Machtkampf zwischen beiden Seiten ist gnadenlos, wie sich an der sogenannten Affäre Estermann, diesem»unerwünschten Unfall«, zeigte: Die unzähligen Intrigen hatten sich zu einer mörderischen Mischung verdichtet, die nur eines kleinen Funkens bedurften, um zu explodieren genügend Druck befand sich im Kessel. Man fühlt sich fast in André Gides Roman»Die Verliese des Vatikans«und ans Ende des 19. Jahrhunderts versetzt. Nur braucht man heute niemanden mehr in ein unterirdisches Verlies zu sperren, um sich seiner zu bemächtigen, man muss nur seine Informationszugänge kontrollieren. Um eben diese Zugänge, um das»ohr des Papstes«, geht es in diesem Machtkampf. DIE UNTERWANDERTE WELT
Diese Vorgänge erstrecken sich nun schon über Jahrzehnte. Einmal wirken sie unter der Oberfläche, dann wieder treten sie offen und unerwartet zu Tage, sie verlieren nicht an Aktualität, büßen keine Intensität ein mehr noch, jeder Tag bringt neues Wissen. Die Geschehnisse belegen nicht nur, dass die Geheimbünde bis auf den heutigen Tag tätig sind und Einfluss auf unsere Geschicke haben. Sie sind auch deshalb ans Licht der Öffentlichkeit geraten, weil sie so gern geglaubt werden möchten. Dabei vollzieht sich das Wirken der Geheimbünde viel unauffälliger, aber auch sehr viel effektiver, als es uns die italienischen Skandale unter lautstarker Medienbegleitung vorgaukeln. Italien ist nun einmal das Land der großen Gefühle und vor allem der großen Oper. Nur in Italien kann ein Geheimbund den Gesetzen der großen Oper folgen, und wahrscheinlich
muss er das auch. Diese große Oper ist im Wesentlichen das Werk bestimmter Komponisten, die als Grundthema einen alten Gassenhauer variieren: Den Katholiken, den Rechten, den Reichen, dem Militär, dem Geheimdienst man kann die Liste nach Belieben ergänzen, ist ohnehin alles Böse und Hinterhältige zuzutrauen. Nach einem reichlich platten zweigeteilten Weltverständnis sind also die einen für das Gute, Edle und Wahre zuständig, die andern für das Verschwörerische, Düstere und Menschenfeindliche. Dass dieses Klischee wunderbar funktioniert, hängt mit einem Gefühl zusammen, das jeden von uns irgendwann einmal überkommt, nämlich dem Staat und den offiziellen Mächten ausgeliefert zu sein nach dem Motto, die da oben machen ja sowieso, was sie wollen, und dabei werden sie auch geheime Absprachen
treffen. Verschwörungstheorien haben zu allen Zeiten reiche Blüten getrieben und tun es noch. Obwohl etwa die Geheimbünde im 18. Jahrhundert ein hohes Maß an Öffentlichkeit erlangten, wurden sie vor allem ihre radikalste Loge, die Illuminaten für die Französische Revolution verantwortlich gemacht. Wurde Ludwig XVI. nicht von den Jakobinern in den Turm des Tempels zu Paris verschleppt, um genau dort auf seine Hinrichtung zu warten, wo Jacques de Molay, der letzte Großmeister des Templerordens, 500 Jahre zuvor seinen letzten Gang angetreten hatte? War das nicht ein Triumph für die Freimaurer, die sich doch als Erben der Templer verstanden und auf Rache sannen für den Verrat des Königs von Frankreich an den Tempelrittern? Seit Leopold Alois Hoffmann im
ausgehenden 18. Jahrhundert in Wien die Mär verbreitet hatte, die Revolution sei durch die deutsche Freimaurerei und ihre Logen in Paris angezettelt worden, erlebte das Gerücht von der freimaurerischen Weltverschwörung eine Weltkarriere. Aus der freimaurerischen wurde die jüdische und dann die jüdischbolschewistische Weltverschwörung. Der angebliche Beweis für die jüdische Weltverschwörung wiederum wurde von den russischen Tschornye Sotni (Schwarze Hundertschaften) in Gestalt der gefälschten»protokolle der Weisen von Zion«zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Paris vorgelegt. Die Schwarzhunderter waren eine brutale antisemitische Geheimgesellschaft, deren Hauptbeschäftigung in der Anzettelung blutiger Pogrome bestand. Ihnen gelang, man muss es leider sagen, eine der wirkungsvollsten Fälschungen der