Juni/Juli/August 08 S. 01 Liebe Gemeinde, China und Tibet haben miteinander gesprochen. Vor einigen Tagen in einem Cafe. Da saßen zwei Chinesinnen und zwei Tibeterinnen zusammen im kritischen Dialog. Sie diskutierten natürlich über die weltweiten Proteste gegen die chinesische Tibetpolitik. Und einen möglichen Boykott der olympischen Spiele. Dazu meinte die Deutsch-Chinesin: "Das chinesische Volk denkt, das ist unsere Party, jetzt wird sie von euch versaut." Da schwingt viel Enttäuschung und Unverständnis mit. Ich kann das in gewisser Weise nachvollziehen. Denn eine O- lympiade verspricht ja sehr viel: Ein rauschendes Fest, eine Menge Geld und die Chance, sich als perfekter Gastgeber zu präsentieren. Deswegen will nicht nur das Volk, sondern vor allem die chinesische Regierung, dass die "Party" ungestört steigen kann. Und blendet aus oder verdreht geschickt, was die Glanzbilder von Olympia überschatten könnte. Proteste entlang des olympischen Fackellaufs. Der sollte ja eigentlich für Frieden und Völkerverständigung werben. Mit einer Fackel, die "glückliche Wolke" heißt. Eine im Grunde absurde Inszenierung, wenn ich dabei an die Menschenrechtsverletzungen in China und Tibet denke. Oder auch an die heftigen Rangeleien zwischen rabiaten Fackelwächtern und leidenschaftlichen Demonstranten. Mir ist dabei ein Bild am eindrücklichsten: Die Flamme erlosch. Ein starkes Symbol! Mit einer deutlichen Botschaft: O- lympia braucht keine Propaganda, sondern die Einhaltung der Menschenrechte. Doch Chinas Funktionäre geben weiterhin keine Fehler zu. Sie nennen die Protestaktionen trotzig "Sabotage". Schuld sind in ihren Augen die Protestierer, nicht die Verursacher des Protestes. Eine beschämende Wahrheit eingestehen. Fehler und Schuld ehrlich zugeben vor sich selbst und anderen das ist eine große Kunst. Für Regierungen gleichermaßen wie für jeden einzelnen Menschen. Der christliche Glaube kann dazu helfen, diese Kunst zu lernen. Weil ein Mensch hier nicht mit seinen Taten gleichgesetzt wird. Gott unterscheidet zwischen einer Tat und dem, der sie begangen hat. Ein Verbrechen wird mit aller Klarheit und Schärfe verurteilt und ein Täter für seine Tat verantwortlich gemacht. Da stellt sich Gott eindeutig auf die Seite der Opfer. Trotzdem behält ein Täter seine Würde als Mensch. Und bekommt die Chance zu einem neuen Leben. Wer spürt, dass er trotz seiner Vergehen als Mensch weiter geachtet wird, kann leichter dazu stehen und versuchen, sie in Zukunft zu unterlassen. Anstatt Kritik zu überhören, zu manipulieren oder sie verbohrt abzuwehren. Wenn Gott also zwischen einem Täter und seiner Tat unterscheidet, bin ich als Christ dazu herausgefordert, dasselbe zu tun. Auch wenn mein Gegenüber einem anderen Glauben angehört oder kein religiöser Mensch ist. Für mich setzt mein eigener Glaube meine Maßstäbe. Auf die olympischen Spiele in China bezogen heißt das: Respektvoll im Kontakt bleiben. Beziehungen nicht abbrechen, sondern zur Auseinandersetzung nutzen. Ohne dabei mein Gegenüber verächtlich zu machen. Damit er kompromisslose, deutliche Worte oder auch Zeichen gegen die Verletzung der Menschenrechte wahrnehmen kann. Durch Mahnwachen, Protestbriefe oder gewaltfreie symbolische Aktionen. Und mit etwas Mut auch in China selbst, von Angesicht zu Angesicht. Als Tourist, Sportlerin, Geschäftsmann oder Politikerin. Mag schon sein, dass so etwas die olympische Partylaune eintrübt. Aber vielleicht gibt es auf diesem Wege am Ende weit mehr zu feiern als nur den Sport. Ihr Pfarrer Jürgen Heldmann
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