Überlebensstrategien von Frauen im KZ Die Häftlinge besaßen wenige Möglichkeiten, ihr Überleben im KZ zu sichern. Daher war jede kleine gegenseitige Hilfe eine Form des Widerstandes. Vieles war von Haftbedingungen abhängig, die für Frauen und Männer sehr unterschiedlich waren. Viele Frauen in den Außenlagern des KZ Neuengamme kannten sich bereits aus ihrer Heimatstadt, aus der Zeit im Getto oder dem Vernichtungslager und blieben als feste
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Überlebensstrategien von Frauen im KZ 3 Gruppe in den Lagern zusammen. Der familienähnliche Zusammenhalt stützte die Frauen. Sie teilten die knappen Lebensmittelrationen, kümmerten sich umeinander, versorgten die Kranken, gaben einander Halt. In Gesprächen bezeichnen sich Frauen zum Teil bis heute als Lagerschwestern. Darin finden die oftmals engen Bindungen ihren Ausdruck. Die Erinnerung an das Leben vor der Verhaftung und Deportation und gemeinsame kulturelle oder religiöse Aktivitäten halfen den Häftlingen, ihre Persönlichkeit zu bewahren. Sie sangen oder rezitierten Gedichte, erzählten aus ihrem Leben, lasen sich gegenseitig vor. Religiöse Frauen beteten gemeinsam. Die inhaftierten Frauen nutzten ihr Wissen und ihre Fertigkeiten für das Überleben im Lager und um sich gegenseitig den Alltag zu erleichtern. Sie organisierten sich Hilfsmittel wie Holzsplitter oder zogen Fäden aus ihren Decken, um die Kleidung auszubessern, nähten sich Büstenhalter aus Stoffresten und bastelten kleine Geschenke zur Aufmunterung ihrer Lagerschwestern. Die Kenntnis vom Umgang mit Lebensmitteln, die Fähigkeit, aus Wenigem Mahlzeiten zu bereiten, die Mitteilung von Kochrezepten half gelegentlich, Hunger und Mangelernährung abzumildern. Um zu überleben, versuchten Frauen, selbst unter schwierigsten Verhältnissen auf Aussehen und Hygiene zu achten. Sie ermutigten sich gegenseitig, sich nicht zu vernachlässigen, um Krankheiten und Seuchen zu verhindern und ihr Selbstwertgefühl zu erhalten.
4 Überlebensstrategien von Frauen im KZ Ehemalige weibliche Häftlinge berichten Madeleine Schulps, geb. 1927 als Madja Kochaner in Lodz/Polen; 1940 Getto Lodz, dann Auschwitz-Birkenau, August 1944 Hamburger Außenlager Dessauer Ufer und Sasel des KZ Neuengamme, 15. April 1945 Befreiung im KZ Bergen-Belsen; Auswanderung 1949 in die USA, Bibliothekarin. Sie lebt heute in New York. Wir sollten uns da jeden Morgen waschen, aber es war viel zu kalt [ ], also wuschen wir uns nur Gesicht und Hände und ließen die gründlichere Reinigung für Sonntage, wenn es möglich war, Wasser auf den Öfen in den Baracken zu erhitzen. [ ] Das warme Wasser wurde danach benutzt, um das einzige Paar Socken und den einzigen Schlüpfer zu waschen, den wir hatten. Die Kleider, die wir trugen, waren zu schwer, um gewaschen zu werden; sie wären nie am nächsten Tag trocken gewesen. [ ] Mila, Renia, Inga und ich hatten uns, nicht nur, indem wir da waren, wenn wir einander brauchten, sondern wenn eine von uns etwas extra bekam, teilten wir es oft. Aus: Madeleine Schulps: A Life on Hold A Holocaust Memoir, in: Lebenszeugnisse aus dem KZ Sasel, hg. v. Grundkurs Geschichte 1996 1998 Gymnasium Oberalster, Hamburg 1998, S. 5 50.
Überlebensstrategien von Frauen im KZ 5 Minna Rapport lebte nach der Befreiung in London. Weiteres ist über sie nicht bekannt. Das heiße Seifenwasser, in dem ich die Patronen spülte, war besonders für mich. Ich hatte meine Hände seit Jahren nicht mehr in solches Wasser getaucht. [...] Heimlich, wenn ich Nachtschicht hatte, spülte ich, wann immer es möglich [war], meine Unterhosen darin. Minna Rapport. Bericht, nicht datiert. (ANg) Marylou Ruhe, geb. Levy, 1923 in Lodz/Polen geboren, 1940 Getto Lodz, August 1944 KZ Auschwitz-Birkenau, wo die Eltern ermordet wurden, dann über das KZ Bergen-Belsen in das Frauenaußenlager Salzwedel des KZ Neuengamme, April 1945 Befreiung, 1949 Auswanderung mit Ehemann in die USA. Und an Sonntagen konnten wir uns sehen und miteinander sprechen [ ] Ich erzählte ihnen Vom Winde verweht vielleicht einen Monat lang, an jedem Sonntag [ ], der Wirklichkeit entkommen [ ]. Am traurigsten waren wir sicherlich über unsere Familien. [ ] Die Nachtschichten waren schrecklich [ ], also schlug ich Esther vor: Esther, würdest du gerne Englisch lernen? Sie sagte: Ja, ja! Also [ ] taten wir unsere Arbeit und ich brachte ihr die Worte bei und dann [ ] wiederholen und wiederholen. Wir hatten kein Papier, wir hatten keine Stifte [ ]. Aber sie lernte, wie man Englisch spricht. Marylou Ruhe. Interview, 21.6.1996. (ANg)
6 Überlebensstrategien von Frauen im KZ Karla Raveh, geb. Frenkel, geboren am 15. Mai 1927 in Lemgo, Sommer 1942 Getto Theresienstadt, Oktober 1944 KZ Auschwitz, wo die Eltern und ihre drei Geschwister ermordet wurden, Ende November 1944 KZ Bergen-Belsen, von dort ins Frauenaußenlager Salzwedel des KZ Neuengamme, Anfang Mai 1945 Befreiung, Rückkehr nach Lemgo, 1949 Auswanderung mit Ehemann nach Israel. Wir waren zusammen und das war das Gute. [...] Man war hungrig, man hat zusammen geheult, man hat zusammen geschrieen, man hat zusammen gearbeitet, nachher, aber man hat zusammen ein Gedicht aufgesagt. [...] Von Anfang an brauchte man jemanden, der einem Mut gibt oder der einen, wenn man so down ist, dass man nicht mehr will, der sich an einen klammert. [...] Und dann habe ich mit dieser Freundin beschlossen, dass sie hat eine Decke und ich habe eine Decke, also tun wir die Decken zusammen und wir schlafen zusammen [...] und dann haben wir uns auf Kommando [...] umgedreht. Karla Raveh. Bericht, nicht datiert. (ANg) Hana Klenková, geb. Fuchs, am 20. November 1923 in Prag geboren, Januar 1942 Getto Theresienstadt, Odyssee durch mehr als zehn Konzentrationslager, September 1944 aus dem KZ Stutthof ins Frauenaußenlager Hamburg-Langenhorn des KZ Neuengamme, April 1945 KZ Bergen-Belsen, 15. April 1945 Befreiung, Rückkehr nach Prag. Wenn man etwas abgibt von nichts, ist das ein großes Geschenk. [...] Von dem, was wir bekommen haben, haben wir immer ein kleines Stückchen abgegeben und wir haben ein paar Brötchen gegeben, weil wir nichts anderes hatten. Und von der Schürze haben wir etwas abgeschnitten, haben davon eine Tasche gemacht oder einen Gürtel gemacht oder ein Taschentuch oder ein Geschirrtuch. Hana Klenková. Bericht, nicht datiert. (ANg)
Überlebensstrategien von Frauen im KZ 7 Violette Lecoq, geboren am 14. Juni 1912, wurde als Mitglied der Résistance verhaftet und am 31. Oktober 1943 ins KZ Ravensbrück deportiert. Im April 1945 kam sie durch das Schwedische Rote Kreuz nach Schweden. Viele Federzeichnungen, die Violette Lecoq im Lager und nach ihrer Befreiung anfertigte, blieben erhalten. 1948 wurden 36 davon unter dem Titel Témoignages (Zeugnisse) in Paris veröffentlicht. Die hier gezeigte Zeichnung mit dem Titel Après l appel (Nach dem Appell) war Teil dieser Mappe. Violette Lecoq starb am 29. September 2003. (MGR/StBG)
8 Überlebensstrategien von Frauen im KZ Dieses Gedenkbuch haben mir die slowenischen Kameradinnen aus einem Stück Leder angefertigt, berichtete Nada Verbič, ehemalige Gefangene des Außenlagers Hamburg-Wandsbek (Drägerwerk AG) des KZ Neuengamme. Mitgefangene schrieben zur Erinnerung hinein. Die Widmung in Niederländisch und Slowenisch auf der ersten Innenseite lautet: Dass du nie vergisst, wie in Wandsbek ein Band entstand, als Symbol für immer währendes gutes Verstehen zwischen Jugoslawien und Holland. (Privatbesitz; ANg)
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