Predigt in der Reihe aus dem Griff zu Römer 6, 3-13 Nicht mehr Sklaven Sonntag, 8. Februar 2015 in der Nydeggkirche, Pfr. Klaus Bäumlin Aus dem Griff heisst das Thema einer zehnteiligen Predigtreihe für dieses Jahr in der Nydeggkirche. Heute geht es um einen Abschnitt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom, ein nicht ganz leichter Text, wie Sie gleich merken werden: Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen. Wenn wir nämlich mit dem Abbild seines Todes aufs Engste verbunden sind, dann werden wir es gewiss auch mit dem seiner Auferstehung sein. Das gilt es zu erkennen: Unser alter Mensch wurde mit ihm gekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht mehr Sklaven der Sünde seien. Denn wer gestorben ist, ist von allen Ansprüchen der Sünde befreit. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir fest, dass wir mit ihm auch leben werden. Denn wir wissen, dass Christus, einmal von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Sofern er starb, starb er der Sünde ein für alle Mal; sofern er aber lebt, lebt er für Gott. Das gilt auch für euch: Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus. Lasst also die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leib, sonst werdet ihr seinem Begehren gehorchen. Stellt auch nicht eure Glieder der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch vielmehr Gott zur Verfügung als solche, die unter den Toten waren und nun lebendig sind: Stellt eure Glieder Gott zur Verfügung als Waffen der Gerechtigkeit! (Röm 6,3-13) Liebe Gemeinde, es ist gut, dass wir heute in unserem Gottesdienst keine kleine Kinder getauft haben. Zu gross wäre die Spannung zwischen dem freundlichen, harmlosen und in der Folge meistens folgenlosen Ritual der Kindertaufe und dem ungeheuren Ernst, mit dem Paulus in seinem Römerbrief von der Taufe und ihren Konsequenzen redet: Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod. Im Kreuzestod Jesu, sagt Paulus, ist der alte Mensch, der gefangen ist in der Herrschaft der Sünde und des Todes, an sein Ende gekommen. Er ist für Gott gestorben. In der Auferstehung Jesu ist der neue Mensch auferstanden, vom
2 Gott des Lebens herausgeholt und befreit aus der Versklavung durch die Sünde. Das ist sozusagen die objektive Wahrheit. Sie gilt für alle, weil Gott sich entschieden hat, alle Menschen im Abbild des Todes und der Auferstehung Jesu zu sehen. Sie gilt unabhängig davon, ob ich mich selber so sehe und verstehe. Die Taufe fügt nun die subjektive Seite hinzu. Wer sich taufen lässt, der bekennt damit, dass er sich selber so sieht, wie Gott ihn im Abbild Jesu Christi schon sieht und versteht. Um meine Person, um mich geht es in der Taufe. Ich bin im Sterben und Auferstehen des Christus mitgemeint. In ihm ist Gottes Entscheidung über mich, über meinen Tod und mein Leben gefallen. Indem ich mich taufen lasse, anerkenne und bestätige ich die Sichtweise, die Perspektive, in der Gott mich sieht. Der alte Mensch, der ich bin, der gefangen ist in der Herrschaft der Sünde, der ist in Eins mit Christus gestorben und begraben. Der neue Mensch, der berufen und ermächtigt ist, für Gott zu leben, ist in Eins mit Christus auferstanden. Wenn wir nämlich mit dem Abbild seines Todes aufs Engste verbunden sind, dann werden wir es gewiss auch mit dem seiner Auferstehung sein. Der Weg Jesu Christi vom Tod ins Leben ist jetzt auch mein Weg. Das bezeugt mir die Taufe. Eine so ernste, so existentielle Sache ist die Taufe also. Sie bedeutet nichts weniger als einen Herrschaftswechsel in meinem Leben. Das wurde in den ersten zwei Jahrhunderten der Christenheit auch durch die Art und Weise, wie die Taufe vollzogen wurde, sinnenfällig zum Ausdruck gebracht. Getauft wurden erwachsene, mündige Menschen, die wussten, auf was sie sich einliessen. Getauft wurden sie durch Untergetauchtwerden ins Wasser. Zeichenhaft sollte dadurch das Sterben, Begrabenwerden, das Auferstehen und Gerettetwerden aus der Todesflut zum Ausdruck kommen. Nun ist das alles ja eine ganz ungeheure Zumutung, was Paulus da schreibt. Bei einem anderen sei die Entscheidung über mich und mein Leben gefallen, stellvertretend für mich. Nein, Paulus, das verstehen wir nicht, das wollen wir nicht verstehen und akzeptieren. Alles in uns wehrt sich gegen diese Zumutung. Ich bin doch ein erwachsener, mündiger, ein selbständiger, autonomer Mensch. Ich bin doch selber verantwortlich für mein Tun und Lassen. Ich habe doch mein Leben im Griff. Ich will und kann selber entscheiden über mein Leben. Das kann mir doch keiner abnehmen. Da kann ich mich durch niemand vertreten lassen. Und dann das ständige Gerede von der Sünde! Allein in unserem Textabschnitt kommt das Wort siebenmal vor. Paulus, du bist ja völlig fixiert auf diese Sünden-Idée-fixe. Was für ein pessimistisches, negatives Menschenbild hast du bloss. Du machst die Menschen klein und schwach, machst ihnen ein schlechtes Gewissen, das ihre Seele verkrümmt, wenn sie sich immer nur als arme Sünder begreifen sollen, in denen nichts Gutes ist.
Dabei hätten wir doch nichts so nötig wie das Zutrauen, dass wir aufrecht und mit erhobenem Haupt durchs Leben gehen. Warum traust du uns nichts Gutes zu? Warum traust du uns nicht zu, dass wir uns bemühen so zu leben, dass Gott Freude an uns haben kann? Das alles, liebe Gemeinde, sind auch meine Fragen und Einwände. Ich habe meine liebe Mühe mit Paulus. 3 Aber genau deshalb muss ich weiterfragen, was Paulus denn mit der Sünde gemeint haben könnte. Ob ich ihn recht verstanden habe? Dabei hilft mir das Wissen, dass Paulus ein Jude, ein Kind Israels ist. Sein Denken ist geprägt durch den Glauben seiner jüdischen Mütter und Väter. Und für diesen Glauben gibt es ein grundlegendes Thema: Es ist die Erinnerung an die Befreiung Israels aus der ägyptischen Sklaverei. Ganz gleichgültig, ob historisch gesehen irgendwelche Vorfahren Israels einmal als Sklaven in Ägypten gelebt haben: Ägypten wurde für Israel zur Chiffre, zum Symbol seines Selbstverständnisses. Unsere Väter und wir mit ihnen, sagt Israel in seinem Glaubensbekenntnis, waren Sklaven in Ägypten. Was Freiheit ist und aufrechter Gang, das hatten wir längst verlernt und vergessen. Uns selber waren wir entfremdet. Die Fremdherrschaft, die Versklavung, hatte sich in unsere Seelen und Herzen hineingefressen. Wie Tote vegetierten wir im Land des Todes, verkrümmt und niedergedrückt an Leib und Seele. Begraben war unsere Zukunft. Nie hätten wir uns selber aus dem Griff dieser Sklaverei befreien, nie hätten wir den Weg in die Freiheit finden und gehen können. Er aber, der Ewige, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, unser Gott, hat unser Elend gesehen und unsere Klage gehört. Er ist herabgestiegen, um uns der Macht Ägyptens zu entreissen und uns aus dem Land der Sklaverei herauszuholen und in ein schönes, weites Land hinaufzuführen (vgl. Ex 3,7f). Ihm, dem Ewigen, haben wir unsere Befreiung zu verdanken. Wir haben uns nicht selber aus der Sklaverei befreit wir sind befreit worden. Genau da, wo im Glaubensbekenntnis Israels die Chiffre Ägypten steht, steht nun im Glaubensbekenntnis des Paulus das Wort Sünde. Es geht nicht darum, den Menschen ihre Sünden, ihre moralischen Fehltritte, ihr tägliches Versagen um die Ohren zu schlagen. Es geht nicht um kleinliche Moralpredigt. Da werden Menschen nicht klein und schlecht gemacht. Und es wird ihnen auch nicht ein schlechtes Gewissen gemacht. Um etwas viel Ernsthafteres, Radikaleres geht es dem Paulus. Es geht ihm um die Einsicht, dass wir um das Gute, Menschenfreundliche wissen und es auch tun möchten, und doch immer wieder daran scheitern, weil wir mitten im System der alten Welt leben, mit allen Fasern unseres Denkens, Tun und Lebens verflochten und gefangen sind in den grossen Ungerechtigkeiten dieses Systems. Es geht um die Einsicht, dass wir im Widerspruch leben zu Gott und dass auch unser Verhältnis zu den Mitmenschen und zur Schöpfung und zu uns selber ein tief gebrochenes und gestörtes ist. Es geht um die Einsicht,
4 dass die Sünde, das System der Ungerechtigkeit, uns so fest im Griff hat, dass wir uns nicht selber daraus befreien können. Wir finden nicht selber hinaus, wir können uns nur herausholen lassen. Nicht als Anklage, sondern als realistische Einsicht, sagt uns Paulus, dass es mit unserer Autonomie und Selbstbestimmung nicht so weit her ist, wie wir gerne meinen und uns einreden. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, hat es der Philosoph Theodor Adorno auf den Punkt gebracht. Und so wie Gott sein Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei herausgeholt hat, so hat er durch Jesus Christus das Tor aufgetan, durch das wir den Weg aus der Sklaverei der Sünde und des Todes, aus dem Land des Todes, ins Leben gehen können. Unser alter Mensch wurde mit ihm gekreuzigt, schreibt Paulus. In seinem Tod am Kreuz ist der alte Mensch, dieser Sklave, sind wir mit Christus gestorben. Und nun das Geheimnis der Auferstehung. Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen. Wenn wir nämlich mit dem Abbild seines Todes aufs Engste verbunden sind, dann werden wir es gewiss auch mit dem seiner Auferstehung sein. In Jesus Christus, sagt Paulus, hat das wahre, das richtige Leben unter uns angefangen, ein Leben, das nicht mehr unter der Herrschaft des Todes steht, nicht mehr versklavt von den Zwängen des ungerechten Systems. So lebt nun dieses neue, geschenkte Leben! Macht Gebrauch von dieser Freiheit, lebt sie! Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus.... Stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch vielmehr Gott zur Verfügung als solche, die unter den Toten waren und nun lebendig sind: Stellt eure Glieder Gott zur Verfügung als Waffen der Gerechtigkeit! Keine Rede also davon, dass Paulus uns aus der Verantwortung und Entscheidung entliesse. Gottes Reich ist noch nicht am Ziel. Im Kampf um sein Kommen will Paulus uns Christen und Christinnen als Verbündete und Mitstreiter Gottes sehen. Er bietet uns auf, unsere Glieder als Waffen der Gerechtigkeit zur Verfügung zu stellen. Ich denke, mit den Gliedern ist alles gemeint, was uns mit den Mitmenschen und der Mitwelt verbindet und unser Verhältnis zu ihnen bestimmt: unsere ganze Wahrnehmung, unser tägliches Leben, unsere Hände und Füsse sind gemeint, unsere Augen und Ohren, unser Mund, die Art, wie wir einander ansehen und zuhören, gewiss auch unsere Sexualität, aber mehr noch unser Kopf, unser Herz, unsere Gedanken und Worte, unser Verstand und unsere Pläne, unsere privaten und politischen Entscheidungen, der Umgang mit unserem Geld, unsere Zeit,
unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten, wir selbst mit unseren kleinen und grossen Tätigkeiten das alles sind unsere Glieder. Sie sollen wir als Waffen der Gerechtigkeit für Gott einsetzen. 5 Und das ist nun die allergrösste Zumutung, die Paulus uns zumutet. Er macht uns nicht klein und schwach, er macht uns kein schlechtes Gewissen. Er mutet uns zu, befreite Menschen zu sein. Er mutet uns das Gute zu. Er traut uns zu, so zu leben, dass Gott sich auf uns verlassen und seine Freude an uns haben kann. Er mutet uns zu, dass wir als Gottes Bundesgenossen, in Eins mit Christus, für das Kommen seines Reichs und für die Erfüllung seines Willens wie im Himmel, so auf Erden beten, aber nicht nur beten, sondern uns mit allen unsern Gliedern dafür einsetzen. Er mutet es uns zu, weil wir in den Namen Jesu Christi hineingetauft sind, weil die Taufe uns dazu ermutigt und ermächtigt. Amen. Ach Gott, wir kennen ihn nur zu gut, den alten Menschen, der sich um sich selbst dreht und den Weg zum Frieden nicht findet. Wir kennen den alten Menschen, der im Widerspruch und Aufruhr lebt gegen Dich und Deinen guten Willen, seine eigenen Wege geht und sich verirrt und verstrickt in Abhängigkeiten und Schuld und den Weg zum Leben nicht findet. Und wir wissen, was der alte Adam in Deiner guten Schöpfung anrichtet an Unheil und Zerstörung. Wir kennen ihn: Wir kennen uns. Du aber, Gott des Erbarmens, Du hast uns in Jesus, Deinem Sohn, den andern Menschen, den neuen Menschen geschenkt: den Menschen, der im Einklang lebt mit Dir und Deinem Willen, den Menschen des Friedens, der uns befreit aus aller Schuldverstrickung. Auf seinen Namen sind wir ja getauft. "Schreibe Du selber es in unsere Herzen, erleuchte Du selber unseren Verstand darüber, dass in seinem Tode der alte Mensch für uns alle gestorben, in seiner Auferstehung der neue für uns alle geboren ist" (Karl Barth). Du siehst uns im Bilde Jesu, des neuen Menschen. So lass uns selber neu finden in diesem Bild und aus dem Tod ins Leben gehen. Der alte Mensch in uns ist übermütig oder verzagt, voller Illusionen oder gleichgültig, wortgewaltig oder stumm. Aber der neue Mensch in uns ruft im Einklang mit Jesus zu Dir: Unser Vater im Himmel...