Grundlegung zur Metaphysik der Sitten

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Transkript:

Immanuel Kant Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Anaconda

Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten erschien erstmals 1785 bei Johann Friedrich Hartknoch, Riga. Textgrundlage der vorliegenden Ausgabe ist Band IV (1903) der Edition Kants gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. Die Verweise auf die Seitenzählung der Akademie- Ausgabe erfolgen, wie üblich, mit der Sigle AA. Orthographie und Interpunktion wurden weitgehend den Regelungen angeglichen, wie sie vor der Rechtschreibreform verbindlich waren. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2016 Anaconda Verlag GmbH, Köln Alle Rechte vorbehalten. Umschlagmotive: Immanuel Kant, Altersporträt im Profil, Stahlstich (um 1840), nach einer Zeichnung von Hans V. F. Schnorr von Carolsfeld (1789), akg-images. Immanuel Kant, Handschriftenprobe aus»zum ewigen Frieden«(1795), akg-images Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Satz und Layout: InterMedia Lemke e. K., Ratingen Printed in Czech Republic 2016 ISBN 978-3-7306-0397-0 www.anacondaverlag.de info@anacondaverlag.de

Inhalt Vorrede...5 Erster Abschnitt...14 Zweiter Abschnitt...34 Dritter Abschnitt...96

Erster Abschnitt Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz, Urteilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze als Eigenschaften des Temperaments sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es ebenso bewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande unter dem Namen der Glückseligkeit machen Mut und hiedurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüt und hiemit auch das ganze Prinzip zu handeln berichtige und allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, daß ein vernünftiger unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerläßliche Bedingung selbst der Würdigkeit, glücklich zu sein, auszumachen scheint. 14

AA 394 Erster Abschnitt Einige Eigenschaften sind sogar diesem guten Willen selbst beförderlich und können sein Werk sehr erleichtern, haben aber dem ungeachtet kei nen innern unbedingten Wert, sondern setzen immer noch einen guten Willen voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens mit Recht für sie trägt, einschränkt und es nicht erlaubt, sie für schlechthin gut zu halten. Mäßigung in Affekten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen Teil vom innern Werte der Person auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung für gut zu erklären (so unbedingt sie auch von den Alten gepriesen worden). Denn ohne Grundsätze eines guten Willens können sie höchst böse werden, und das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unsern Augen noch verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten werden. Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgendeines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zugunsten irgendeiner Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zustande gebracht werden könnte. Wenngleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der 15