Pädagogisches Dossier Lissy Funk

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NMB Nouveau Musée Bienne / Neues Museum Biel Faubourg du Lac 52 / Seevorstadt 52 Case postale / Postfach 2501 Biel / Bienne Pädagogisches Dossier Lissy Funk Von Generation zu Generation. Mit Werken von Adolf Funk und Rosina Kuhn Zum Workshops Mit Nadel und Faden im Rahmen der Aktionswochen (19.9. 18.11.2016) Lissy Funk (1909-2005) Im Grien, 1968, Stickerei, 203 x 349,9 cm Kunst- und Kulturvermittlung info@kulturvermittlung-biel.ch Tel. : 032 322 24 64 www.nmbiel.ch

Inhaltsverzeichnis Einführung... 3 Die Stickerei... 4 Lissy Funk (1909-2005)... 5 2 Texte: Fabia Hiltbrunner, Bernadette Walter

Einführung Lissy Funk (1909 2005) schuf mit Nadel und Faden ein aussergewöhnliches Werk, welches innerhalb der Textilkunst des 20. Jahrhunderts einen besonderen Platz einnimmt. Als Bildstickerin gestaltete sie für diese Gattung ungewöhnlich grossformatige Werke. Miniaturen fanden in ihrem künstlerischen Spätwerk ihren Platz. Von der mehr und mehr in den Raum eingreifenden und skulpturalen Textilkunst ab den 1960er Jahren unterscheidet sich Lissy Funk insofern, dass sie ihre Werke für die Aufhängung an der Wand konzipierte. Ihre Stickereien sind immer genuine Arbeiten in diesem Metier, da sie nicht einfach Gemälde auf einen textilen Träger kopierte. Nadeln und Faden waren ihr, was Malerinnen und Maler Pinsel und Farbe bedeuteten: Mit ihnen schuf sie ureigene Kreationen, die die technischen Grenzen ausloten und mit neuen Lösungen die Textilkunst reformierten. Über sechzig Jahre verbrachte Lissy Funk an der Seite ihres Ehemannes, dem Maler Adolf Funk (1903-1996). Die beiden standen in einem stetigen intellektuellen und künstlerischen Austausch. Sie inspirierten sich gegenseitig, was sich in einer Annäherung ihrer Formensprache manifestiert. Beide blieben aber stets ihrem eigenen künstlerischen Medium Lissy Funk der Stickerei und Adolf Funk der Malerei, den Collagen und den Mosaiken treu. 3 Das NMB präsentiert Werke der Künstlerin Lissy Funk, in Kombination mit solchen ihres Ehemannes Adolf und der gemeinsamen Tochter Rosina Kuhn.

Die Stickerei Stickereien sind Verzierungen von Geweben oder Leder durch Fäden. Mit einer Nadel werden die Fäden, etwa aus Baumwolle, Seide oder Gold, mit verschiedenen Stichtechniken in den Stoff eingezogen. Stickereien waren in Ostasien bereits bei den Kulturvölkern des Altertums bekannt und werden somit schon seit Jahrtausenden genutzt. Eine bedeutende Rolle spielten sie im Byzantinischen Reich und verbreiteten sich von da über Italien in die Länder des Nordens aus. Kirchliche Paramente, wie etwa die Obergewänder der Kirchenträger, waren oft reich bestickt. 4 Lissy Funk hatte ihren Tanten und Grosstanten dabei zugesehen, wie sie Paramente bestickten. Diese Erlebnisse führten schliesslich zu ihren ersten Stickversuchen im Alter von achtzehn Jahren. Sie hat sich von einer geschickten Stickerin zu einer ernstzunehmenden Künstlerin entwickelt. Verschiedene Stiche angefertigt von Hella Sturzenegger (zu sehen in der Ausstellung) Die von der Zürcher Malerin und Textilkünstlerin Hella Sturzenegger (*1936) angefertigten Muster zeigen verschiedene Stichtechniken und deren Variationen, die Lissy Funk in ihrem Werk verwendete. Hella Sturzenegger absolvierte in den 1950ern Jahren eine Lehre als Stickerin bei Lissy Funk und besuchte anschliessend die Kunstgewerbeschule in Zürich, mit Unterricht bei Elsi Giauque (1900 1989). Seit 1961 ist Hella Sturzenegger freischaffende Künstlerin.

Lissy Funk (1909-2005) Lissy Funk (-Düssel) schuf mit Nadel und Faden ein aussergewöhnliches Werk, welches innerhalb der Textilkunst des 20. Jahrhunderts einen besonderen Platz einnimmt. Die Bildstickerin entdeckte gerade mal mit achtzehn Jahren nach einer abgebrochenen experimentellen Tanzausbildung die Bildstickerei, die sie sich autodidaktisch aneignete. Sie hatte ihren Tanten und Grosstanten oft dabei zugesehen, wie sie Paramente, reich verzierte kirchliche Obergewänder, bestickten. Diese Erlebnisse führten schliesslich zu ihren ersten Stickversuchen. 5 Das Frühwerk der Künstlerin gestaltet sich figürlich und lässt Spuren ihrer grossen Vorbilder erkennen den französischen, flämischen und englischen Bildteppichen aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Fasziniert von deren reichen Bildwelten, entwarf Lissy Funk, inspiriert von ihrer Lebenswelt und Fantasie, ihre eigenen Kompositionen etwa idyllische Waldszenen mit Pflanzen und Tieren. In den 1930er Jahren liess sich die Künstlerin in Zürich nieder, gab dort Gymnastikstunden, führte Privataufträge aus und stickte für einen Laden, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es entstanden Gebrauchstextilien, etwa Tischdecken, die mit Pflanzen- und Tiersujets bestickt waren. Lissy Funk (1909 2005) Die Quelle, 1939, Stickerei, 191 x 184 cm, Privatbesitz

In Zürich traf sie auf Adolf Funk, einen jungen Maler, den sie 1935 heiratete. Lissy Funk unterrichtete für zwei Jahre an der Berufsschule in Basel Sticken. 1938 gewann sie einen Wettbewerb der Stadt Zürich und erschaffte in den folgenden fünf Jahren, mit Hilfe einer Assistentin, den bekannten 35 Quadratmeter grossen Rathausteppich, der noch heute den Grossen Rathaussaal ziert. Es ist ein Meisterwerk der jungen Künstlerin, das Tradition und Innovation verbindet Gestaltungselemente der mittelalterlichen Tausend-Blumen- Teppiche werden hier von Lissy Funk mit der im mittelalterlichen Zürich gepflegten Tradition der Heraldik kombiniert. So zieren zwei imposante, aus goldenen Fäden gestickte Löwen, den Teppich. Sie halten das Zürcher Kantonswappen und sind umgeben von den Wappen der zürcherischen Gemeinden sowie einer reichen, botanisch exakt wiedergegebenen Pflanzenwelt, allesamt aus der Flora des Kantons stammend. Während der Entstehungszeit des Rathausteppichs brachte die Künstlerin zwei Kinder zur Welt. Ende der 1940er Jahre begann sie mit ihrer langjährigen Unterrichtstätigkeit an der Hauswirtschaftlichen Fortbildungsschule in Zürich. 6 Ansicht des Münsters Allerheiligen, Schaffhausen Wikipedia Lissy Funk war bestrebt, in ihren Arbeiten auch eine spirituelle Erfahrung auszudrücken. Im figürlichen Frühwerk zeugt eine christliche Ikonographie von ihrem Glauben und einer Verbundenheit mit der Schöpfung. Das geistige Moment ist in ihren abstrakten Kompositionen ab den 1960er Jahren weniger offensichtlich und erschliesst sich häufig erst durch die Werktitel. Ein Beispiel für den direkten und figürlichen Bezug zur christlichen Ikonographie ist der monumentale Teppich an der Chorwand des Münsters Allerheiligen in Schaffhausen. Der Teppich hat die Karitas, die christliche Nächstenliebe und Wohltätigkeit, sowie die Liebe zu Gott zum Thema er ist programmatisch für die Kunst und Persönlichkeit von Lissy Funk, nicht nur für ihr figürliches Werk, sondern auch in Bezug auf ihre abstrakten Kompositionen, die immer vom unmittelbar

Erlebten ausgehen. Die Veränderung zu einer zunehmend abstrakten Bildsprache ist im Schaffhauser Teppich bereits angekündigt. Die stilisierten, geometrischen Figuren harmonieren dabei mit der romanischen Architektur des Münsters, mit den klaren Räumen, Kuben und Linien. Die Teppiche anderer Künstlerinnen und Künstler des 20. Jahrhunderts beeindruckten Lissy Funk ebenso und rüttelten sie auf, sodass es ihr unmöglich wurde, Dinge aus ihrem täglichen Leben weiterhin auf den Stoff zu bannen. Es folgte eine längere Phase der Neuorientierung, in deren Verlauf sie ihre eigene Bildsprache fand, nun vollkommen abstrakt, sowohl dem Linearen als auch dem Flächigen verpflichtet. Hier lassen sich Parallelen zum künstlerischen Werk ihres Mannes finden, der bereits in früheren Jahren abstrakt zu arbeiten begonnen hatte, jedoch das Figürliche zeitlebens weiterführte. Sobald Lissy Funk die Abstraktion einmal für sich entdeckt hatte, blieb sie fortan bei dieser Ausdrucksweise. Es entstand einerseits ein nonfiguratives Werk mit grossformatigen Arbeiten, die in ihrer Dimension, der Form- und Farbgebung ganze Räume einzunehmen vermögen. Andererseits wandte sie sich ab den 1990er Jahren vermehrt Miniaturen zu. Funks technische Virtuosität manifestiert sich sowohl im grossen wie im kleinen Format. Sie arbeitete mit 50 verschiedenen Stichtechniken, darunter mit dem nach ihr benannten «Funk- Stich», welcher den Werken eine reliefartige, hervorstehende Textur verleiht. Mit diesem verdeckten Stich lässt sich unbearbeitete, ungesponnene Wolle oder Flachs von der Rückseite her auf den Träger fixieren. Natürlich stand Lissy Funk mit ihrer Entwicklung hin zu einer abstrakten Kunst nicht alleine da, einzigartig ist jedoch das von ihr dazu gewählte Medium und die damit verbundenen Möglichkeiten der Gestaltung der Oberflächenbeschaffenheit, welche durch den Einsatz verschiedener Materialien und Stiche in ihren Strukturen mannigfaltig verändert werden kann. 7

8 Lissy Funk (1909 2005) Der kleine Garten, 1962, Stickerei, 180 x 250 cm, Alterssiedlung Stegmatt, Lyss Eines der ersten abstrakten Werke der Künstlerin ist der «Kleine Garten» aus dem Jahr 1962. Die Komposition setzt sich aus einer fadenbetonten, schwarz-weissen, zeichnerischen Ebene und einem darunterliegenden, bläulichen, flächigen Element zusammen, welches sich dahinter verbirgt eine Andeutung eines Teiches in diesem kleinen, lyrischen Garten. Das Werk ist typisch für Lissy Funks Stil der frühen 1960er Jahre, der sich auszeichnet durch mehr zeichnerische, fast nur schwarz-weisse, mit Leinenfäden gestickte Teppiche.

9 Lissy Funk (1909 2005) Der fröhliche Augenblick, 1971, Stickerei, 190 x 265 cm, Privatbesitz Daneben wurden Farben von der Künstlerin immer wieder als zentrales Gestaltungsmittel eingesetzt. In «Der fröhliche Augenblick» von 1971 der Titel selbst zeugt bereits von einer lebensfrohen Haltung wird durch die Verwendung einer breiten Farbpalette mit verschiedenen Blau-, Rot- und Grüntönen, ergänzt durch schwarz-weisse Gestaltungselemente, ein wahres Feuerwerk entfacht, dem der Titel in nichts nachsteht. Virtuos gestalten sich auch die verwendeten Stichtechniken; nun scheinen die Fäden teilweise locker über dem Trägermaterial zu liegen und lassen darunter bestickte Flächen hervorscheinen. Die Künstlerin nutzte in weiteren Werken vermehrt den Stickgrund, meist aus Leinenstoff, als gestalterisches Element. Sie liess den Trägerstoff an ausgesuchten Stellen frei, so entsteht nebst den unterschiedlichsten Strukturen durch die verwendeten Stiche ein wiederkehrendes Bildelement. Zwar weisen Lissy Funks Arbeiten oft ein Relief auf, doch greifen ihre Arbeiten, anders als bei anderen Textilkünstlerinnen der 1960er Jahre, nicht skulptural in den Raum ein. Ihre Werke sind immer für die Wand konzipiert. Die Textilkünstlerin denkt malerisch, ein Ergebnis aus dem über sechzig Jahre andauernden künstlerischen Zwiegespräch mit Adolf Funk. Es sind jedoch keine Übersetzungen von Malerei auf einen Stoff, sondern ureigene Kreationen, in welchen sie die technischen Grenzen auslotete und damit genuine Werke in diesem Metier schuf.

Nach ihrer Pensionierung im Jahr 1976 fand sie die langersehnte Freiheit, ganz für sich selber zu arbeiten. Der Öffentlichkeit präsentierte sie ihr Werk in zahlreichen Ausstellungen. Drei Mal hatte Lissy Funk ausserdem die Möglichkeit an der Biennale Internationale de la Tapisserie in Lausanne mitzuwirken. 10 Lissy Funk (1909 2005) Das goldene Tor, 2004, Stickerei, 90 x 60 cm, Kunstsammlung der Stadt Biel