Weimarer Klassik. 1 Wichtige Tendenzen der Epoche. Helmut Galle

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Transkript:

Weimarer Klassik 1 Wichtige Tendenzen der Epoche Helmut Galle hgalle@usp.br Sala 34 Plantão: 4ª feira 12.00-13.00 e 17.00-19.00 hs Departamento de Letras Modernas

08.03. 1. Vorstellung des Programms; Epoche "Goethezeit"; Klassik und Klassizismus 15.03. 2. Faustmythos und Faustbuch 22.03. 3. Fauststoff, Urfaust 29.03. 4. Faust I: Zueignung, Vorspiel auf dem Theater, Prolog im Himmel 05.04. 5. Faust I: Gelehrtentragödie: Wissenschaft, Magie, Welterkenntnis 12.04. Semana Santa 19.04. 6. Faust I: Mephisto, Wette, Weltfahrt 26.04. 7. Faust I: Gretchentragödie, Sozialkritik, Religion und Kirche, Erlösung 03.05. 8. Faust I: Walpurgisnacht, Sexualität, Fausts Schuld 10.05. 9. Faust II; Rezeption der Faustdichtung Abgabe der Projekte 17.05. 10. Goethe: W. Meisters Lehrjahre, 1. Buch: Entstehung, Anlage, Stil 24.05. 11. Goethe: W. Meister: Theater, Liebe, Bildungsgedanke 31.05. 12. Gespräch über die Projekte 07.06. 13. Goethe: Gedichte 14.06. 14. Schiller: Gedichte 21.06. 15. Hölderlin: Gedichte 28.06. 16. Schillers: Essays 05.07. 17. Abschlussbesprechung; Nachträge; Abgabe der Hausarbeiten.

Weimarer Klassik Literaturepoche: Protagonisten Goethe + Schiller 1) Lebenszeit Goethes: 1749-1832 Goethezeit 2) Goethes Werk seit der Italienreise 1786-1832 3) Zusammenarbeit Goethes und Schillers von 1794-1805 4) Werk der mit Goethe und Schiller verbundenen Autoren: Wieland, Herder, Moritz, W. v. Humboldt, A. v. Humboldt Die Klassik verläuft teils parallel zu anderen ästhetischen Tendenzen: Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang, Romantik. Die deutsche Klassik ist ein programmatischer Klassizismus innerhalb einer romantisch-subjektivistischen Großepoche von der Empfindsamkeit bis zum Realismus

Goethe-Schiller- Denkmal in Weimar 1857 Ernst Rietschel

Literaturströmungen des 18. / 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum 1700 1725 1750 1760 1770 1780 1790 1800 1815 1830 1848 Aufklärung / Rationalismus Empfindsamkeit Sturm und Drang Goethezeit Weimarer Klassik Romantik Biedermeier Vormärz + Junges Deutschland Realismus Natural. Décadence 1700 1725 1750 1760 1770 1780 1790 1800 1815 1830 1848 1890

Problematisierung des Klassikbegriffs (nach Borchmeyer, Weimarer Klassik) Verschiedene Begriffsvarianten von klassisch normativ: gut, exemplarisch, hervorragend, überdauernd historisch: Kunst der griechisch klassischen Antike stiltypologisch: harmonisch, wohlproportioniert, tektonisch, klassizistisch epochal: Blütezeit einer Kultur, einer Nation die Klassik: normativ; epochal, Blütezeit der Klassizismus: stiltypologisch

Zentralbegriffe des von Goethe und Schiller gemeinsam betriebenen literarischen Klassizismus Aufklärung: Fortsetzung des universalen Projekts zur Befreiung des Menschen von Unwissen, Aberglauben und Fremdbestimmung Autonomie der Kunst: Freiheit von Fremdbestimmung, Autonomie des Künstlers, gegen Dilettantismus Humanität: Ziel der Perfektionierung des Menschen zum Wahren, Guten, Schönen; Handeln aus eigener Einsicht Bildung: Programm zur Humanisierung durch ästhetische Erziehung Französische Revolution: Antwort auf den gewaltsamen Umsturz im Politischen; Evolution statt Revolution Orientierung an Natur : Beobachtung der Realität (Minerale, Pflanzen, Tiere, Menschen) lehrt die Gesetze hinter den Phänomenen Klassische Kunst: zeigt die gesetzmäßige Wahrheit in den konkreten, sinnlichen Manifestationen der Realität Orientierung an Griechenland: bildende Künste, Architektur und Literatur der Griechen sind Vorbilder in der Beobachtung der Natur

Aus den Xenien (1796) Die Übereinstimmung Wahrheit suchen wir beide; du außen im Leben, ich innen In dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß. Ist das Auge gesund, so begegnet es außen dem Schöpfer, Ist es das Herz, dann gewiß spiegelt es innen die Welt. Schiller-SW Bd. 1, S. 305

Aufgaben Welche Aussage macht das erste Distichon über den Unterschied, den Schiller an Goethes Art der Dichtung beobachtet? Welchen Schluss zieht das zweite Distichon aus der Beobachtung? Wofür stehen Auge und Herz metaphorisch? Welche Bedeutung hat das für die Idee des Klassischen?

Goethe über die Möglichkeit einer klassischen Nationalliteratur: Wer mit den Worten, deren er sich im Sprechen oder schreiben bedient, bestimmte Begriffe zu verbinden für eine unerläßliche Pflicht hält, wird die Ausdrücke: klassischer Autor, klassisches Werk höchst selten gebrauchen. Wann und wo entsteht ein klassischer Nationalautor? Wenn er in der Geschichte seiner Nation große Begebenheiten und ihre Folgen in einer glücklichen und bedeutenden Einheit vorfindet; wenn er in den Gesinnungen seiner Landsleute Größe, in ihren Empfindungen Tiefe und in ihren Handlungen Stärke und Konsequenz nicht vermißt; wenn er selbst, vom Nationalgeiste durchdrungen, durch ein einwohnendes Genie sich fähig fühlt, mit dem Vergangnen wie mit dem Gegenwärtigen zu sympathisieren;

wenn er seine Nation auf einem hohen Grade der Kultur findet, so daß ihm seine eigene Bildung leicht wird; wenn er viele Materialien gesammelt, vollkommene oder unvoll-kommene Versuche seiner Vorgänger vor sich sieht und so viel äußere und innere Umstände zusammentreffen, daß er kein schweres Lehrgeld zu zahlen braucht, daß er in den besten Jahren seines Lebens ein großes Werk zu übersehen, zu ordnen und in einem Sinne auszuführen fähig ist. [...] Eine bedeutende Schrift ist, wie eine bedeutende Rede, nur Folge des Lebens; der Schriftsteller so wenig als der handelnde Mensch bildet die Umstände, unter denen er geboren wird und unter denen er wirkt. Jeder, auch das größte Genie, leidet von seinem Jahrhundert in einigen Stücken, wie er von andern Vorteil zieht, und einen vortrefflichen Nationalschriftsteller kann man nur von der Nation fordern.

Aber auch der deutschen Nation darf es nicht zum Vorwurfe gereichen, daß ihre geographische Lage sie eng zusammenhält, indem ihre politische sie zerstückelt. Wir wollen die Umwälzungen nicht wünschen, die in Deutschland klassische Werke vorbereiten könnten. Goethe: Literarischer Sansculottismus, 1795 Goethe-BA Bd. 17, S. 322-323

Johann Gottfried Schadow: Die Prinzessinnen Louise und Friederike von Mecklenburg- Strelitz 1795-97

Langhans: Brandenburger Tor 1788-92 mit Quadriga

J. L. David: Schwur der Horatier 1784

Angelica Kauffmann: Tod der Alcestis 1790

Jakob Philipp Hackert: Caserta mit Vesuv 1793

Johann Heinrich Tischbein: Goethe in der Campagna 1796

Politische und soziale Geschichte Deutsches Reich: keine staatliche Struktur Absolutismus: zentral gelenkte Staaten Aufgeklärter Absolutismus: Herrscher im Dienst des Volkes (Friedrich II., Joseph II.) Ständeordnung: Adel, Klerus, Bürger, Bauern, Leibeigene ca. 24 Millionen Menschen 75% auf dem Land, 24 % Bürger, 1 % Adel Städte: Reichsunmittelbarkeit Merkantilismus: Manufakturen, Monopolvergabe

Deutsches Reich um 1789

Im Vergleich zu Deutschland heute

Karl von Mosers einflußreiche Schrift Von dem deutschen Nationalgeist (1765):»Wir sind Ein Volk, von Einem Namen und Sprache, unter Einem gemeinsamen Oberhaupt, unter Einerlei unsere Verfassung, Rechte und Pflichten bestimmenden Gesetzen, zu Einem gemeinschaftlichen großen Interesse der Freiheit verbunden, auf Einer mehr als hundertjährigen Nationalversammlung zu diesem wichtigen Zweck vereinigt,... und so, wie wir sind, sind wir schon Jahrhunderte hindurch ein Rätsel politischer Verfassung, ein Raub der Nachbarn, ein Gegenstand ihrer Spöttereien, ausgezeichnet in der Geschichte der Welt, uneinig unter uns selbst, kraftlos durch unsere Trennungen,... ein großes und gleich wohl verachtetes, in der Möglichkeit glückliches, in der Tat aber sehr bedauernswürdiges Volk.«

Aus den Xenien (Goethe und Schiller, 1796) Deutscher Nationalcharakter Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus. Schiller Sämtliche Werke Bd. 1, S. 267 Metrik: elegisches Distichon, Hexameter + Pentameter (U unbetonte, betonte Silbe) U U U U U U U U U U U U U U U U U U Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.

Religiosität im 18. Jahrhundert Religionen und Konfessionen in Deutschland: 50% katholische, 50% lutherische und calvinistische Christen; jüdische Minderheit ohne volle Bürgerrechte Religiöse Strömungen unter dem Druck der Aufklärung: Volksreligiosität Pietismus Theismus Pantheismus Atheismus Bibelkritik, Kritik am Klerus, Kritik an Offenbarungsreligion Ende des Jahrhunderts: Mesmerismus, tierischer Magnetismus, Interesse an okkulten Phänomenen

Protestanten und Katholiken in der Kultur des 18./19. Jahrhunderts Aus protestantischer Familie (*aus Pfarrhäusern): Leibniz, Wolff, Kant, *Gottsched, *Bodmer, *Gellert, *Lessing, Herder, Hamann, Klopstock, *Wieland, *Schubart, Goethe, Schiller, *Lenz, Lavater, *Bürger, Hegel, Hölderlin, Schelling, Kleist, *Jean Paul, Brüder Humboldt, *Brüder Schlegel, Brüder Grimm Aus katholischer Familie: Görres, Brentano, Eichendorff Jüdischer Herkunft: Moses Mendelssohn, Henriette Herz, Rahel Varnhagen, Heinrich Heine

Aus den Xenien (1796) Mein Glaube Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst!»und warum keine?«aus Religion. Schiller-SW Bd. 1, S. 307 Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst!»und warum keine?«aus Religion. U U U U U U U U U U U U U U U

Zentrale gesellschaftlich-politische Ereignisse 1755 Erdbeben von Lissabon 1756-63 Siebenjähriger Krieg 1776 Unabhängigkeitserklärung der USA 1789 Französische Revolution 1781 Aufhebung der Leibeigenschaft in Österreich 1806 Schlacht bei Jena / Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1813-1815 Befreiungskriege 1815 Wiener Kongress 1830 Julirevolution

Fortschritte in Wissenschaft und Technik; industrielle Revolution 1752 Blitzableiter (B. Franklin) 1756 Einführung der Kartoffel in Preußen, Produktionssteigerung durch Fruchtwechselwirtschaft 1764 Spinnmaschine Um 1770 Einführung der Dampfmaschine 1783 Montgolfier: Heißluftballon 1805 erste Eisenbahnlinie

Adel und Bürgertum Kritik an Willkürherrschaft und Despotie Kritik an Vielstaaterei Kritik an Privilegien durch Geburt Kritik an Korruption, Verschwendung, Egoismus Kritik an fehlender politischer Partizipation Kritik an Beschränkung von Meinungsfreiheit Kritik an aristokratischen Verhaltensformen: soziale Rolle vs. Individuum Öffentlichkeit: Zeitschriften und Literatur ( Theater als moralische Anstalt )

Bürgerliche Kritik an der affektierten Adelskultur: Chodowieckis Stiche im Göttinger Taschen Kalender 1778

Innerlichkeit (Bürgertum) und Repräsentation (Adel)

2 Arten von Kunstrezeption:

Einflussreiche Autoren vor Goethe Rationalismus: Johann Christian Gottsched (1700-1766) Empfindsamkeit: Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) Oden, Hymnen, Epos: Der Messias Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) Bürgerliches Trauerspiel, Kunstkritik Christoph Martin Wieland (1733-1813) Versepen, Romane, Dramen, Satiren

Gottsched und seine Frau (1735)

Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst (1730) Derjenige Geschmack ist gut, der mit den Regeln übereinkömmt, die von der Vernunft, in einer Art von Sachen, allbereit fest gesetzet worden. Die Nachahmung der Natur, darinnen das Wesen der ganzen Poesie besteht, kann auf dreyerley Art geschehen. (Epik Dramatik Lyrik) daß das Wunderbare in der Dichtkunst nicht ohne Unterscheid statt findet: Es muß auch glaublich herauskommen, und zu dem Ende weder unmöglich noch widersinnisch aussehen.

Klopstock 1805, Titelkupfer zum Messias (17481756)

Klopstock: Der Messias (1748-1773) Erster Gesang Sing', unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung, Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet, Und durch die er Adam's Geschlecht zu der Liebe der Gottheit, Leidend, getödtet und verherrlichet, wieder erhöht hat. Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich Satan gegen den göttlichen Sohn; umsonst stand Juda Gegen ihn auf: er that's und vollbrachte die große Versöhnung. Hexameter: U U U U U U U U U U U (Idealschema: 6 Daktylen, die teilweise durch Jamben ersetzt werdenkönnen)

Klopstock: Furcht der Geliebten (1753) Cidli, du weinest, und ich schlumre sicher, Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht; Auch wenn stille Nacht ihn umschattend decket, Schlumr' ich ihn sicher. Wo er sich endet, wo ein Strom das Meer wird, Gleit' ich über den Strom, der sanfter aufschwillt; Denn, der mich begleitet, der Gott gebots ihm! Weine nicht, Cidli. (Klopstocks Adaption der sapphischen Ode) U U U U U U U U U U U U U U U U U U U U U

Lessing

Lessing: Nathan der Weise (1779) SALADIN [ ] Da du nun Blankvers: So weise bist: so sage mir doch einmal U U U U U U Was für ein Glaube, was für ein Gesetz U U U U U Hat dir am meisten eingeleuchtet? NATHAN Sultan, Ich bin ein Jud'. SALADIN Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns. Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern.

Lessing: Hamburgische Dramaturgie (1767/68) Man tadelt [ ] an Shakespeare, [ ] daß seine Stücke keinen, oder doch nur einen sehr fehlerhaften unregelmäßigen und schlecht ausgesonnenen Plan haben; daß komisches und tragisches darin auf die seltsamste Art durch einander geworfen ist, und oft eben dieselbe Person, die uns durch die rührende Sprache der Natur, Tränen in die Augen gelockt hat, in wenigen Augenblicken darauf uns durch irgend einen seltsamen Einfall [ ] wo nicht zu lachen macht, doch dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu setzen, worin er uns haben möchte. Man tadelt das, und denkt nicht daran, daß seine Stücke eben darin natürliche Abbildungen des menschlichen Lebens sind.

Wieland

Wieland: Die Geschichte des Agathon (1766/67) Damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen wäre, in welchem viele ihr eigenes erkennen sollten, konnte er, wir behaupten es zuversichtlich, nicht tugendhafter vorgestellt werden, als er ist; [ ] Alles, was wir vorläufig von der Entwicklung sagen können, ist dieses: daß Agathon in der letzten Periode seines Lebens, welche den Beschluß unsers Werkes macht, ein eben so weiser als tugendhafter Mann sein wird, und (was uns hiebei das beste zu sein deucht,) daß unsre Leser begreifen werden, wie und warum er es ist; warum vielleicht viele unter ihnen, weder dieses noch jenes sind; und wie es zugehen müßte, wenn sie es werden sollten.

Fragen: 1) Was könnte der Grund dafür sein, dass so wenige Autoren der Goethezeit aus katholischen Familien kommen? Wie interagiert die Konfession in jener Zeit mit der literarischen Kreativität? 2) Warum waren Goethe und Schiller gegen die nationale Strömung in Deutschland eingestellt? 3) Was wäre in der portugiesischen bzw. brasilianischen Literatur a) als Klassik und b) was als Klassizismus zu bezeichnen? 4) Was wissen Sie über Goethe und sein Werk?

Verwendete Literatur: BEUTIN, WOLFGANG (ed.), História da literatura alemã. Das origens à atualidade, trad. F. Ribeiro A.M. Lopes. Lisboa, 1990. HEISE, ELOÁ e ROEHL, RUTH, História da Literatura alemã. São Paulo: Ática, 1986. KAISER, GERHARD, Aufklärung, Empfindsamkeit Sturm und Drang, 6. erweiterte Auflage ed. Tübingen: Francke, 2006. SCHLAFFER, HEINZ, Die kurze Geschichte der deutschen Literatur. München: Hanser, 2002. UEDING, GERT, Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789-1815, ed. Rolf Grimminger, Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 4. München: Carl Hanser, 1987. WATANABE-O'KELLY, HELEN, História da Literatura alemã, trad. José António Capoulas de Avó. Lisboa: Verbo, 2003. WELLBERY, DAVID E., et al. (eds.), Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. Berlin: Berlin University Press / WBG, 2007.