
42 den Antrag abzulehnen. 43 Der Antragsgegner habe nach Alkoholabhängigkeit noch nicht die einjährige Abstinenz nachgewiesen. Die notwendige stabile einjährige Abstinenz und eine positive medizinischpsychologische Begutachtung seien nicht gegeben. 44 Diese sei hier auch zu fordern, da nicht vom Regelfall abzuweichen ist. Aufgrund der drei aktenkundigen Rückfälle sei die nun geltend gemachte Abstinenz nicht geeignet, einen atypischen Fall zu begründen. Eine mildere Maßnahme komme daher nicht in Frage. Dies sei auch schon im angegriffenen Bescheid erklärt worden. 45 Im Weiteren bezieht sich der Antragsgegner auf seine Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid. 46 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen. II. 47 Der Antrag war nach 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer I. 1. des Bescheids vom 2. Februar 2012 wiederhergestellt und gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Ziffer I. 2. ( 47 Abs. 1 S. 2 FeV) angeordnet werden soll. 48 Der in dem dargelegten Sinne ausgelegte Antrag nach 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig aber nicht begründet. 49 1. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs in den Gründen Ziffer IV. des Bescheids entspricht den formellen Anforderungen des 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommen, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (VG Augsburg vom 15. Dezember 2011 - Au 7 S 11.1644) 50 Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid dargelegt, warum er den Antragsteller als nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ansieht. 51 Das besondere öffentliche Interesse, bereits mit Zustellung des Bescheids die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr zu unterbinden, wird mit den nicht ausgeräumten Eignungszweifeln aufgrund der abstinenzbedürftigen Alkoholproblematik des Antragstellers begründet. Dieses öffentliche Interesse wurde mit den persönlichen Interessen des Antragstellers abgewogen. Dies genügt den Anforderungen des 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. 52 Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt; der Umstand, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl anderer Verfahren zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verwendet werden können, führt deshalb nicht dazu, dass ein Verstoß gegen 80 Abs. 3 S. 1 VwGO
vorliegt (st. Rspr., vgl. VG Augsburg vom 9.2.2011-7 S 11.25; BayVGH vom 10.3.2008-11 CS 07.3453 m. w. N.). 53 Der Begründungsfunktion, die Behörde zu gebotenen Überlegungen und Abwägungen zu zwingen, wurde damit Genüge getan. 54 In Bezug auf die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Anordnung in Ziff. I. 2. des Bescheides ( 47 Abs. 1 S. 1 FeV) ist eine Begründung nach 80 Abs. 3 VwGO nicht erforderlich. 55 2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit war nicht aufzuheben bzw. die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen, weil sich der streitgegenständliche Bescheid im Rahmen einer summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist. 56 Nach 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. 57 Bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist insbesondere auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Erweist sich die erhobene Klage in der Hauptsache im Rahmen einer summarischen Prüfung als offensichtlich erfolgreich, kann kein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides bestehen. Andererseits kann der Bürger kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten, aber auch ausreichend. 58 Unter Anwendung dieser Grundsätze war der vorliegende Antrag abzulehnen. 59 Die erhobene Klage erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als unbegründet, da der Entzug der Fahrerlaubnis (dazu a)) sowie die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (dazu b)) rechtmäßig sind und den Antragsteller nicht in seinen subjektivöffentlichen Rechten verletzen ( 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). 60 a) Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist 3 Abs. 1 S. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. 46 Abs. 1 FeV sowie Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV. 61 Demnach hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt nach 46 Abs. 1 S. 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. 62 An der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt es nach der Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV im Falle einer Alkoholabhängigkeit. Als alkoholabhängig wird in der Regel bezeichnet, wer die Kriterien der diagnostischen Leitlinien der Alkoholabhängigkeit nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 erfüllt. Waren die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen
Alkoholabhängigkeit, bei der die Fähigkeit zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen generell aufgehoben ist, nicht gegeben, so können sie nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn durch Tatsachen der Nachweis geführt wird, dass dauerhafte Abstinenz besteht. Hierzu ist in der Regel eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung mit anschließend mindestens einjähriger Abstinenz erforderlich, die mittels regelmäßiger ärztlicher Untersuchungen und Labordiagnostik nachgewiesen werden muss; weiterhin dürfen keine sonstigen eignungsrelevanten Mängel vorliegen. Diesbezüglich wird auch auf Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV hingewiesen. 63 Nach Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV gelten die vorgenommenen Bewertungen für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen sind möglich. Ergeben sich im Einzelfall in dieser Hinsicht Zweifel, kann eine medizinischpsychologische Begutachtung angezeigt sein. 64 Vorliegend ist eine Alkoholabhängigkeit (ICD-10 F10.20) nach der ICD-Klassifikation psychischer Störungen unbestritten und durch medizinische Gutachten belegt. 65 Zwar ist von einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung im August 2011 auszugehen. 66 Allerdings hat der Antragsteller noch nicht nachgewiesen, dass er nach der Entwöhnungsbehandlung im BKH... vom August 2011 ein Jahr lang alkoholabstinent gelebt hat. Zwar verlangt die Nummer 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung eine einjährige Alkoholabstinenz nur in der Regel. Ein Abweichen vom Regelfall ist vorliegend nicht angezeigt. 67 Es käme allenfalls eine Kompensation durch besondere Verhaltenssteuerung und -Umstellung in Betracht. 68 Die Kammer erkennt, dass diese hier zwar nicht völlig abwegig ist, verneint sie aber derzeit im Ergebnis aus folgenden Gründen. 69 Dem Vortrag des Antragstellers ist zu folgen, wenn er für sich eine mehrjährige Abstinenz anführt. Es ist auch positiv zu werten, dass bzgl. des letzten Rückfalls kein Zusammenhang zum Straßenverkehr herzustellen ist, er wohl die nötige Einsicht aufzeigt, sich nach Kräften bemüht und eine erste Zwischenbescheinigung vorlegt. Auch sieht die Kammer, dass dem Antragsteller die Möglichkeit, zur Arbeitstelle zu gelangen, erschwert sein wird. 70 Allerdings ist stärker zu gewichten, dass es sowohl in den Jahren 2011 als auch 2009 zu kurzen Rückfällen gekommen ist. In der Zeit von 2005 bis 2007 ist es zu einem längeren Rückfall gekommen. Es kam somit insgesamt in den zehn Jahren seit der ersten Behandlung und darauf folgender Abstinenzphase zu drei Rückfällen. In einem davon, 2009, wurde ein Kraftfahrzeug unter erheblichem Alkoholeinfluss geführt. Trotzdem hat der Antragsteller danach von der Fahrerlaubnisbehörde nochmals eine Fahrerlaubnis erteilt bekommen. 71 Aufgrund dieser Rückfälle und insbesondere der Alkoholfahrt vom 7. August 2009 geht die Kammer daher davon aus, dass besondere Kompensationen im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV beim Antragsteller nicht vorliegen. Der Nachweis einer langfristigen Abstinenz ist hier richtigerweise zu fordern. Der Regelfall gem. der Anlage 4 zur FeV mit seiner zeitlichen Anforderung an die Abstinenz ist gerade anzunehmen, wenn schon Rückfälle vorliegen.
72 Auch wenn der Antragsteller zunächst im Verfahren weitere für ihn positive Untersuchungsergebnisse im Rahmen der Teilnahme an einem Programm der... GmbH zum Nachweis der Alkoholabstinenz vorlegen würde, würden diese vor August 2012 noch nicht einen ausreichenden Zeitraum der Abstinenz belegen. 73 Die Fahrerlaubnisbehörde hat im Übrigen auch mitgeteilt, dass nach Nachweis der einjährigen Abstinenz eine Wiedererteilung möglich ist. 74 Der Bescheid verstößt aus diesen Gründen auch nicht gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. 75 b) Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins folgt aus 47 Abs. 1 S. 1 FeV und ist nicht zu beanstanden. 76 3. Auch eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zulasten des Antragstellers aus. Das Vollzugsinteresse überwiegt hier. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ableitbare Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und Fahrzeugen aller Art im Verkehr zu stellen (BVerfG vom 2.6.2002-1 BvR 2062/96). Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehung wird deshalb in der Regel nur dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das von dem Betroffenen ausgehende Gefahrenpotential nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt (BayVGH vom 1.4.2008-11 CS 07.2281). 77 Die weitere Kontrolle durch Urinproben würde nur nachträglich die Abstinenz belegen. Die Feststellung, dass der Antragsteller aber seine Alkoholabhängigkeit überwunden hat, ist so nicht im Voraus möglich. 78 Da beim Antragsteller Alkoholabhängigkeit vorliegt und er schon unter erheblicher Alkoholisierung ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt hat und hier die Abstinenz noch nicht langfristig belegt wurde, stellt die weitere Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wegen der schwerwiegenden Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern ausgehen, müssen daher die privaten Belange des Betroffenen gegenüber dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug zurückstehen. 79 4. Die Kostenentscheidung folgt 154 Abs. 1 VwGO. 80 5. Die Streitwertfestsetzung folgt 53 Abs. 2 Nr. 2; 52 Abs. 1 Nr. 1, 2 GKG und den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.). Hauptsachestreitigkeiten über eine Fahrerlaubnis für die Klassen B und BE sind nach den Empfehlungen in den Abschnitten II.46.3 und II.46.8 mit einem Betrag von 7.500,-EUR zu veranschlagen. Dieser Betrag ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß der Empfehlung in Abschnitt II.1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs zu halbieren.