Aufmarsch der Zylindermänner Von Franz-Josef Kochs Vor der Erfindung der Feuerwaffen waren Pfeil, Bogen und Armbrust die effektivsten Angriffs- und Verteidigungswaffen. Als im Jahre 1283 die Festung s Herzogenrode von feindlichen Truppen belagert wurde, war es ein heute unbekannter Armbrustschütze, dessen Pfeil den Anführer Winnemar von Gijmnich tötete. Daraufhin gaben die Belagerer auf und zogen ab. Dieser Schütze, heute als Schütz von Rode bekannt, könnte so etwas wie der Urvater der St. Sebastiani Armbrustschützen-Gesellschaft Anno 1250 Herzogenrath sein, der heute wohl landesweit ältesten noch mit der Armbrust schießenden Schützengesellschaft. Aus der im 13. Jahrhundert gewachsenen Bürgerwehr war die Herzogenrather Armbrustschützengesellschaft 1250 entstanden, um Burg und Stadt Rode vor dem Feind zu schützen. Nach der Einführung der Feuerwaffen im 16. Jahrhundert verloren die Armbrustschützen ihre»schützende«aufgabe, doch sie hielten nunmehr als gesellige Traditionspflege das Armbrustschießen bei. Zu den Aufgaben der Gesellschaft zählen heute außerdem die Durchführung des Herbstballes und des Schützenessens zu Mitfasten. Das Verhältnis der Schützen zur Kirche ist gut, wobei die Gesellschaft keine kirchliche Bruderschaft ist. Ihre Kirche ist die Kirche St. Mariä Himmelfahrt, in ihr befindet sich auch die Statue des Heiligen Sebastian aus dem 17. Jahrhundert, die Eigentum der Gesellschaft ist. Höhepunkt ist das jährliche Schützenfest am 1. Juliwochenende. Austragungsort des Wettschießens ist seit alters her der Fuchsberg, der während des Schießens von einem professionellen Sicherheitsdienst abgesichert wird. Hier gelten strengste Sicherheitsvorschriften und Auflagen, ohne deren Einhaltung dürfte dieses in Deutschland einzigartige Armbrustschießen nicht mehr durchgeführt werden. Februar/März/April 23 undsonst?! 3/2012
Die teilnehmenden Schützen schießen im Halbrund stehend auf den gelben Holzvogel, der auf einer 34 Meter hohen Stange oben auf dem Berg hockt. Um die Schützen vor den von der Stange oft unberechenbar zurückprallenden Pfeilen zu schützen, hat man über ihren Köpfen ein Netz gespannt. Übrigens ist in der heutigen Zeit eine Armbrust kein alltäglicher Artikel, und es ist schwierig, noch Idealisten zu fin - den, die Kenntnis und Geschick zum Bau einer präzisen Armbrust besitzen. Die Gesellschaft kann sich glücklich schätzen, mit Herrn Beckers, dem Schützenwart, ein Mitglied in ihren Reihen zu haben, das sich auf die Re - paratur defekter Armbrüste versteht und während des Wettstreits an einem Reparaturtisch erste Hilfe leis tet. Jeder teilnehmende Schütze hat hinter sich einen jungen Assistenten - Einwinder genannt - dessen Aufgabe es ist, nach jedem Schuss die angereichte Armbrust mittels einer Winde wieder zu spannen. Diese Einwinder haben wohl den härtesten Job, aber das Schießen mit der etwa acht bis zehn Kilogramm schweren Armbrust über mehrere Runden ist auch nicht einfach. Eine Runde, vom Signalhorn angekündigt, dauert jeweils 15 Minuten; in dieser Zeit hat jeder Schütze 23 Pfeile, die er abschießen kann (falls die Armbrust nicht zwischenzeitlich auf dem Reparaturtisch landet). Ist dann die Runde nach dem Signalton beendet, schwärmen die Pfeilkinder über den Fuchsberg aus, um die verschossenen Pfeile wieder einzusammeln. Die Pfeile sind aus Eschenholz, und vorne mit einer stumpfen Stahlkappe versehen, und sie können bis zu 80 Stundenkilometer schnell fliegen. Verschieden farbige Kennzeichnungen weisen die eingesammelten Pfeile wieder ihrem jeweiligen Besitzer zu. Wer als Erster den - meist arg zerschossenen - Holzvogel von der Stange holt, ist Schützenkönig; wer drei Jahre hintereinander Schützenkönig ist, wird zum Kaiser ernannt. Das Fest beginnt am samstags am Nachmittag mit dem Scheibenschießen (früher schoss man gleichzei- tig mit Armbrust auf den Vogel und mit dem Gewehr auf Scheiben). Am Sonntag, dem Haupttag, formiert sich am frühen Nachmittag unterhalb der Burg der Festzug, mit dabei sind die Harmonie Cäcilia und die Schützen der befreundeten St. Sebas tianus Schützenbruderschaft Herzogenrath- Afden. Nun tragen die Mitglieder der St. Sebastiani Armbrustschützen-Gesellschaft Anno 1250 Herzogenrath ihren Schützenanzug: Stresemann, schwarzes Jackett, weißes Hemd und Zylinder. Am Jackett tragen sie ihr Schützenabzeichen, eine rotgoldene Schleife mit einer angehängten, kleinen silbernen Armbrust. Der Zug wird angeführt vom Schüt- undsonst?! 3/2012 24 Februar/März/April
sehen und individuell gestaltet herstellen lässt und der Gesellschaft spendet. Am Fuchsberg angekommen, haben sich - in sicherer Entfernung - schon viele Zuschauer eingefunden. Nach dem dreimaligen Umschreiten der Hinter dem Fähnerich marschieren die Stange, hierbei spielt die Kapelle das Schützenlied, beginnt der Wettkampf Schützen, zuvorderst die beiden um die Königswürde wie vorher Schützenmeister, mit ihren Schützenmeisterstäben, in ihrer Mitte geht der beschrieben. In diesem Jahr gab es mit Wolfgang Essers einen Schützenjeweilige Schützenkönig des letzten kaiser. Jahres. zenwart mit Hellebarde und Schärpe. Es folgen fünf Kinder, die mit Blumen geschmückte Holzvögel auf Stangen tragen. Ihnen folgen die Jungen und Mädchen mit den Pfeilbüchsen und die Armbrustträger. Diese drei tragen während des Festzuges einen Teil des Schützensilbers. Dieses Schützensilber besteht aus einer Auswahl jener silbernen Schilder, die der jeweilige König mit seinem Namen ver- Am Montag gibt es noch ein Preisvogelschießen, und im Herbst wird beim Königsball noch einmal der König (Kaiser) gefeiert. Gute Informationen für unseren Artikel lieferte uns die Chronik zur 750 Jahrfeier der St. Sebastiani Armbrustschützen-Gesellschaft Anno 1250 Herzogenrath. Fotos Seite 23: Der Festzug der Schützen am 1. Juli 2012 Links-Mitte: 2. Schützenmeister Dr. Reiner Aghte Unten: Schützensilber, daneben amtierender Schützenkaiser Wolfgang Essers Fotos Seite 24: Mitte-Links: Schützen am Fuchsberg und beim dreimaligen Umschreiten der Stange Unten: 1. Schützenmeister Jürgen Schmitz Fotos Seite 25: Oben: das Königsschießen, die Einwinder, die Pfeilkinder Fotos rechts: Reparatur einer Armbrust ehemaliger Bürgermeister Gerd Zimmermann und Schützenwart und Reparaturmeister Herr Beckers. Februar/März/April 25 ALSDORFER STADTMAGAZIN 1/2012