Die großen Fragen Philosophie

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Transkript:

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite I Die großen Fragen Philosophie Simon Blackburn ist einer der angesehensten Philosophen unserer Zeit. Er lehrt als Professor für Philosophie an der Universität Cambridge und der Universität von North Carolina. Er ist Autor von Bestsellern wie Denken, Gut sein, Wollust, Wahrheit, The Oxford Dictionary of Philosophy und How to Read Hume.

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite II Die großen Fragen behandeln grundlegende Probleme und Konzepte in Wissenschaft und Philosophie, die Forscher und Denker seit jeher umtreiben. Anspruch der ambitionierten Reihe ist es, die Antworten auf diese Fragen darzustellen und damit die wichtigsten Gedanken der Menschheit in einzigartigen Übersichten zu bündeln. In der Reihe Die großen Fragen: Philosophie Physik Universum Mathematik

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite III Simon Blackburn Die großen Fragen Philosophie Aus dem Englischen übersetzt von Regina Schneider

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 4 Inhalt Vorwort 6 Bin ich ein Gespenst in der Maschine? 8 Von der Suche nach dem Bewusstsein Was ist das Wesen des Menschen? 18 Das Problem der Deutung Ist der Mensch frei? 28 Wahlmöglichkeiten und die eigene Verantwortung Was wissen wir? 38 Virtuelle Realitäten und wertvolle Autoritäten Bin ich ein vernunftbegabtes Tier? 48 Die Vernunft in Theorie und Praxis Wie kann ich mich selbst belügen? 57 Oder: Zu wahr, um schön zu sein Die Gesellschaft gibt es so etwas überhaupt? 66 Der Einzelne und die Gruppe Können wir einander verstehen? 76 Vom vorsichtigen Umgang mit Worten Können Maschinen denken? 85 Künstliche Intelligenz und kognitive Fähigkeiten Wozu gut sein? 94 (Un)gutes Verhalten und (un)gute Fragen

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 5 Inhalt 5 Ist alles relativ? 104 Probleme der Toleranz, Wahrheit und Überzeugung Vergeht die Zeit? 115 Der sonderbare Strom der Zeit Warum gehen die Dinge immer weiter und weiter? 124 Probleme der Konstanz und des Chaos Warum gibt es überhaupt etwas und nicht 132 vielmehr nichts? Die seltsamen Wege des Seins Was füllt den Raum aus? 142 Die eigenartige Natur der Dinge und ihrer Eigenschaften Was ist Schönheit? 150 Die fatale Anziehung der Dinge Brauchen wir einen Gott? 159 Hoffnung, Trost und Urteilsvermögen Wozu das Ganze? 169 Die Suche nach dem Sinn des Lebens Was sind meine Rechte? 177 Von positiven, negativen und natürlichen Rechten Müssen wir den Tod fürchten? 186 Der schreckliche Abgrund des Sterbens Anmerkungen 196 Große Philosophen 202 Index 204

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 6 Vorwort Die zwanzig Fragen, die ich für dieses Buch ausgewählt habe, gehören zu jenen, die wohl vielen Menschen in den Sinn kommen, ob jung oder alt. Sie scheinen sich ganz natürlich zu stellen, ohne große Überlegungen, und sie drängen nach Antworten. Die Philosophie jedoch scheint im Gegensatz zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen eher Fragen zu lieben, anstatt Antworten zu liefern. Es gibt in der philosophischen Tradition nur wenige allgemein anerkannte und endgültige Lösungen. Das mag für uns als akademische Philosophen bedauerlich oder auch beschämend sein, aber das braucht es gar nicht, wie ich finde. Denn dass es so wenige Antworten gibt, liegt teilweise daran, dass einige Fragen, die auf den ersten Blick simpel und unkompliziert erscheinen, in viele andere kleine, ebenfalls überlegenswerte Fragen zerfallen. So fragen wir etwa Wozu moralisch leben? oder Was ist der Sinn des Lebens? als würde die eine Antwort darauf gleich ums Eck warten. Aber vielleicht gibt es ja viele verschiedene Fragen: Wozu auf diese eine bestimmte Weise, in dieser einen bestimmten Situation und unter diesen oder jenen oder anderen Umständen moralisch sein? Welche von all den Dingen, die uns Menschen interessieren und beschäftigen, verdienen diese Aufmerksamkeit? Die eine große Antwort aber gibt es nicht. Es gibt nur viele Antworten in vielen verschiedenen Kontexten. Und dies zu erkennen, macht den Fortschritt aus. Wieder andere Fragen bergen versteckte Fallen. Die Frage Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? ist hierfür ein gutes Beispiel. Obgleich diese Frage bisweilen als die grundlegende Frage der Philosophie schlechthin betrachtet wird, so kann es dennoch sein, dass die Tiefgründigkeit sowie das Interesse, das sie zu erwecken vermag, das Artefakt eines logischen Streichs ist, der bewirkt, dass diese Frage unlösbar ist. Oder auch nicht: All dies sind Dinge, die wir behutsam angehen müssen, und nicht alle Philosophen wandeln auf dem gleichen Pfad. Aber das ist nichts, wie ich finde, worüber wir klagen oder beschämt sein müssen. In anderen Dingen, die für den Menschen eine Rolle spielen, denken wir ja auch nicht alle in die gleiche Richtung: Stellen Sie sich doch nur einmal vor, wie unterschiedlich sich eine politische Entscheidung oder ein Familienurlaub (oder ein Familienstreit) den unterschiedlichen Beteiligten oder Beobachtern darstellen mag. Shakespeare schrieb wunderbare Stücke über Liebe, Krieg, Angst, das Streben des Menschen und dergleichen mehr. Doch nie-

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 7 Vorwort 7 mand würde denken, er habe endgültige Antworten gegeben oder es gäbe nichts, was dem hinzuzufügen wäre. Ich will versuchen, den Leser vertraut zu machen mit einigen der großen Fragen, mit einigen Antworten und mit einigen Fallen und Tücken, die diese Fragen umgeben. Die zwanzig Fragen, die ich ausgewählt habe, folgen keiner bestimmten Reihenfolge. Nur die letzte habe ich wohlweislich ans Ende platziert, denn sie holt uns alle am Ende ein. Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossen, sodass Sie, werter Leser, an jeder beliebigen Stelle eintauchen können und sich, so hoffe ich, durch den ein oder anderen Querverweis anregen lassen, weiter durch die Seiten zu stöbern. Im 21. Jahrhundert setzt sich ein Trend fort, der sich bereits im vergangenen Jahrhundert abgezeichnet hat ein gewisser wissenschaftlicher Triumphalismus. Die Euphorie, die mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms eingesetzt hat, sowie die damit verbundenen glänzenden Aussichten auf unbegrenzten biologischen und medizinischen Fortschritt, haben eine Atmosphäre geschaffen, in der Geisteswissenschaften, wie die Philosophie, an den defensiven Rand geraten sind. Insoweit wir Philosophen versuchen, die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen, müssen wir fragen, ob die Philosophie damit nicht pensionsreif ist, überholt und ersetzt von der unaufhaltsamen Gewalt der stetig fortschreitenden Naturwissenschaften? In einer Reihe von Kapiteln reflektiere ich über die tatsächlichen Errungenschaften und Verheißungen der neuen Humanwissenschaften, wenn auch nicht immer mit einem so festen Vertrauen, wie es Andere diesbezüglich hegen mögen. Ich hoffe, dass die angeführten Gründe wenigstens ein paar Zweifel aufkommen lassen und dass sie den Einen oder Anderen in die Lage versetzen, sich den schwierigen Fragen, wie wir denken und fühlen, wie wir denken und fühlen sollten, mit angemessenem Respekt zu nähern. Großen Dank schulde ich meiner Agentin Catherine Clarke und meinem Lektor Wayne Davis für ihre unermüdliche Unterstützung. Und wie immer danke ich auch meiner Frau, deren redaktionelle und literarische Hilfe von unschätzbarem Wert war. Im Jahr 2008 bewilligte mir die University of Cambridge ein Sabbatjahr, in dem ich Zeit und Muße fand, etliche der Kapitel zu diesem Buch zu schreiben, während die University of North Carolina in Chapel Hill mir zur gleichen Zeit einen Lehrstuhl für meine Arbeiten einrichtete. Beiden Universitäten bin ich überaus dankbar.

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 76 Können wir einander verstehen? Vom vorsichtigen Umgang mit Worten Ganz offensichtlich können wir einander verstehen. Könnten wir es nicht, könnten Sie diese Zeilen hier erst gar nicht lesen. Wir verstehen einander zumindest weitgehend, weil wir eine gemeinsame Sprache teilen. Worte tragen eine Bedeutung, und wenn wir miteinander kommunizieren, nehmen wir die Bedeutung der Rede des Anderen auf. Genau das bedeutet Verstehen. Gemeinschaftliche Unternehmungen bekräftigen das gegenseitige Verstehen zudem, und zwar auf zahllose und unmerkliche Arten und Weisen: Wenn wir uns für elf Uhr an der Universitätsbibliothek verabreden, klappt das in aller Regel. Es würde nicht klappen, wenn wir die Verabredung nicht verstünden. Ideen und Handlungen So weit, so gut. Doch mit dem Verweis auf eine gemeinsame Sprache ist unsere Ausgangsfrage nicht beantwortet. Wie kommt es, dass Sie und ich die Wörter und Sätze unserer gemeinsamen Sprache auf die gleiche Weise verstehen? Wie kommt es, dass wir sie überhaupt verstehen? Ein Vorschlag wäre, dass Wörter Ideen bzw. innere Vorstellungen auslösen. Und die Ideen, für die sie stehen, machen ihre unmittelbare Bedeutung aus. Wenn nun die Idee in meinem Kopf mit der in Ihrem übereinstimmt, dann verstehen wir einander. John Locke hat diesen Vorschlag gegen Ende des 17. Jahrhunderts erstmals formuliert: Die Wörter vertreten also ihrer ursprünglichen oder unmittelbaren Bedeutung nach nur die Ideen im Geiste dessen, der sie benutzt. Locke sagt, dass Wörter unmittelbar die Zeichen für die menschlichen Ideen (sind), mit denen sich die Menschen ihre Vorstellungen mitteilen

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 77 und füreinander die Gedanken und Auffassungen zum Ausdruck bringen. Wörter ermöglichen es, einen kurzen Blick in das private Kabinett eines Redenden zu erhaschen, zu dem nur der Redende selbst freien Zugang hat. Allein die Frage, wie Locke den Begriff der Idee genau versteht, sorgt für einige Kontroversen. Klar ist nur, er bewegt sich damit auf sehr dünnem Eis. Nehmen wir einmal an, eine Idee wäre eine Art Können wir einander verstehen? 77 Turm von Babel, Abel Grimmer (1570 1619) private Reproduktion oder Repräsentation einer Szene. Bezogen auf unser Beispiel der Verabredung sehe ich vielleicht das Bild der Uni-Bibliothek vor meinem geistigen Auge, und Sie verstehen mich, weil sich, durch meine Worte angeregt, ein entsprechendes Bild in Ihrem Geiste formt. Doch dies kann als Erklärung nicht genügen. Wir mögen das gleiche Bild im Kopf haben, aber sofern wir dieses Bild in unserer Interpretation nicht auf die Uni-Bibliothek beziehen, besteht kein Anlass, uns dorthin zu begeben. Das Problem ist recht allgemein und nicht von einer besonders bildlichen Auffassung der Ideen abhängig. Es besteht darin, dass diese Theorie unauffällig eine Mittlerinstanz postuliert, ein repräsentierendes, ein vermittelndes Medium. Dieses zu interpretieren jedoch, ist an sich schon eine Verstehensleistung. Beispiel: Die Tatsache, dass Sie ein Portraitgemälde betrachten, garantiert nicht, dass Sie an die Person denken, die dafür Modell gesessen hat oder gar, dass Sie die Person kennen. Ein Gemälde überhaupt als ein Portrait zu deuten, ist eine Verstehensleistung (oder eine Missverstehensleistung, falls es sich dabei gar nicht um ein Portrait handelt). Insofern beinhaltet die Theorie im Grunde einen Regress: Wir verstehen Wörter, indem wir sie mit Ideen in unserem Geist assoziieren. Aber wie kommt es, dass wir die Ideen verstehen können? Schließlich muss es irgendwann doch einen Durchbruch geben: Der Fokus der Aufmerksamkeit muss von der Idee in unserem Geiste zu der Universitätsbibliothek wechseln. Die gemeinsam abgestimmte Handlung nämlich, uns zur Bibliothek zu begeben, demonstriert, dass wir einander verstanden haben.

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 78 78 Können wir einander verstehen? Wie man eine Blume holt Das folgende Beispiel zeigt, dass die Präsenz einer Idee in unserem Geist für das Verstehen allein nicht genügen kann. Es ist noch nicht einmal notwendig, wie Ludwig Wittgenstein in einem sehr schönen und knappen Argument zeigt. Er denkt sich eine Person, die auf Geheiß einer anderen Person eine rote Blume von einer Wiese holen soll und bringt das Problem damit buchstäblich zur Sprache: Wie kann diese Person wissen, was für eine Blume sie holen soll, wo sie doch bloß ein Wort mit auf den Weg bekommen hat? Als Antwort darauf schlägt er vor, dass sich die Person zunächst mit einem geistigen Bild von einer roten Blume auf den Weg macht, um nach einer roten Blume zu suchen, das auf dieses Bild passt: Doch das ist nicht die einzige und nicht die gewöhnliche Art zu suchen. Wir gehen, sehen uns um, gehen auf eine Blume zu und pflücken sie, ohne sie mit irgendetwas zu vergleichen. Um zu sehen, dass der Vorgang, dem Befehl zu gehorchen, so sein kann, betrachte den Befehl Stelle dir einen roten Fleck vor. In diesem Fall bist du nicht versucht zu denken, dass du dir, bevor du dem Befehl gehorchst, einen roten Fleck vorgestellt haben musst, der dir als Muster für einen roten Fleck dient, den du dir aufgrund des Befehls vorzustellen hast. Ein wunderbares Totschlag -Argument. Es macht jede Theorie zunichte, die eine Mittlerinstanz postuliert: ein drittes Gebilde, das zwischen dem bloßen Wort und der Bibliothek selbst steht. Denn wir müssten wissen, dass wir das richtige Medium haben. Und wir müssten es zu deuten wissen, damit wir es nutzen können, um zur Bibliothek zu gelangen. Jede einzelne dieser Leistungen ist so rätselhaft wie die geistige Fähigkeit des Verstehens, die wir uns zu erklären vorgenommen haben. Daher wollen wir uns von dieser Mittlerinstanz hier verabschieden. Welche Alternativen gibt es noch? Wie wir in Kapitel 1 dieses Buches (h Bin ich ein Gespenst in der Maschine?), wo es um das Bewusstsein geht, gesehen haben, bringt es auch nichts, einen direkten Blick in das Gehirn zu werfen. Nehmen wir an, Neuron X zeigt eine beachtliche Aktivität, wenn wir unserer Person befehlen, eine rote Blume holen zu gehen (das ist zwar grob vereinfacht ausgedrückt, aber unserem Argument dienlich). Möglicherweise stellen wir auch fest, dass unsere Person nicht imstande ist, dem Befehl zu gehorchen, wenn Neuron X neutralisiert und gezwungen wird, inaktiv zu bleiben. Dies wiederum könnte uns dazu bringen, Neuron X für die Repräsentation der roten Blume zu halten. Aber was sollte Neuron X mit dem Bild einer roten Blume zu tun haben, abgesehen davon, dass es die eigentliche Handlung unterstützt oder auch nicht? Es

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 79 gibt keine magische Projektion, die diesen Teil der grauen Materie mit der roten Blume als Begriffsklasse verbindet (hkönnen Maschinen denken?). Stattdessen müssen wir uns das inhaltliche Begreifen, das Verstehen im geistigen und interpretativen Sinne, als etwas vorstellen, das in der Außenwelt der handelnden Person sichtbar werden kann. Das heißt, es kann sich in seinen Handlungen manifestieren (im Pflücken der roten Blume oder im sich-auf-den-weg-machen zur Uni-Bibliothek). Doch es gibt einen Unterschied. Ich kann die Wörter eines Befehls verstehen und ihn zur Ausführung bringen oder auch nicht. Im ersten Fall verstehe ich den Befehl als eine Handlungsaufforderung, im zweiten Fall verstehe ich nur eine Lautfolge. Natürlich kann ich auf die Wörter nun flexibel reagieren: Ich mag den Befehl sehr wohl verstanden haben, habe aber keine Lust, ihn auszuführen. Aber dann weiß ich eben, was ich nicht mache, und das wiederum kann als Impuls für weitere Handlungen dienen (beispielsweise Ausflüchte machen oder Ausreden erfinden). So können wir uns ein Wort vorstellen als etwas, das ein Aktivierungsmuster auslöst, das im Gehirn beginnt, wo es in bereits Vorhandenes integriert wird in neuronale Mechanismen, die allen durch Erfahrung abgelegten Informationen zugrunde liegen, und in etwaigen Handlungen zum Abschluss findet. Dieser Prozess schließt ein stilles Verstehen nicht aus. Man kann eine Information auch in sich aufnehmen und passiv bleiben. Aber dafür ist das System eigentlich nicht gedacht. Mit dem Verstehen ist es wie mit der Motorleistung eines Rennwagens: Der Motor mag im Leerlauf laufen, doch seine volle Leistung zeigt sich erst, wenn ein Gang eingelegt ist. Das Problem der Madeleine Bassett Können wir einander verstehen? 79 Wir verstehen einander in der Tat. Doch schon trübt ein weiteres Problem diesen heiteren Optimismus. Meine Erfahrungen und Erinnerungsspuren sind völlig andere als die Ihren. Wenn Sie mir in Ihren eigenen Worten etwas sagen, dann ähnelt das Ereignismuster in meinem Gehirn wohl kaum dem Ihren. Wenn eine dritte Person uns beiden einen Befehl erteilt, mögen Sie gewillt sein, ihm zu gehorchen, während ich es nicht bin. Es kann sein, dass Sie in Tränen ausbrechen, weil Wörter wie Universitätsbibliothek oder rote Blumen Sie an ein bestimmtes Erlebnis erinnern, während ich damit kein Problem habe. Der ziemlich chaotische Gesamtzustand unserer neuronalen Erregungsmuster wird auf zahllose Arten und Weisen extrem auseinanderklaffen. Noch einmal die Frage: Können wir überhaupt

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 80 80 Können wir einander verstehen? irgendeine Form der Gleichheit des Verstehens finden? Wenn Wörter uns ganz willkürlich in völlig andere Richtungen lenken, wie können wir sie dann als unveränderliche Bedeutungsträger betrachten? Wenn wir Wörter auf individuell leicht oder drastisch unterschiedliche Weise begreifen, warum sollten wir dann überhaupt von einer eigenständigen Bedeutung und von gegenseitigem Verstehen ausgehen? Dieser Gedankengang kann sicherlich leicht in Pessimismus hinsichtlich stabiler und gemeinsam geteilter Bedeutung münden. Wie ich finde, muss er das allerdings nicht. Wenn Sie in Tränen ausbrechen, sobald jemand von roten Blumen spricht und ich nicht, so mag das daran liegen, dass diese Wörter Sie, sagen wir mal, an die Beerdigung Ihres Liebsten und an das Meer der vielen roten Blumen erinnern. Für Sie haben die Wörter damit ihre Funktion erfüllt und Ihre gedankliche Aufmerksamkeit auf rote Blumen gelenkt. Was in der Folge passiert, ist lediglich ein optionales Zusatzereignis, das allerdings nichts der Tatsache anhaben kann, dass wir beide, Sie und ich, die Wörter im gleichen Sinn aufgenommen haben. Für dieses einfache Beispiel, wo wir zwischen Wortbedeutung und Assoziation sehr gut unterscheiden können, mag das eine passende Erklärung sein. Was aber, wenn Gedankenfolgen nicht bloß Assoziationen sind? Wenn Sie, nicht aber ich, in dem Gesagten nicht explizit ausgedrückte, aber doch darin enthaltene Bedeutungsinhalte auszumachen vermeinen? An dieser Stelle kann Verstehen verwirrend werden, in der Tat. Doch gehen wir einmal davon aus, dass Sie sich genau wie Madeleine Bassett eine Figur in Geschichten des britischen Schriftstellers P.G. Wodhouse die Sterne als Gottes Gänseblümchenkranz denken, an dem jedes Mal, wenn sich eine winzige Märchenfee sich das Näschen schnäuzt, ein neues Blümchen wächst. Ob Sie mich wirklich verstehen, wenn ich davon erzähle (oder ich Sie), wird damit noch ein Stück weniger klar, obgleich es ganz so scheint: Wenn eine dritte Person in einer besonders klaren Nacht zu uns beiden sagt, Oh, seht mal hinauf zu den Sternen!, dann schauen wir beide in die gleiche Richtung. Und wenn ich in der Lage bin, Ihnen zu sagen, dass Sie sich irren, dass Sterne keine Gänseblümchen sind, die Ihrer Ansicht nach wachsen, wenn sich eine Märchenfee das Näschen schnäuzt, dann müssen wir eine ganze Menge an Bedeutungen gemeinsam haben. Wenn wir es schaffen, in die gleiche Richtung und auf die gleichen Dinge zu schauen (selbst wenn Sie über diese Dinge eigenartige Ansichten haben), dann steht zumindest zu vermuten, dass wir einander verstehen (so wie im Beispiel unserer Verabredung an der Universitätsbibliothek).

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 81 Ob Wörter überhaupt eine Bedeutung haben können, die man miteinander teilen kann, war insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Philosophen sehr umstritten. Es herrschte die Ansicht vor, dass die so radikal andere Betrachtungsweise von Madeleine impliziere, dass das, was sie meinte, mit dem von mir Gemeinten absolut nicht vergleichbar sei und wir somit in völlig anderen Gedankenwelten lebten. Jegliche Erscheinungsform von Kommunikation zwischen uns beiden wäre damit bestenfalls eine fragile Zufallsbegebenheit, die sich im weiteren Ereignisverlauf als zufällig und unsolide erweisen würde. Das hieße in der Folge, dass die Bedeutung der Wörter weitgehend eine Privatsache würde. Wenn ich Ihre Worte auslege und deute, geschieht dies nach meinen Begriffen. Indem ich die Welt durch meine eigene Brille sehe, gehe ich davon aus, dass Sie sie genau so sehen und interpretiere Sie entsprechend. Ob wir nun Wissenschaftsgeschichte schreiben, Literatur, Anthropologie oder Geschichte studieren, wir werden immer unsere eigenen Bedeutungen in die Dinge hineininterpretieren. Wir werden Bedeutungen eher konstruieren als sie entdecken, indem wir Wörter oder andere Subjekte nach unserem Verständnis formen. Insofern erinnert die Interpretation an eine Art Annexion oder Kolonisation, eine imperiale Anstrengung mit dem Ziel, die Begriffsfelder der Anderen niederzutrampeln und sie in das eigene Gedankenreich zu zwingen. Chaotische Systeme? Können wir einander verstehen? 81 Das soll nicht heißen, dass diese Reiche in diesem etwas melodramatischen Bild stabil wären. Ich mag heute sagen, was ich meine und meinen, was ich sage, aber wie werde ich meine Worte morgen verstehen? Wenn ich sie in einem Tagebuch niederschreibe, ist nicht garantiert, dass mein zukünftiges Ich sie auf die jetzt gemeinte Weise begreift. Es hat bis dahin sein eigenes holistisches Bedeutungssystem entwickelt. So wie das Gehirn meines zukünftigen Ichs neue neuronale Verbindungen ausgebildet und andere verloren haben wird, werden meine Gedanken in der Zukunft zwar nicht mehr meine Gedanken von heute sein, so doch aber Abkömmlinge davon, die mehr oder weniger geeignet sind, mich als die Person, die ich heute bin, zu interpretieren. Trübe Aussichten, in denen nichts stabil, sondern alles veränderlich ist. Selbst die Idee, dass Wörter, hier und jetzt, wahre Bedeutungen haben, beginnt sich damit aufzulösen. Wenn ihre Bedeutung für ein und dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten nicht die gleiche ist, oder für verschiedene Personen zur gleichen Zeit, wie können wir dann

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 82 82 Können wir einander verstehen? überhaupt von ihrer wahren Bedeutung sprechen? Nun will ich etwas sagen, aber was könnte es denn überhaupt wahr machen, dass es eine bestimmte Sache bedeutet und nicht eine andere? Interessanterweise ist dieser Gedankengang so alt wie Heraklit, der einst die berühmten Worte gesprochen hat: Man kann nicht zweimal in den selben Fluss steigen denn das Wasser zerstreut sich und geht wieder zusammen. Es kommt heran und geht wieder weg. Nach Aristoteles fand Heraklits Anhänger Kratylos dieses Bild, das alles Seiende mit einem strömenden Fluss vergleicht, derart problematisch für die Vorstellung von stabilen Bedeutungen, dass er fortan verstummte und nur noch mit den Fingern kommunizierte. Aber kehren wir diesem Abgrund des Zweifels den Rücken. Wie immer besteht die beste Verteidigung gegen den Skeptizismus darin, uns an vertrautere Fälle zu erinnern. Innerhalb unseres eigenen Erfahrungsraums, wo gelernte und bewährte Verstehensmuster regieren, kennen wir uns aus, und es fällt uns leicht, zu koordinieren, zu kommunizieren und intelligent zu handeln. Der Fehler besteht darin, nicht einzusehen, dass ein stabiles und gegenseitiges Verstehen möglich ist, und das trotz der gewaltigen Variationsbreite neuronaler Vorgänge und anderer Dinge und trotz der unterschiedlichen Theorien, die wir vertreten. Im Jargon der Philosophie ausgedrückt: Die gleichen Gedanken können variabel realisiert werden, so wie das gleiche Programm auf verschiedenen Computern variabel ausgeführt werden kann, oder auf einem Computer zu verschiedenen Zeiten. Ich habe keine Ahnung, ob die Schaltkreise, die das Word-Programm auf meinem Computer ausführen, der hier bei mir zu Hause steht, die gleichen sind wie die auf dem Vorjahresmodell in meinem Büro. Und das muss ich auch gar nicht wissen. Wenn wir uns vor der Universitätsbibliothek verabreden, dann reicht es völlig aus, wenn wir das gemeinsame Vorhaben zur Ausführung bringen. Ich muss nicht wissen, was außerdem in Ihrem Geist gespeichert sein mag und noch weniger, wie Ihr unentwegt arbeitendes Gehirn die Wörter verarbeiten kann. So lange am Ende das Ergebnis so ist, wie es sein soll, ist alles in Ordnung. Humpty Dumpty und Davidson Wir müssen uns folglich auch gegen die Ansicht wenden, Bedeutung sei lediglich eine Privatsache. Die allererste Verstehensübung ist sozialer, nicht privater Natur. Über die Kommunikation mit Anderen gelangt Sprache in den sich entwickelnden Geist. Wir alle zusammen legen fest, was in unse-

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 83 Können wir einander verstehen? 83 rer Sprache ein Wort ausmacht. Verwendet jemand ein Wort in einer Bedeutung, die von der allgemein anerkannten Bedeutung abweicht, wird er berichtigt. Genau dies bemerkt Humpty Dumpty nicht, wie die folgende berühmte Passage aus Alice hinter den Spiegeln zeigt: Da hast du Ruhm! Ich weiß nicht, was du mit Ruhm meinst, sagte Alice. Humpty Dumpty lächelte verächtlich. Natürlich nicht bis ich es dir sage. Ich meinte: Da hast du ein schönes zwingendes Argument! Aber Ruhm heißt doch nicht schönes zwingendes Argument, entgegnete Alice. Wenn ich ein Wort verwende, erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes. Die Frage ist doch, sagte Alice, ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst. Die Frage ist, sagte Humpty Dumpty, wer die Macht hat und das ist alles. Humpty Dumptys Fehler besteht darin, vorauszusetzen, dass Wörter sich entweder selbst interpretieren, was sie ganz klar nicht tun, oder, dass er ihnen nach Belieben eine Bedeutung zuschreiben kann. Einmal mehr ist die Wahrheit hier eine andere, nämlich die, dass wir alle als soziale Gemeinschaft ihnen eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben haben. Das Kind erlernt seine Muttersprache, indem es in eine soziale Praxis eingewiesen wird. Und dadurch wird sein Geist zu einem Spiegel seiner Umwelt. Wie wir bereits kurz angerissen haben (hwie kann ich mich selbst belügen?), gehört Donald Davisdon zu einem der schärfsten Kritiker des Bedeutungsskeptizismus. Davidson bezweifelt, dass das pessimistische Gerede von verschiedenen Menschen oder verschiedenen Gruppen mit verschiedenen Begriffsschemata überhaupt irgendeinen Sinn ergibt. Er verweist auf die große Menge an Gemeinsamkeiten, was es uns überhaupt erst ermöglicht, einander zu verstehen. Sogar lokale begriffliche Abweichungen sind uns verständlich, wie beispielsweise das gelegentlich verwendete italienische Wort simpatico, für das es kein englisches Äquivalent gibt, sprich, das gleiche Wort simpatico. Doch für solche Fälle haben wir Notlösungen parat. Wir können etwas unbeholfen vielleicht und sehr ausführlich erklären, was das italienische Wort meint. Wissenschaftshistoriker können uns genau sagen, was die Menschen früher damit meinten, wenn sie mit Konzepten wie Phlogiston oder Lebenskraft arbeiteten. Laut Davidson können wir das, was Andere sagen, nur auslegen und deuten, wenn wir sie als Teil unserer Welt betrachten und wir viele gemeinsame Ansichten teilen. Das wiederum bedeutet, so Davidson, dass sich hier ein ziemliches Dilemma auftut, welches der Idee von verschiedenen begrifflichen

Blackburn_Umbruch.qxd 23.09.2010 11:27 Uhr Seite 84 84 Können wir einander verstehen? Schemata hart entgegenschlägt. Entweder wir schaffen es, mit anderen Menschen auf eine Ebene zu gelangen, ihre Wörter in ihrer Bedeutung richtig auszulegen und zu verstehen. Oder falls nicht, verwirken wir jegliche Möglichkeit, sie überhaupt als denkend zu betrachten. Wir würden bei den anderen jedes Gespür, jede Wahrnehmung eines regen Geistes verlieren und wären damit lediglich darauf reduziert, ihre Bewegungen und Handlungen wahrzunehmen. Ganz so, wie wenn Wörter so wirr sind, dass sie jegliche Bedeutung verlieren und bloßes Gebrabbel werden. Davidsons Ansichten über die Methodik der Deutung und Interpretation sind sehr erhellend und weithin anerkannt. Trotzdem wird das von ihm aufgeworfene Dilemma die Verfechter von Ideen über nicht kommunizierbare Begriffsschemata wohl nicht zum Verstummen bringen. Natürlich könnten wir sagen, dass niemand sich in einem Anderen wiederfinden kann. Wir können nicht einmal eine Vermutung wagen, was im Geist des Anderen vor sich gehen mag. Aber den Fehler bei den Anderen zu suchen, nur weil wir nicht in ihre Köpfe schauen können, scheint vermessen. Es könnte doch auch unser eigener Fehler sein oder vielmehr unsere eigene Beschränktheit? So zum Beispiel, wenn wir uns in die Welt der Wale und Delphine begeben. Diese Lebewesen koordinieren und kommunizieren ganz offenkundig, aber wir kennen uns in ihrem Reich, in ihrer Erfahrungswelt, viel zu wenig aus, als dass wir die Bedeutung ihrer Signale auch nur erahnen könnten. Und ob wir es jemals könnten, ist keineswegs sicher, da ihre Interaktionsformen so völlig anders sind als die menschlichen. (Wie sagte Wittgenstein einmal? Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir würden ihn nicht verstehen.) Und so können wir uns nur wundern und fragen und das zu Recht, wie ich finde, ob es sich hierbei wirklich einfach nur um eine notwendige Beschränkung unserer Möglichkeiten handelt, das Tierreich besser verstehen zu lernen. Glücklicherweise sind in der menschlichen Natur der Spezies Mensch genügend Gemeinsamkeiten vorhanden, um Wörter interpretieren und einander verstehen zu können. Wir können uns sehr wohl in den Anderen wieder finden ganz so wie Kinder, die sich selbst entdecken. Ein Sprichwort aus der englischen Grafschaft Yorkshire bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: Die ganze Welt ist wunderlich, außer du und ich, und selbst du bist es ein bisschen. Aber doch nicht so sehr, als dass wir uns nicht wenigstens unterhalten könnten.

http://www.springer.com/978-3-8274-2619-2