Musik, Ästhetik, Digitalisierung

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Transkript:

Musik, Ästhetik, Digitalisierung Eine Kontroverse Johannes Kreidler Harry Lehmann Claus-Steffen Mahnkopf wolke

Erstausgabe 2010 bei den Autoren alle Rechte vorbehalten Wolke Verlag Hofheim, 2010 Umschlaggestaltung: Friedwalt Donner, Alonissos ISBN 978-3-936000-84-9 www.wolke-verlag.de

Inhalt Zu diesem Buch........................................................ 7 H a r ry L ehm a nn Die Digitalisierung der Neuen Musik Ein Gedankenexperiment......................................... 9 Joh a nnes K r eidl er Zum Materialstand der Gegenwartsmusik.... 21 Cl aus-s t ef f en M a hnkopf Neue Technikgläubigkeit? Computer und Musik................................................ 37 Joh a nnes K r eidl er Digital Naives oder Digital Natives?............ 55 Cl aus-s t ef f en M a hnkopf Antwort auf Johannes Kreidler.......... 67 Joh a nnes K r eidl er Zweite Antwort auf Claus-Steffen Mahnkopf... 81 Cl aus- S t ef f en M a hnkopf Zweite Antwort auf Johannes Kreidler.. 95 Joh a nnes K r eidl er Traktat........................................ 113 Cl aus-s t ef f en M a hnkopf Was heißt Avantgarde? Dinge machen, die eigentlich unmöglich sind......................... 135 Über das Hören...................................................... 145 H a r ry L ehm a nn Zur Entinstitutionalisierung der Neuen Musik....... 151 Die Autoren............................................................ 169

Zu diesem Buch 2009 veröffentlichte der Physiker und Philosoph Harry Lehmann einen kurzen, provokanten Text mit dem Titel Die Digitalisierung der Neuen Musik. Ein Gedankenexperiment in dem er die Folgen der digitalen Revolution für die Neue Musik hochzurechnen versucht, die inzwischen alle Bereich der musikalischen Produktion, Rezeption und Distribution zu erfassen beginnt. Konkret werden diese Auswirkungen an drei institutionellen Säulen untersucht, auf denen die Neuen Musik ruht: in Bezug auf den Musikverlag, der das Notenmaterial herstellt, das Ensemble, welche die Kompositionen hörbar macht, und die Musikhochschule, welche das für die Neue Musik erforderliche Spezialwissen vermittelt. An allen drei Säulen ließen sich erste Erosionserscheinungen der Institution beobachten, welche so gravierend seien, dass sie so die weitreichende Vermutung zu einer Reformulierung der Idee und des Begriffs Neuer Musik führen könnten. In seinem Beitrag Zum Materialstand der Gegenwartsmusik definiert der Komponist Johannes Kreidler Klang nicht mehr als Zweck, sondern als Mittel des Kompositionsprozesses. Am Ende der vollständigen Digitalisierung allen musikalischen Materials werde einmal eine völlige Bemächtigung alles Klingenden stehen. Ein immenser Pool verfügbaren Klangmaterials eröffne ungeahnte Chancen für eine Semantisierung von Klang in gänzlich neuen Kontextualisierungen und Funktionalisierungen. Die Medienrevolution mittels Internet führe die Neue Musik aus ihrer ästhetischen Isolation. Netzwerke konkurrierten künftig nicht nur mit den traditionellen Aufführungs- und Vermittlungsräumen, sondern verschafften Neuer Musik ein vollständig neues Podium der Wahrnehmung und Kommunikation. Neue Technikgläubigkeit betitelt der Komponist Claus-Steffen Mahnkopf seine Antwort. Hinter Abspielprogrammen und Klangmischverfahren etwa eines Soundshops verschwänden Mikrorhythmik, die Räumlichkeit des Klangs, Sinnzusammenhänge, ja das musikalische Subjekt insgesamt der Eros der Musik. Kompositionsprogrammen, seien sie mathematisch noch so ausgereift und ließen sich alle Stile der Musikgeschichte dort programmieren, würden nur mehr oder weniger schlechte und stereotype Kopien hervorbringen und könnten nie so etwas wie künstlerische Kreation schaf- 7

fen. Fortschritt verenge sich auf ein technisches Verfahren und rein technizistische Konzepte. Eine Computerkomposition gelange bestenfalls zu einem Mischergebnis einer kunstlosen Musik mit Musik. In diesem Buch prallen Welten aufeinander. Die digitale Revolution scheint wie ein Angriff auf den etablierten Musikbetrieb. Dieser gilt nicht nur dem Klangkörper, sondern dem Studium, der Praxis, der Vermittlung, der Aufführung und der Verbreitung neuer wie alter ernster Musik überhaupt. Die hier vertretenen Positionen lassen einen Generationenkonflikt vermuten, derer, die mit der Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Computer als einer zweiten Welt aufgewachsen sind und sich mit der Quantifizierung und Beschleunigung einen Zugewinn an Freiheit versprechen, mit dem, der sich einem emphatischen Werk- und Kunstbegriff verpflichtet sieht und damit dem Immanenzprozess künstlerischer Produktion. Fortschrittsgläubigkeit in der Kunst ist keine neue Sache. Vor gut hundert Jahren formulierte Filippo T. Marinetti sein erstes Futuristisches Manifest einer neuen Maschinenkunst. Es sollte aber hundert Jahre dauern, bis die technischen Möglichkeiten auch einen qualitativen Quantensprung erahnen lassen. An dem Punkt der Qualität scheiden sich nun die Geister. Und: Erschlägt das Konzept die Idee oder geht letztere im ersten auf... Komposition, musikalische Praxis und musikalische Wahrnehmung stehen an einem Scheideweg. Die rasche Entwicklung der digitalen Welt samt ihrer Vernetzung wird für die musikalische Kreation nicht folgenlos bleiben. Zu lange Zeit war es still um musikästhetische Differenzen in neuer Musik. In der vorliegenden grundsätzlichen Kontroverse werden nun überfällige und drängende Fragen an die Zukunft neuer Musik gestellt und teils polemisch ausgefochten. Die Kontroverse, die nach Harry Lehmanns Eingangstext zwischen Johannes Kreidler und Claus-Steffen Mahnkopf geführt wird, bleibt schlussendlich ergebnisoffen und wird sicher zu Folgediskussionen Anlass geben. Mit den abschließenden Beiträgen wurden persönliche Texte aus dem erweiterten Umfeld der Debatte vereinbart. Hofheim, Juni 2010 Peter Mischung 8