plötzlich:»bisher hatte ich noch keine Vorstellung von meinem Brautkleid! Nun weiß ich es. Ich wünsche mir für meine Hochzeit ein Kleid von diesem Mann!«Ihre Freundin starrte sie entgeistert an.»du bist ja übergeschnappt, Sofia. Wie soll das denn gehen? Und das ist sicher viel zu teuer.«die Zeitung hatte des Öfteren von den astronomischen Preisen der Kleider berichtet.»du hast doch gelesen, dass er sogar Entwürfe nach Amerika liefert. Also wird es wohl auch nach Berlin möglich sein. Und du weißt, Papa kann mir keinen Wunsch abschlagen.«seit Jahren verkehrte Professor Abraham im literarischen Salon der inzwischen greisen Fanny Lewald, in dem sich die gesamte geistige Elite Berlins traf. Auch Frau Herzberg war dort regelmäßig, und ein
paarmal durften Olga und Sofia sie begleiten. Sie hörten von Henriette Herz und Rahel Varnhagen, deren Salons bereits Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Geschichte schrieben: Frauen, die, wie Olga staunend erfuhr, ihren Ehemännern geistig und gesellschaftlich ebenbürtig waren, ihren eigenen Neigungen nachgehen und sich selbst entfalten konnten. Was für eine Welt sich ihr da erschloss! Noch ahnte Olga nicht, dass ein Samenkorn in ihrem Inneren gelegt war, das eines Tages aufgehen und ihr Leben bestimmen sollte. Tief beeindruckt schrieb sie darüber in einem Brief nach Potsdam. Dass sie begann, von einem solchen Leben zu träumen, verschwieg sie Gott sei Dank. Ihre Mutter wäre sonst wohl zu der Überzeugung gelangt, das Kind hätte den Verstand verloren. Ihre Mutter schrieb regelmäßig. Ich habe eine neue Aufgabe gefunden, berichtete sie
eines Tages. In der Nachbarschaft wohnt eine reizende alte Dame, deren Sohn in Ostpreußen lebt. Er arbeitet dort auf einem Gestüt. Sie ist viel allein, und ich kümmere mich um sie. Nun ist mein Leben nicht mehr so einsam. Wir reden über unsere Kinder (obwohl er schon über vierzig ist, spricht sie immer von ihrem»kind«), wir gehen zusammen spazieren, spielen Karten und tauschen unsere Lektüre aus. Olga freute sich für ihre Mutter. Ihr anfänglich schlechtes Gewissen, wenn sie zu begeistert von ihrem neuen Leben berichtete, quälte sie nun nicht mehr. Ihre Schüchternheit wich bald einem gesunden Selbstbewusstsein.»Du hast kein Geld und bekommst keine Mitgift«, hatte Sofia gesagt,»das ist blöd. Aber du bist bildhübsch. Das ist doch schon mal was. Und dumm bist du auch nicht. Du wirst bald
überall eingeladen sein, dafür werde ich sorgen. Also, ich bin mir ganz sicher, dass du mal eine gute Partie machen wirst.«olga wurde tatsächlich immer hübscher. In den letzten Monaten war sie ein ordentliches Stück gewachsen. Ihr Babyspeck war verschwunden, was wohl auch der nicht gerade üppigen Kost in dem Pensionat zuzuschreiben war. In ihrem herzförmigen Gesicht funkelten unter schön geschwungenen Brauen große grau-grüne Augen, und ihr voller kirschroter Mund schien immer zu lachen, wobei sich ihr kleines Naschen kräuselte. Die dunklen prachtvollen Haare trug sie in Schnecken über den Ohren. Und als sie und Sofia abends einmal die Flechten lösten und die Locken heimlich zu Hochfrisuren aufsteckten, bemerkte sie zu ihrer Freundin:»Du hast recht, so übel sehe ich wirklich nicht aus.«
Zu Olgas Kummer würde Sofia das Pensionat bald verlassen. Ihre Hochzeit mit Alfred von Benning war für den kommenden Juni festgesetzt, wenn dieser seine Ausbildung bei der Rothschildbank in Frankfurt beendet hatte.»es wird hier todlangweilig sein ohne dich«, jammerte Olga.»Und wer weiß, mit wem ich dann mein Zimmer teilen muss. Ich werde dich ganz schrecklich vermissen.«sofia musste lachen.»ich wohne doch ganz in der Nähe, und wir werden uns so oft wie möglich sehen, versprochen. Es ist ja nur noch ein Jahr, dann hast du es auch hinter dir.«es war natürlich keine Frage, dass Olga eine von Sofias Brautjungfern sein würde. Ihre Bedenken, dass sie kein Geld für ein passendes Kleid habe, wurden von Sofia sofort zerstreut.»mein Vater bezahlt für alle Brautjungfern die Kleider, also mach dir