Spektrum. Gute Gründe. Schwerpunktthema: Gemeinsam soziale Brücken bauen: Im Gespräch mit Integrationsministerin Öney und Direktor Schwarz



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Spektrum SPEKTRUM 1/2013 Juni 2013 ISSN 1618-3673 Schwerpunktthema: Gute Gründe für ein neues Vorsorgekonto? Gemeinsam soziale Brücken bauen: Im Gespräch mit Integrationsministerin Öney und Direktor Schwarz Thema Rente Ein Dauerbrenner beim SWR

EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, im März 2012 habe ich in der Online-Ausgabe des MANAGER MAGAZINS erstmals die Überlegungen aus unserem Hause für ein Vorsorgekonto vorgestellt. Worum geht es dabei? Das Modell eines Vorsorgekontos soll die Palette der heutigen Riester-Produkte der Banken, Bausparkassen und Versicherungen erweitern und Sparern die Möglichkeit geben, auch bei uns, also unter dem Dach der gesetzlichen Rentenversicherung und mit staatlicher Förderung ein Vorsorgevermögen aufzubauen. Im Fall der Erwerbsminderung oder beim Eintritt in die Altersrente können sie damit entweder die Abschläge ausgleichen, die bei der gesetzlichen Rente anfallen, oder aus dem angesparten Kapital eine Rente zusätzlich zur gesetzlichen Rente erhalten. Wo liegen die Vorzüge des Modells? Das Vorsorgekonto ist erstens kostengünstig. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg kommt mit Verwaltungs- und Verfahrenskosten von nicht einmal 1,8 % ihres Haushalts aus. Als Non-Profit-Organisation würde sie zudem Risiko-, Zins- oder Kostengewinne nicht einbehalten, sondern vollständig den Verträgen der Sparer gutschreiben. Auch Abschlussgebühren und Provisionen, die das Vorsorgekapital schmälern, würden nicht anfallen. Über die gesamte Dauer der Ansparphase hinweg betrachtet resultiert allein daraus ein nicht zu unterschätzender Zinseszinseffekt. Das Vorsorgekonto bietet den Sparern zweitens Sicherheit genauso wie sie das von der gesetzlichen Rentenversicherung gewohnt sind. Sparbeiträge und Riesterzulagen würden nach denselben gesetzlichen Bestimmungen angelegt, die das Sozialgesetzbuch für die Anlage der Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht. Das bedeutet: Wertschwankungen sind ausgeschlossen, die Gelder werden quasi mündelsicher und nur bei solchen Institutionen angelegt, hinter denen Sicherungseinrichtungen stehen, die für die Einlagen der Sparer garantieren. Diejenigen Vorkehrungen also, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass die gesetzliche Rentenversicherung die Finanzkrise unbeschadet überstanden hat, würden damit auch für das Vorsorgekonto gelten. Das Vorsorgekonto bietet drittens absolute Transparenz. Die Deutsche Rentenversicherung unterliegt einer umfassenden staatlichen Aufsicht und wird vom Bundesrechnungshof über ihr gesamtes, gesetzlich bestimmtes Aufgabenspektrum hinweg geprüft. Wer sich für das Vorsorgekonto entscheidet, weiß damit jederzeit genau Bescheid, was mit seinen Beiträgen und Zulagen geschieht. Das Vorsorgekonto kombiniert viertens Elemente der Altersicherung miteinander, die bereits heute existieren, und entwickelt diese weiter: Nach den schon heute geltenden Regeln soll das staatlich geförderte Riestersparen künftig auch unter dem Dach einer staatlich kontrollierten Organisation ermöglicht werden, die ihrerseits keine Gewinnerzielungsabsichten verfolgt. Und das über einen längeren Ansparzeitraum angesammelte Kapital soll insbesondere zum Ausgleich von Abschlägen in der gesetzlichen Rentenversicherung verwendet werden dürfen. Einen solchen Rückkauf von Rentenabschlägen kennt das Sozialgesetzbuch zwar auch heute schon. Die Regelung ist aber so unattraktiv ausgestaltet, dass die Menschen nahezu keinen Gebrauch von ihr machen. Das Spektrum 1/2012

EDITORIAL Vorsorgekonto soll dies ändern und damit gleichzeitig den Handlungsspielraum der Menschen erweitern, beispielsweise auch wenn es darum geht, den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler als bisher zu gestalten. Das Vorsorgekonto sorgt fünftens dafür, dass zusammenwächst, was zusammengehört. Denn die gesetzliche Rentenversicherung steht nicht nur für eine Absicherung im Alter oder im Fall der Erwerbsminderung ein. Sie verfolgt ohne zusätzliche Kosten und ohne individuelle Gesundheitsprüfung daneben den Grundsatz Rehabilitation vor Rente und schafft damit die Voraussetzungen dafür, dass die Menschen tatsächlich länger, in Zukunft möglichst bis zum Alter von 67 Jahren, arbeiten können. Vor dem Hintergrund der bekannten demografischen Entwicklung mit all ihren Folgen Stichwort Fachkräftemangel wird dem mehr und mehr Bedeutung zukommen. Bereits aus diesen in knappen Zügen nur grob beschriebenen Umrissen des Modells für ein Vorsorgekonto wird deutlich: Es geht um eine einfache, kostengünstige, sichere, transparente und systemnahe Alternative für ein Riestersparen unter dem Regime der gesetzlichen Rentenversicherung. Unsere inzwischen mehrjährigen Erfahrungen mit dem Beratungsmodell PROSA / Pro Sicherheit im Alter über die ergänzenden betrieblichen und privaten Vorsorgeangebote bestärken uns in der Überzeugung, dass vor allem die Menschen ein solches Angebot ihrer gesetzlichen Rentenversicherung annehmen würden, die seit nunmehr über zehn Jahren von den privaten Produktanbietern nicht erreicht werden konnten. Liebe Leserinnen und Leser, inzwischen ist mehr als ein Jahr vergangen, seit ich unsere Überlegungen für ein Vorsorgekonto erstmals öffentlich vorgestellt habe. Die Resonanz, die wir zwischenzeitlich in der Politik, in Fachkreisen, bei unseren Versicherten und Arbeitgebern und auch in den Medien erfahren haben, zeigt, dass es Gründe genug gibt, das Thema genauso wie die Zukunftswege der Rehabilitation und Menschen mit Migrationshintergrund im sozialen Sicherungssystem in den Mittelpunkt der vorliegenden Ausgabe unseres SPEKTRUM zu stellen. Natürlich erfahren Sie auch in diesem Heft wie immer alles Wissenswerte darüber, was die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg in Sachen Alterssicherung, Prävention, Rehabilitation, Auskunft und Beratung und, und, und gerade beschäftigt. Eine anregende und ertragreiche Lektüre wünscht Ihnen Ihr Hubert Seiter Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg 3

INHALTSVERZEICHNIS INHALT Aktuell S 06 S 10 Nachhaltigkeitsrücklage stärken und Reha-Budget erhöhen > Rosemarie Werner-Müller Die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft leistungsfähig? > Stefanie Sauter Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues "vorsorgekonto"? S 13 S 16 S 21 S 25 S 33 Wie sieht eine erfolgreiche Alterssicherung aus? Statements von Landessozialministerin Katrin Altpeter und Klaus Morgenstern vom Deutschen Institut für Altersvorsorge Altersarmut vermeiden: Riester-Rente hat ihr Ziel nicht erreicht > Barbara Sternberger-Frey Marktversagen bei der Alterssicherung? > Dr. Eckhard Benner, Niels Nauhauser Das Vorsorgekonto als Absicherung gegen Altersarmut > Claudia Tuchscherer Kann ein neues Basisprodukt den Altersvorsorgemarkt bereichern? Im Gespräch: Hermann-Josef Tenhagen und Hubert Seiter in der diskussion: mitbürger mit MIgrationshintergrund im sozialen Sicherungssystem S 35 S 38 S 39 S 41 S 42 S 44 Gemeinsam soziale Brücken" bauen Im Gespräch mit Integrationsministerin Bilkay Öney und Direktor Andreas Schwarz Der Chancengleichheitim sozialen Netz einen großen Schritt näher Im Zweispalt zwischen zwei Ländern? Im Gespräch mit dem italienischen Generalkonsul Francesco Catania Unterwegs für NEMIGUSS Austausch bei der Deutsch-Griechischen Versammlung > Fabian Walling Ein wichtiges Angebot: Internationale Beratungstage > Hagen Hofheinz Im Blickpunkt: Mit rente und rehabilitaion beim swr präsent S 46 S 48 S 50 Servicetag Rente beim SWR-Fernsehen: Wieder ein voller Erfolg > Matthias Marten Thema Rente Ein Dauerbrenner beim SWR > Rolf Rüdiger Immer wichtiger: Guter Rat zur Rehabilitation Schwerpunktthema: Zukunftswege für die Rehabilitation S 52 S 59 S 63 S 65 Demografie und Wirtschaft Was kommt auf uns zu? > Uwe Hotz, René Baumgärtner Strategien für die Rehabilitation > Dr. Andreas Falk Landesweiter Erfahrungsaustausch der Reha-Servicestellen > Anna Hasieber, Helmut Hellstern Fachkräftemangel begegnen mit beruflicher Rehabilitation > Michael Gross 4

INHALTSVERZEICHNIS S 68 S 71 S 76 S 79 S 81 S 83 S 85 S 86 S 89 Kompetenzen bündeln für eine erfolgreiche berufliche Integration > Michael Gross Lebensläufe retten Psychosomatik-Fachtag zur Kinder- und Jugendrehabilitation Reha-Servicestelle Stuttgart: Partner im Netzwerk > Anna Hasieber Budgettag": Wir sind dabei > Anna Hasieber Vielfältige Möglichkeiten der Mediation > Anna Hasieber Fortbildung mit Reha-Sachkunde" > Marianne Huniar Kleines" Berufsförderungswerk für Stuttgart > Michael Gross Der Weg ist das Ziel Bäder- und Reha-Tour 2012 > Rosemarie Werner-Müller Elektronische Kommunikation zwischen Kostenträger und Rehabilitationseinrichtung > Cornelia Schirmacher, Dietmar Renn Projekte und Aktionen S 93 S 95 S 96 S 99 S 101 S 103 S 109 PROSA-Beratung Ein gefragtes Angebot > Stefan Gundling Besuch in Sigmaringen > Dieter Meschenmoser Ideen für Generationen: Bei der Demografie-Woche" der Metropolregion Rhein-Neckar > Stefan Grimmeisen Große Nachfrage nach Infos zur Altersvorsorge > Stefan Gundling Herbsttagung"der Widerspruchsausschüsse > Helmut Rapp Mit elba vom Papierarchiv zur elektronischen Archivierung > Brigitte Iding Reisemanagement mit aktueller Portaltechnik > Ulrich Walter Rehazentren/Reha-Einrichtungen im Spektrum S 111 Bad Buchau: Deutschlands Rehabilitationssystem steht im europäischen Vergleich weit oben > Claudia Malecki-Maleitzke S 112 S 113 S 114 Bad Kissingen: Aktuelles Wissen zur Ernährung > Markus Staubach Bad Kissingen: Niederländisches Fernseh-Team zu Gast > Markus Staubach Bad Buchau: Glückwünsche für Dr. Hellmuth Hahn Service S 116 Infobriefe S 118 Gemeindeseminare 2013 5

Aktuelles Nachhaltigkeitsrücklage stärken und Reha-Budget erhöhen Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg verabschiedete Etat für 2013 in Höhe von 14,5 Mrd. Euro Text: Rosemarie Werner-Müller Um gut 2 % höher als im vergangenen Jahr ist der Haushalt 2013 der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, den die Vertreterversammlung am 14. Dezember 2012 in Stuttgart beschlossen hat. Er beläuft sich auf 14,5 Mrd. Euro und ist damit wieder der zweitgrößte öffentliche Haushalt im Land. Der Grund dafür ist ein Zuwachs bei den Versicherten und damit auch höhere Beitragseinnahmen. Sie bleiben mit mehr als 11 Mrd. Euro und einem Anteil von fast 77 % an den Gesamteinnahmen die wichtigste Einnahmequelle der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg obwohl der Beitragssatz zur Rentenversicherung am 1. Januar 2013 auf 18,9 % sinkt. Neben der Verabschiedung des Haushalts standen für die Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg noch eine ganze Reihe von weiteren Themen auf dem Sitzungsprogramm. So befasste sich der Vorstandsvorsitzende Nikolaus Landgraf in seinem Bericht mit der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung, der Entwicklung des Reha-Budgets, dem Thema Prävention und den Sozialwahlen. Den Bericht der Geschäftsführung der sich vor allem mit Aspekten der Altersvorsorge und der Rolle der Selbstverwaltung beschäftigte gab Erster Direktor Hubert Seiter ab. Gute Finanzlage in der gesetzlichen Rentenversicherung In seinem Bericht vor der Vertreterversammlung ging der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, Nikolaus Landgraf, eingangs auf die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Dank der günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahre werde der Überschuss in der Rentenkasse zum Jahresende 2012 rund 5,1 Mrd. Euro betragen. Dies habe dazu geführt, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung im zweiten Jahr in Folge gesenkt werden konnte, und zwar um 0,7 Prozentpunkte auf 18,9 % zum 1. Januar 2013. Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden dadurch jeweils um 3,1 Mrd. Euro entlastet, allerdings mache dies im Geldbeutel eines Durchschnittsverdieners brutto gerade mal 9,45 Euro monatlich aus. Zur Beitragssatzsenkung hat es im Vorfeld viele politische Diskussionen mit konstruktiven Vorschlägen gegeben, und ich mache > Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg, Nikolaus Landgraf, befasste sich in seinem Bericht unter anderem mit der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung keinen Hehl daraus, dass ich mir eine andere Lösung gewünscht hätte, stellte der Vorstandsvorsitzende dazu fest. Nachhaltigkeitsrücklage erhöhen Ein Blick auf die Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversicherung zeige, dass sie zum Jahresende 2012 rund 29,4 Mrd. Euro betragen werde, was 1,69 Monatsausgaben entspricht; vor einem Jahr habe der Wert noch bei 1,42 Monatsausgaben gelegen. Der reduzierte Beitragssatz werde die Rücklagen tendenziell nach unten drücken, so dass in fünf Jahren nur noch 0,73 Monatsausgaben erreicht würden. Damit seien die Zeiten, in denen die Rentenkassen am Jahresende einen Überschuss verzeichnen, vorbei. Ich hoffe, dass wir nicht wieder Zeiten wie im Jahr 2005 erleben müssen, so Nikolaus Landgraf. Damals sei die Rentenkasse wegen konjunktureller Schwankungen auf Liquiditätshilfen des Bundes angewiesen gewesen, um die Rentenzahlungen sicherzustellen. Solche Situationen schadeten dem guten Ruf der gesetzlichen Rentenversicherung und müssten deshalb zukünftig verhindert werden. Daher sei es unbedingt notwendig, die Mindestreserve der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhöhen. Der Sozialbeirat, der die Bundesregierung berät und dem ich seit August 2012 als Mitglied angehöre, hält es in seinem aktuellen Gutachten zum Rentenversiche- 6

Aktuelles rungsbericht 2012 der Bundesregierung für unverzichtbar, die untere Grenze der Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben auf mindestens 0,4 Monatsausgaben anzuheben, führte der Vorstandsvorsitzende aus. Dafür spreche auch, dass in der mittelfristigen Vorausschau für die nächsten fünf Jahre die Werte Arbeitslosenzahl und Lohnzuwachs nahezu unverändert bleiben. Mehr Mittel für das Reha-Budget Bei den Bemühungen der gesetzlichen Rentenversicherung um mehr Mittel für die Rehabilitation zeichneten sich erfreulicherweise gewisse Erfolge ab. So werde die bisher nur an der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter ausgerichtete Fortschreibung des Reha-Budgets um eine demografische Komponente erweitert, die sich an der altersmäßigen Struktur und Anzahl der Versicherten orientieren soll. Nach heftiger Kritik aller Beteiligten würden diese zusätzlichen Mittel nicht erst ab 2017, wie zunächst geplant, sondern bereits ab Juli 2013 zur Verfügung gestellt. Die Rede ist dabei von zusätzlichen Mitteln in Höhe von 100 bis 200 Mio. Euro pro Jahr, und zwar für die gesamte gesetzliche Rentenversicherung; in Relation zu den derzeit über 5,5 Mrd. Euro Gesamtausgaben der Rentenversicherung für Rehabilitationsleistungen ist das zwar kein großer Wurf, aber immerhin, stellte Nikolaus Landgraf fest. Der Etat 2013 der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg Marion von Wartenberg, alternierende Vorsitzende der Vertreterversammlung und Vorsitzende des Haushaltsausschusses der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg, stellte der Vertreterversammlung den Haushalt für das Jahr 2013 vor. Die wichtigste Einnahmequelle bleiben mit rund 11,2 Mrd. Euro und fast 77 % der Gesamteinnahmen die Rentenversicherungsbeiträge. Hinzu kommen Bundesmittel in Höhe von knapp 3,2 Mrd. Euro, was etwa 22 % der Gesamteinnahmen entspricht. Auf der Ausgabenseite entfällt der weitaus größte Teil mit fast 84 % der Gesamtausgaben auf die Renten und rentenähnlichen Leistungen, dafür sind 12,1 Mrd. Euro und damit fast 4 % mehr als 2012 veranschlagt. Insgesamt 846 Mio. Euro oder 5,8 % der Gesamtausgaben sollen in die Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner fließen. Für die Leistungen zur Teilhabe, also im Bereich der Prävention und Rehabilitation, sind Ausgaben von rund 422 Mio. Euro vorgesehen, gut 7 Mio. Euro oder 1,7 % mehr als im Jahr zuvor. Bei lediglich rund 1,8 % der Gesamtausgaben liegen mit 258 Mio. Euro die Verwaltungs- und Verfahrenskosten. > Blick in den Tagungsraum: Die Sitzungsleitung hatte der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Hans-Michael Diwisch (links stehend) 7

Aktuelles Erfolgreiches Präventionsmodell umsetzen Auf dem zunehmend wichtiger werdenden Handlungsfeld der Prävention habe sich das von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg entwickelte Projekt BETSI / Beschäftigungsfähigkeit teilhabeorientiert sichern im Verlauf seiner dreijährigen Erprobungsphase zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Nach dem Abschlussbericht der Begleitforschung handle es sich bei dem Programm um eine hochwirksame Maßnahme, mit der eine signifikante Verbesserung der Risikofaktoren erreicht werden konnte; die Verbesserungen blieben auch über einen Zeitraum von zwölf Monaten stabil. So habe man das Ziel, die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, um BETSI als Regelleistung der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung anzubieten. Ein nur punktuelles Angebot sei in Anbetracht der demografischen Entwicklung und unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes zwischen Versicherten der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg nicht mehr zu rechtfertigen. Deshalb werde man mit Nachdruck auf eine umgehende flächendeckende Umsetzung auf Bundesebene hinwirken. Friedenswahlen bei den Sozialwahlen beibehalten Abschließend ging der Vorstandsvorsitzende auf das Thema Sozialwahlen ein und stellte fest: Die Selbstverwaltung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg macht sich für den Erhalt von Friedenswahlen bei den Sozialwahlen stark. Gegen die Kritik des Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen, Gerald Weiß, der mehr Urwahlen anmahnte, hätten Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam Stellung bezogen. Dabei sei festgestellt worden, dass sich die Friedenswahlen als demokratisch legitimes und effizientes Wahlverfahren über viele Jahrzehnte bewährt hätten. Friedenswahlen setzten einen umfangreichen Abstimmungsprozess voraus, der sicherstelle, dass die Selbstverwaltung ein repräsentatives Spiegelbild der Arbeitgeber und der Versicherten innerhalb der Träger darstelle. Deshalb sei einer Abschaffung von Friedenswahlen bei den Sozialwahlen eine klare Absage zu erteilen, so Nikolaus Landgraf zum Abschluss seines Vortrags. Neue Wege in der Altersvorsorge Den Bericht der Geschäftsführung gab Erster Direktor Hubert Seiter vor der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg ab. Er führte aus, dass es angesichts der enttäuschenden Bilanz, > Erster Direktor Hubert Seiter trug den Bericht der Geschäftsführung vor die inzwischen auf vielen Seiten zehn Jahre nach dem Start der staatlich geförderten Riester-Rente gezogen wurde, im Deutschen Bundestag nun erste Beratungen über den Entwurf eines Altersvorsorgeverbesserungsgesetzes gebe. Bei der Deutschen Rentenversicherung würden Überlegungen angestellt, ob staatlich geförderte kapitalgedeckte Renten nicht auch von der gesetzlichen Rentenversicherung angeboten werden sollten, und wie die Aus der Selbstverwaltung: Marion von Wartenberg wird Staatssekretärin im Kultusministerium Die stellvertretende Vorsitzende des DGB- Bezirks Baden-Württemberg und alternierende Vorsitzende der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg, Marion von Wartenberg, wird Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport. Sie übernimmt das Amt Ende Februar 2013 von Frank Mentrup, der Oberbürgermeister von Karlsruhe wird. 8

Aktuelles Grundzüge eines Vorsorgekontos aussehen könnten. Neue Wege zum Thema Altersvorsorge sei man bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg bereits mit den Servicezentren für Altersvorsorge gegangen. Ziel dabei war und ist, die Bevölkerung für eine ergänzende Altersvorsorge zu sensibilisieren. Im Mittelpunkt würden deshalb die Aufklärung und Wissensvermittlung zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge stehen, und zwar als kompetentes, neutrales und kostenloses Beratungsangebot. Dies stärke die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der informierten Verbraucher und befähige sie zu bedarfsgerechten, rechtzeitigen und nachhaltigen Vorsorgeentscheidungen, so der Geschäftsführer. Zur Information rund um das Thema Altersvorsorge arbeite man auch mit dem Südwestrundfunk in Stuttgart und Baden-Baden zusammen. Hier sei man im Fernsehen und Radio sowie über das Internet mit mehreren Rententagen auf große Resonanz gestoßen. Selbstverwaltung: Der kritische Blick auf die Bürokratie Zur Rolle der Selbstverwaltung stellte Erster Direktor Hubert Seiter fest, dass sie viel mehr sei als nur eine Reihe von Gremien. So stünden die Vertreterversammlung und der Vorstand sowie die Widerspruchsausschüsse mit ihren ehrenamtlichen Mitgliedern für den unmittelbaren und demokratisch legitimierten Einfluss von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf die Entscheidungen der Verwaltung und damit für einen wichtigen Erfahrungsaustausch zwischen Praxis und Bürokratie. Von den insgesamt 120 ehrenamtlichen Versichertenberatern würden im Jahr rund 4000 Rentenanträge und 1000 Anträge auf Kontenklärung aufgenommen und 22 000 Beratungen abgehalten. Die 21 Widerspruchsausschüsse erledigten pro Jahr in mehr als 360 Sitzungen fast 14 000 Einzelfälle. Das steht für kritische Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur der Bescheide der Verwaltung und das war und ist gut so, betonte der Geschäftsführer. Zudem würden die Mitglieder der Selbstverwaltung für die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg wichtige Aufgaben in Verbänden, Vereinen und Forschungsverbünden wahrnehmen, so dass man konstatieren muss: Viele Projekte unseres Hauses, wie zum Beispiel das Kratzen am Deckel des Reha-Budgets, das Pilotprojekt PROSA/Pro Sicherheit im Alter mit der Einrichtung von Servicestellen für Altersvorsorge oder das Präventionsprogramm BETSI wären ohne die Unterstützung durch die Selbstverwaltung undenkbar. Ehrungen für langjähriges Engagement Im Rahmen der Sitzung der Vertreterversammlung wurden zwei langjährige Mitglieder der Selbstverwaltung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg geehrt: Rolf Strohmeier und Willi Weber, die beide im Jahr 1977 für die frühere LVA Baden als Versichertenberater gewählt wurden und seit nun 35 Jahren für die gesetzliche Rentenversicherung ehrenamtlich im Einsatz sind. Würde man die Arbeitsergebnisse aus dieser Zeit auflisten, so käme eine stattliche Zahl von Anträgen und Beratungsgesprächen zusammen, und dies als kostenloser Service für unsere Versicherten und oft auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten, stellte der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Hans-Michael Diwisch, fest. Rolf Strohmeier berät in seiner Heimatgemeinde Steinen- Höllstein im Landkreis Lörrach und ist im Lauf der Jahre weit über seine Heimatgemeinde und auch über die nahe Grenze zur Schweiz hinaus zu einer festen Größe geworden. Willi Weber kommt aus Achern in der Ortenau, sein Einzugsgebiet reicht nicht nur bis zur nahen französischen Grenze, man kennt seinen Namen auch auf der anderen Seite des Rheins. Neben seinem Ehrenamt als Versichertenberater war Willi Weber zudem 25 Jahre lang ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Freiburg und wurde für dieses Engagement mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg ist froh, Leute wie Sie in ihren ehrenamtlichen Reihen zu haben, sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen der Verwaltung und den Versicherten sowie Rentnerinnen und Rentnern vor Ort. Selbstverwaltung und Geschäftsführung unseres Hauses sprechen Ihnen für den langjährigen, beispielgebenden Einsatz ihren herzlichen Dank aus, so Hans-Michael Diwisch zum Abschluss seiner Laudatio. > Für langjährigen Einsatz geehrt: Die Versichertenberater Rolf Strohmeier (links) und Willi Weber (rechts) 9

Aktuelles Die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft leistungsfähig? Prof. Dr. Jörg Schiller von der Universität Hohenheim erörterte vor dem Beamtennachwuchs der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die Sicht der Wirtschaftswissenschaften über die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung Text: Stefanie Sauter Bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg war am 23. November 2012 Prof. Dr. Jörg Schiller, Inhaber des Lehrstuhls für Versicherungswirtschaft und Sozialsysteme an der Universität Hohenheim, zu Gast. In seinem Vortrag vor den Nachwuchsbeamtinnen und -beamten für den gehobenen Verwaltungsdienst sprach er über Zukunftsfragen der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Versorgungsrente, wie wir sie jahrzehntelang gekannt haben, gibt es nicht mehr, konstatierte Hubert Seiter, Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, der den Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Schiller in Stuttgart-Freiberg begrüßte. Eingeladen waren die Bachelor of Arts im Studiengang Rentenversicherung der Jahrgänge 2009 bis 2011, die den überwiegenden Teil ihrer theoretischen Ausbildung an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg absolvieren, um sich über die Grenzen ihres Blickwinkels hinaus mit der Sicht eines Ökonomen zum Thema zukunftsfähige gesetzliche Rentenversicherung zu beschäftigen. Sehen Sie sich gefordert, Sozialpolitik mit zu gestalten, appellierte Hubert Seiter dazu an die jungen Leute. Prof. Dr. Jörg Schiller stellte klar, dass er sich dem Thema ausschließlich aus der Sicht eines Wirtschaftswissenschaftlers nähere. Als solcher widmete er sich bei der Untersuchung der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens wie der Deutschen Rentenversicherung zunächst ihrer Struktur und Ziele, dann dem Erfolgsmaßstab einer Versicherung, ihres Status Quo und schließlich ihren zukünftigen Herausforderungen. Die grundsätzliche Idee des Vortrags sei es, zu zeigen, wohin die Reise geht allerdings ohne Erfolgsrezepte, so der Referent. Struktur und Ziele Die gesetzliche Rentenversicherung das Kernelement der Bismarck schen Sozialversicherung ist bis heute ein wichtiger Baustein der sozialen Marktwirtschaft und dient dem Ziel der allgemeinen Existenzsicherung. Zwei Charakteristika zeichnen sie aus: Die Umlagefinanzierung, das heißt, die aktuellen Renten werden aus den aktuellen Beiträgen bezahlt, und die Teilhabe-Äquivalenz, > Prof. Dr. Jörg Schiller von der Universität Hohenheim erläuterte in seinem Vortrag die Sicht eines Wirtschaftswissenschaftlers auf das Unternehmen Deutsche Rentenversicherung das heißt, die Rentenhöhe richtet sich danach, was einbezahlt wurde eine leistungsorientierte Altersvorsorge also. Zu den Zielen der gesetzlichen Rentenversicherung gehören die Absicherung bei Erwerbsminderung und die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie die Vermeidung von Altersarmut und eine profitable Altersvorsorge. Auf die beiden letzten Ziele ging der Referent in seinem Vortrag ein. Die Aufgabe eines Ökonomen ist es, herauszufinden, wie die beste Lösung aussieht, wenn nicht beide Ziele erreicht werden können, stellte er dazu fest. Zunächst sei also die Frage zu klären, ob die gesetzliche Rentenversicherung profitabel ist. Erfolgsmaßstab und Status Quo Die Deutsche Rentenversicherung ist wie der Name schon sagt eine Versicherung. Das Grundprinzip einer Versicherung ist der Tausch einer Risikosituation gegen einen festen Betrag. Beim Beispiel der Deutschen Rentenversicherung heißt das, es gibt keinen Sack mit Geld, den man angespart hat und der irgendwann leer ist, sondern man bekommt Geld, solange man lebt. Versicherung bedeutet immer auch Umverteilung. Bei einer Kfz-Versicherung beispielsweise findet eine Um- 10

Aktuelles verteilung zwischen den Versicherten, die an ihrem Auto einen Schaden hatten und jenen ohne Schaden statt. Das einbezahlte Geld der Versicherten ohne Schaden kommt also jenen mit Schaden zugute. Das Risiko wird aufgeteilt. Wählt man eine andere Sichtweise, dann ist eine Versicherung eine Investition. Für jede Investition wird eine Rendite ausgerechnet, also die Frage geklärt, wie viel Gewinn gemacht wurde und wie viel Kapital dafür eingesetzt werden musste. Eine Rendite kann aber nur betrachtet werden, wenn man sie vergleichen kann. So ist die gesetzliche Rentenversicherung aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen beispielsweise nicht mit einem Banksparplan zu vergleichen. Verglichen werden kann die gesetzliche Rentenversicherung zum Beispiel mit einer kapitalgedeckten privaten Versicherung. Wenn man die Kapitalanlagerenditen der deutschen Lebensversicherer betrachtet, dann ist die Deutsche Rentenversicherung im Durchschnitt sehr rentabel. So lautete das Fazit von Prof. Dr. Schiller: Das Ziel der Deutschen Rentenversicherung, eine profitable Altersvorsorge zu bieten, ist erreicht. Wie aber sichert die gesetzliche Rentenversicherung die Altersarmut ab? Eine Definition besagt, dass das Altersarmutsrisiko beginnt, wenn man weniger als 60 % des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Statistiken zeigen, dass die Altersarmut in den alten Bundesländern noch ein relativ kleines Problem ist. In den neuen Bundesländern ist das Problem größer, da dort nahezu jeder von der gesetzlichen Rente als einziger Einnahmequelle im Alter leben muss. Ebenso ist die heutige jüngere Generation später unter Umständen von Altersarmut betroffen, da sie kaum eine zusätzliche Altersvorsorge > Im Vortragssaal: Die Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg mit (vorne v.r.n.l.) Direktor Volkart Steiner, Direktor Andreas Schwarz und Erstem Direktor Hubert Seiter abgeschlossen hat. Zusammenfassend machte der Referent deutlich, dass die gesetzliche Rentenversicherung das Altersarmutsrisiko nicht absichert. Denn setzt man ausschließlich auf die gesetzliche Rentenversicherung, müsste man im Alter auch von der Rente leben können. Dies ist jedoch in vielen Fällen nicht möglich. Herausforderungen für die Zukunft Wie sehen die Herausforderungen für die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung aus? Ob das Umlagesystem weiterhin finanzierbar bleibt, hängt vor allem von der demografischen Entwicklung ab. Dabei müssen folgende Dinge betrachtet werden: Die Höhe und die Länge des Rentenbezugs, also Lebenserwartung und > Der wirtschaftswissenschaftliche Blick auf die gesetzliche Rentenversicherung stieß beim jungen Publikum auf großes Interesse 11

Aktuelles Renteneintrittsalter, sowie die Höhe und die Länge der Beitragszahlungen, sprich Einkommen und Lebensarbeitszeit. Wie sind hier die Entwicklungen? Die Lebenserwartung steigt linear, bis zum Jahr 2060 werden die Menschen rund zehn Jahre älter als heute. Gleichzeitig sinkt die Geburtenrate. Das führt zu mehr Älteren und weniger Jüngeren, das Verhältnis der 20- bis 65-Jährigen also jenen, die Beiträge zur Rentenversicherung einzahlen zu den über 65-Jährigen wird immer schlechter. Das bedeutet, dass weniger Menschen einzahlen, während durch eine höhere Lebenserwartung gleichzeitig länger ausbezahlt werden muss. Die Rente wird aus dem Arbeitseinkommen finanziert. Das erste Problem ist, dass die Einkommensentwicklung laut Prognosen nahezu gleich bleibt und auf große Lohnsteigerungen nicht zu hoffen ist. Das zweite Problem ist, dass viele Menschen nur in Teilzeit oder geringfügigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Ich denke, wir müssen das Rentensystem ändern, so Prof. Dr. Schiller. Ziel muss es sein, eine längere Erwerbsdauer mit höheren Einkommen zu erreichen und die Rentenbezugsdauer einzudämmen. Wichtig ist, dass wir gesund und möglichst gut ausgebildet sind, stellte der Referent dazu fest. Denn wer gesund ist, kann länger arbeiten und eine bessere Ausbildung sorgt für ein höheres Gehalt und damit fließt mehr Geld in die Rentenkasse. Außerdem sollte jeder Euro, der in die Rentenversicherung einbezahlt wird, auch genauso viel wert sein. Das ist er aber nicht, weil die Menschen unterschiedlich alt werden. Bezieher niedriger Einkommen sterben aufgrund schlechterer Gesundheitsvorsorge und härterer körperlicher Arbeit im Berufsleben oft früher und erhalten deshalb für ihre eingezahlten Beiträge eine geringere Rendite. Außerdem müsste auch vorhandenes Vermögen bei der Rentenzahlung berücksichtigt werden, so dass nicht nur über die gesetzliche Rentenversicherung eine Absicherung vorhanden ist. Die gesetzliche Rentenversicherung ist wichtig und ein supersicheres System, aber die Umlagefinanzierung ist ein grundsätzlicher Nachteil, konstatierte der Referent. Allheilmittel für erfolgreiche Altersvorsorge: Ein florierender Arbeitsmarkt Zum Abschluss seines Vortrags fasste Prof. Dr. Schiller seine Thesen nochmals zusammen: Grundsätzlich habe sich die gesetzliche Rentenversicherung als gutes und krisensicheres Altersvorsorgesystem bewährt. Jede Form der Altersvorsorge oder Versicherung sei mit Kosten verbunden, was nicht heißt, dass der Abschluss einer Versicherung deshalb nicht erfolgen sollte. Aus Gründen der Gerechtigkeit sollte die Altersarmut zunächst durch an die Lebenserwartung angepasste höhere monatliche Rentenzahlungen für Bezieher niedriger Einkommen bekämpft werden. Das Allheilmittel für eine erfolgreiche Altersvorsorge und -absicherung sei ein florierender Arbeitsmarkt. Nach dem interessanten und informativen Ausflug in die Wirtschaftswissenschaften beantwortete der Referent noch Fragen aus dem Publikum. Abschließend dankte der Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, Hubert Seiter, dem Referenten, und regte an, die Veranstaltung in den nächsten Jahren zu wiederholen. Dazu würde man gerne auch die Studierenden von Prof. Dr. Schiller einladen und damit interessante Diskussionen zwischen künftigen Wirtschaftswissenschaftlern und künftigen Beamtinnen und Beamten im gehobenen Verwaltungsdienst der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg anregen. 12

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? Wie sieht eine erfolgreiche Alterssicherung aus? Statements aus dem baden-württembergischen Landessozialministerium und dem Deutschen Institut für Altersvorsorge Landessozialministerin Katrin Altpeter: Verbesserungen für Erwerbsgeminderte, Selbstständige und Frauen, Altersvorsorge unterstützen auch mit neuem Vorsorgekonto Millionen Menschen vertrauen auf das Alterssicherungssystem in Deutschland. Sie bauen zu Recht darauf, dass sie auch nach ihrem Arbeitsleben weiterhin genug Geld zur Verfügung haben, um ihren Lebensstandard halten zu können. Die Vermeidung von Altersarmut ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der Sozialpolitik. Der entscheidende Ansatzpunkt für die Vermeidung von Altersarmut liegt grundsätzlich im Erwerbsleben. Je mehr Beiträge im Laufe des Arbeitslebens eingezahlt werden, desto höher fällt der spätere Rentenanspruch aus. Lange Zeiten der Arbeitslosigkeit, eine Beschäftigung im Niedriglohnbereich oder unterbrochene Erwerbsverläufe führen zu geringen Renten. Einer guten Rentenpolitik liegt deshalb immer eine gute Arbeitsmarktpolitik zugrunde. Mit dem von mir im letzten Jahr auf den Weg gebrachten Landesprogramm Gute und sichere Arbeit setzt die Landesregierung bundesweit Akzente im Sinne einer innovativen und aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Wir eröffnen benachteiligten Menschen neue Beschäftigungschancen. Über das Landesprogramm hinaus haben wir zahlreiche Initiativen im Bundesrat eingebracht, um gering bezahlte Beschäftigung zurückzudrängen und Fairness auf dem Arbeitsmarkt sowie gleiche Bezahlung durchzusetzen. Daneben müssen wir zur Bekämpfung von Altersarmut auch Lösungen im Rentensystem finden. Auf Bundesebene dringend verbessert werden muss meiner Meinung nach vor allem die Situation von Erwerbsminderungsrentnern. Sie sind in hohem Maße von Armut bedroht, wie auch eine aktuelle Studie der Deutschen Rentenversicherung zeigt. Geeignete Ansatzpunkte sehe ich hier insbesondere in der Verlängerung der Zurechnungszeit und einer Kompensation von Verdienstrückgängen vor dem Eintritt der Erwerbsminderung. Am sinnvollsten ist es, krankheitsbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bereits durch frühzeitige und passgenaue Rehabilitationsmaßnahmen zu verhindern. Katrin Altpeter, Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren in Baden-Württemberg Katrin Altpeter hat eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin absolviert, war danach in der ambulanten und stationären Pflege tätig und zuletzt auch Lehrbeauftragte an der Katholischen Fachhochschule Freiburg. Seit 2001 ist sie Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, arbeitete bis zu ihrem Amtsantritt als Sozialministerin im Mai 2011 als Mitglied im Sozialausschuss des Landtags und war zugleich stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion. Angesichts der demografischen Entwicklung die Babyboomer kommen in das typische Rehabilitationsalter und der beschlossenen Anhebung des Renteneintrittsalters ist eine kurzfristige bedarfsgerechte Ausstattung des Reha- Budgets der gesetzlichen Rentenversicherung dringend erforderlich, damit die notwendigen Leistungen auch erbracht werden können. Der Bund ist aufgefordert, hier tätig zu werden, zumal ein entsprechender Bundesratsbe- 13

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? schluss aus dem Jahr 2011 am 1. Februar 2013 vom Bundesrat mit großer Mehrheit nochmals konkretisiert wurde. Weitere wichtige Handlungsfelder sind aus meiner Sicht der Ausbau der betrieblichen Altersversorgung, die Einbeziehung nicht obligatorisch abgesicherter Selbstständiger in den Schutzbereich der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die Stärkung der eigenständigen Alterssicherung von Frauen. Um den unterschiedlichen Lebensplanungen und -verläufen der Menschen gerecht zu werden, brauchen wir darüber hinaus flexiblere Lösungen für einen gleitenden Übergang in den Ruhestand. Zurzeit werden vor allem eine attraktivere Ausgestaltung der Teilrente und die Zahlung von abschlagsmindernden oder rentensteigernden Zusatzbeiträgen an die gesetzliche Rentenversicherung als mögliche Lösungen diskutiert. Mit Interesse verfolge ich in diesem Zusammenhang die Weiterentwicklung des Modells eines Vorsorgekontos, das auf Überlegungen der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg beruht. Angesichts der anhaltenden Kritik an zu teuren Riester-Verträgen bereichert das Vorsorgekonto die Diskussion um kostengünstige alternative Anlagemöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger. Unabhängig davon sind für die Auswahl einer passenden Zusatzvorsorge neutrale Informationen eine wichtige Entscheidungshilfe. Für viele Menschen ist das Thema Altersvorsorge aufgrund seiner Komplexität nur schwer zu durchschauen. In diesem Zusammenhang sollte die wichtige Rolle der Rentenversicherungsträger als kompetente neutrale Ratgeber für die Bürgerinnen und Bürger durch eine rechtliche Klarstellung in 15 Absatz 4 des Ersten Sozialgesetzbuches gestärkt werden. Im Hinblick auf den hohen Informationsbedarf leisten die Beraterinnen und Berater in den Servicezentren für Altersvorsorge der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg hervorragende Arbeit, um die Menschen bei der Planung ihrer Altersvorsorge wirkungsvoll zu unterstützen. Auch das Sozialministerium ist hier aktiv und wird im kommenden Jahr eine Altersvorsorgewoche durchführen. Klaus Morgenstern, Deutsches Institut für Altersvorsorge: Absage an den Attentismus: Abschaffung der Anrechnung von Eigenvorsorge auf die Grundsicherung im Alter, damit Konsumverzicht im Erwerbsleben nicht bestraft wird Die unteren Einkommensschichten gelten als Problemgruppe beim Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersvorsorge. Daran hat leider auch die Riester-Rente bislang nicht viel geändert. So gelangte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung unlängst in einer Untersuchung zum Sparverhalten dieser Gruppe zu dem Schluss, dass die kapitalgedeckte private Altersversorgung derzeit insgesamt nur ein sehr begrenztes Potenzial biete, um die Risiken künftiger Altersarmut zu verringern trotz Riester-Förderung. Zweifelsohne ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bedeutung für den Aufbau von privatem Vorsorgekapital. Aber es gibt einen weiteren nicht zu unterschätzenden Grund für die ungenügende Altersvorsorge in dieser Bevölkerungsgruppe. Die Aussicht, dass Eigenvorsorge später auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird, führt zu Attentismus unter den Geringverdienern und bremst gerade bei jenen, für die Eigenvorsorge besonders wichtig ist, die Bereitschaft, während des Erwerbslebens zu sparen. Daher muss Eigenvorsorge von einer Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter ausgenommen werden. Eigenvorsorge für das Alter bedeutet Konsumverzicht im Erwerbsleben. Dieser darf nicht dadurch bestraft werden, dass später eine Gleichstellung mit jenen erfolgt, Klaus Morgenstern, Deutsches Institut für Altersvorsorge (DIA) in Berlin Klaus Morgenstern ist Sprecher und Chefredakteur des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) in Berlin. Der Fachjournalist schreibt seit vielen Jahren über Entwicklungen in der Finanzwelt und ist spezialisiert auf Themen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. 14

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? die nach dem Laissez-faire-Prinzip auf Eigenvorsorge verzichten und von vornherein auf eine Alimentierung durch den Staat setzen. Zudem muss die Bekämpfung der Altersarmut vor allem und zuallererst in der Erwerbsphase geschehen, nicht durch spätere Umverteilungen im Rentensystem, die zur Verletzung des Äquivalenzprinzips und zwangsläufig zu Ungerechtigkeiten und neuer Unzufriedenheit führen. Armutsbekämpfung beginnt mit der Ausbildung und Integration von besonders armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen. Das ist ein langwieriger Prozess, der nicht zu schnellen Erfolgen führt, gesellschaftspolitisch aber keine Nachteile besitzt wie mehr oder weniger willkürliche Umverteilungen innerhalb des Rentensystems. Außerdem sollte wissenschaftlich und frei von parteipolitischen Grundierungen geprüft werden, inwieweit gesetzliche oder tarifliche Mindestlöhne verhindern können, dass die spätere Rente nicht unter das Niveau der Grundsicherung rutscht, ohne gleichzeitig die wirtschaftliche Entwicklung zu gefährden. Die Einführung von Opting-out-Konzepten in der betrieblichen Altersversorgung sollte durch gesetzgeberische Schritte unterstützt werden. Bislang beruht die betriebliche Altersversorgung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, das flankiert wird durch den Anreiz des Bruttosparens. Das hat aber nicht zu einer Durchdringung geführt, die eine ausreichende finanzielle Absicherung der Bevölkerung in großer Breite gewährleistet. Im Gegenteil: Nach jüngsten Umfragen nimmt die Bereitschaft zur betrieblichen Vorsorge bei den Arbeitnehmern sogar wieder ab. Es bedarf daher zusätzlicher Steuerungsinstrumente, wobei die automatische Einbeziehung mit Ausstiegsklausel (Opting out) ausreichend freie Willensbildung des Arbeitnehmers zulässt. Opting-out-Modelle führen außerdem zu niedrigeren Kosten, da weniger Vertriebs- und Beratungsaufwand anfällt und andere Kalkulationsansätze möglich sind. Eine Arbeitnehmerberatung ist in der Regel nur noch erforderlich, wenn der Arbeitgeber unterschiedliche Lösungen für die Entgeltumwandlung anbietet, oder wenn der Arbeitnehmer sich gegen die Vorsorge entscheidet. Darüber hinaus sollte ein alle Altersvorsorge-Schichten übergreifendes individuelles Rentenkonto eingeführt werden. Mit dem von der Deutschen Renten Information e.v. entwickelten Konzept liegt ein Vorschlag für eine neutrale Plattform vor, auf der für jeden Bürger alle relevanten Daten im Bereich der Altersvorsorge visualisiert werden können. Die Zusammenführung dieser Informationen würde deutlich mehr Transparenz schaffen und der zurückgehenden Vorsorgebereitschaft entgegenwirken. Das Rentenkonto sollte in einer Brancheninitiative umgesetzt und von den Marktteilnehmern im Segment der Altersvorsorge-Produkte finanziert werden. Die Mitwirkung könnte über eine gesetzliche Informationspflicht geregelt werden. Fast alle Haushalte in Deutschland mit Senioren über 65 Jahren beziehen Renten aus Alterssicherungssystemen wie der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Durchschnitt erhalten Ehepaare nach dem Alterssicherungsbericht 2012 monatlich 2215 Euro und Alleinstehende 1375 Euro. Rund 57 % der über 65-Jährigen leben nicht von dieser Rente allein, sondern haben zusätzliche Einkommen, beispielsweise aus Zinsen, Mieten, eigener Erwerbstätigkeit oder privater Altersvorsorge oder auch Einkünfte aus Grundsicherungsleistungen. Insgesamt liegen die monatlichen Bruttoeinkommen der über 65-Jährigen bei durchschnittlich 2829 Euro bei Ehepaaren und 1557 Euro bei Alleinstehenden. Unterm Strich, also nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, verfügen Ehepaare, von denen zumindest einer über 65 Jahre alt ist, über ein monatliches Einkommen von durchschnittlich 2433 und über 65-jährige Alleinstehende über 1366 Euro. 15

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? Altersarmut vermeiden: Riester-Rente hat ihr Ziel nicht erreicht Zweifelhafte Beratungen, unverständliche Verbraucherinformationen und zu hohe Kosten Bei der Riester- Rente wird abkassiert Text: Barbara Sternberger-Frey Mit der Einführung der Riester-Rente wollte der Gesetzgeber seinen Bürgern ermöglichen, die seinerzeitigen Kürzungen bei der gesetzlichen Rente auszugleichen und damit einen wichtigen Beitrag zur Armutsvermeidung leisten. Doch die Praxis zeigt: Elf Jahre nach der Einführung der staatlich geförderten Privatvorsorge ist die Beteiligung daran nach wie vor unzureichend. Gleichzeitig ist das Gros der Riester-Produkte zu teuer, zu intransparent und zu kompliziert. Ohne eine grundlegende Überarbeitung von Förderregeln und Produktvorschriften lassen sich die Ziele der Riester-Reform daher kaum erreichen. Wenn heute über die Riester-Rente diskutiert wird, tritt allzu oft in den Hintergrund, was der Gesetzgeber mit der staatlich geförderten Zusatzrente eigentlich bezweckte. Der Staat wollte Anreize zum Aufbau einer kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge geben, deren Abschluss zwingend notwendig ist, um die seinerzeit eingeführten Niveausenkungen in der gesetzlichen Rentenversicherung wenigstens teilweise zu kompensieren. Kurz: Die Riester- Rente sollte den Bürgern ermöglichen, trotz Rentenkürzung das seinerzeitige Versorgungsniveau im Alter zu erhalten, das bis dahin allein durch die gesetzliche Rente gesichert wurde. Seither ist dieses Niveau nur durch den zusätzlichen Abschluss eines Riester-Vertrags erreichbar. Vor diesem Hintergrund stellt die Riester-Rente zugleich einen wichtigen Baustein zur Vermeidung von Altersarmut dar. Denn infolge der Rentenreformen war schon 2002 absehbar, dass mit der gesetzlichen Rente allein in vielen Fällen künftig keine armutsfeste Altersversorgung mehr möglich sein wird. Darüber hinaus verband der Gesetzgeber mit der Einführung der Riester-Rente auch die Hoffnung, durch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge höhere Renditen als mit der gesetzlichen Rente zu erzielen. Mit der Förderung durch Steuervorteile und Zulagen wollte der Gesetzgeber zudem seine Bürger bei dem ökonomischen Kraftakt, den er ihnen abverlangte, unterstützen. Denn die Aufrechterhaltung des bisherigen Versorgungsniveaus hat sich für die Verbraucher seither signifikant verteuert. Schließlich müssen sie den Beitrag für die nun erforderliche zusätzliche private Vorsorge ganz allein aufbringen. Barbara Sternberger-Frey ist Finanzjournalistin und seit 2001 Mitarbeiterin und wissenschaftliche Beraterin für Geldanlage und Altersvorsorge beim Verbrauchermagazin ÖKO-TEST. Nach ihrer journalistischen Ausbildung und einem Volkswirtschaftsstudium war sie seit 1983 Geldanlageredakteurin der Zeitschrift Management Wissen, gehörte zum Gründungsteam der Zeitschrift FINANZtest von der Stiftung Warentest, war freie Mitarbeiterin der Zeitschriften DM, Telebörse und Stern mit den Themenschwerpunkten Geldanlage und Finanzdienstleistungen und Fachbuchautorin unter anderem für die Stiftung Warentest, die Verbraucherzentralen, den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Hans-Böckler-Stiftung. Seit 2003 gehört sie der Netzwerkgruppe Altersvorsorge, Geldanlage beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.v. (vzbv) an, war Projektleiterin mehrerer Studien des vzbv zum Verbraucherschutz in der staatlich geförderten privaten und betrieblichen Altersvorsorge und arbeitete am Projekt und der Referentenschulung von Altersvorsorge macht Schule mit. Das bedeutet: Für die Bürger kommen zum hälftigen Beitrag für die gesetzliche Rente jetzt weitere 4 % des Bruttoeinkommens für die ergänzende Riester-Rente hinzu. Ohne staatliche Förderung wäre diese Belastung 16

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? vor allem für Geringverdiener und Familien mit Kindern kaum zu stemmen. Fragwürdige Erfolgsstory Fast elf Jahre nach der Verabschiedung der Reform haben jedoch nur 15,64 Mio. Sparer überhaupt einen Riester- Vertrag abgeschlossen. Bei Geringverdienern und anderen Bevölkerungsgruppen, die auf die Zusatzrente besonders angewiesen sind, weist die Riester-Rente sogar nur eine unterdurchschnittliche Verbreitung auf. Dennoch wird die Riester-Rente von der Bundesregierung als Erfolgsstory gewertet. Fast schon gebetsmühlenartig preist die Regierung die staatlich geförderte Zusatzrente als lukrative und besonders sichere Form der zusätzlichen Lebensstandardsicherung im Alter. Dabei belegen zahlreiche Studien, Fallbeispiele und auch die regelmäßigen Untersuchungen des Verbrauchermagazins ÖKO-TEST eher das Gegenteil. Die staatlichen Zulagen sind zwar verlockend. Obendrein suggeriert die staatliche Zertifizierung, dass die Produkte in jedem Fall gut sind, weil sie der Staat für förderungswürdig hält. In Wahrheit halten die Produkte aber längst nicht immer, was die Regierung verspricht und Verbraucher erhoffen. Im Gegenteil die perfekte Altersvorsorge sind Riester-Produkte allenfalls für Finanzdienstleister. Versicherungen, Banken, Fondsgesellschaften und Bausparkassen verdienen prächtig daran, allerdings oft auf Kosten ihrer Kunden. Denn infolge von hohen Abschlussund Vertriebskosten sowie überzogenen Gewinnerzielungsabsichten der Anbieter kommt die staatliche Förderung der Produkte kaum bei den Sparern an. Lange Mängelliste Die Mängelliste an der staatlich geförderten Vorsorge ist lang. Unfaire Vertriebsmethoden, begrenzte Offenlegung von Kosten, zweifelhafte Beratungen, unzureichende und unverständliche Verbraucherinformationen sowie erfolglose Beschwerden mit diesen knappen Worten fasste zum Beispiel das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die von Verbraucherorganisationen zusammengetragenen Kritikpunkte an der Riester-Rente und ihren Anbietern schon 2010 zusammen. Die Berliner Forscher kritisieren zudem, die Politik habe es versäumt, die Riester-Rente zu einer Pflichtversorgung zu machen. Denn auch zehn Jahre nach der Einführung hätten gerade mal 37 % der Anspruchsberechtigten einen Riester-Vertrag. Damit sei das Förderziel noch lange nicht erreicht, schlussfolgert das DIW, und brandmarkt die immer wieder stolz verkündeten Abschlusszahlen als Erfolgsmeldungen ohne Fundament. Dabei muss es angesichts der vielen Produkt- und Beratungsmängel nicht verwundern, dass zahlreiche Verbraucher mit dem Abschluss eines Vertrags zögern. Schon die Produktauswahl fällt ohne kompetente Hilfe schwer. Vorsorgesparer haben schließlich nicht nur bei der Riester-Rente die Qual der Wahl zwischen fünf verschiedenen Produktlinien mit unterschiedlichem Chance-Risiko- Raster. Daneben können sie mit staatlicher Förderung auch über den Betrieb für das Alter sparen oder sich für eine von vier verschiedenen Produktlinien der Rürup-Rente entscheiden. Sie müssen daher nicht nur den für sie passenden Förderweg ausloten, sondern zugleich prüfen, welche Produktlinie letztlich zu ihren individuellen Bedürfnissen und ihrer finanziellen Situation passt. Nicht nur Laien fühlen sich dabei schnell überfordert und legen die konkrete Entscheidung angesichts der verwirrend vielfältigen Auswahlmöglichkeiten lieber auf Eis. Intransparent und zu teuer Erschwerend kommt hinzu, dass die Produktofferten allesamt nicht transparent sind. Allein die Suche nach einem staatlich geförderten Riester-Produkt zur Altersvorsorge gleicht eher einer Lotterie als einem fairen Wettbewerb, stellte zum Beispiel Prof. Dr. Andreas Öhler bereits Ende 2009 in einer Studie für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fest. Die Bestandsaufnahme des Bamberger Professors liest sich wie eine Chronique scandaleuse. Laut Gutachten halten nur knapp die Hälfte der Anbieter von Riester-Produkten überhaupt nutzbare Kosteninformationen für die Verbraucher bereit. Fast 40 % der Angebote weisen die Kosten nicht wie vorgeschrieben in Euro aus oder machen nur teilweise Angaben dazu, 60 % der Anbieter legen die gesetzlich vorgeschriebenen Modellrechnungen über die Wertentwicklung nicht vor. Der Bamberger Professor fasst allerdings nur zusammen, was ÖKO-TEST in seinen Untersuchungen schon seit Jahren bemängelt und mit Details belegt: Die geförderte Altersvorsorge ist intransparent und zu teuer. Schon kurz nach der Einführung der Riester-Rente musste ÖKO-TEST zum Beispiel feststellen, dass bei den geförderten Produkten allein in der Ansparphase und je nach Laufzeit des Vertrags bis zu 15,85 % der Einzahlungen für Vertragskosten anfallen. Das Ergebnis deckt sich mit Untersuchungen des Verbraucherzentrale Bundesverbands aus dem gleichen Jahr, der je nach Vertragslaufzeit durchschnittliche Kostenquoten von 11,89 % bis 13,72 % ermittelte. Bei einzelnen Anbietern konnten seinerzeit aber auch bis zu 17,1 % der Einzahlungssumme (Eigenbeiträge und Zulagen) für Vertragskosten drauf gehen. Darüber hinaus wissen die Anbieter die vom Gesetzgeber geforderte Kostentransparenz seit jeher geschickt zu umgehen. Denn statt die Gebühren kurz und knapp in 17

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? einer Summe zusammenzufassen, splitten sie die Kosten für Abschluss und Verwaltung der Verträge in ein ganzes Sortiment an unterschiedlichen Posten und Pöstchen auf. Bedauerlicherweise ist die schon vor elf Jahren erhobene Kritik nach wie vor aktuell. Zwar hat der Gesetzgeber die Transparenzvorschriften längst mehrfach verschärft und die Anbieter zum Ausweis der Gesamtkosten in Euro und Cent sogar verpflichtet. Doch kein einziger Anbieter hält sich daran. Die Bundesregierung will in diesem Jahr mit einem standardisierten Produktinformationsblatt (PiB) jetzt nochmals nachlegen und die Anbieter zu transparenten Angaben zwingen. Doch in der bis dato vorliegenden Form wird auch das neue Produktinformationsblatt dem Verbraucher kaum helfen. Denn die Anbieterseite macht sich lediglich für den Ausweis der Kosten in Form des durchschnittlichen prozentualen Abschlags der erreichbaren Rendite, der sogenannten Reduction in Yield (RiY), stark. Abgesehen davon, dass diese Kostenquote faktisch nur von Experten wirklich verstanden werden kann, ist sie in hohem Maß manipulationsanfällig. Zum Produktvergleich durch Verbraucher ist sie schon gar nicht geeignet, da nur Verträge mit gleicher Laufzeit und gleichem Ertrag vor Kosten überhaupt verglichen werden können. Mehr noch: Sogar wenn diese Vorgaben eingehalten werden, können dennoch bei Verträgen für ein und denselben Kunden beim gleichen Anbieter erhebliche Differenzen in der RiY auftreten, wie ÖKO-TEST bei Tests 2012 feststellte. Kurz: Solange es keine verbindlichen Vorschriften für einen standardisierten Kostenausweis in Euro und Cent gibt, steht zu befürchten, dass sich an der nun elfjährigen Praxis zur Verschleierung der Vertragskosten wenig ändert. Gesamtkostenquote legt Vertragskosten offen Bislang zumindest haben sich alle diesbezüglichen Transparenz-Versprechen lediglich als Lippenbekenntnisse entpuppt. Verbraucherschützer plädieren daher schon seit Jahren für die Ermittlung der Gesamtkosten von Verträgen auf der Basis der sogenannten Reduction in Payment (RiP). Diese Kostenquote gibt an, wie viel Kapital dem Vorsorgesparer bis zum Rentenbeginn durch Vertragskosten verloren geht. Sie lässt sich zudem für (fast) alle Riester-Produktlinien ermitteln und erlaubt daher auch einen produktübergreifenden Vergleich. Weil diese Kostenquote nicht nur in Prozent, sondern auch problemlos in Euro und Cent ausgewiesen werden kann, können die Verbraucher zudem auf einen Blick den gesamten Vermögensverlust durch die Vertragskosten bis zum Rentenbeginn erfassen. ÖKO-TEST ermittelt diese Gesamtkostenquote bei seinen Tests schon seit zwei Jahren. Die Ergebnisse machen allerdings auch verständlich, warum sich die Anbieter so vehement gegen die Angabe wehren. Denn die Zahlen belegen, was Verbraucherschützer und diverse Studien schon seit Jahren kritisieren: Teilweise fressen die Vertragskosten die gesamten Zulagen des Staates auf. In Einzelfällen kosten die Verträge sogar noch mehr. So können sich die Abschluss- und Verwaltungskosten für den Riester-Vertrag bei teuren Anbietern für einen 35-jährigen Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern allein in der Ansparphase zum Beispiel auf stattliche 7917 Euro bis 8863 Euro summieren. Das sind im Beispielsfall fast 80 % bis 89 % der Zulagen von insgesamt 9954 Euro, die der Staat bis zum Rentenbeginn gewährt. Schließt der 35-Jährige dagegen bei einem kostengünstigen Anbieter ab, müsste er im gleichen Musterfall nur 2621 Euro Gesamtkosten einkalkulieren das sind aber immer noch 26 % der Zulagenförderung. Bei Neutarifen seit 2012 müssen jüngere und kinderlose Sparer, die lediglich Anspruch auf die Grundzulage haben, bisweilen sogar noch tiefer in die Tasche greifen. Bei einem 30-jährigen Durchschnittsverdiener gehen im Schnitt das 1,3-fache der Zulagensumme von 5698 Euro oder umgerechnet 7486 Euro an Vermögensverlust durch Vertragskosten drauf. Bei teuren Anbietern können die Vertragskosten mit bis zu 11 950 Euro im gleichen Musterfall sogar mehr als das Doppelte ausmachen. Wichtig: Die Sterbetafel Dabei werden Riester-Verträge nicht nur in der Ansparphase mit hohen Abschluss- und Verwaltungskosten belastet. Wie viel den Vorsorgesparern später an Zusatzrente bleibt, hängt auch in hohem Maß davon ab, mit welcher Sterbetafel das angesparte Kapital später verrentet wird. Zweifelsohne müssen Versicherer das sogenannte Langlebigkeitsrisiko ihrer Kunden vorsichtig kalkulieren. Doch bei der Kalkulation der Riester-Rente gehen sie durchweg davon aus, dass alle Sparer steinalt werden; und weil manche Anbieter besonders vorsichtig sind, legen sie noch etwas drauf. So wird ein heute 31-jähriger Riester-Sparer beim Gros der Anbieter im Schnitt 91,2 Jahre alt, besonders vorsichtig kalkulierende Anbieter gehen von einer Lebenserwartung bis 98,2 Jahre aus. Anbieter von fondsgebundenen Riester-Renten rechnen gar, dass das bei Rentenbeginn angesparte Kapital bis zum 104. Lebensjahr des Kunden reichen muss. Entsprechend mickrig fällt die monatliche Rente für die Riester-Sparer aus. Denn je länger das Kapital reichen muss, desto geringer ist der Rentenzahlbetrag. Mit der Lebenswirklichkeit der Deutschen hat diese Kalkulation des Langlebigkeitsrisikos wenig zu tun. Vertraut man dem Statistischen Bundesamt, wird der 31-jährige Musterkunde gerade mal 84 Jahre alt. Eine 18

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? gleichaltrige Frau könnte vielleicht 88,6 Jahre alt werden. Viel älter wird der Bevölkerungsdurchschnitt nach Schätzung der Statistiker jedoch nicht und bei diesen Werten ist der Trend zur weiteren Zunahme der Lebenserwartung bereits berücksichtigt. Für Raucher, Menschen mit Vorerkrankungen und auch für Geringverdiener und sozial Schwache gelten zudem deutlich niedrigere Werte. Das berücksichtigen die Anbieter jedoch nicht, obwohl die Riester-Rente eigentlich ein Massenprodukt und die Förderung speziell auf Geringverdiener ausgelegt ist. Weitere Risikozuschläge Zu allem Überfluss kalkuliert die Versicherungsbranche bei der Riester-Rente auch noch weitere Risikozuschläge, sogenannte Selektionseffekte, mit ein. Denn sie unterstellen, dass sich nur Sparer, die sich zu Rentenbeginn noch kerngesund fühlen, für die Auszahlung des angesparten Kapitals in Form einer lebenslangen Rente entscheiden würden. Alle anderen würden dagegen die sofortige Kapitalabfindung wählen. Solche Verhaltensweisen mögen bei der ungeförderten Vorsorge zu beobachten sein, bei der staatlich geförderten Vorsorge jedoch nicht. Denn Riester-Sparer haben infolge der Förderbedingungen de facto gar keine Wahlmöglichkeit, sich zwischen der Auszahlung als lebenslange Rente oder für die sofortige Kapitalabfindung zu entscheiden. Die volle Kapitalentnahme wäre förderschädlich. Sparer müssten dann die gesamte erhaltene Förderung zurückzahlen. Kurz: Selektionseffekte sind bei der Riester-Rente kaum gegeben, zumindest deutlich schwächer als die Anbieter derzeit unterstellen. Risikogewinne statt Kapitalerträge Allein aus diesen Gründen wird die Lebenserwartung bei privaten Riester-Renten mehr als übervorsichtig kalkuliert. Das hat nicht nur Auswirkung auf die anfängliche Höhe der Rente, beeinflusst also die Effizienz der Produkte, sondern geht voll zu Lasten der Kunden. Wenn sie nämlich nicht so alt werden, wie unterstellt wird, dürfen die Versicherer 25 % der sogenannten Risikogewinne für sich behalten. Finanziert werden die Risikokosten jedoch zu 100 % aus den Beiträgen der Vorsorgesparer. Kurz: Je vorsichtiger die Versicherer agieren und je mehr Puffer sie in ihren Sterbetafeln und Beiträgen der Kunden einkalkulieren, desto geringer ist ihr eigenes unternehmerisches Risiko. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Risikoüberschüsse entstehen, und davon dürfen die Versicherer dann immerhin 25 % als Gewinn für sich behalten oder an ihre Aktionäre ausschütten. Das macht die übervorsichtige Kalkulation des Langlebigkeitsrisikos zu einem lukrativen Geschäft für die Anbieter, aber nicht für die Kunden. Dass sich Produkte zur geförderten Altersvorsorge nur für kerngesunde Sparer lohnen, die ein biblisch hohes Alter erreichen, bleibt selbst für informierte Vorsorgesparer beim Vertragsabschluss oft im Dunkeln. Die meisten Produkttests konzentrieren sich ausschließlich auf die Analyse der Ansparphase. Das ist umso ärgerlicher, als die Frage, was und wie viel vom Gewinn die Versicherer ihren Kunden gutschreiben und was sie ihren Aktionären ausschütten, mit Blick in die Zukunft erst richtig spannend wird. Denn die Versicherer erwirtschaften immer weniger Kapitalerträge. So ist die Gesamtverzinsung von Rentenverträgen seit 2002 von seinerzeit 6,13 % mittlerweile auf 3,92 % gesunken. Weil die Branche das Versicherungsrisiko und auch die Kosten vorsichtig kalkulieren müssen, fallen bei ihnen jedoch immer mehr Risiko- und Kostengewinne an. Branchenexperten mutmaßen, dass bei weiter rückläufigen Kapitalerträgen die Risikogewinne in zehn bis fünfzehn Jahren eine der wichtigsten Quellen für Überschusserträge in den Versicherungskonzernen sind. Dieser Gewinntopf wird derzeit kräftig mit den Geldern der Vorsorgesparer gefüllt, die dem staatlichen Appell zur privaten Altersvorsorge folgen. Anders als Mitte der 90er- Jahre, als die Kapitallebensversicherung noch der Absatzrenner war, machen Rentenversicherungen, gemessen an den Beitragseinnahmen, mittlerweile schon 68 % vom Neugeschäft aus, so die Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zu den Absatzzahlen für das Geschäftsjahr 2011/2012. Hier werden also mit staatlicher Unterstützung dank der Vorsorgeförderung üppige Risikoreserven aufgebaut, von denen die Sparer nach geltendem Recht aber höchst unzureichend profitieren. Kundenbeteiligung an Gewinnen der Versicherer sinkt Denn wie Zahlen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zeigen, geht die Beteiligung der Kunden am gesamten Rohgewinn der Branche seit Jahren spürbar zurück. Wurden 2002 im Schnitt noch 92,33 % der Gewinne an die Kunden ausgeschüttet, so waren es 2011 nur noch 84,62 %. Dabei sind die Gewinne der Branche keinesfalls gesunken, sondern sie haben sich im Gegenteil von 5231 Mrd. Euro Im Jahr 2002 auf 10 282 Mrd. Euro bis Ende 2011 sogar verdoppelt. Von diesem Gewinnkuchen schneiden sich allerdings die Anbieter und ihre Aktionäre ein immer größeres Stück ab. Denn während die Kundenbeteiligung sinkt, konnten die Versicherer ihren Gewinnanteil von 7,67 % auf 15,38 % glatt verdoppeln. Schuld daran ist nicht zuletzt die 2008 eingeführte Mindestzuführungsverordnung, mit der die Beteiligung der Kunden an den Gewinnen der Versicherer geregelt wird. Mussten die Versicherer bis dahin mindes- 19

Schwerpunktthema: Brauchen wir ein neues Vorsorgekonto? tens 90 % vom gesamten Gewinn an ihre Kunden ausschütten, so gilt diese Beteiligungsquote seither nur noch für Zinsgewinne. An den Risikogewinnen müssen die Kunden dagegen nur noch zu 75 % und an den Kostengewinnen sogar nur zu 50 % beteiligt werden. Kein Wunder also, dass auch die Verzinsung der Riester- Verträge von Jahr zu Jahr sinkt. Das gilt umso mehr, als die neuen Vorschriften auch noch trickreich ausgehebelt werden, wie einige neue Kostenklauseln zeigen. Mit deren Hilfe werden Kapitalgewinne nämlich einfach in Kostengewinne umgewidmet. Dadurch können die Anbieter ganz legal 50 % statt 10 % für sich abzweigen, und die Kunden haben das Nachsehen. Sozialbeirat der Bundesregierung: Verbraucherschutz verbessern Die vielen Ärgernisse bei den Riester-Renten-Produkten haben mittlerweile sogar den Sozialbeirat der Bundesregierung auf den Plan gerufen. Im Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2012 kritisieren die Experten nicht nur die als überhöht betrachteten Abschluss- und Verwaltungskosten sowie die für die Versicherten nachteiligen Kalkulationsgrundlagen. Das älteste Beratungsgremium der Bundesregierung bezweifelt vor allem, dass das bei der Einführung der Riester-Rente gegebene Versprechen angesichts der vielen Produktmängel gehalten werden kann. Seinerzeit hieß es, wer privat vorsorge, könne sein Versorgungsniveau im Alter halten. Das seien jedoch vielfach unrealistische Annahmen, so der Sozialbeirat, weil die Kosten der Produkte zu hoch liegen und die Tarife mit überdurchschnittlich langen Lebenserwartungen kalkuliert werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass nach wie vor viel zu wenige für das Alter vorsorgen. Nach Angaben des Sozialbeirats haben rund 30 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weder einen privaten Riester-Vertrag noch eine Betriebsrente; bei Arbeitnehmern mit weniger als 1500 Euro Bruttolohn sind es sogar 42 %. Und selbst die bestehenden Riester-Verträge täuschen ein zu hohes Versorgungsniveau vor, denn ein Fünftel der abgeschlossenen Verträge werde nicht mehr bespart. Der Sozialbeirat fordert daher die Regierung eindringlich auf, zu prüfen, welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes ergriffen werden können. Lösungsvorschlag: Das Altersvorsorgekonto Dabei gibt es längst einen Lösungsvorschlag, um die Riester-Rente zu vereinfachen, kostengünstiger und transparenter zu machen: Das Altersvorsorgekonto, das die baden-württembergische Verbraucherkommission schon Mitte 2010 auf der Verbraucherministerkonferenz der Länder vorgeschlagen hat und das von ÖKO-TEST ebenso unterstützt wird wie von den Verbraucherzentralen und ihrem Bundesverband vzbv. Die Sparbeiträge fließen dann auf ein Konto, das von einer Institution ohne Gewinnerzielungsabsicht verwaltet wird. Es werden nur die Kosten berechnet, die tatsächlich anfallen. Statt die Konten der Versicherer zu füllen, profitieren die Sparer, ihre Renten fallen deutlich höher aus als bei den aktuellen Riester-Produkten. 20