SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst. ARD-Themenwoche: Leben mit dem Tod Den Tod annehmen - Wie man die Angst zu sterben akzeptieren kann



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Transkript:

SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst ARD-Themenwoche: Leben mit dem Tod Den Tod annehmen - Wie man die Angst zu sterben akzeptieren kann Autorin und Sprecherin: Doris Maull Redaktion: Sonja Striegl Sendung: Dienstag, 20. November 2012, 08.30 Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 08.30 bis 09.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030! SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader: E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende App oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iphone oder das ipad gibt es z. B. die kostenlose App ibooks, für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z. B. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books. http://www1.swr.de/epub/swr2/wissen.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de! 1

ATMO: Wasserplätschern / Musik drunter legen (Kreuzblende) O-Ton 1 - Hospiz-Gast: Ich glaube, Angst hat wohl jeder Mensch, ich habe mich darauf konzentriert, das zu ordnen, was für meine Familie zu ordnen ist, und ich bin mir im Klaren drüber, dass mein Weg, geradewegs dahin führt, nämlich in das Sterben ATMO: Wasserplätschern / Musik drunter legen (Kreuzblende) O-Ton 2 - Thomas Kastein: Wenn unsere Gäste spüren, dass sie so angenommen sind mit ihren Ängsten, wenn sie merken, wir respektieren sie in ihrer Individualität und wir versuchen alles um die Würde zu achten, dann hab ich schon den Eindruck, dass die Ängste nachlassen und dass dann Vertrauen entsteht, dass da ne Beziehung entsteht und ein Vertrauen und dann auch ein sich-einlassen-können auf diesen Prozess Ansage: Den Tod annehmen - Wie man die Angst zu sterben akzeptieren kann. Eine Sendung von Doris Maull. ATMO: Plätschern des Brunnens Ein ganz normaler Tag im Arista -Hospiz in Ettlingen bei Karlsruhe - fünf Gäste hat das Haus zur Zeit. Im Innenhof plätschert ein kleiner Brunnen. Er liegt in der Mitte eines sorgfältig angelegten Gartens. Die Menschen, die gekommen sind, um ihre allerletzten Tage hier zu verbringen, halten sich an diesem Morgen überwiegend in ihren Zimmern auf. Während einige ehrenamtliche Mitarbeiterinnen in der Gemeinschafts-Küche die Reste des Frühstücks wegräumen, sitzen die Hospiz-Mitarbeiter Christine Fellmann, Thomas Kastein und die Leiterin der Einrichtung, Hiltrud Röse, im gemütlich gestalteten Wohnzimmer im Kreis. Christine Fellmann erzählt als Erste, wie sie in ihrem Hospiz- Alltag mit der Angst vor Tod und Sterben konfrontiert wird. O-Ton 3 - Christine Fellmann: Die Angst unserer Gäste ist oft die Angst vor Schmerzen, wenn Sie kommen, das geben sie an, die Angst vorm Alleinsein, oft auch die Angst vor der Nacht, manchmal vor der Atemnot, das sind eigentlich die Ängste sag ich mal, die so im Mittelpunkt stehen. Und natürlich vom Leben Abschied zu nehmen. Diesen Abschied vom Leben liebevoll zu begleiten, das ist es, was Hospiz-Schwester Christine Fellmann mit ihrer Arbeit erreichen möchte und das ist auch das Ziel der Hospiz-Bewegung. Angestoßen wurde sie durch die britische Krankenschwester Cicely Saunders. 1967 hat sie in London das erste Hospiz gegründet. Inzwischen gibt es unzählige stationäre Hospize in Deutschland - kleine, hochspezialisierte Pflegeheime für Sterbende. Dazu kommen ambulante Hospiz-Dienste, die Palliativstationen der 2

Krankenhäuser und ambulante Palliativdienste. Alle diese Einrichtungen und Dienste sollen den Menschen helfen, auch in den letzten Minuten ihres Lebens die Würde zu bewahren: durch medizinische Versorgung, durch schmerzstillende Mittel, da wo es nötig ist, und auch und vor allem durch Zuwendung. Damit es am Ende gelingt, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren - und die Ängste vor dem endgültigen Abschied zu verlieren. Das stellt die, die helfen wollen, allerdings vor große Herausforderungen, sagt Christine Fellmann. O-Ton 4 - Christine Fellmann: Das ist schon ne sehr akute, intensive Situation, da muss man schon sehr bei sich sein, also mir hilft s dann sich das bewusst zu machen, das ist dann so ein Automatismus mittlerweile, tief Luft zu holen und das gut hinzukriegen, mit dem Gast zusammen. Ähnliche Erfahrungen hat auch der Hospiz-Helfer Thomas Kastein gemacht, der seit 2000 im Hospiz in Ettlingen arbeitet. Mit seiner Berufswahl will er dazu beitragen, dass Menschen anders sterben können und dürfen als in einem anonymen Krankenhausbett. Dennoch gibt der 48-Jährige zu, dass er am Anfang sehr viele Zweifel hatte. O-Ton 5 - Thomas Kastein: Wenn ich versuche zurückzudenken, dann war das ne ganz große Unsicherheit, wie mach ich das, oder ist das richtig was ich tue. Das war so oft die Frage, ist mein Umgang der Angemessene oder der Richtige und ich war eigentlich anfänglich neugierig, was da passiert und hab da ganz viel Zeit verbracht, um das mitzuerleben. Ich würde es auch erweitern wollen, es geht nicht nur um Ängste, sondern Wut ist auch nen ganz starkes Gefühl, das immer wieder auftaucht und das wechselt dann ja auch und ich hab die Erfahrung gemacht, dass die Menschen nen Frieden finden können. Leider geschieht das mit dem Frieden finden häufig erst in den letzten Lebenstagen. Die amerikanische Ärztin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat in diesem Zusammenhang das Modell der Fünf Sterbephasen entwickelt. Erfährt ein Mensch, dass er sterben muss, so folgt dem Nichtwahrhaben wollen demnach eine Phase des Zorns, dann der Versuch zu Verhandeln, schließlich die Depression angesichts des bevorstehenden Todes und am Ende die Zustimmung zu dem, was nicht zu ändern ist. Gemeinsam ist all diesen Phasen, die natürlich nie geradlinig bzw. idealtypisch verlaufen, die Angst vor Tod und Sterben. Um dieses unausweichliche Ende unseres Lebens besser akzeptieren zu können, wäre es hilfreich, wenn wir uns schon sehr viel früher mit diesen Ängsten auseinandersetzen würden. Doch die gesellschaftliche Realität sieht noch immer anders aus. Trotz einer Fülle an Literatur zum Thema ist nach wie vor eine Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft zu beobachten. Das bestätigt auch einer der führenden Palliativmediziner Europas, Gian Domenico Borasio. Für ihn, so schreibt er in seinem aktuellen Buch Über das Sterben, - hat diese Tabuisierung zum einen etwas mit der grundsätzlichen Angst vor der Auslöschung des eigenen Ichs zu tun. Aber auch und ganz zentral mit der sehr konkreten Furcht vor 3

einem qualvollen Sterbeverlauf und davor, wenn es so weit ist, irgendwelchen lebensverlängernden, medizintechnischen Maßnahmen ausgeliefert zu sein. Dabei betont Borasio bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder, dass gerade in Deutschland das Angstniveau vor Tod und Sterben besonders hoch sei. Diese Angst würde der Palliativmediziner den Menschen gerne ein Stück weit nehmen, wie er sich ausdrückt, weil sie seiner Meinung nach einen würdigen, friedlichen Sterbeprozess erheblich erschwert. O-Ton 6 - Gian Domenico Borasio: Ängste sind auf jeden Fall die schlechtesten Berater die wir als Menschen haben, denn Ängste verhindern die Kommunikation, verhindern die Aufnahmebereitschaft, vernebeln ein bisschen das Denken, und verhindern vor allem den notwendigen nüchternen Dialog über etwas, das natürlich jeden Menschen interessieren sollte, weil es jedem Menschen irgendwann blüht, nämlich das vorläufige Ende der eigenen Existenz. Dennoch ist Angst nicht gleich Angst. Gian Domenico Borasio unterscheidet je nach spezifischer Betroffenheit. Also danach, ob man Menschen begegnet, die gesund sind und keine eigenen Erfahrungen mit Sterben und Tod gemacht haben, ob man mit Menschen redet, deren Angehörige gestorben sind und die diese Angehörigen auch bis zum Schluss begleitet haben oder ob man mit Menschen spricht, die schwerstkrank sind und denen nur noch eine kurze Zeit bleibt. O-Ton 7 - Gian Domenico Borasio: Die gesunden Menschen haben vor allen Dingen Angst vor Schmerzen beim Sterben. Bei den Angehörigen, die jemand gepflegt haben, da sieht die Situation schon anders aus, weil sie erlebt haben, wie schwer es auch für die Familie ist und wenn man dann die Sterbenden selbst fragt, was denn ihre Ängste sind, diese Ängste beziehen sich bei den Sterbenden überhaupt nicht mehr auf sich selbst - Sterbende erleben an ihrem Lebensende eine Verschiebung ihrer Wertvorstellungen vom Egoismus hin zum Altruismus, also zur Sorge um den nächsten, vor allem um den nächsten Angehörigen, auf die Angehörigen, die übrig bleiben. ATMO: Wasserplätschern / Musik mit Kreuzblende drunter legen Das Ende der eigenen Existenz hat auch der ehemalige Tierarzt vor Augen, der als Gast im Arista -Hospiz in Ettlingen untergebracht ist. Sein Zimmer ist hell und freundlich - der Mann liegt in einem Pflegebett - adrett gekleidet mit weißem Polohemd, lächelt er der Besucherin entgegen. Seinen Namen möchte er nicht nennen, dennoch spricht der Krebskranke sehr freimütig über seinen Zustand und seine Gefühle im Angesicht des Todes. 4

O-Ton 8 - Hospiz-Gast: Die Angst davor ist eigentlich akut aufgetreten in dem Moment, wo ich durch eine Querschnittlähmung von heute auf morgen in völlig andere Verhältnisse versetzt wurde. Vorher war es schon mal, aber da hat man es vor sich hergeschoben, so wie man es hier jetzt auch zu seinem eigenen besten immer mal wieder vor sich herschiebt, man guckt auf den nächsten Tag, man guckt vor sich hin - man bewegt die Angst vor dem Tode nicht ständig. Auf die Frage, ob er diese Angst noch etwas näher beschreiben kann, antwortet der 80- Jährige - hörbar gerührt: O-Ton 9 - Hospiz-Gast: Eigentlich bezieht sie sich darauf, dass man nicht mehr für die Seinen sorgt, dass man nicht mehr miteinander da ist und dass man die halt zurücklässt. Für mich selber - ich bin Naturwissenschaftler, ich hab eine nüchterne Einstellung dazu, was aber nicht daran hindert, dass ich eben plötzlich, wie sie s merken, auch weiche Töne und Tränchen in die Augen bekomme. ATMO: Wasserplätschern und Musik Mit diesen weichen Tönen und Tränchen - wie dieser Patient seine Angst und Traurigkeit im Angesicht des Todes beschreibt, beschäftigt sich Prof. Gerhild Becker in ihrem Alltag - die Medizinerin leitet die Palliativstation an der Freiburger Universitätsklinik und hat gleichzeitig die erste Professur für Palliativmedizin im Südwesten inne. O-Ton 10 - Gerhild Becker: Wir eröffnen den Patienten einen Raum für Gespräche, überlassen es aber dem Patienten, ob er in diesen Raum geht, wie schnell er in diesen Raum geht, und wie lange er in diesem Raum verbleibt. Und das ist auch ein Prozess. Max Frisch hat mal so schön gesagt, man soll die Wahrheit einem Menschen nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen, sondern wie einen Mantel, den man ihm hinhält und in den er hineinschlüpfen kann. Mir persönlich gefällt dieses Bild, weil Palliativmedizin ja auch von Pallium kommt, Mantel. Obwohl die Palliativmedizin in einer Gesellschaft, die aufgrund des demographischen Wandels immer älter wird, ständig an Bedeutung gewinnt, hat Gerhild Becker für ihre Professur in Freiburg kämpfen müssen. Kein Wunder, dass sie den Kampf gewonnen hat - die lebenslustige Ärztin mit den grauen Haaren und den munteren braunen Augen strotzt nur so vor Lebenslust und Dynamik wenn sie erzählt, dass es eben immer noch eine Art Konkurrenz gäbe zwischen Normalmedizinern und Palliativmedizinern. Wer sich der Palliativmedizin verschreibe, der sei bereit anzuerkennen, dass manche Krankheiten einfach nicht heilbar sind. Das widerspreche aber dem Anspruch vieler 5

Ärzte, die Menschen unbedingt gesund machen zu wollen. Deshalb, so Becker, gäbe es noch immer viele Vorbehalte gegen die Palliativmedizin in der Zunft der Mediziner. Und das, obwohl schon 1983 die erste Palliativstation in Deutschland eröffnet wurde - und zwar am Klinikum Köln - 2002 hat die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, die Palliativbetreuung Sterbender folgendermaßen definiert: O-Ton 11 - Zitat (Menke): Palliativbetreuung dient der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung, hochqualifizierter Beurteilung und Behandlung von Schmerzen und anderen Problemen physischer, psychosozialer und spiritueller Natur. Gemeinsam mit ihrem multifunktionalen Team, das sich aus Ärzten, Pflegern, Psychologen, Sozialarbeitern, Kunst- und Musiktherapeuten, Physiotherapeuten und Seelsorgern zusammensetzt, betreut Gerhild Becker auf ihrer Palliativstation in Freiburg maximal 10 todkranke Patienten - und versucht den Betreffenden zu helfen, mit der Endgültigkeit ihrer Diagnose klar zu kommen. Ihnen einen guten Tod oder ein gutes Sterben zu ermöglichen, diese Formulierungen lehnt die Palliativmedizinerin ab. O-Ton 12 - Gerhild Becker: Wir können es von außen gar nicht bestimmen, was ein gutes Sterben ist. Das wäre eine medizinische Anmaßung. Wir wissen nicht, ob ein Mensch, der ganz einsam in einer Hochhauswohnung, wo man ihn aufgefunden hat drei Wochen später unter Zuständen, wo wir sagen würden, das ist nicht erstrebenswert, aber ob der nicht letztlich, in der Summe, doch ein gutes Sterben hatte, das können wir sozusagen als Laien auf der Seite der Lebenden nicht sagen. Und auch die Angst vor Tod und Sterben kann Gerhild Becker ihren Patienten nicht wirklich nehmen, aber das ist gut und richtig so, meint die erfahrene Palliativmedizinerin. O-Ton 13 - Gerhild Becker: Ich glaube, dass eine gewisse Angst vor dem Sterben dazugehört. Dass wir die gar nicht wegmachen können und auch gar nicht wegtherapieren sollen. Denn, und das ist für uns Menschen, die wir in einer modernen Welt leben, manchmal ganz schwer auszuhalten. Es ist auch eine tiefe Weisheit darin, dass wir unser eigenes Sterben nicht vollständig planen und durchorganisieren können, genauso wenig, wie unsere Geburt. Eine Meinung, die die Runde, die sich im Hospiz in Trier zusammengefunden hat, teilt. Am Tisch sitzen der Leiter der Palliativmedizin am Trierer Mutterkrankenhaus, Prof. Lorenz Fischer, der Hausarzt Dr. Diedo Römerscheid, der ehrenamtliche Hospiz-Helfer Alfons Deutsch und die ambulante Hospiz-Schwester Ruth Krell. Zu viert diskutieren sie 6

an diesem Nachmittag über die Angst vor Tod und Sterben und darüber, wie jeder in seinem Alltag damit umgeht. Der Hausarzt Dr. Diedo Römerscheidt ist der Erste, der sich zu Wort meldet. O-Ton 14 - Diedo Römerscheidt: Die Angst vor dem Sterben als solches, die existenzielle Angst, werden wir nicht nehmen können. Wir werden die Umstände verbessern können, vielleicht als Hausarzt besonders deshalb, weil wir die Patienten ja in der Regel sehr lange kennen und insofern auch das familiäre Umfeld ganz gut kennen, aber die eigentliche, zentrale, tiefe Angst vor dem Sterben, die wird jedem erhalten bleiben, davon bin ich überzeugt und das erlebe ich auch so. Die Hospiz-Schwester Ruth Krell signalisiert Zustimmung. O-Ton 15 - Ruth Krell: Diese ureigenste, existentielle Angst vor dem Tod, vor dem Ende des Lebens, da gibt es weder nen Medikament noch irgendeinen Plan, dann kann ich nur einem Menschen vermitteln, dass ich diese Angst mit ihm aushalten werde, aber es kann nie Zielsetzung sein, die Angst vor dem Tod tatsächlich zu nehmen. Und für den Trierer Palliativmediziner Prof. Lorenz Fischer schließlich, sind die Ängste der Menschen im Umfeld von Sterbenden sogar noch viel größer als die der Betroffenen selbst. O-Ton 16 - Lorenz Fischer: Wir dürfen ja nicht die Vorstellung haben, dass der sterbende Mensch die größten Ängste hat. Wir, als Menschen, entwickeln die größten Ängste, wenn wir aus vermeintlicher Gesundheit heraus mit der Begrenztheit des Lebens durch Erkrankung konfrontiert werden. Das ist ne Situation, die uns immense Ängste verursacht. Der Sterbende verliert sie ja häufig. Die Angst des sterbenden Patienten, aber auch die eigene Angst zuzugeben und auszuhalten - genau darin besteht für den ehrenamtlichen Hospiz-Helfer Alfons Deutsch die Kunst der Sterbebegleitung. O-Ton 17 - Alfons Deutsch: Die Ängste, die ich bislang erlebt habe, sind immer unter einer bestimmten Tarnkappe gewesen, am Anfang und mit einem Menschen hatte ich nen Agreement, dass wir über seine Krankheit gar nicht sprechen. Wir blenden das vorerst mal aus. Vorerst ist das entscheidende Wort - plötzlich kam, ja Herr Deutsch, wie ist das mit dem Ableben? Ich konnte ihm aber ne ehrliche Antwort geben: ich weiß es auch nicht! Das hat das Vertrauen so weit gestärkt, dass der Mensch dann meine Begleitung akzeptiert hat, 7

dass ich auch an seinem wirklichen Ende dabei sein durfte - ich hab ihm die Hand halten dürfen, das ist ne Auszeichnung für mich als Ehrenamtler. Die Angst wegzudiskutieren oder zu verdrängen, das bringt letztlich gar nichts - weder für diejenigen, die Sterbende betreuen, noch für diejenigen, die selber betroffen sind. Diese Erfahrung macht auch die Hospiz-Schwester Ruth Krell immer wieder von Neuem. O-Ton 18 - Ruth Krell: Ich habe jetzt eine 15-Jährige, die im Sterben liegt, die ihre letzten Verfügungen schreibt, wo die Eltern seit diesem Zeitpunkt auch bereit sind, diesen Weg mitzugehen, einfach mal zu sehen, dass die therapeutischen Möglichkeiten beendet sind und dass die Tochter jetzt diesen Blick auf ihr eigenes Ende hat. Die Mutter hat beim letzten Hausbesuch zu mir gesagt, jeder der hier ins Haus kommt, kann lernen von uns, die Angst vor dem Tod zu verlieren. Heute hab ich aktuell mit der Mutter telefoniert, da hab ich gesagt, und wie geht es Ihnen? Weil sie sagte, die Stimmung ist seit gestern gekippt - wie geht es Ihnen damit? Sagt sie: Die Angst kommt zurück - jetzt kommt die Angst, weil der Zeitpunkt immer näher rückt. Die Angst vor Tod und Sterben verlieren - das scheint ein wenig wie ein Kampf gegen Windmühlen. Auch wenn das Bewusstsein, dass wir uns mit dem Thema auseinandersetzen müssen, in den letzten Jahren zugenommen hat. Und damit auch die Angebote zur Angstbewältigung. Ein Beispiel: Die Sterbemeditationen. Ruth Krell hält davon nicht viel: O-Ton 19 - Ruth Krell: Es gibt keinen Plan dafür und ich kann nicht in nen Seminar gehen - ich kann es nicht als Eltern für mein Kind lernen mit dem Ende umzugehen - das funktioniert nicht, Aber das ist nur eine Meinung von vielen. Es gibt auch diejenigen, die von dieser Art der Vorbereitung auf das Lebensende im Zustand des Gesund-Seins überzeugt sind. Sterbemeditationen, das sind angeleitete Fantasien. In entspanntem Zustand, nach einer Meditation, werden Teilnehmer und Teilnehmerinnen dabei aufgefordert sich vorzustellen, sie selber bekämen eine tödliche Diagnose. Jemand, der diese Sterbemeditationen in Baden-Württemberg lange Zeit angeboten hat, ist die Psychotherapeutin Daniela Tausch, die auch das Hospiz in Stuttgart mit aufgebaut und viele Jahre geleitet hat. Teils alleine, teils mit ihrem Vater, Reinhard Tausch, hat sie im Rahmen von Sterbemeditationen mit Menschen gearbeitet, die sich vor ihrem eigenen Lebensende mit Tod und Sterben beschäftigen wollten. Auslöser für dieses Engagement von Vater und Tochter war der Tod der Ehefrau bzw. Mutter, Anne-Marie Tausch. Indem beide zusammen mit vielen Menschen über dieses einschneidende Erlebnis geredet haben, konnten sie den Verlust besser verarbeiten. 8

O-Ton 20 - Daniela Tausch: Ich denke, ein Teil der Angst ist ja auch, dass wir es so tabuisiert haben. Wir reden nicht mehr über das Sterben, es wird abgeschoben, irgendwo ins Krankenhaus, irgendwo anders hin und dadurch, dass wir s wieder mehr ins Leben einbeziehen, darüber, dass wir erzählen, meine Mutter ist so und so gestorben, mein Vater so, dass wir Erfahrungen zusammentragen, verliert sich die Angst und wir können uns vorbereiten, weil diese Sterbensangst schränkt ja auch unser Leben sehr stark ein. Wie es ist, wenn über die Angst vor dem Tod geschwiegen wird, das hat der heute 81jährige Reinhard Tausch im Zweiten Weltkrieg erlebt. O-Ton 21 - Reinhard Tausch: Ich weiß zum Beispiel, ich war im Polen-Feldzug, längere Zeit, und ich habe niemals mit anderen Soldaten gesprochen über den Tod, niemals vielleicht deswegen, weil ich Angst hatte, na, ja, dann werden sie noch ängstlicher, wenn ich vom Tod anfange und von meiner Angst, dann geht es bei Ihnen auch los. Heute weiß der Gründer der Gesprächspsychotherapie in Deutschland, Reinhard Tausch, wie wichtig das Gespräch über den Tod und das Sterben ist, um diese Conditio Humana in unser Leben zu integrieren. Musik O-Ton 22 - Zitat (Menke): Ich denke, durch die Auseinandersetzung mit dem Tod kann ich viel für mein Leben lernen. - Es macht mir Angst, wenn ich daran denke, dass meine Mutter irgendwann stirbt. - Die Vorbereitung auf das eigene Sterben ist für mich ein wichtiges eigenes Anliegen. Musik Das sind einige der Motivationen von Teilnehmern der Sterbemeditationen, die Reinhard und Daniela Tausch veranstaltet haben und die in ihrem Buch Sanftes Sterben zitiert werden. Für Daniela Tausch sind solche Meditationen die intensivste Möglichkeit, sich auf das Sterben vorzubereiten. O-Ton 23 - Daniela Tausch: Aufgebaut ist es so, dass man sich Freitagabend trifft, dass jeder Einzelne Raum hat, über seine Erfahrungen mit Sterben und Tod zu reden, dann am nächsten Morgen noch mal, als Gruppe sich zusammen zu finden, dann wird die Sterbemeditation gemacht, erst lange Entspannung, dann, sie bekommen jetzt die Diagnose, sie haben noch einige Monate zu leben, was würden sie machen, also ganz langsam wird der Einzelne dorthin geführt. Jetzt sehen Sie ihre letzten Stunden vor sich, wer sitzt an Ihrem Sterbebett, wer 9

ist da und jetzt sind sie gestorben und schauen auf Ihr Leben zurück und dann wird noch mal der Lebensrückblick gemacht. Dabei kämen ganz unerwartete Gefühle zutage, sagt Daniela Tausch: O-Ton 24 - Daniela Tausch: Es ist erstaunlich, wie viele Menschen für sie überraschende Sachen erleben, dass sie plötzlich denken, wieso ist der nicht an meinem Sterbebett, aber der und plötzlich deutlich wird, meine Güte, der ist mir aber so wichtig, dass sie merken, ich würde gar nicht mehr große Reisen machen, das zählt gar nicht mehr, sondern ich würde einfach mit meinen liebsten Menschen zusammen sein, das was vorher wichtig war, Gott, das isses gar nicht mehr so - und dadurch kristallisiert sich einfach heraus, was ist wichtig für mich in meinem Leben. Die Pädagogin Brigitte Balling hat erst vor kurzem an einer Sterbemeditation in Stuttgart teilgenommen. Für die 64-Jährige, die auch als Coach und Supervisorin arbeitet, stand bei dieser Veranstaltung nicht nur das Thema Tod und Sterben im Vordergrund, sondern generell die Vergänglichkeit. O-Ton 25 - Brigitte Balling: Das war immer schon nen Thema, so um die 30 ging das schon los - und ich denke, die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit ist im Endeffekt ja auch dann eigentlich logischerweise die Hinführung, dass ich mich mit meiner eigenen Vergänglichkeit befasse und das tu ich auch schon sehr lang, ja, so könnte ich es sagen, dass es eher das Thema ist, nicht so sehr, ich hab Angst vorm Tod und deswegen befasse ich mich jetzt damit, damit es nicht so überraschend kommt und ich gewappnet bin, sondern eher so die Erfahrung mit Vergänglichkeit. Dabei hatte Brigitte Balling offenbar schon immer besonders ausgeprägte Ängste vor ihrer eigenen Vergänglichkeit. O-Ton 26 - Brigitte Balling: Das sind so Ängste wie, wie wird es sein? - Bin ich krank, hab ich jemand, der nach mir guckt. Hab ich Schmerzen oder bin ich ganz allein, ich glaub, es ist wirklich die Angst vor dem Prozess. Wenn ich mir das so überleg, Angst vorm Tod hab ich nicht, aber Angst vorm Sterben ja. Aber wirklich vor dem Prozess. Diese Ängste sind ihr dann auch in der Sterbemeditation begegnet: O-Ton 27 - Brigitte Balling: Ich hab das so erlebt, in diese Fantasie reingehen oder dieser Anleitung folgen... das hat schon so die Idee oder das Gefühl, aber es ist vage, aber das Gefühl ist schon 10

aufgetaucht, was so plötzlich Bedürfnisse sind oder Wünsche. Es ist nen ganzer Tumult von Gefühlen, von wie sag ich das meinem Partner, oder, was mach ich noch, wie viel Zeit hab ich noch. Und so findet es die angehende Sterbebegleiterin sinnvoll, an einer solchen geleiteten Sterbephantasie teilzunehmen, wenn das Wissen über unsere Endlichkeit nicht nur theoretisch bleiben soll. Ganz wichtig ihrer Meinung nach außerdem: Man lernt dabei nicht nur was übers Sterben, sondern auch über das Leben. O-Ton 28 - Brigitte Balling: Die Zusammengehörigkeit von dem Leben und dem Sterben, das war sehr spürbar. Also, diese Lust zu leben, diese Freude zu leben, das war viel, viel spürbarer als ich das im Alltag sonst hab. Und ich denk, das was in der Meditation immer wieder als wichtiger Punkt gesehen wird, diese Achtsamkeit, die war auch sehr spürbar - das kostbare Jetzt im Moment, das war in der Fantasie sehr präsent, dieses Gerne Leben, denn diese Fantasie geht dann so, dass man Abschied nimmt vom Sterben und sich dem Leben zuwendet. Das ist so was wie, ich bin ja noch da, es ist noch nicht so weit - ich lebe noch und wie das auch zusammengehört. Leben und Sterben gehören zusammen - das betont auch der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio. Er nennt Leben und Sterben Parallelvorgänge. Beides seien physiologische Ereignisse, für die die Natur Vorkehrungen getroffen habe, damit sie möglichst gut verlaufen. Beide liefen eigentlich am besten ab, wenn sich die Mediziner nur wenig einmischten und bei beiden Vorgängen, sei die Tendenz momentan allerdings gerade anders, weil die moderne Medizin zunehmend häufiger in Lebens- und Sterbevorgänge eingreife. Eine Beurteilung, die viele Palliativmediziner und Hospiz-Mitarbeiter übrigens teilen. Auch sie befürworten die Rückkehr zum natürlichen Sterbeprozess - im Kreis der Angehörigen und unter Anerkennung sämtlicher Ängste, die wir Menschen vor Tod und Sterben haben. Nur wenn wir Tod und Sterben als Teil des Lebens akzeptieren, können wir auch ein erfülltes Leben führen, das meint schließlich auch die Freiburger Palliativmedizinerin Gerhild Becker und findet dafür ein sehr schönes Bild: O-Ton 29 - Gerhild Becker: Wir, die wir leben wollen, für uns ist der Tod ein Skandal. Wir wollen leben. Wir wollen das Leben genießen und es ist ein immerwährender Stachel im Fleisch, dass wir wissen, das Leben ist ein Endliches. Und an manchen Tagen hören wir diesen leisen Ton nicht, an manchen hören wir ihn, letztlich wissen wir aber immer alle, dass er da ist, und vermutlich muss er auch da sein, damit wir die anderen Orchester-Stimmen des Lebens in der Gänze hören können - ohne basso continuo haben sie keinen raumhaften Klang. 11

Musik ******************** 12