BETREUUNG VON FRÜHGEBORENEN AN DER GRENZE ZUR LEBENSFÄHIGKEIT



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Transkript:

BETREUUNG VON FRÜHGEBORENEN AN DER GRENZE ZUR LEBENSFÄHIGKEIT EINLEITUNG Die Entwicklung der Medizin und die immer weiter fortschreitenden Technologien haben die Grenzen des ärztlichen Eingreifens an extreme Grenzen gebracht. Die Neonatologie im besonderen hat sich in den letzten Jahren zu einem hochspezialisierten Bereich entwickelt und die Lebensfähigkeit von Frühgeburten in den letzten Jahrzehnten in immer frühre Schwangerschaftswochen verschoben. Glaubte man in den 70/80 Jahren dass die Grenze der Lebensfähigkeit bei 28 SSW bzw. bei einem Geburtsgewicht von 1000 gr. lag, so ist diese heute durch die Lungenreifungsprophylaxe mit Steroide, durch die Verabreichung von Surfactant und durch neue Beatmungsmetoden an die 23/24 SSW verschoben worden. Das Überleben dieser Kinder ist z.z. in einem beschränktem Ausmaß möglich, geht aber einher mit einer großen Belastung in erster Linie für die Kinder, die einer invasiven und intensivmedizinischen Therapie mit unsicherer Prognose ausgesetzt sind, aber auch für die Eltern und das Pflegeteam, die einem dramatischen emotionalen Druck standhalten müssen. Die hohen Mortalitäts und Morbiditätsraten haben dazugeführt, daß im Zusammenhang mit der Betreuung von Frühgeburten an der Grenze der Lebensfähigkeit erhebliche ethische Bedenken aufgetreten sind. Es handelt sich bei diesen Kindern immer um Fälle mit keiner komplexen Problematik mit extrem unsicherer Prognose bei gleichzeitig nicht adeguaten Antworten, sei es von einem juridischen wie deontologischen Standpunkt; deshalb stehen vordergründlich ethische Implikationen im Raum, die über die ausschließlich biologischen und technischen Aspekte einer Behandlung hinausgehen und ev. klinische Entscheidungen hinterfragen. Fragen die wir uns stellen sind folgende: wie klein ist zu klein?, wie viel ist zu viel?, wie weit dürfen wir gehen?, wer soll entscheiden? Aber zu nächst zur Definition. DEFINITION DER GRENZE DER LEBENSFÄHIGKEIT Die Grenze der Lebensfähigkeit ist sehr schwierig objektiv zu definieren: die Kriterien dafür sind nicht präzise formuliert und hängen von den technischen Resourcen und den intensivmedizinischen Möglichkeiten ab, sind somit zeit - und ortsabhängig. Die Grenze als solche ist eine potentielle und nicht eine absolute und ist somit mit einer großen Unsicherheit behaftet und macht den Entscheidungsprozess sehr schwierig. Der wichtigste Parameter heute für die Entscheidungsfindung, für die Beurteilung einer ev. Lebensfähigkeit ist das Schwangerschaftsalter. Die Berechmungen desselben basieren in der Regel auf Ultraschallmessungen in der Frühschwangerschaft oder auf der anamnestischen Angabe der letzten Periode.

Dabei muß berücksichtigt werden daß die Präzision des Frühultraschalles bei ± 4 Tagen und diejenige der anamnestischen Angaben bei 6 bis + 14 Tagen liegen. Eine Beurteilung des Frühgeborenen nach der Geburt kann deshalb aufgrund dieser Unsicherheit dazu führen, daß das Gestationsalters nach der Geburt revidiert werden muß. Das Geburtsgewicht als Parameter für die Definition der Grenze einer ev. Lebensfähigkeit ein Gewicht von za. 500 gr. wird als Grenze angesehen hat großteils nur statistischen Wert und hängt von verschiedenen Variablen ab (genetische Faktoren, IUGR...) Die biologische Variabilität kann auserdem dazu führen, daß FG mit identischen Gestationsalter wesentliche Reifeunterschiede aufweisen, die sich ihrerseits auf die therapeutischen Bedürfnisse nach der Geburt und auf die individuelle Mortalitäts-bzw. Morbiditätsrisiken auswirten können. International gesehen bestehen verschiedene Meinungen hinsichtlich der Grenze der Lebensfähigkeit. (Tab.1) Bei welchem Gestationsalter muß eine Reanimation begonnen werden? Nach amerikanische Studien ist eine Reanimation ab der 23/24 SSW indiziert auch wenn die Wahrscheinlichkeit des Überlebens ohne Spätfolgen gering ist. Mc. Elrath beschreibt keine Überlebenden in der 23 SS-Wo ohne substantielle Morbidität. Japanische Studien zeigen eine Überlebungschance von 18% in FG der 22/23 SS-Wo, die aber mit hohen neurologischen Problemen einhergehen. In Europa werden für die 23/24 SS-Wo hohe Mortalitätsraten angegeben (>70%), die Fallzahlen und Follow-up Daten sind aber relativ klein. (Tab. 2) Grundsätzlich wird aber in der europäischen und amerikanischen Literatur von einer Behandlung in der 22 SSW abgeraten. Die Geburt von FG in der 23 SSW stellt hingegen für die verschiedenen Autoren ein großes Dilemma dar, sei es von einem menschlichen, ethischen sowie ökonomischen Gesichtspunkt; die intensivmedizinische Betreuung dieser Kinder bedarf einer aufmerksamen gezielten Beurteilung. Grundsätzlich scheint eine Behandlung von Frühgeburten in der 24 SSW gerechtfertigt. Einige Autoren sprechen aber von der Notwendigkeit der Individualisierung der Behandlung nach einem ev. klinischen Kontext und Anmerkungen der Eltern. Ein Vergleich zw. publizierten internationalen Zahlen zeigt, daß bezüglich Mortalität und Morbidität erhebliche Unterschiede zw. verschiedenen Zentren bestehen, die Fallzahlen aber oft sehr klein sind und die Follow-up Daten nicht systematisch dokumentiert sind. Es ist aber ein Fakt, daß das Risiko von residuellen Behinderungen mit abnehmendem Schwangerschaftsalter deutlich ansteigt, wobei auch hier große interinstitutionelle Unterschiede bestehen. (Tab. 3-4) ETHISCHE ÜBERLEGUNGEN Bei der Betreuung von FG an der Grenze der Lebensfähigkeit treten erhebliche ethische Bedenken auf, Eltern und das betreuende Team sollten gemeinsam entscheiden welche Maßnahmen in besten Interesse des Kindes sind. Dabei gelten die vier von Beauchamp und Childress propagierten ethischen Prinzipien der Autonomie, der Non-Malefizienz (Nichtschädigung), der Benefizienz (Früsorge) und der Gerechtigkeit auch für Frühgeborene. Die Anwendung dieser Prinzipien auf die Situation der FG an der Schwelle der Lebensfähigkeit ist oft konfliktreich. Der erste Konflikt ist, wie weit die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung durch Überlegungen zur erreichbaren Lebensqualität modifiziert werden soll. Wenn ein Urteil über den Lebenswert eines Menschen grundsätzlich nicht statthaft ist und deshalb jedes menschliche Leben mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln erhalten werden muss, besteht die Gefahr der Übertherapie. Werden hingegen lebensverlängende Maßnahmen / Therapien nur akzeptiert, wenn daraus eine möglichst hohe Lebensqualität für das behandelte FG resultiert, kommt dies einer Diskriminierung Behinderter gleich.

Kann das Überleben einer Frühgeburt mit schweren neurologischen Folgeschäden, die die Lebensqualität entschieden beeinflussen als therapeutischer Erfolg angesehen werden? Das Prinzip der Benefizienz scheint in diesem Sinne sehr diskutierbar, ebenso wie das Prinzip des Primum non Nocere (Non-Malefizienz). Ein möglicher Kompromiss zwischen diesen beiden ethischen Extremhaltungen kann sein, daß in jedem Fall ein Abwägen stattfindet zwischen dem durch die Behandlung wahrscheinlich ermöglichten Gewinn einerseits und dem während der Therapie zugemuteten Leiden andererseits (Prinzip der therapeutischen Proporzionalität). Die Motivation für einen ev. Therapieverzicht oder Therapieabbruch ist, dem FG unverhältnismässig großes Leiden zu ersparen und nicht der Wunsch zu verhindem, dass es mit einer Behinderung überlebt. Aber bei allen Abwägungen und Entscheidungen besteht nur für die an der Betreuung Beteiligten und für die Eltern, nicht aber für das Kind die Möglichkeit sachliche Gründe, Gefühle und Interessen zu äussern. Die Eltern und das Behandlungsteam müssen deshalb stets versuchen im besten Interesse des Kindes zu entscheiden und dabei zwischen den eigenen und kindlichen Interessen zu trennen. Eltern verstehen oft nicht die Komplexität des Falles oder sind zu sehr emotiv miteinbezogen und Neonatologen sehen auf der anderen Seite oft nur die technologischen Innovationen und die medizinischen Statistiken und verlieren den Blick für das Neugeborenen. So ist ein Konflikt vorprogrammiert. Idealerweise werden Entscheide nicht von einer Einzelinstanz getroffen sondern in einem kontinuierlichen Dialog zwischen allen Beteiligten erarbeitet. Am tragfähigsten ist ein ethischer Entscheid dann, wenn die Eltern ihn nach vollziehen und mittragen können, jedoch nicht das Gefühl haben, alleine dafür verantwortlich zu sein. RESSOUREEN Weiters stellt sich die Frage, ob ein erheblicher Anteil der verfügbaren finanziellen Ressourcen für die Behandlung kaum lebensfähiger FG mit sehr ungünstiger Prognose verwendet werden darf, wenn diese Mittel in anderen Bereichen des Gesundheitswesens fehlen. Ökonomische Faktoren sollen aber aus der Güterabwägung in Einzelfall herausgehalten werden. Der Arzt muß aber als Garant des Kindes im besten Interesse desselben handeln, auch wenn ein Konflikt mit ökonomische Überlegungen entsteht. GRUNDSATZ für unser Verhalten Wir ergreifen lebenserhaltende Maßnahmen wenn für das Kind auch nur eine kleine potentielle Chance zum Leben besteht. Diese Entscheidung erscheint uns im Kreissaal in der Dringlichkeit richtig zu sein. Aber nicht immer ist dabei der größte Aufwand im besten Interesse des Kindes, da unsere Entscheidungen im Rahmen einer Geburt eines grenzlebensfähigen Frühgeborenen mit einer großen Unsicherheit was den klinischen Verlauf und die Prognose anbelangt, einhergehen. Wie kann man mit dieser Unsicherheit verantwortungsvoll umgehen? Es erscheint uns richtig die intensivmedizinische Behandlung bei einer gegebenen Vitalität zu beginnen und diese in einem zweiten Moment, nach der Möglichkeit von zusätzlichen Informationen (Ansprechen auf Reanimationsmaßnahmen, Überlebenswahrscheinlichkeit, unnötiges Leiden) abzubrechen bzw. einzustellen und damit im besten Interesse des Kindes zuhandeln nach dem Konzept Primum non noceren.

Diese individualisierte Sichtweise, die eine Lebensmöglichkeit jeder Frühgeburt garantiert, steht einer statistischen Sichtweise gegenüber, die sich nur auf eine Schwangerschaftwoche bzw. ein Geburtsgewicht basiert. Die erstere setzt sich in Europa und Amerika immer mehr durch. Ein Verzicht bzw.ein Abbrechen der intensivmedizinischen Maßnahmen ist in einigen Situationen gerechtfertigt und zwar: - in Fällen wo die Lebenserwaltung trotz intensiver Therapie eine kurze ist und das Aussetzen derselben dem Kind eine bessere Betreuung, Begleitung erlaubt - in Fällen in denen eine eventuelle Behandlung dem Kind Leiden zufügt, das den eventuellen Nutzen bei weiten übersteigt. EMPHEHLUNGEN ZUR BETREUUNG VON FG AN DER GRENZE DER LEBENSFÄHIGKEIT VOR DER GEBURT - IN UTERO VERLEGUNG: Die Kriterien dazu müssen klar definiert sein und regelmäßig überprüft werden. Eine Verlegung in ein Perinatalzentrum sollte ab 22. vollendeten SSW in Betracht gezogen werden. Obwohl zu diesem Zeitpunkt im Falle einer Geburt noch keine intensivmedizinische Maßnahmen ergriffen würden, erlaubt die Verlegung eine eingehende Beratung und Vorbereitung der Eltern. Diese sollten über die intensivmedizinischen Maßnahmen informiert werden wie auch über mögliche Komplikation, die im Rahmen der zu erwarteten Probleme auftreten können. Bei Beratung der Eltern erscheint es uns wichtig, Einsicht in die Wünsche und Sorgen der Eltern zu gewinnen ohne dabei klare Entscheidungen zu erwarten. Eltern haben oft unrealistische Vorstellungen, nicht nur von dem was medizinisch machbar ist, sondern auch von der Kurz- und Langzeitprognose. NACH DER GEBURT - INITIALE REANIMATION: Da die Entscheidungen über einen Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen im Gebärsaal/Kreissaal komplex, schwierig und von weitreichender Bedeutung sind, sollte die Geburt eines FG in der 23/24 SSW als ausserordentliche Notfallsituation angesehen werden. Dabei wird das individuelle Vorgehen durch pränatale Faktoren (GA, GW, IUGR, Amnioninfekt, fetale Fehlbildungen., Mehrlingsschwangerschaft, Lungenreifungsinduktion etc.), elterliche Wünsche und den Zustand des Frühgeborenen unmittelbar nach der Geburt (Asphyxie, Herzfrequenz, Aktivität, Ansprechen auf initiale Reanimationsmassnahmen) beeinflußt. - FRÜHGEBURT in der 22. SSW Kinder die zu dieser Zeit geboren werden sind als solche nicht lebensfähig, entsprechend ihrer Würde sollen sie im Sterben begleitet werden. In unklaren Fällen kann es angebracht sein eine intensivmedizinische Betreuung zu beginnen (provisional intensive care), wobei zu prüfen ist, ab das vorgeburtlich festgestellte Schwangerschaftsalter dem Zustand des Kindes entspricht. Bei offensichtlicher Diskrepanz muß die vor der Geburt getroffene Entscheidung überdacht werden.

- FRÜHGEBURT in der 23 SSW In dieser Zeitspanne der Schwangerschaft steigt die Überlebenschance auf 20%, das Outcome bleibt aber sehr unsicher, 20%-50% der überlebenden Kinder leiden an schweren körperlichen und geistigen Behinderungen. Die Betreuung dieser Kinder sollte sich in der Regel auf Palliativmaßnahmen beschränken; bei Vorhandensein von einer Herzfrequenz und Gasping soll aber eine intensivmedizinische Behandlung begonnen werden. Eine vorläufige intensivmedizinische Behandlung ermöglicht zu einem späteren Zeitpunkt eine unfassendere Beurteilung, sodass eine Entscheidung bezüglich des Fortsetzen bzw. Abbruchs dieser Maßnahmen besser begründet werden kann. Bei allen Geburthelferischen und neonatologischen Entscheidungen sind neben den kindlichen auch die mütterlichen/elterlichen Interessen zu berücksichtigen. - FRÜHGEBURTEN nach der 24 SSW Die Überlebenschance von Frühgeborenen dieses Alters sind 60%-80%. Der Einsatz von intensivmedizinischer Betreuung ist gerechtfertigt. Eine optimale Betreuung muß durchgeführt werden um ev. sekundäre Schädigungen möglichst zu vermeiden. Im Hinblick auf das Lebensrecht sind Frühgeborene dieses Reifegrades Kindern jeden Alters gleichzusetzen Ärzte haben als Garanten des Kindes gegebenenfalls gegen die Wünsche der Eltern zu handeln. - FRÜHGEBORENE MIT ANGEBORENEN UND PERINATAL ERWORBENEN GESUNDHEITSSTÖRUNGEN Bei Frühgeborenen mit schwersten angeborenen oder perinatal erworbenen Gesundheitsstörungen ohne Aussieht auf Besserung des Zustandes, ist in Abhängigkeit von ihrem Grad und der dadurch bedingten Änderung der Lebenschance zu prüfen, ob im Interesse des Kindes die intensivmedizinischen Maßnahmen eingeschränkt werden sollten, auch wenn dadurch der Tod vorzeitig eintreten sollte. WEITERE ENTSCHEIDUNGEN auf der NG-Intensiv Der Neonatologe findet sich selber oft in Situationen in denen er über Enthaltung bzw. Absetzen einer intensivmedizinischen Therapie entscheiden muß; es wird dann der Punkt erreicht an dem die intensivmedizinischen Verfahren nur mehr den Sterbevorgang verlängern und damit das Leiden des kleinen Patienten und deren Eltern. - VORLÄUFIGE INTENSIVMEDIZINISCHE UNTERSTÜTZUNG Die intensivmedizinischen Maßnahmen, die nur Kreissaal initiert und auf der Station fortgesetzt werden, richten sich in ersten Linie nach dem therapeutischen Ziel. Primär wird das Ziel verfolgt, dass das Kind mit akzeptabler Lebensqualität überlebt. Eine a priori Einschränkung der intensivmedizinischen Maßnahmen alleine aufgrund des Gestationsalters ist in dieser Situation nicht gerechtfertigt. Solange Hoffnung darauf besteht, daß das primär definierte Ziel erreicht wird, sollen die ergriffenen Maßnahmen fortgesetzt werden.

- ABBRUCH INTENSIVMEDIZINISCHER MASSNAHMEN Kann das primäre Ziel nicht erreicht werden, verlieren alle Maßnahmen ihren Sinn und andere Aspekte der Betreuung werden prioritär. Lebensverlängende Maßnahmen sind nicht mehr indiziert und sollten unterbleiben, wenn sie bei aussichtsloser Prognose für die Frühgeburt keine Hilfe mehr bedeuten, sondern nur noch das Leiden und den unvermeidlichen Sterbevorgang verlängern. Die Fortsetzung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Lebensverlängerung sind nicht schon deshalb unerläßlich, weil sie technisch möglich sind. Entscheidungen zum Abbruch sollen sorgfältig unter Angabe aller Überlegungen und Gründe dokumentiert werden. - PALLIATIVMASSNAHMEN Sobald auf lebenserhaltene Interventionen verzichtet wird (primär oder sekundär), sollte alles getan werden um dem Kind ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Zur bestmöglichen Hilfe, die der Arzt auf Grund seiner Garantenstellung seinem Patienten schuldet, gehört eine ausreichende Schmerztherapie, auch unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung. Gleichzeitig soll den Eltern durch engen Kontakt zum sterbenden Kind das Abschiednehmen- ein sehr wichtigen Aspekt- erleichtert werden. (Tab. 5) ABSCHLIEßENDE BEMERKUNGEN Die Überlebenschance sehr kleiner Frühgeburten ab der 23/24 SSW oder ab einem Geburtsgewicht um 500 gr. sind gegeben. Wenn auch die Aussichten auf ein Schadfreies Leben statisch betrachtet nicht schlecht sind, so ist doch die Individualprognose mit einer großen Unsicherheit behaftet und der Betreuungsaufwand mit einer großen psychischen und emotionellen Belastung für alle Beteiligte verbunden. Im Einzelfall ergeben sich kritische Entscheidungssituationen aus dem kompliziertem Wirkungsgefüge von biologisch-medizinischen Situationen, Erwartungshaltung der Eltern, medizinischen Möglichkeiten, der Schutzwürdigkeit jedes Lebens, der unsicheren Prognose, den möglichen Lasten für Familie und Gesellschaft, der schweren Definierbarkeit dessen was im besten Interesse des Kindes ist. Da die Gesetze nur den Handlungsrahmen beschreiben, ist es in Einzelfall ein rein ethische Problem die richtige Entscheidung zu finden. Wesentliche Orientierung für verhaltensethisch begründete Entscheidungen gibt das Berücksichtigen der Folgen sowohl aktiven Tuns als auch Unterlassen oder Vorenthalten von Behandlung. Voraussetzung dafür ist eine intensive fachliche Auseinandersetzung mit dem Ziel optimale Betreuungsbedingungen zuschaffen wozu auch eine moderne perinatalogische Organisationsstruktur im Rahmen einer Regionalisierung gehört. Um nicht unter Zeitdruck eine später als falsch sich herausstellende Entscheidung zu treffen, ist es ratsam, in dringenden Fällen zunächst durch sachgerechten Beginn einer optimalen Behandlung Zeit für eine mit allen Beteiligten besprochene und mitgetragene Entscheidung zu treffen, die auch die Korrektur der begonnen Behandlung bis hin zum Behandlungsabbruch beinhalten kann. Entscheidungssituationen können nicht aufgezwungen werden; medizinisch und ethisch gut begründete Entscheidungen müssen den Eltern so vermittelt werden, daß diese von ihnen akzeptiert und aktiv mitgetragen werden können, auch wenn sich die Folgen der Behandlung oder Nichtbehandlung im eigenen Fall als unerwünscht herausstellen sollten.

Nur so können die Eltern das Risiko als echte Chance für sich und ihr Kind auffassen und möglicherweise auch einen für sie unerwünschten Ausgang akzeptieren.