Fahrtauglichkeit und sozialmedizinische Konsequenzen bei Narkolepsie



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Transkript:

Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. med. Sylvia Kotterba Dienstort: Ammerland-Klinik GmbH Westerstede Abteilung: Neurologie Fahrtauglichkeit und sozialmedizinische Konsequenzen bei Narkolepsie Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Bettina Eberhard aus Berlin 2009

Dekan: Prof. Dr. med. G. Muhr Referent: Prof. Dr. med. S. Kotterba Korreferent: PD Dr. med. B. Henning Tag der mündlichen Prüfung: 19.01.2010

Inhaltsverzeichnis Einleitung 5 1. Narkolepsie 7 - Epidemiologie 8 1.1 Symptome 9 - REM-assoziierte Symptome 10 - Non-REM-assoziierte Symptome 11 1.2 Diagnostik 12 - Multipler-Schlaf-Latenz-Test (MLST) 12 - Polysomnographie 12 - Stanford Sleepiness Scale (SSS) 13 - Epworth Sleepiness Scale (ESS) 14 - Maintenance of Wakefulness Test (MWT) 15 - Pupillografischer Schläfrigkeitstest (PST) 16 - HLA-Typisierung 16 - Hypocretin 17 1.3 Differentialdiagnosen 18 1.4 Verlauf und Prognose 20 1.5 Therapie 21 - Therapie der Tagesschläfrigkeit 22 - Therapie der Kataplexie 22 - Exemplarische Beispiele für die Medikation: Stimulantien 23 Antidepressiva 24 1.6 Narkolepsie bei Kindern 25 1.7 Ärztliche Begutachtung 25 - Aufmerksamkeit und Vigilanz 26 - Einstufung als Schwerbehinderung 28 - Minderung der Erwerbsfähigkeit 29 - Fahrtauglichkeit 29 1.8 Narkolepsie und Berufsleben 31 1.9 Narkolepsie und Versichertenstatus 32 3

2. Studie zur Fahrtauglichkeit und den sozialmedizinischen Konsequenzen bei Narkolepsie 33 2.1 Methodik 33 3. Ergebnisse der Untersuchung zu Fahrtauglichkeit und sozialmedizinischen Konsequenzen bei Narkolepsie 35 - Fahrtauglichkeit 37 - Medikation 47 -Versicherung 51 - Schwerbehinderung und Berufsunfähigkeit Versicherung 51 4. Diskussion 58 - Fahrtauglichkeit 58 - Notfallausweis 65 - Berufsleben, Schwerbehindertenstatus und Versichertenstatus 66 - Erwerbsunfähigkeit aufgrund der Narkolepsie 71 5. Zusammenfassung 72 6. Literatur 78 7. Anhang 83 4

Einleitung Die Schlafmedizin gewinnt zunehmend an Bedeutung. Schlafbezogene Erkrankungen als Ursache von Verkehrsunfällen werden immer häufiger Gegenstand gutachterlicher Untersuchungen. Ein Fahrzeugführer, der am Steuer einschläft und einen Unfall verursacht, begeht eine Ordnungswidrigkeit (Fahrerlaubnisverordnung 2). Der Tatbestand einer Straftat ist erfüllt, wenn ein Fahrzeugführer über eine schlafbezogene Erkrankung informiert ist, eine adäquate Therapie aber ausbleibt (Strafgesetzbuch 315c, Kotterba 2007). 0,4% der Verkehrsunfälle in Deutschland sollen eine schlafbezogene Ursache haben (Statistisches Bundesamt 2006). Eine Reihe von Untersuchungen hat die Tagesschläfrigkeit als Symptom verschiedener Schlafstörungen einerseits und als Unfallursache andererseits zum Gegenstand. Spektakuläre und besonders fatale Unfälle in diesem Kontext sind in Erinnerung geblieben: Das Busunglück im Juli 2005 im Autobahnkreuz Meckenheim mit 35 Verletzten, das Busunglück im Juli 2005 auf der A9 in Südfrankreich mit 2 Toten und 16 Verletzten und das Busunglück in Lyon 2003 mit 28 toten und 46 verletzten deutschen Urlaubern. Alle diese Unfälle ließen sich auf einen sogenannten Sekundenschlaf der Fahrzeugführer zurückführen. Seit langem ist der Zusammenhang zwischen Sekundenschlaf und einem obstruktiven Schlaf- Apnoe-Syndrom (OSAS) bekannt. Dieser ist daher nicht nur Gegenstand zahlreicher verkehrsrechtlicher Gutachten gewesen, sondern auch in sozialmedizinischen Untersuchungen thematisiert worden (Orth et al. 2003, Orth et al. 2005). Eine schlafbezogene Erkrankung mit anderem Hintergrund ist dagegen die Narkolepsie. Auch die Narkolepsie geht wie das OSAS mit Tagesschläfrigkeit einher, ist aber mit imperativen Schlafattacken vergesellschaftet. Narkolepsiepatienten können dem Schlafbedürfnis nicht wenigstens einer gewissen Zeit lang entgegen wirken. Dies immerhin ist den OSAS-Patienten möglich. OSAS-Patienten können durch situative Anforderung an Konzentration und Aufmerksamkeit die Tagesschläfrigkeit unterdrücken und 5

sich somit auch zum Beispiel im dichten innerstädtischen Straßenverkehr über die Zeit retten. Anders die Narkolepsiepatienten: Sie können einer Schlafattacke nichts entgegensetzen und sind einem imperativen Schlafbedürfnis ausgesetzt. Die Narkolepsiepatienten erleiden Schlafattacken besonders in monotonen Situationen. Monotone Situationen können sich im Straßenverkehr ergeben, aber auch im beruflichen Alltag. Eigengefährdung und Fremdgefährdung in diesem Zusammenhang sind gefürchtet. Narkolepsiepatienten haben eine vier bis sieben Mal höhere Unfallrate als Gesunde (Kotterba, Mayer 2001). Unter dem Aspekt der sozialmedizinischen Konsequenzen der Narkolepsie wurde die Fahrtauglichkeit von Narkolepsiepatienten intensiv untersucht. Gewonnene Daten zu Unfallraten und Copingstrategien sind belegt (Aldrich 1989, Findley et al. 1995 & 1999, George 1996, Müller 2002, Kotterba et al. 2004). Welche Auswirkungen die Tagesschläfrigkeit aber auf das Berufsleben der Betroffenen hat, welche sozialmedizinischen Konsequenzen sich in Fragen der Berufsunfähigkeit, der Berentung und Versicherungsfragen ergeben, bleibt unbeantwortet. In der vorliegenden Studie wird untersucht, wie Narkolepsiepatienten mit ihrer eingeschränkten Fahrtauglichkeit umgehen und welche Möglichkeiten sie nutzen, Autounfällen vorzubeugen. Zugrunde gelegt wurde eine Fragebogenaktion, in der Narkolepsiepatienten Daten zu Fahrverhalten und Unfallhäufigkeit zur Verfügung stellten. Ein Schwerpunkt betraf Fragen zu den sozialmedizinischen Aspekten der Erkrankung, ihre Auswirkungen auf Beruf, Versichertenstatus und Berentung. 6

1. Narkolepsie Die Definition der Narkolepsie geht auf den französischen Neurologen und Psychiater Jean Baptiste Edouard Gelineau (1859-1906) zurück. Er beschrieb 1880 erstmals einen Patienten, der unter Tagesschläfrigkeit mit imperativen Einschlafattacken und Bradykardie litt. Gelineau konnte so die Narkolepsie von anderen Schlafstörungen und insbesondere von der Epilepsie abgrenzen. Die rein klinische Diagnose der Narkolepsie erhielt 1935 einen wesentlichen Impuls durch die Entdeckung und den Einsatz der Elektro-Encephalo- Graphie (EEG). Die Entdeckung des REM-Schlafes (normale Schlafphase mit "Rapid Eye Movement"/raschen Augenbewegungen) bildete einen Meilenstein in der Erforschung des Schlafes und hatte in so weit auch Einfluss auf die Erforschung der Narkolepsie (Kotterba 2001). Die noch heute gültigen Kriterien zur Diagnostik der Narkolepsie legten 1957 Yoss und Daly fest. Ihre Untersuchung schloss 241 Narkolepsiepatienten ein, aus der sie die so genannte narkoleptische Tetrade ableiteten: Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzination (Yoss, Daly 1957). Das moderne Konzept der Narkolepsiediagnostik hat einige Ergänzungen erfahren. Hier seien der multiple Schlaflatenztest genannt sowie die enge Assoziation zwischen Humanem Leukozyten Antigen (HLA) DR2 und Narkolepsie. In jüngster Zeit ist die labormedizinische Bestimmung der Hypocretin 1 Konzentration im Liquor von Narkolepsiepatienten ein weiterer Baustein in der Diagnostik (Fauscher, Högl 2006). 7

Epidemiologie Die Narkolepsie ist eine seltene Erkrankung. Epidemiologische Daten zeigen für Europa eine Prävalenz vom 0,026 bis 0,05 auf 100 000 Einwohner (Hublin et al. 1994; Ohayon et al. 1999). Die enge Assoziation der Narkolepsie mit einem definierten HLA-Typ (humanes Lymphozyten-Antigen) und die auffällige familiäre Häufung der Narkolepsie, legten zwar den Verdacht nahe, dass der Erkrankung ein genetischer Defekt zugrunde liegt, der Nachweis ist aber bisher nicht gelungen. Die für die Narkolepsie bedeutsamen HLA-Allele liegen auf dem Chromosom 6. Das Erkrankungsrisiko für Angehörige ersten Grades von Narkolepsiepatienten mit Kataplexien, der schwereren Variante der Erkrankung, ist bis zu 4% gegenüber der Normalbevölkerung erhöht. Etwa 10 bis 20% der Angehörigen von Narkolepsiepatienten mit Kataplexien haben einen attenuierten Phänotyp, das heißt, das Schlafbedürfnis ist auffällig, aber nicht imperativ. Interessanterweise sind monozygote Zwillinge in 69-75% diskordant für die Narkolepsie, das heißt, es müssen neben einem möglichen hereditären Hintergrund auch Umgebungseinflüsse und biografische Details an der Pathogenese der Erkrankung beteiligt sein (Mayer 2006). 8

1.1 Symptome Die Narkolepsie wird nach der neuen internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (Internationale Klassifikation von Schlafstörungen (ICDS) 2: Parasomnien, 2005) als Hypersomie zentralen Ursprungs eingestuft. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten und zeigt zwei Häufigkeitsgipfel: Nämlich zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr und dem 30. und 40. Lebensjahr (Mayer 2006). Hauptsymptome der Narkolepsie sind Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzinationen. Diese Symptom-Tetrade entwickelt sich aber meist nicht zeitgleich, in der Regel nicht einmal zeitnah. Die verschiedenen Symptome können sich im Mittel mit einem Abstand von 10 Jahren einstellen. Dabei ist die Tagesschläfrigkeit häufig das erste Symptom, aber leider auch das unspezifischste. Das könnte erklären, warum in der Mehrzahl der Fälle immer noch bis zu 10 Jahre vergehen, bevor die richtige Diagnose Narkolepsie gestellt wird. Das einzige für die Narkolepsie spezifische Symptom ist die Kataplexie: Der plötzliche vollständige Tonusverlust der Haltemuskulatur. Aber nur etwa 42% der Narkolepsiepatienten erleiden eine Kataplexie. Dies führte zu der Forderung zwischen der Narkolepsie mit Kataplexie und der Narkolepsie ohne Kataplexie zu differenzieren. Die Tagesschläfrigkeit als erstes Symptom entwickelt sich im Laufe der Erkrankung schnell zu einer chronischen Belastung, die aber von den Betroffenen durch Gewöhnung oft nicht mehr wahrgenommen wird. Der Einschlafdrang tritt dabei plötzlich und mehrmals täglich auf. Er unterliegt einer zirkadianen Rhythmik, ist abhängig von der situativen Monotoniebelastung und kann nahtlos in Tagschlafepisoden übergehen. Diese Tagschlafepisoden sind definiert als häufig auftretende ungewollte Schlafepisoden, die durch Monotonie gefördert werden. Sie können imperativen Charakter haben und mehrfach am Tag über Sekunden bis Stunden auftreten. Während einer Tagschlafepisode kann es sowohl zu Non- REM-Schlaf als auch zu REM-Schlaf kommen. REM-Schlafepisoden gehen dabei oft mit sehr lebhaften Träumen und Muskelerschlaffung einher. Nach einer Tagschlafepisode fühlen sich Narkolepsiepatienten in der Regel wieder 9

erholt und leistungsfähig für die folgenden zwei bis drei Stunden. Arbeit unter körperlicher Belastung, Stress oder Anspannung können bei etwa 30% der Narkolepsiepatienten die Einschlafattacken vermindern. Neben der Tagesschläfrigkeit leiden Narkolepsiepatienten zudem unter einem gestörten Nachtschlaf. Mehr als zwei Dritteln der Betroffenen ist es unmöglich nachts durchzuschlafen. Die Schlafstörungen sind bedingt durch vorzeitigen REM- Schlaf, einem vermehrten Wechsel von Non-REM und REM-Schlafphasen, häufigen Weckreaktionen und langen Wachliegezeiten. REM-assoziierte Symptome Die Kataplexie (griechisch: mit Furcht umstoßen ) ist das einzige spezifische Symptom für die Narkolepsie, weshalb ihr der höchste Stellenwert in der Diagnostik zukommt. Kataplexie ist definiert als plötzlich auftretender bilateraler Tonusverlust der Haltemuskulatur, er kann aber bei 20% der Betroffenen auch unilateral auftreten. Der Tonusverlust wird getriggert durch starke Emotionen wie Wut, Aufregung, Angst und Freude. Am häufigsten wird die Kataplexie aber ausgelöst durch Schreck, Überraschung, Stolz und Lachen. Eine Kataplexie kann von wenigen Sekunden bis hin zu einer halben Stunde andauern. Die Häufigkeit des Auftretens kann sehr stark variieren; von nur gelegentlich bis zu mehrmals täglich. Ein über Stunden bis Tage andauernder Status Kataplektikus wird vorwiegend durch das plötzliche Absetzen antikataplektisch wirksamer Medikamente auslöst. Die Patienten bleiben während der gesamten Zeitspanne einer Kataplexie bei vollem Bewusstsein. Dieser Umstand führt bei unerfahrenen Beobachtern einer Kataplexie zu teilweise bizarren Fehleinschätzungen, die von der Kataplexie betroffenen Person wahrgenommen und berichtet werden. Bewusstseinsverlust tritt allerdings ein, wenn eine Kataplexie in eine Schlafattacke und/oder eine hypnagoge Halluzination übergeht. Die mimische Muskulatur ist bei einem kataplektischen Anfall immer mit betroffen, glatte Muskulatur, respiratorische Muskulatur sowie die Zungen- 10

Schlund-Muskulatur ist nie mit betroffen, so dass keine vitale Bedrohung besteht. Kataplexien enden immer schlagartig bis schnell und können teilweise durch äußere Stimuli unterbrochen werden. So genannte Rebound-Kataplexien können nach dem Absetzen trizyklischer Antidepressiva auftreten und zwar noch bis zu 14 Tagen nach Entzug der Medikation. Die enge Korrelation zwischen affektiven Stimuli und dem Auslösen einer Kataplexie führt dazu, dass die Kataplexie als dissoziatives Symptom eingestuft wird und die Betroffenen häufig in psychologische oder psychiatrische Behandlung geschickt werden. Neurologisch gehen Kataplexien mit einer Hemmung des monosynaptischen H.-Reflexes und der polysynaptischen Sehnenreflexe einher (Kotterba 2001). Die Schlaflähmung, ein weiteres REM-assoziiertes Symptom, tritt beim Übergang vom Schlaf zum Wachzustand (hypnopomp) auf oder vom Wachzustand in den Schlaf (hypnagog). Die Patienten sind bei erhaltenem Bewusstsein unfähig, zu sprechen oder sich zu bewegen. Dieser Zustand endet spontan, kann aber auch durch Berührungsreize durchbrochen werden. Isolierte Schlaflähmungen können sporadisch (bei etwa 6% der Bevölkerung mindestens einmal im Leben (Ohayon 1999)) oder familiär gehäuft ohne Narkolepsie auftreten. Hypnagoge Halluzinationen treten nur beim Übergang vom Wachzustand in den Schlaf auf. Dabei erleiden die Betroffenen komplexe, in der Regel visuelle, seltener akustische Halluzinationen, die häufig als sehr bedrohlich empfunden werden. Non-REM-assoziierte Symptome Automatisches Verhalten ist ein weiteres Symptom der Narkolepsie und bezeichnet die Fortführung automatisierter Handlungen im Zustand der Schläfrigkeit. Über eine sehr kurze Zeitspanne von wenigen Sekunden bis hin zu einer halben Stunde sind Wahrnehmung und Erinnerungsvermögen in diesem Zustand eingeschränkt. Sprache und auch Bewegungen können 11

stereotyp und aus dem Zusammenhang gerissen sein. Das automatische Verhalten kann in allen Lebenssituationen auftreten: beim Autofahren, im beruflichen Tätigkeitsfeld, im Haushalt. Die Verletzungsgefahr ist hier besonders groß. Das automatische Verhalten ist eine unspezifische Folge der Tagesschläfrigkeit und betrifft etwa 80% der Narkolepsiepatienten, ist aber auch Symptom anderer Hypersomnien (Aldrich 1992). 1.2 Diagnostik Multipler Schlaf-Latenz-Test (MSLT) Zur diagnostischen Abklärung einer Narkolepsie wird unter anderem der Multiple Schlaf-Latenz Test (MSLT) genutzt (Carskadon et al. 1986). Der Multiple Schlaflatenztest ist ein polysomnographisches Verfahren in der Abklärung von Tagesschläfrigkeit. Dabei werden fünf Durchgänge von je 30 Minuten abgeleitet und die Schlaflatenzzeit gemessen. Im Falle einer Narkolepsie mit und ohne Kataplexie sind zur Diagnosesicherung mindestens zwei Sleep-Onset REM-Phasen 10 Minuten nach dem Einschlafen im Multiplen Schlaflatenztest (MSLT) gefordert sowie verkürzte Einschlaflatenzen (unter acht Minuten) (Internationale Klassifikation von Schlafstörungen (ICDS) 2: Parasomnien 2005). Polysomnographie Die Schlafaufzeichnung im Schlaflabor ist ein weiterer Baustein in der Diagnostik der Narkolepsie. Dabei weicht das Schlafprofil (Hypnogramm) eines Narkolepsiepatienten charakteristisch von dem eines Gesunden ab. Die Einschlaflatenz des Patienten ist verkürzt. Die REM-Latenz, die Zeit zwischen dem ersten Einschlafen und der ersten REM-Phase, normalerweise bei 90 Minuten, ist ebenfalls verkürzt. Dieses 12

Charakteristikum der Narkolepsie kann nicht immer in einer Nacht nachgewiesen werden. Im Falle des Auftretens einer solchen verfrühten Sleep-onset-REM-Phase (SOREM) hat diese aber einen hohen diagnostischen Stellenwert, da sie beim Nachtschlaf eines Gesunden ein seltenes Phänomen ist. Typisch für die Polysomnographie (PSG) eines Narkolepsiepatienten im Vergleich zu einem Gesunden sind häufiges Erwachen, lange Wachliegezeiten und häufig eine Verminderung an Tiefschlafphasen (Schlafstadium drei und vier) (Mayer 2003). Stanford Sleepiness Scale (SSS) Hoddes, Dement und Zarcone entwickelten 1973 den Stanford Sleepiness Scale zur Einschätzung des Wachheitsgrades von Menschen mit Schlafstörungen (Hoddes E, Dement WC, Zarcone V 1973). Patienten werden gebeten, an einem Testtag während fünf Zeitperioden ihren Wachheitsgrad anhand einer siebenstufigen Skala anzugeben. Jede Zeitperiode erstreckt sich dabei über eine Stunde. Die Patienten geben eine Einschätzung ihres Wachheitsgrades im fünfzehn Minuten Takt an. Der Grad der Schläfrigkeit ist dabei wie folgt eingeteilt (Tab.1). 13

Tab.1 Stanford Sleepiness Scale deutschsprachige Übersetzung Grad der Schläfrigkeit Scale, Rating Fühle mich aktiv, vital, voll da, hellwach 1 Habe einen klaren Kopf, bin aber nicht in Top-Form, kann mich 2 konzentrieren Wach, aber entspannt, reagiere, bin aber nicht so ganz da 3 Etwas benommen, schlaff 4 Benommen, verliere das Interesse am Wachbleiben, tranig 5 Schläfrig, benommen, kämpfe mit dem Schlaf, würde mich gerne 6 hinlegen Kämpfe nicht mehr gegen den Schlaf, schlafe gleich ein, traumartige 7 Gedanken Schlafe X Epworth Sleepiness Scale (ESS) Der von Johns 1994 entwickelte Epworth Sleepiness Scale dient der Einschätzung der subjektiven Tagesschläfrigkeit. Der Patient wird gebeten, in einem Score von 0 (würde niemals einnicken) bis 3 (hohe Wahrscheinlichkeit einzunicken) seine Tagesschläfrigkeit in acht verschiedenen Alltagssituationen einzuschätzen. Die Summe der erreichten Punktzahl gibt Auskunft über das Maß der Tagesschläfrigkeit, wobei der Test ab einem Punktwert von elf Punkten und mehr als pathologisch einzustufen ist. In der Epworth Sleepiness Scale werden typische Alltagssituationen geschildert. Die Patienten sollen die Wahrscheinlichkeit des Einschlafens einschätzen (Tab. 2): 14

Tab. 2 Epworth Sleepiness Scale Situation Im Sitzen lesend Beim Fernsehen Wenn Sie passiv (als Zuhörer) in der Öffentlichkeit sitzen (z.b. im Theater oder bei einem Vortrag) Als Beifahrer im Auto bei einer einstündigen Fahrt ohne Pause Wenn Sie sich am Nachmittag hingelegt haben, um auszuruhen Wenn Sie sitzen und sich mit jemandem unterhalten Wenn Sie nach dem Mittagessen (ohne Alkohol) ruhig dasitzen Wenn Sie als Fahrer eines Autos verkehrsbedingt einige Minuten halten müssen Wahrscheinlichkeit einzunicken Maintenance of Wakefulness Test (MWT) Ziel dieses Testverfahrens ist die Objektivierung der Fähigkeit, sich in einer monotonen Situation wach zu halten. Die Patienten nehmen auf einem bequemen Stuhl oder Sessel Platz und verweilen in halb liegender Position. Der Raum ist abgedunkelt und völlig ruhig. Die Patienten werden nun gebeten, zu versuchen in den nächsten 20 Minuten trotz fehlender Aktivität und Ablenkung wach zu bleiben. Der Test erfolgt zwei bis vier Mal innerhalb von zwei Stunden. Während des Tests erfolgt eine polysomnographische Ableitung (Littner et al. 2005, Orth et al. 2003). Durch diesen Test soll insbesondere in der Kontrolle einer Therapie nachgewiesen werden, ob der Proband in der Lage ist, sich Schläfrigkeit zu widersetzen. 15

Pupillographischer Schläfrigkeitstest (PST) Die Pupille unterliegt ständig Weitenveränderungen. Besonders deutlich wird dies bei unterschiedlich starkem Lichteinfall: In einem dunklen Raum weitet sich die Pupille, in einem sehr hellen Raum verengt sie sich. Diese sogenannte Nachregulierung der Pupillenweite ist ein andauernder Vorgang, dessen Geschwindigkeit und Exaktheit durch Wachheit bzw. Müdigkeit beeinflusst wird. Ist eine Person müde und unkonzentriert, ist auch die Nachregulierung der Pupillenweite nicht mehr exakt, es erfolgen größere Schwankungen in der Einstellung. Mit dem PST werden diese Schwankungen aufgezeichnet. Die Augen des Patienten werden dabei durch eine absolut schwarze Brille abgedunkelt, die Pupille mit einer Infrarotkamera gefilmt. Bei Müdigkeit wird die Pupille unruhig, es entstehen sogenannte Ermüdungswellen (Wilhelm H, Lüdtke H, Wilhelm B 1988). Allerdings werden mit dem Test nur 11 Minuten erfasst. HLA - Typisierung In den letzten Jahrzehnten hat die HLA (humanes Leukozyten Antigen) Typisierung zu einer Identifizierung typischer HLA-Konstellationen bei verschiedenen Schlafstörungen geführt. Dabei zeigt die Narkolepsie die höchste HLA-Assoziation: 98,5% aller europäischen Narkolepsiepatienten sind positiv für das HLA DR 15 und 60% der afroamerikanischen Narkolepsiepatienten. Die serologische Spezifität dieses Halotyps ist bei allen DR15 positiven Narkolepsiepatienten DQA1*0102, DQB1*1501, DQB1*0602. Dabei zeigt sich eine besonders hohe Assoziation, mit etwa 90%, bei Narkolepsiepatienten mit Kataplexie und dem HLA DQB1*0602 (Frauscher, Högli 2006). Es wird davon ausgegangen, dass der Halotyp DQA1*0102 und DQB1*0602 auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6 das Narkolepsiegen enthält. Dennoch ist die Spezifität dieser HLA-Konstellation nur gering: 25% der kaukasischen Bevölkerung haben die gleiche Konstellation, ohne erkrankt zu 16

sein. Die HLA-Typisierung kann demnach die Diagnose der Narkolepsie lediglich stützen, aufgrund ihrer Häufigkeit in der Normalbevölkerung aber nicht sichern. Darüber hinaus kann das Fehlen einer HLA-Konstellation die Diagnose Narkolepsie nicht ausschließen. Hypocretin Eine erst kürzlich (1998) etablierte Methode in der Diagnostik der Narkolepsie ist die Bestimmung des Neuropeptids Hypocretin 1 aus dem Liquor. Hypocretine sind Peptide, die zuerst im Hypothalamus von Ratten isoliert wurden. Zunächst wurde erkannt, dass die Peptide Hypocretin 1 und 2 eine wichtige Funktion in der Appetitregulation einnehmen, so dass sich die synonyme Bezeichnung Orexin-A und -B etablierte. (Orexin, griechisch: Appetit). Es zeichnete sich ab, dass Orexin-A ein breiteres Wirkungsspektrum aufweist: Es beeinflusst die Regulation des Schlaf-Wach- Rhythmus (Baumann, Bassetti 2004, Boutrel, de Lecea 2008). Orexin-A ist ein für alle Säugetiere spezifisches Peptid. Das lipophile Peptid wird beim Menschen vorwiegend im Hypothalamus, aber auch im Rückenmark, der Nebennierenrinde und dem Dünndarm synthetisiert. Vom Hypothalamus ausgehend projizieren orexinerge Neurone in verschiedene Kerngebiete im ZNS und beeinflussen die Nahrungsaufnahme, den Schlaf-Wach-Rhythmus und emotionales Erleben. Orexin-A beeinflusst den Schlaf-Wach-Rhythmus insbesondere durch seine stimulierende Wirkung auf den Locus coeruleus und seine noradrenergen Neurone. Die Wach-Phase ist demnach mit höheren Konzentrationen von Orexin-A assoziiert. Orexinerge Neurone des lateralen Hypothalamus projizieren in das laterodorsale Tegmentum, einer Schaltstelle in der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Injektion von Orexin-A in diese Region bei Katzen führte bei den Tieren zu einer deutlichen Vigilanzsteigerung (Bayer et al. 2001; Xi et al. 2002). In Tiermodellen führten Mutationen der für Orexin kodierenden Gene zu typischen Symptomen der Narkolepsie (Chemelli et al. 1998). Nach einer Reihe von Untersuchungen 17

von Narkolepsiepatienten zeigte sich, dass diese im Vergleich zu Gesunden deutlich niedrigere Konzentrationen bis hin zum völligen Fehlen von Orexin-A im Liquor aufweisen. Darüber hinaus ist die Zahl der Orexin produzierenden Zellen im Hypothalamus von betroffenen Patienten erniedrigt. Aber auch hier sind der Diagnostik Grenzen gesetzt. Orexin-A-Werte im Liquor von >200 pg/ml sind als Normwerte zu verstehen. Werte <110 pg/ml sprechen für eine Narkolepsie mit Kataplexie. Die Sensitivität und Spezifität von niedrigen Orexin-A-Werten im Liquor sind für die Narkloepsie mit Kataplexie sehr hoch: Sensitivität 87%, Spezifität 99%, positiv prädikativer Wert 96%, negativ prädikativer Wert 96%. Niedrige Orexin-A-Werte im Liquor können aber bei der Narkolepsie ohne Kataplexie keinen verlässlichen Beitrag zu einer Diagnose liefern (Frauscher und Högl 2006). 1.3 Differentialdiagnosen Die Tagesschläfrigkeit ist mit einer Vielzahl von Erkrankungen vergesellschaftet, die differentialdiagnostisch von der Narkolepsie abzugrenzen sind. Es sollen hier nur die wichtigsten exemplarisch genannt werden (Fischer et al. 2002). Die symptomatische Narkolepsie ist ursächlich bedingt durch medizinische oder neurologische Erkrankungen wie Tumoren des Thalamus und des Hypothalamus, Schlaganfall, Multipler Sklerose Plaques im Hypothalamus, paraneoplastische Syndrome oder Schädel-Hirn-Trauma. Die Idiopathische Hypersomnie geht mit einer normalen oder verlängerten Nachtschlafperiode einher. Charakteristisch für diese Schlafstörung ist die massive Tagesschläfrigkeit. Der Nachtschlaf der Patienten mit Idiopathischer Hypersomnie ist im Gegensatz zu dem Nachtschlaf der Narkolepsiepatienten nicht gestört. Während sich aber Narkolepsiepatienten selbst nach einer sehr kurzen Schlafepisode wieder erfrischt und leistungsfähig fühlen, empfinden 18

Patienten mit Idiopathischer Hypersomnie auch eine über Stunden andauernde Schlafepisode nicht als erholsam. Das obstruktive Schlafapnoe Syndrom (OSAS) ist charakterisiert durch periodische wiederkehrende Obstruktionen der oberen Luftwege während des Schlafens. Es kommt dabei zu alveolärer Hyperventilation, Sauerstoffentsättigungen und einem Anstieg der CO 2 -Konzentration. Hauptsymptom, das die Betroffenen beklagen, ist die übermäßige Tagesschläfrigkeit. Anamnestisch auszuschließen sind mögliche psychiatrische Ursachen für die Tagesschläfrigkeit wie zum Beispiel der Missbrauch von Medikamenten wie Benzodiazepinen, Antidepressiva, Beta-Blockern, Neuroleptika oder Barbituraten. Eine relativ unkomplizierte Erklärung für massive Tagesschläfrigkeit kann eine zirkadiane Rhythmusstörung sein, als Folge beruflich bedingter Schichtarbeit oder eines Jetlags. Der Jetlag wird häufig ausgelöst durch das schnelle Überqueren von mindestens zwei Zeitzonen und manifestiert sich in Ein- und Durchschlafstörungen und Tagesschläfrigkeit. Diese Schlafstörung hält in der Regel aber nur wenige Tage an. Auch die neurologische Erkrankung des Restless-Legs-Syndroms ist eine mögliche Differentialdiagnose. Die Betroffenen beklagen im Ruhezustand, aber besonders vor dem Einschlafen, unangenehme Dysästhesien in den Beinen, die sie zwingen aufzustehen und sich zu bewegen. In der Polysomnographie zeigen Betroffene vermehrte Beinbewegungen, die eine Durchschlafstörung und in der Folge eine übermäßige Tagesschläfrigkeit erklären können. 19

1.4 Verlauf und Prognose Narkolepsie ist eine lebenslange Erkrankung, die in jedem Alter auftreten kann. Bei etwa 20% der Narkolepsiepatienten tritt die Erkrankung erstmals vor dem 10. Lebensjahr auf. Da Kinder häufig dazu neigen, die Symptome der Narkolepsie zu verheimlichen und/oder die Tagesschläfrigkeit durch Hyperaktivität zu kompensieren, kommt es nicht selten zu der Fehldiagnose des hyperkinetischen Syndroms. Daneben sind weitere wichtige Fehldiagnosen Epilepsie und bei älteren Menschen zerebrale Durchblutungsstörungen, häufig gestellt nach einer Kataplexie, die mit Hinstürzen einherging. Da die Tagesschläfrigkeit als Symptom auch für andere Formen der Hypersomnie sprechen kann, wird die korrekte Diagnose Narkolepsie häufig erst mit dem Auftreten einer Kataplexie gestellt. Bei einer späten Manifestation kann die Latenzzeit zwischen dem Auftreten der Tagesschläfrigkeit und dem Auftreten der Kataplexie mit 32 bis 60 Jahren besonders lang sein. Wobei Narkolepsien mit Spätmanifestation klinisch geringer ausgeprägt sind als solche mit früher Manifestation. In der Mehrzahl der Fälle stellen sich Betroffene erst zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr bei einem Arzt vor. Interessant ist, dass im Krankheitsverlauf von mehr als 20 Jahren die Symptome hypnagoge Halluzinationen, Schlaflähmung und Kataplexie rückläufig sein können, wobei die Tagesschläfrigkeit aber in mehr als 90% der Fälle ein bleibendes Symptom ist (Kotterba 2001, Mayer 2006). Besonders beeinträchtigend wirkt dabei die durch die Tagesschläfrigkeit bedingte Leistungsminderung, ohne dass die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit der Narkolepsiepatienten im Vergleich zu Gesunden tatsächlich eingeschränkt ist. Allerdings ist die Fähigkeit zu kognitiver Dauerleistung deutlich herabgesetzt, was nicht nur zu Beeinträchtigungen bei sozialen Aktivitäten und Einschränkungen im Berufsleben führt, sondern auch eine erhöhte Unfallgefahr im beruflichen und privaten Umfeld bedeuten kann. 20

1.5 Therapie Da die Narkolepsie eine lebenslange Erkrankung ohne Aussicht auf Heilung ist, gibt es nur die Möglichkeit der Milderung der Symptome, mit dem Ziel der verbesserten Lebensqualität. Dabei steht vor der medikamentösen Therapie in der Regel zunächst der Versuch, Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dazu gehören an erster Stelle das Einhalten der individuell notwendigen Schlafmenge, das Einlegen von Tagschlaf, Genuss stimulierender Getränke, Alkohol- und Nikotinkarenz und körperliches Training. Als besonders wichtig erweist sich darüber hinaus die Einübung von Bewältigungsmustern, die gezielte Beratung bei der Berufswahl und häufig der Versuch, einen alternativen Arbeitsplatz innerhalb eines Betriebes zu finden. Prinzipiell scheint es enorm wichtig, Angehörige und enge Freunde über die Erkrankung zu informieren, um ihnen die Möglichkeit zum adäquaten Umgang mit dem Betroffenen zu geben und Missverständnissen vorzubeugen. Natürlich sollten auch der Arbeitgeber und gegebenenfalls Arbeitskollegen informiert sein, um auch hier Missverständnissen vorzubeugen. Im beruflichen Umfeld ist aber die Frage der Sicherheit in den Vordergrund zu stellen. Nur wer informiert ist, kann Risiken einschätzen und angemessen reagieren. Die beruflichen und privaten Anforderungen machen oft eine medikamentöse Therapie erforderlich. Das entscheidende Problem hierbei ist, die individuelle Entscheidung zwischen einer Dauertherapie und/oder einer Bedarfsmedikation. Therapieziel ist in jedem Fall die ausreichende Wachheit, wenn diese im Berufs- oder im Privatleben erforderlich ist. 21

Therapie der Tagesschläfrigkeit In der Behandlung der Tagesschläfrigkeit werden Stimulanzien eingesetzt. Diese amphetaminähnlichen Derivate sind indirekte Sympathomimetika, die im ZNS und in der Peripherie Noradrenalin, Dopamin und Serotonin freisetzen. Die häufigsten Nebenwirkungen der amphetaminähnlichen Substanzen sind Kopfschmerz, Magen-Darm-Beschwerden, Übererregbarkeit, Reizbarkeit, Selbstüberschätzung, Appetitmangel, Schwitzen, Zittern, Schwindel, Insomnie, Bluthochdruck, Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen. Einige Stimulanzien unterliegen aufgrund ihres Abhängigkeitspotentials dem Betäubungsmittelschutzgesetz (Btm). Unter Einnahme von Amphetaminen entsteht bei etwa 30-40% der Narkolepsiepatienten eine Toleranzentwicklung. Hier sind Medikamentenferien und die Einstellung auf ein optimales Ersatzpräparat, möglichst unter stationären Bedingungen, angeraten. Narkolepsiepatienten entwickeln aber keine Abhängigkeit gegenüber Stimulanzien (Kotterba 2001). Therapie der Kataplexie Zur Therapie der Kataplexie und der hypnagogen Halluzination sind Antidepressiva geeignet. Dabei sind trizyklische Antidepressiva aufgrund ihrer Wirksamkeit insbesondere bei ansonsten therapieresistenten Kataplexien, trotz der erheblichen Nebenwirkungen (Harnverhalt, Potenzstörungen, Mundtrockenheit), nach wie vor Mittel der ersten Wahl. Mit den neueren Antidepressiva gibt es bislang wenige Erfahrungen, Langzeitergebnisse aus Studien fehlen bislang. Dennoch, viele der neueren Antidepressiva wirken sehr gut, bei guter Verträglichkeit und geringen Nebenwirkungen (Mayer 2003). Einen neuen Ansatzpunkt in der Behandlung von Kataplexien und Tagesschläfrigkeit mit dann auch positiver Auswirkung auf die Tagesschläfrigkeit bietet das ebenfalls Btm-pflichtige Natriumoxybat (Xyrem ) (Mayer Pollmächer 2007). 22

Aufgrund der möglichen Toleranzentwicklung bei der Langzeittherapie mit Stimulantien, der Nebenwirkungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten und nicht zuletzt wegen der rechtlichen Fragen (Modafinil, Vigil z.b. unterliegt dem Betäubungsmittelschutzgesetz), sollten Patienten sich mindestens halbjährlich bis jährlich bei einem Arzt vorstellen, der mit der Diagnostik und Therapie der Narkolepsie vertraut ist. Exemplarische Beispiele für die Medikation: Stimulantien Bei der Ersteinstellung auf eine Medikation, ist Modafinil Mittel der ersten Wahl. Modafinil ist zugelassen für die Behandlung der Narkolepsie mit und ohne Kataplexie (und des mittelschweren bis schweren OSAS mit exzessiver Tagesschläfrigkeit trotz adäquater CPAP-Therapie). Modafinil kann in zwei Dosen morgens und abends oder als Einzeldosis morgens eingenommen werden. Die Einnahme von Modafinil wird durch die Nahrungsaufnahme nicht beeinflusst und kann deshalb vor, nach oder während des Essens eingenommen werden. Die Tagesdosis liegt bei 200 400 mg/d und ist bei 70-80% der Patienten wirksam. Modafinil stimuliert das zentrale Nervensystem. Es steigert die Vigilanz ohne den Nachtschlaf zu beeinflussen bzw. zu beeinträchtigen. Die Vigilanzsteigerung wird durch die selektive Aktivierung des Schlaf-Wach-Zentrums im Hypothalamus erreicht. Besonders häufige Nebenwirkungen von Modafinil sind körperliche Unruhe, Angststörungen, Nervosität, Kopfschmerzen und Schwindel. Neben Modafinil ist zurzeit nur noch das Amphetaminderivat Methylphenidat, Ritalin, zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen. Die Amphetaminderivate Fenetyllin, Captagon ; Pemolin, Tradon ; und Ephedrin sind für die Behandlung der Narkolepsie erfahrungsgemäß wirksam, aber nicht oder nicht mehr zugelassen bzw. nicht auf dem deutschen Markt erhältlich. Diese Medikamente dürfen, nach Aufklärung des Patienten, außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches nur off-label verschrieben 23

werden. Diese Regelung impliziert, dass diese Medikamente nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verschrieben werden dürfen, von dem Patienten also selbst zu bezahlen sind. Es besteht für die Betroffenen aber die Möglichkeit, einen Antrag auf Kostenübernahme bei der gesetzlichen Krankenkasse zu stellen, sofern die zugelassenen Medikamente nicht vertragen wurden und/oder unwirksam sind. Antidepressiva Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der Kataplexie sind, wie bereits erwähnt, trizyklische Antidepressiva. Hier ist das Clomipramin zu nennen. Die Anwendung der trizyklischen Antidepressiva ist aber durch ihre häufigen schweren Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Akkomodationstörungen, Harnverhalt, Potenzstörungen) limitiert. Daneben kann es nach dem Absetzen der trizyklischen Antidepressiva zu sogenannten Rebound- Kataplexien kommen. Den neueren Antidepressiva mit deutlich weniger Nebenwirkungen ist deshalb in der Therapie Vorrang einzuräumen. Auch wenn hier die antikataplektische Wirkung erfahrungsgemäß geringer ist. Es gilt zu berücksichtigen, dass viele Patienten an einer leichten Kataplexie leiden und gut mit den neueren Antidepressiva auskommen (Geert Mayer 2003). Zu diesen, erst seit Kurzem in Deutschland für die Behandlung der Narkolepsie zugelassenen Medikamenten, zählt Natriumoxybat, Xyprem. Natriumoxybat ist ein endogener GABA-Metabolit und moduliert das serotonerge und dopaminerge System. Während des Tages erhöht es die Wachheit und verhindert Kataplexien. Zudem nimmt unter Natriumoxybat die Schlafqualität zu; es hat eine stark Schlaf erzwingende Wirkung, wird aber im Körper so schnell abgebaut, dass Patienten es gegebenenfalls zweimal im Laufe einer Nacht einnehmen müssen. Der Vorteil besteht dafür aber in dem fehlenden Überhang am nächsten Morgen. Entzugssyndrome treten nur selten auf, häufig sind dagegen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Kopfschmerzen (Mayer und Pollmächer 2007). 24

1.6 Narkolepsie bei Kindern Die Mehrzahl der Narkolepsiepatienten gibt bei der Diagnosestellung an, dass sie schon als Kinder oder Jugendliche unter massiver Tagesschläfrigkeit, gestörtem Nachtschlaf und Schlaflähmung gelitten haben. Dennoch wird die Erkrankung in der Regel erst zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr gestellt. Dabei tritt bei etwa 20% der Narkolepsiepatienten die Erkrankung sogar bereits vor dem zehnten Lebensjahr auf. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Kinder dazu neigen, die Symptome der Erkrankung zu verheimlichen. Sie kompensieren die Tagesschläfrigkeit häufig durch Hyperaktivität. In der Folge wird bei ihnen ein hyperkinetisches Syndrom diagnostiziert. Bestehende Kataplexien können derart diskret sein, dass sie nicht einmal dem betreffenden Kind bewusst werden (Deutsche Narkolepsie- Gesellschaft 2001). Besonders häufig sind bei Kindern Verhaltensauffälligkeiten wie Erregbarkeit und Aggression, sozialer Rückzug, Verschlechterung der Schulleistung (in ca. 60% der Fälle) und neuerlich auftretendes nächtliches Einnässen (Pavor nocturnus). Bei den meisten der betroffenen Kinder sind SOREMS nachweisbar und die mittlere Schlaflatenzzeit (MLST) ist stark verringert. Die Therapie besteht in der Gabe von Methylphenidat und anderen Stimulanzien. Für die Therapie der Kataplexien eigenen sich, wie in der Therapie der Erwachsenen, Natriumoxybat (Mayer 2006). 1.7 Ärztliche Begutachtung Die ärztliche Begutachtung eines Narkolepsiepatienten kann im Bereich der Einstufung einer Schwerbehinderung, der Frage der Erwerbsfähigkeit und der Fahrtauglichkeit gefordert sein. In allen genannten Bereichen steht die Frage nach der Schwere der Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit und Vigilanz durch die Tagesschläfrigkeit im Vordergrund. Das Vorliegen einer Kataplexie ist ebenso abzuklären. Die Kataplexie hat ihre Bedeutung vor allem bei der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit und der 25

Einstufung als Schwerbehinderung sowie der Beurteilung der Fahrtauglichkeit (Kotterba et al. 2007). Aufmerksamkeit und Vigilanz Aufmerksamkeit hat nach bestehenden Theorien vier verschiedene Komponenten: Die zentralnervöse Aktivierung, die selektive Aufmerksamkeit, die geteilte Aufmerksamkeit und die längerfristige Aufmerksamkeitszuwendung. Die zentralnervöse Aktivierung geht der Aufmerksamkeit voraus. Gemeint ist das unbewusste, durch das vegetative Nervensystem beeinflussbare Aufmerksamkeitsniveau. Die zentralnervöse Aktivierung unterscheidet zudem eine tonische und eine phasische Aktivierung. Mit der tonischen Aktivierung ist das Aktivierungsniveau eines Individuums über einen langen Zeitraum, z.b. 24 Stunden, gemeint. Diese unterliegt nicht der bewussten Kontrolle, kann aber zum Beispiel mit Hilfe des Multiplen SchlafLatenz- Testes objektiviert werden. Dagegen definiert die phasische Aktivität die Fähigkeit das Aufmerksamkeitsniveau auf einen konkreten Reiz hin zu steigern. Ein mögliches Testgerät zur Prüfung der phasischen Aktivität ist beispielsweise die Zimmermann-Test-Batterie (TAP), mit deren Hilfe Reaktionszeitmessungen auf einen Warnreiz erfolgen können (Weeß et al. 2000). Selektive Aufmerksamkeit meint die Fähigkeit, aus einer Vielzahl von Reizen den relevanten herauszufiltern und dabei alle anderen störenden Reize zu ignorieren. Diese Form der Aufmerksamkeit ist zum Beispiel in einer Gesprächsituation gefordert, in der es zwar nur einen Gesprächspartner gibt, man sich aber auf einem Empfang in einem Restaurant mit 80 weiteren Personen befindet, die sich ebenfalls unterhalten. Gleichzeitig bieten Kellner Getränke an, Kinder rennen tobend zwischen den Gästen hin und her, etc. Dieser Aspekt der Aufmerksamkeit lässt sich mit Hilfe des Wiener Testsystems prüfen (Weeß et al. 2000). 26

Die geteilte Aufmerksamkeit fordert dagegen gerade die Fähigkeit eine Vielzahl unterschiedlicher Reize schnell und parallel sowohl kontrolliert als auch automatisch zu verarbeiten, verbunden mit der seriellen und parallelen Handlungsbereitschaft. Ein klassisches Beispiel ist eine Situation im Straßenverkehr: Ein Autofahrer, der im belebten Stadtverkehr auf eine große Ampelkreuzung zusteuert. Der Fahrer ist in dieser Situation gezwungen eine beträchtliche Anzahl von einströmenden Reizen parallel zu registrieren und beinahe zeitgleich zu verarbeiten, um schnell und sicher reagieren zu können. Schon aufgrund der zeitlichen Limitation ist klar, dass hier nicht jeder einzelne Reiz aufgegriffen und bewusst verarbeitet werden kann. Zu einem Teil müssen die Eindrücke sofort und automatisch registriert werden, während parallel andere Reize bewusst gemacht werden müssen, um sicheres Reagieren zu ermöglichen. Zur Prüfung der geteilten Aufmerksamkeit eignet sich unter anderem das Wiener Determinationsgerät (Weeß et al. 2000). Bei der längerfristigen Aufmerksamkeit müssen zwei Komponenten unterschieden werden: Die Vigilanz und die Daueraufmerksamkeit. Die Daueraufmerksamkeit ist gefordert bei der Verarbeitung von Reizen bei einer hohen Reizfrequenz über eine längere Zeitspanne. Dem gegenüber fordert die Vigilanz die Aufrechterhaltung eines hohen Aufmerksamkeitsniveaus auch über Stunden bei sehr niedriger Reizfrequenz, wie sie zum Beispiel beim stundenlangen Autofahren über eine wenig belebte Landstrasse oder bei der Überwachung von Maschinen gefordert sein kann. Die Vigilanz ist dabei kein kognitives Geschehen. Es fließen motivationale Aspekte mit ein, die dem Nachlassen der Vigilanz aktiv entgegenwirken können (Kotterba et al. 2007). Computergestützte Testverfahren, wie zum Beispiel der Vigilanztest aus der Zimmermann Testbatterie oder der Vigilanztest nach Quatember und Maly oder Vigimar, zeigen, dass selbst schläfrige Testpersonen ihre Vigilanz über einen langen Zeitraum aufrecht erhalten können. Während dieser Zeitspanne erfolgen lediglich ein oder zwei Einbrüche der Vigilanz. 27

Entscheidend dabei ist aber natürlich in welcher Situation diese Vigilanzeinbrüche passieren. Trifft sie eine Person während des Autofahrens oder im beruflichen Umfeld, so sind Unfälle vorprogrammiert. Alle Aufmerksamkeitsleitungen sind von Wachheit-/Schläfrigkeit beeinflusst und müssen je nach gutachterlicher Fragestellung untersucht werden. Einstufungen als Schwerbehinderung Eine Person wird als schwerbehindert eingestuft, wenn eine Schwerbehinderung von wenigstens 50% vorliegt ( 2 Abs. 2 SGB IX). Dabei wird die Narkolepsie wie folgt beurteilt: Je nach Häufigkeit, Ausprägung und Kombination der Symptome (Tagesschläfrigkeit, Schlafattacken, Kataplexien, automatisches Verhalten im Rahmen von Ermüdungserscheinungen, Schlaflähmung häufig verbunden mit hypnagogen Halluzinationen), sind im Allgemeinen GdB (Grad der Behinderung)/MdE-Grade (Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 50 bis 80% anzusetzen. Selten kommen auch GdB/MdE von 40% (z.b. bei gering gradig ausgeprägter Tagesschläfrigkeit in Kombination mit seltenen Schlaflähmungen und hypnagogen Halluzinationen) oder auch über 80% (bei ungewöhnlich starker Ausprägung) in Betracht (Mayer, Steiner 1999, Kotterba et al. 2007). Nach dieser Einschätzung ist die Narkolepsie in der Regel eine Schwerbehinderung. Dennoch wird in vielen Fällen eine medizinische Einschätzung der Erkrankung notwendig, um die Interessen des Betroffenen beim zuständigen Versorgungsamt durchzusetzen. 28

Minderung der Erwerbsfähigkeit Die Symptomatik der Narkolepsie kann in manchen Fällen so ausgeprägt sein, dass eine teilweise oder sogar vollständige Berufsunfähigkeit attestiert werden muss. Die Berufsunfähigkeit ist gegeben, wenn die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen, aufgrund einer Erkrankung oder einer Behinderung, im erlernten Beruf auf weniger als die Hälfte eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Als voll berufsunfähig ist derjenige einzustufen, dessen Erwerbsfähigkeit aufgrund von Krankheit oder Behinderung in dem erlernten bzw. auf Dauer ausgeübten Beruf gegenüber einer gesunden Vergleichsperson auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Seit dem 01.01.2001 gibt es die Berufsunfähigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch nur noch in Form der teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ( 240 SGB VI). Für die Narkolepsie bedeutet dies, dass Betroffene in Berufen mit hoher Anforderung an die Vigilanz, z.b. Bedienstete im Überwachungsbereich an Bildschirmen, als berufsunfähig eingestuft werden können, wenn sie trotz effektiver therapeutischer Maßnahmen ungewollte Schlafepisoden und/oder Kataplexien am Arbeitsplatz erleiden (Kotterba et al. 2007). Fahrtauglichkeit Etwa 0,4% aller Kfz-Unfälle lassen sich ursächlich auf die Übermüdung des Fahrzeugführers zurückführen (Statistisches Bundesamt 2006). Dabei gilt natürlich, dass selbst Personen, die nachweislich nicht an einer Schlafstörung leiden, Kfz-Unfälle durch Schlafattacken am Steuer verschulden können. Studien belegen, dass die größte Wahrscheinlichkeit am Steuer einzuschlafen in der Zeit zwischen 2:00 Uhr und 4:00 Uhr morgens, zwischen 14:00 Uhr und 16:00 Uhr nachmittags und zwischen 22:00 Uhr und 24:00 Uhr abends gegeben ist. In dieser Zeit ist die Vigilanz physiologisch herabgesetzt. Während aber die Unfallrate der durch 29

Tagesschläfrigkeit verursachten Autounfälle für Gesunde bei 5,3% liegt (Aldrich et al. 1989), ist das Unfallrisiko bei Patienten mit OSAS nach unterschiedlichen Studien 3- bis 7-fach höher (Teran-Santos et al. 1999) und für die Narkolepsiepatienten ist das Unfallrisiko gegenüber Gesunden um das vier- bis siebenfache erhöht (George, Boudreau, Smiley 1996). Die Grundlage zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Narkolepsiepatienten bilden die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung. Grundsätzlich gilt, dass die Fahrtauglichkeit bei ausgeprägter Tagesschläfrigkeit, wie sie bei Patienten mit Narkolepsie vorliegt, nicht gegeben ist. Gemäß 2 Absatz 1 der Verordnung zur Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV) muss jeder Verkehrsteilnehmer seine Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr prüfen. Bestehen geistige oder körperliche Mängel, ist der Betreffende verpflichtet, Vorsorge zu treffen, so dass er sich und/oder andere nicht gefährdet. Führerscheinbewerber werden bei entsprechendem Antrag aufgefordert, die Frage nach etwaigen Beeinträchtigungen, die eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr einschränken oder unmöglich machen, wahrheitsgemäß zu beantworten. Genauso ist der Betreffende aber berechtigt, diese Frage offen zu lassen. Erhebt die Verkehrsbehörde aber Zweifel an der Fahrtauglichkeit eines Führerscheinbewerbers oder Fahrzeugführers, ist sie berechtigt, weitere Untersuchungen anzuordnen. Gemäß 2 FeV wird ein durch Müdigkeit bedingter Unfall als eine grobe Fahrlässigkeit eingestuft und als Ordnungsstrafe geahndet. Nach 315c StGB ist aber ein Straftatbestand erfüllt, wenn dem Betreffenden eine Erkrankung bewusst ist, die mit Tagesschläfrigkeit einhergeht und er einen Unfall verursacht, der zweifelsfrei auf die Müdigkeit zurückzuführen ist. Es entstehen aber in der Praxis Schwierigkeiten bei der Erbringung des entsprechenden Nachweises: Schwer zu erhebende Indizien dürfen nicht geltend gemacht werden. Das bedeutet, dass der Unfallverursacher entweder zugibt, den Unfall durch Müdigkeit verschuldet zu haben, was aber nach Lage der Dinge unwahrscheinlich ist, oder aber es gibt Zeugen, die mit ihrer Aussage den Unfallverursacher belasten. Im Falle eines Schuldspruches, muss der Betreffende mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe 30

rechnen, der Führerschein wird entzogen und die Kfz-Haftpflicht schränkt für diesen Fall ihre Leistungen ein. Die Fahrerlaubnis kann wiedererlangt werden, wenn nach erfolgreicher Therapie der Tagesschläfrigkeit in einem ärztlichen Gutachten die Fahrtüchtigkeit bescheinigt wird. Dabei fehlen nach wie vor einheitliche Richtlinien zur Begutachtung der Fahrtauglichkeit. Dennoch gibt es Vorschläge zur Durchführung der Anamnese: Es sollte eine Objektivierung der Aufmerksamkeitsdefizite mittels der oben genannten Testmethoden erfolgen. Dazu sollte in jedem Fall ein 30-minütiger Vigilanztest zählen. Zum Ausschluss der Einschlafneigung eignet sich dabei der MWT. Darüber hinaus lässt sich das individuelle Unfallrisiko gut durch den Einsatz von Fahrsimulatoren abschätzen (Kotterba und Orth 2007). 1.8 Narkolepsie und Berufsleben Narkolepsiepatienten sind durch die Erkrankung in ihrer Berufswahl deutlich eingeschränkt. Bedienstete mit Überwachungsfunktionen zum Beispiel müssen über Stunden ihre Aufmerksamkeit und Wachheit auf einem hohen Niveau halten, selbst in Stunden andauernden eintönigen Situationen. Eine Leistung, die ein Narkolepsiepatient nicht erbringen kann und deren Mangel in einem solchen Beruf zu einer Gefährdung werden kann. Berufe im Bereich der Personenbeförderung scheiden für Narkolepsiepatienten ebenfalls aus. Auch im Falle, dass eine Fahrtauglichkeit bescheinigt wird, ist das Risiko einer Selbst- und Fremdgefährdung zu hoch. Die Leistungsanforderungen an Kraftfahrer, Bus- und Bahnfahrer können nicht mit den Anforderungen an einen privaten Kraftfahrzeugführer gleichgesetzt werden. Coping-Strategien, wie zum Beispiel längere Pausen oder das Fahren in Begleitung, können in solchen Berufen nur unzureichend sein und sind in der Regel aufgrund eines vorgegebenen Zeitplans auch gar nicht anwendbar. Auch der Beruf des Kranführers oder Baggerfahrers scheidet wegen der naheliegenden Gefährdung durch die imperativen Schlafattacken aus. Betroffene müssen bei ihrer Berufswahl neben der Tagesschläfrigkeit 31

gegebenenfalls auch die Kataplexie berücksichtigen. Berufe, die mit Arbeiten in einer Höhe einhergehen, wie zum Beispiel Dachdecker, Schornsteinfeger, Plakatkleber und ähnliche Berufe, können im Falle eines kataplektischen Anfalls schnell zu lebensbedrohlichen Situationen führen. 1.9 Narkolepsie und Versichertenstatus Lebensversicherungen sollen das persönliche Risiko absichern und im Falle einer Kapitallebensversicherung gleichzeitig Kapital ansparen. Daneben gibt es die Berufunfähigkeitsversicherung, inzwischen häufig Teil der Kapitallebensversicherung, die der versicherten Person auch im Falle, dass die Ausübung des erlernten Berufes aus gesundheitlichen Gründen unmöglich ist, ein finanzielles Auskommen garantieren soll (Hannoversche Lebensversicherung 2008). Die zu zahlenden Beiträge sind abhängig von Geschlecht, Alter, Beruf und der Gesundheit der versicherten Person. Chronische Erkrankungen, wie familiäre Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus Typ 1, u.ä., werden bei der Festlegung der Beiträge berücksichtigt. Wünscht ein Versicherter eine Erhöhung der Versicherungssumme zur besseren Absicherung seiner Person, sind die Gesundheitsfragen erneut zu klären. Bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann es Probleme bei der Anpassung des Versicherungsschutzes geben. Narkolepsiepatienten sehen sich bei einem geplanten Versicherungsabschluss mit der Unwissenheit der Unternehmen konfrontiert. Die Narkolepsie ist eine seltene Erkrankung, die in den Fragenkatalogen der Versicherer keine Rolle spielt. Um das Risiko des Unternehmens klein zu halten, wird ein hohes Risiko auf Seiten des Narkolepsiepatienten angenommen mit konsekutiver Festlegung hoher Beiträge und/oder besonderen Risikozuschlägen. 32