Faktenblatt: Suizid mit Schusswaffen

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Transkript:

Eidgenössisches Departement des Innern EDI Bundesamt für Gesundheit BAG Direktionsbereich Gesundheitspolitik Faktenblatt: Suizid mit Schusswaffen (Stand Januar 2011) Autor: PD Dr. med. Thomas Reisch, Leiter Schwerpunkt Psychotherapie, Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie Bern Waffen dienen dem Schutz, stellen aber auch eine Bedrohung für körperliche und seelische Gesundheit dar. Waffen können gegen andere, aber auch gegen sich selbst gerichtet werden. Diese Aspekte sollen einzeln in dem hier vorliegenden Factsheet auf Grund objektiv erhobener Daten behandelt werden. Als Quellen standen zur Verfügung: Daten des Bundesamtes für Statistik, Daten des OB- SAN, die schweizerische Kriminalstatistik (PKS), der Schlussbericht Ordonanzwaffe (VBS) sowie in medizinisch wissenschaftlicher Literatur publizierte Studien. In Bezug auf verlorene Menschenleben durch Waffen hat numerisch der Suizid die weitaus grösste Bedeutung und soll daher zuerst behandelt werden. Bedeutung der Waffen bei Suiziden In der Schweiz sterben jährlich etwa 1300 Menschen durch Suizid. Seit 1995 werden die Suizidzahlen mit Hilfe des ICD-10 Systems erhoben und sind daher miteinander vergleichbar. Die Daten liegen aktuell bis zum Jahre 2008 vor. Die beiden häufigsten Methoden in diesem Zeitraum insgesamt waren Erhängen (24.2%) und Erschiessen (24.1%), gefolgt von Medikamenten (20.4%), Sprung in die Tiefe (10.9%) und Sich-Legen vor fahrenden Gegenstand (zumeist Zug; 6.5%). Insgesamt starben in diesem Zeitraum 4552 Menschen durch eine Waffe (im Mittel somit 325 pro Jahr), wobei es insbesondere bei den Schusswaffensuiziden grosse Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt: 95.2% aller Schusswaffensuizide betreffen Männer (siehe Grafik 1). Die Zahl ist seit der Einführung der Armee XXI stark gesunken, in den Jahre 2005-2008 waren es 254 pro Jahr. Suizide in der Schweiz (1995-2008, BFS) 5000 4500 4000 3500 Anzahl 3000 2500 2000 Frauen Männer 1500 1000 500 0 Medikamente Erhängen Ertrinken Erschiessen Sprung Zug andere

Schusswaffensuizide werden am häufigsten von der Altersgruppe 20 bis 29 und 30 bis 39 Jahre begangen. Im Verlauf des Lebens wechseln die Mittel. Menschen im hohen Alter nehmen sich am häufigsten mit Medikamenten das Leben. Welche Altersgruppe benutzt welche Suizidmethode? 45.00 40.00 % 35.00 30.00 25.00 20.00 15.00 10.00 5.00 Medikamente Erhängen Ertrinken Erschiessen Sprung Zug andere 0.00 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 70-69 70-79 80+ Altersgruppe (Jahre) Die Bedeutung der Armeewaffe bei den Suiziden Insgesamt liegen 4 Studien vor, welche untersuchen, wie häufig die Armeewaffe bei Schusswaffensuiziden verwendet wurde. Zwei der Studien basieren auf den Daten von Instituten der Rechtsmedizin (Frei et al. 2006 und Reisch et al. 2010), die beiden anderen benutzen Daten der Polizeistatistik (Walti-Jenni & und Walti 2008 und Killias et al. 2006). Auch wenn sie jeweils unterschiedliche Erhebungsorte aufwiesen und unterschiedliche Zeitpunkte und Räume untersuchten, so zeigen sie doch übereinstimmend, dass etwa die Hälfte aller Schusswaffensuizide auf die Armeewaffe zurückzuführen ist. Tabelle 1: Studien zu Armeewaffensuiziden in der Schweiz Autoren Armeewaffensuizide alle Schusswaffensuizide Anteil der Armeewaffen untersuchte Jahre Erhebungsorte (Kantone) Killias et al. 2006 51 75 68.0% 1980-2004 GE; BS; BL; BE; SO; AG Frei et al. 2006 50 120 41.7% 1991-2007 BS; BL Wälti-Jenni & Wälti 2008 30 64 46.9% 1991-2007 ZG Reisch et al. 2010 38 86 44.2% 2004 gewichtetes Mittel 169 345 49.0% BL; BS; ZH; VD; VS; BE; AG; TG Reisch et al. (2010) verglichen bei ihren Daten die Altersverteilungen zwischen Armeewaffensuiziden und Suizide durch nicht-militärische Waffen. Während Nicht-Armeewaffen vor allem von Männern der mittleren Altersklasse verwendet wurden, zeigte sich bei den Armeewaffen ein zweigipfliger Verlauf mit einem hohen Anteil an jungen Suizidenten und einem weiteren hohen Anteil an Männern im Rentenalter. Dies deutet darauf hin, dass sowohl die Rekruten als auch die späten Veteranen besonders betroffen sind. Diese Ergebnisse sind aber noch als provisorisch zu bezeichnen, eine umfassende Erhebung in der gesamten 2/7

Schweiz für die Jahre 2000 bis 2010 wurde im September 2010 vom schweizerischen Nationalfonds bei einer nationalen Forschergruppe in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse können erst Ende 2011 erwartet werden. 30 Altersverteilung bei Suiziden mit Armeewaffen und Nicht- Armeewaffen 25 20 Armeewaffe % 15 Nicht-Armeewaffe 10 5 Poly. (Armeewaffe) 0 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80+ Altersgruppe Poly. (Nicht- Armeewaffe) Wie haben sich die Zahlen der Suizide durch Schusswaffen verändert? Abgesehen von Finnland hat kein Land Europas so eine hohe Rate an Schusswaffensuiziden wie die Schweiz, sie liegt fast drei mal so hoch wie der Mittelwert Europas (Värnik et al. 2008). In den letzten Jahren ist erfreulicherweise die Anzahl der Schusswaffensuizide in der Schweiz zurückgegangen. Bei einer genaueren Analyse stellt sich heraus, dass dies zeitgleich mit der Strategieumstellung der Armee (Armee XXI stattgefunden hat. Schusswaffensuizide und Armeewaffen in der Schweiz 1995 bis 2008 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Einführung der Armee XXI 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Jahr Schusswaffensuizide Effektivbestand Armeewaffen in Tausend Es zeigt sich eine sprungartige Reduktion der Schusswaffensuizide zu dem Zeitpunkt als der Bestand der Armee im Rahmen der Armee 21 reduziert wurde. Die Korrelation dieser beiden Werte liegt bei r= 0.925 (p>0.001), was auf einen aussergewöhnlich starken Zusammenhang schliessen lässt. 3/7

Die Reduktion des Armeebestandes führte dazu, dass insbesondere junge Menschen unter 50 Jahre weniger Kontakt zur Armeewaffe hatten. Korrespondierend ging die Suizidrate bei diesen Altergruppen zurück (am deutlichsten bei 30 bis 39 Jahren). Entwicklung der Schusswaffensuizide nach Altersgruppen vor und nach der Einführung der Armee 21 Schusswaffensuizide Männer pro Jahr 80.0 70.0 60.0 50.0 40.0 30.0 20.0 10.0 0.0 bis 29J. 30-39J. 40-49J. 50-59J. 60-69J. über 70J. Altersgruppe 1995-2003 2004-2008 Deliquenz durch Waffen in der Schweiz Schusswaffen haben in der Schweiz eine Bedeutung bei versuchten und vollendeten Tötungsdelikten. Bei versuchten Tötungsdelikten überwiegen die Stichwaffen gegenüber den Schusswaffen, bei den vollendeten Tötungsdelikten ist die Schusswaffe mit 36% das häufigste Tatmittel. Straftaten durch Schusswaffen werden durch die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst, welche allerdings keine Unterscheidung zwischen Sportwaffen und privatisierten (ehemaligen) Armeewaffen zulässt. Nur eine Studie von Professor Killias untersuchte den Anteil der Armeewaffen an den Tötungsdelikten. Die Gesamtzahl der vollendeten Tötungsdelikte ist in der Schweiz mit 12 pro 1 Million Einwohner pro Jahr dementsprechend im internationalen Vergleich insgesamt gering. Vergleichsweise hoch ist aber mit 46% der Anteil, der Tötungsdelikte, welche mittels Schusswaffe innerhalb der Familie stattfindet (Killias, 2006). und liegt deutlich über derjenigen anderer Länder. Mit anderen Worten: In der Schweiz ist der Strassenmord selten, der Familienmord aber häufig. Bei diesen Tötungsdelikten innerhalb der Familie hat die Armeewaffe eine hohe Bedeutung: Gemäss der erwähnten, von dem Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Studie (Killias, 2006) werden Armeewaffen bei nur 16% aller gewöhnlicher (Strassen-) Morde, aber bei 36% aller Familienmorde benutzt. Pro Jahr kommt es entsprechend den in der genannten Studie publizierten Zahlen zu etwa 20 Tötungsdelikten pro Jahr durch eine Armeewaffe (ca. 7 ausserhalb und 13 innerhalb der Familie). In Bezug auf die Delinquenz durch Schusswaffen ist aber nicht nur die vollendete Mordtat von Bedeutung, sondern auch die direkte oder indirekte Bedrohung mit der Waffe. Im Mittel wurden mit 56.7 Fällen von Körperverletzungen etwa gleich viele Fälle von Körperverletzung gemeldet wie bei den Tötungsdelikten beobachtet (siehe Tabelle 2). Hier ist jedoch eine grosse Dunkelziffer nicht gemeldeter Fälle zu erwarten. Über das Ausmass von Bedrohungen durch Schusswaffen ohne Körperverletzung liegen keine Daten vor. 4/7

Tabelle2: Delikte mit Schusswaffen in der Schweiz, 1995-2009 Körperverletzung Jahr Tötungsdelikte mit Schusswaffen 1995 44 65 1996 57 80 1997 76 91 1998 53 64 1999 46 76 2000 36 54 2001 59 43 2002 46 47 2003 39 47 2004 47 57 2005 37 36 2006 26 89 2007 27 54 2008 20 37 2009 55** 11** 1995-2009 668 851 pro Jahr 44.5 56.7 **Jahresbericht PKS 2010, S. 32; http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19/22/publ.html?publicationid=3866 Armeewaffen als Privatbesitz Durch die Verringerung des Armeebestandes im Jahre 2004 (Tabelle 3, s. unten) kam es zu einer signifikant tieferen Zahl der leihweise abgegebenen Armeewaffe. Hinzu kommt, dass von Jahr zu Jahr ein immer kleinerer Anteil der Armeewaffe nach Dienstende in das Eigentum übergeht. Haben im Jahre 2004 43% die Armeewaffe nach Dienstende erworben, so waren es im Jahre 2007 nur noch 23%. Seit 2010 ist der Erwerb eines Waffenscheins erforderlich um die Waffe erwerben zu dürfen. Es ist zu erwarten, dass hierdurch in Zukunft noch weniger ehemalige Armeewaffen in den privaten Besitzstand übergehen werden. In mehreren Kantonen können Armeewaffen zurückgegeben werden oder werden seit 2008 in Rücknahmeaktionen durch die Kantone eingesammelt. Insgesamt wurden in 8 Kantonen insgesamt etwa 30000 Waffen abgegeben. Das Total der Armeewaffen steigt aber dennoch weiter, da jedes Jahr weitere circa 5000 Armeewaffen in den Privatbesitz übergehen. Tabelle 3: Kennzahlen der Armee und Armeewaffen Effektivbestand der Armee Differenz zum Anteil der Armeewaffen welche ins Total Waffen ins Vorjahr Eigentum übergingen Eigentum 1995 462'850 1996 469'094 6'244 1997 462'183-6'911 1998 456'520-5'663 1999 439'041-17'479 2000 412'125-26'916 2001 407'490-4'635 2002 404'589-2'901 2003 397'263-7'326 2004 198'999-198'264 43 31'915 2005 232'011 33'012 29 20'891 5/7

2006 225'042-6'969 25 8'540 2007 215'871-9'171 23 6'834 2008 206'534-9'337 2009 195'550-10'984 2010 193'834-1'716 (*Quelle: Schlussbericht Ordonnanzwaffe, VBS) Was für Waffen lagern in Schweizer Haushalten? In mehr als einem Drittel aller Schweizer Haushalte findet sich mindestens eine Schusswaffe. Die Gesamtzahl aller Waffen kann auf Grund früherer rechtlicher Bestimmungen allerdings nur geschätzt werden. Bei diesen Waffen muss unterschieden werden in (Daten entsprechen dem Stand 30.1.2010): 1. leihweise abgegeben Ordonnanzwaffen: ca. 189.600 Sturmgewehre 57 und 90; ca. 28.400 Pistolen 49 und 75 ca. 51.300 Leihwaffen an Jungschützen und andere) 2. privatisierte moderne Ordonnanzwaffen: ca. 22.700 Sturmgewehre 90 ca. 167.900 Sturmgewehre 57 ca. 374.000 Karabiner und Langgewehr Modell 1911 ca. 549.500 Karabiner Modell 1931 ca. 371.000 (davon ca. 105620 Ordonnanz-Pistole 49 und ca. 91960 Ordonnanz-Pistolen 75 abzüglich: ca. -30.000 durch Einsammelaktionen der Kantone 3. Private Repetier- und halbautomatische Gewehre: ca. 80.000 Jagd-Repetiergewehre mit mehr als 2 Läufen ca. 100.000 private Polizeiflinten und andere Repetierflinten ca. 40.000 private Sturmgewehre 57 und 90 ca. 10.000 ausländische Ordonnanz-Gewehre ca. 350000 übrige private Waffen (Standardgewehre, klein- und grosskalibrige Match-Gewehre, Floberts, Flinten, Büchsen, Revolver, etc.) 4. alte Ordonnanzwaffen: ca. 60.000 (von ca. 1 Million abgegebener alter Waffen dürften etwas weniger als 10% noch vorhanden sein) 5. Antike Schusswaffen: ca. 10.000 (von ca. 130.000 Schweizerischen antiken Ordonnanz- Gewehren, welche 1867 auf Hinterladung umgebaut wurden, davon weniger als 10% noch vorhanden ca. 30.000 Sammlerwaffen wie Jagdwaffen mit obsoletem Kaliber, Vorderladerpistolen und -Gewehre (Quelle, VBS, FedPol, verschiedene Quellen) Unter Einbezug der antiken Waffen sind damit circa 2.404.400 Waffen im Umlauf. Den grössten Anteil hat also mit klarem Abstand die privatisierte Armeewaffe (1724400 Waffen; 71.7%). Insgesamt gibt es in der Schweiz aktuell (BFS, 2010) circa 3.100.000 Haushalte und im Mittel wohnen 2.2 Personen in einem Haushalt. Etwa 20 Prozent dieser Haushalte verfügt 6/7

über eine und etwa 11 weitere Prozent haben mehr als eine Armeewaffe oder ehemalige Armeewaffe im Haus gelagert. (Quellen: BFS, Schlussbericht Ordonnanzwaffe 11/2008) Historischer Hintergrund der Heimabgabe der Ordonnanzwaffe und ihre Bedeutung im 21. Jahrhundert Die zu Hause gelagerte Armeewaffe stellt eine langjährige Tradition dar. Historisch unterschiedlich wurde jedoch die Ausgabe der Taschenmunition geregelt: In Zeiten akuter Bedrohung wurde diese ausgegeben, zu anderen Zeiten dagegen nicht oder eingesammelt. Die zu Hause gelagerte Armeewaffe hatte seinerzeit einen Sinn ergeben als sich die Schweiz vor Blitzkriegen schützen musste. Eine Bedrohung der Schweiz wird gemäss dem Schlussbericht Ordonnanzwaffe heute aber eher durch kleine paramilitärische Verbände innerhalb der Schweiz (Terror) oder ausserhalb der benachbarten europäischen Länder befürchtet. Die Haushaltsgrösse hat in der Schweiz über die Jahre abgenommen, junge Menschen leben eher in modernen Wohnformen (Wohngemeinschaften), die Bevölkerungsdichte nimmt ebenso wie die Mobilität der Bürger zu. Gemäss eigenen Angaben der Bürger ist die Armeewaffe nur in 41% sicher und nur in 21% eher sicher aufbewahrt. Oder mit anderen Worten: mehr als ein Drittel der Waffen werden als nicht sicher aufbewahrt eingestuft. Die Gefahr durch Unfälle und Missbrauch ist folglich durch die sich veränderten Rahmenbedingungen gestiegen. Insgesamt ist die Aufbewahrung der Waffe somit durch die gesellschaftlichen Entwicklungen für die Bürger schwieriger geworden. (Quelle: VBS, Schlussbericht Ordonnanzwaffe, 2008) Schlussfolgerungen Waffen haben vielfältige Aspekte. Sie helfen sichern, können aber für ein Gegenüber eine Bedrohung darstellen. Die Ordonnanzwaffe, welche zu Hause gelagert wird, ist eine Tradition, welche auf der Historie der schweizer Milizarmee gründet. Auf der anderen Seite kann die Waffe im privaten Haushalt vielfältig missbraucht werden. Rein numerisch ist, wie aus den o.g. Fakten hervorgeht, der Suizid die häufigste Form des Missbrauchs. Hierbei werden die Waffen entsprechend internationalen Studien zumeist aus einer plötzlich auftretenden Situation heraus, also impulsiv, benutzt. Zumeist geschieht dies spezifisch bei Waffen von zuvor psychiatrisch unauffälligen Personen. Suizidale Krisen, insbesondere solche, die auf Grund einer plötzlich aufgetretenen Situation entstehen, gehen zumeist vorüber, wenn die betroffene Person diese überlebt. Im weitesten Sinn handelt es sich somit häufig um eine vorübergehende und oft sehr kurze psychische Störung (zumeist eine sogenannte Anpassungsstörung, bzw. eine reaktive Depression). Es besteht somit ein Interessenkonflikt, welcher eine Güterabwägung zwischen Freiheit des Bürgers und Rettung des Lebens durch Restriktion erfordert. Bei Letzterem geht es zusätzlich um Drittpersonen, zumeist Angehörige, welche durch den Suizid eines Betroffenen in einem Grossteil der Fälle ein erhebliches psychisches Trauma erleiden, dies direkt durch Finden der Leiche oder rein psychologisch durch den Verlust des Angehörigen. Somit stellt ein Waffensuizid auch eine Gefährdung der Gesundheit von Betroffenen und Drittpersonen dar. 7/7