Manuskript Beitrag: Fragwürdige Familiengutachten Eltern verlieren Sorgerecht Sendung vom 8. September 2015 von Beate Frenkel und Michael Haselrieder Anmoderation: Text: In ein paar Tagen hat Armin Geburtstag. Es ist der erste, den seine Eltern mit ihm zu Hause feiern können. Vor zwei Jahren war ihnen das Sorgerecht entzogen worden. Das Jugendamt nahm der Mutter damals ihr Baby weg. O-Ton Beata Thelen, Mutter: Dann packte eine nette Mitarbeiterin das Kind mit dem Kinderwagen. Dann ist die weggelaufen und ich blieb da, einfach mit einem Stück Papier, alleine. Kind war weg. Und keiner wollte mit mir reden. Ausschlaggebend nur ein einziges Gutachten. Ein Psychologe hatte die Mutter besucht und ihr Fragen gestellt. O-Ton Beata Thelen, Mutter: Das waren einfache Fragen: Ob ich Kaffee trinken mag? Ob ich Krimi lese oder Joggen mag? Also, da kann ich nicht lügen. Und am Ende hatte er geschrieben: Ich habe alles gelogen. Er kann das nicht auswerten. Ich bin nicht erziehungsfähig. So ein Gutachter, der kann Menschenleben in einer Sekunde zerstören. Der Gutachter kam zu dem Schluss: Weil die Mutter an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide, könne sie Armin nicht angemessen betreuen und erziehen - und auch der Vater sei nicht geeignet. Eineinhalb Jahre musste Armin in einer Pflegefamilie leben, bis das Oberlandesgericht Düsseldorf feststellt: Der Gutachter besitzt: keine Qualifikation zur Erstattung eines psychiatrischen
Gutachtens Umstrittene Urteile, inkompetente Gutachter, wenn es um das Schicksal von Kindern geht. Das ist keine Seltenheit. Niemand kontrolliert die Qualifikation des Gutachters, sagt Elmar Bergmann. Der Anwalt hat die Eltern des kleinen Armin vertreten und davor 30 Jahre als Familienrichter gearbeitet. Die Auswahl des Gutachters sei völlig willkürlich, liege allein in der Hand unabhängiger Richter. O-Ton Elmar Bergmann, ehemaliger Familienrichter: Sachverständig ist der, den der Richter für sachverständig hält. Das ist also völlig egal, ob er sachkundig ist oder nicht. Und die Auswahl geht auch heute noch meistens dahin: Wen kenne ich und wen nehme ich. Denn: Immer den nehme ich, den ich kenne. Gegen ein Gutachten kämpft auch Tina Möller [Anmerkung der Redaktion: Name geändert]. Nur ein paar Tage im Monat darf ihre dreijährige Tochter bei ihr sein. O-Ton Tina Möller, Mutter: Man hat einer gesunden Mutter das Kind weggenommen - oder dem Kind die Mutter weggenommen. Vor zweieinhalb Jahren war Tina Möller mit ihrer Tochter ins Frauenhaus geflohen: Der Psychoterror und Drogenkonsum des Ex-Partners, sagt sie, hätten ihr keine andere Wahl gelassen. Trotzdem entscheidet das Gericht später: Das Kind soll beim Vater leben. Das kann Tina Möller nicht verstehen, hat Gründe dafür: O-Ton Tina Möller, Mutter: Dann gibt es eine Einweisung in die Psychiatrie, die hat er Anfang 2013 sich eingeholt, weil ich ihn mehrfach drum gebeten habe, sich in therapeutische Hilfe zu begeben. Hier steht auch deutlich drauf Cannabis-Konsum seit 10 zehn Jahren, als Diagnose. Dieses liegt dem Gericht auch von Anfang an vor. Der Vater des Kindes lehnt ein Interview ab, will sich nicht äußern. In dem umstrittenen Gutachten wird der Mutter bestätigt, dass sie sich gut um ihre Tochter kümmert. Der einzige Vorwurf: Sie habe die Dreijährige vom Vater abgeschirmt. Der renommierte Psychologe Professor Leitner hat das Gutachten geprüft:
Wie ist denn Ihr Urteil ausgefallen? Was ist das für ein Gutachten? O-Ton Prof. Werner Leitner, IB-Hochschule Berlin: Ja, dieses Gutachten entspricht auf verschiedenen Ebenen den Anforderungen nicht. Bei den psychologischen Testverfahren ist überhaupt nicht ersichtlich, inwiefern die Sachverständige hier zu ihren Befunden kommt. Seit 20 Jahren wertet Professor Leitner Familiengutachten aus. Für seine neue Studie, die Frontral 21 exklusiv vorliegt, hat er bundesweit 272 Gutachten untersucht. O-Ton Prof. Werner Leitner, IB-Hochschule Berlin: 75 Prozent der untersuchten Familienrechtsgutachten sind stark mängelbehaftet und sind als Entscheidungsgrundlage für unsere Gerichte nicht geeignet. Häufigste Mängel liegen im Bereich der eingesetzten psychologischen Testverfahren. Testverfahren wie dieses. Ein Gutachter legte Maria Bauer [Anmerkung der Redaktion: Name geändert] solche Tintenkleks- Muster vor, um herauszufinden, ob sie eine gute Mutter ist. Ich habe nur diesen Klecks-Test mitgemacht. Und die Kinder auch? Die Kinder auch, ja. Die haben mir das hinterher noch erzählt, dass sie da so komische Kleckse angucken mussten. Das Gutachten hat furchtbare Folgen: Ihre drei Söhne, damals fünf, sieben und acht Jahre alt, werden ihr weggenommen und leben seit über einem Jahr im Heim. Aus einem Sorgerechtsstreit wird ein Familiendrama. Dabei hatten Kindergärtnerinnen und Ärzte der Mutter sogar schriftlich bescheinigt, sie sei,,immer freundlich und mütterlich, zu ihren Kindern fürsorglich, liebevoll und achtsam. Ich habe meinen Kindern nichts getan. Ich habe alles getan für meine Kinder. Ich habe für meine Kinder gesorgt. Nur das Beste für meine Kinder gegeben. Dass so etwas gemacht wird, das verstehe ich nicht. Der 74-jährige Gerichtsgutachter Dr. Z. hat die Familie untersucht. Zu den Vorwürfen will er keine Stellung nehmen, trotz mehrfacher Nachfrage. Auch nicht zum umstrittenen Tintenklecks-Test. Dieser sogenannte Rorschach-Test findet sich immer wieder in seinen Gutachten.
O-Ton Elmar Bergmann, ehemaliger Familienrichter: Der Rorschach-Test, das habe ich seit bestimmt den 80er- Jahren nicht mehr gesehen. Das ist allgemein die Meinung, dass der nichts wert ist. Das ist Kaffeesatzleserei. Nichts weiter. Doktor Z. hat viele Familien begutachtet, dafür erhebliche Summen in Rechnung gestellt. Bei vielen Sorgerechtsstreitigkeiten trägt diese Kosten sogar der Staat. Wie in einem Fall, den diese Anwältin vertreten hat. Sie wehrte sich erfolgreich gegen eines seiner Gutachten. O-Ton Gabriela Mattschas-Jarass, Anwältin für Familienrecht: Wenn man sich inhaltlich näher damit befasst, endet es mit einer ganz, ganz dünnen Analyse, wobei ich das Wort Analyse gar nicht gebrauchen würde. Und dann ist es bitter, wenn ein recht mangelhaftes Gutachten im Grunde aufgebläht, aber ohne Aussage, den Steuerzahler 13.000 Euro kostet. Teuer und mangelhaft - auf Grundlage solcher Gutachten werden in deutschen Gerichtssälen Tag für Tag Urteile gesprochen. Wer sich dagegen wehrt, muss mit einem zermürbenden Rechtsstreit rechnen. In ihrem Fall sind es bald zwei Jahre. O-Ton Elmar Bergmann, ehemaliger Familienrichter: Das Ganze ist ein Super-Gau für Kinder und für Eltern. Da machen sich Gerichte nicht hinreichend Gedanken. Bundesjustizminister Heiko Maas verspricht Besserung. Sein Gesetzentwurf sieht vor, künftig soll genauer überprüft werden, ob Gutachter wirklich geeignet sind. Wie das geschehen soll, ist unklar. Was fehlt, kritisieren Experten wie Jürgen Rudolph, sei eine bessere Ausbildung der Familienrichter. Denn sie wählen die Gutachter aus. O-Ton Jürgen Rudolph, Experte für Familienrecht: Es wird sich nicht viel ändern. Denn über die Qualifikation der Richter, die einfach erforderlich ist, sagt dieser Entwurf ja gar nichts. Wir werden dieselben Sachverständigen wiedersehen. Und die Richter werden hineinschreiben: Ich halte ihn für geeignet. Und ist damit dem Gesetz genüge getan? O-Ton Jürgen Rudolph, Experte für Familienrecht:
Damit ist dem Gesetz genüge getan. Das neue Gesetz wird kaum etwas ändern an mangelhaften Gutachten, die über das Schicksal von Kindern entscheiden - so wie beim kleinen Armin. Er war sein halbes Leben lang von seinen Eltern getrennt. - Welche Spuren das bei ihm hinterlassen wird, weiß keiner. Abmoderation: Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.