Trinkverhalten von Personen verschiedener Herkunftsregionen in Deutschland: Ein Vergleich mit Personen ohne Migrationshintergrund

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Transkript:

Trinkverhalten von Personen verschiedener Herkunftsregionen in Deutschland: Ein Vergleich mit Personen ohne Migrationshintergrund Drinking Behaviour among Individuals of Different Origins in Germany: A Comparison of Individuals with and without a Migration Background Autoren M. Strupf 1, 2, E. Gomes de Matos 1, 3, R. Soellner 3, L. Kraus 1, 4, D. Piontek 1 Institute 1 IFT Institut für Therapieforschung München 2 Institut für Psychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München 3 Institut für Psychologie, Universität Hildesheim 4 Centre for Social Research on Alcohol and Drugs (SoRAD), Stockholm University, Stockholm Schlüsselwörter Migration Alkohol Konsummuster Herkunftsregion Key words migration alcohol consumption patterns region of origin Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0042-111197 Online-Publikation: 2016 Suchttherapie Georg Thieme Verlag KG Stuttgart New York ISSN 1439-9903 Zusammenfassung Ziel: Es wurden Personen mit Migrationshintergrund aus verschiedenen Herkunftsregionen hinsichtlich ihres Alkoholkonsums mit Personen ohne Migrationshintergrund verglichen. Methodik: Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys (ESA) 2012 wurden ausgewertet (n = 9 084). Personen mit Migrationshintergrund wurden ihrer Herkunft entsprechend in 10 Gruppen aufgeteilt. Als Indikatoren zur Erfassung des Alkoholkonsums dienten Abstinenz, Durchschnittskonsum und episodisches Rauschtrinken. Inferenzstatistische Vergleiche erfolgten regressionsanalytisch. Ergebnisse: Alle Herkunftsgruppen außerhalb Europas und wenige innerhalb Europas wiesen signifikant höhere Abstinenzraten auf als Personen ohne Migrationshintergrund. Die höchsten Werte zeigten Personen mit einem Hintergrund aus arabisch-islamisch geprägten Ländern und der Türkei. Hinsichtlich des Durchschnittskonsums und episodischen Rauschtrinkens wurden kaum Gruppenunterschiede gefunden. Schlussfolgerungen: Die Bereitschaft unter Personen mit Migrationshintergrund zur Abstinenz sollte unterstützt werden. Ein Bedarf migrationsspezifischer Präventionsmaßnahmen auf Populationsebene ist für die Gruppe der in den zurückliegenden Jahrzehnten nach Deutschland migrierten Personen und ihre Nachkommen nicht erkennbar; die Erreichung der Personen mit Migrationshintergrund durch bestehende Maßnahmen sollte gewährleistet werden. Abstract Aims: Individuals with migration background from different regional origins were compared to individuals without migration background concerning their alcohol consumption. Methods: Data came from the 2012 Epidemiological Survey of Substance Abuse (ESA; n = 9 084). Individuals with migration background were clustered in 10 groups based on their geographicalorigins. Indicators of alcohol consumption comprised prevalence of abstention, average volume and prevalence of episodic heavy drinking. Statistical inference was tested by regression analyses. Results: Abstention rates were significantly higher in all non-european and few European groups than in the reference group without migration background. This applies particularly to individuals with Arabic-Islamic and Turkish roots. For mean consumption and prevalence of episodic heavy drinking group differences were few in number. Conclusions: Willingness to stay abstinent among individuals with migration background should be supported. There is no evidence of a need for specific prevention measures among last decades migrants in Germany. Access to established measures for migrants should be ensured. Korrespondenzadresse Dr. Daniela Piontek IFT Institut für Therapieforschung Parzivalstraße 25 80804 München piontek@ift.de Einleitung Deutschland zählt zu den zuwanderungsstärksten Ländern der Welt. Insgesamt sind im Zeitraum von 1991 bis 2013 21,3 Millionen Menschen nach Deutschland immigriert, wobei der Trend gerade in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Zuwachs der Zuwanderungszahlen zeigt [1]. In Kombination mit einem konstant niedrigen Geburtenniveau in der hier lebenden Bevölkerung führt dies dazu, dass der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund

Sucht/605/26.10.2016/MPS an der deutschen Gesamtbevölkerung stetig zunimmt [2]. Im Jahr 2013 lag er bei 19,7 %, was etwa 15,9 Millionen Personen entspricht [1]. Ein Migrationshintergrund kann unter Umständen einen bedeutenden gesundheitlichen Risikofaktor darstellen. Vor allem für Zuwanderer der ersten Generation stellt die Migrationserfahrung ein kritisches Lebensereignis dar und ist mit einer Vielzahl von Stressoren verbunden, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken können [3]. Hierzu zählen physische (z.b. klimatische und kulinarische) Veränderungen sowie kulturelle Herausforderungen wie die Konfrontation mit fremden kulturellen Maßstäben. Besonders schwer wiegen psychosoziale Stressoren, bspw. der Verlust des sozialen Umfelds im Zuge der Migration [4]. Daher scheinen Migranten vulnerabler für bestimmte gesundheitliche sowie psychische Erkrankungen zu sein [3]. Verschiedene Studienergebnisse lassen die Vermutung zu, dass Substanzkonsum und Suchterkrankungen zu den größten gesundheitlichen Problemen von Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland zählen [4 6]. So konnte bspw. gezeigt werden, dass unter aktuellen Alkoholkonsumenten mit türkischem Hintergrund vergleichsweise häufig problematische Konsummuster vorkommen [7]. Migration ist ein kritisches Lebensereignis und kann möglicherweise den Konsum von Alkohol begünstigen. Möglicherweise werden Stressoren der Auswanderung und kulturellen Anpassung durch Alkoholkonsum kompensiert. In Deutschland sind die betroffenen Personen mit einer Konsumkultur konfrontiert, die von breiter Akzeptanz in Kombination mit hoher Verfügbarkeit und einem vergleichsweise niedrigen Preisniveau von alkoholhaltigen Getränken geprägt ist [8]. Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Migranten auch im Zielland die Konsummuster ihres Herkunftslandes beibehalten und sich eine Angleichung des Trinkverhaltens an das des Gastlandes über mehrere Generationen erstrecken kann [9, 10]. Besonders unter Personen mit Migrationshintergrund aus islamisch geprägten Ländern stellt häufig Abstinenz die kulturelle Norm dar und wird aufgrund von religiöser Einbettung mit höherer Wahrscheinlichkeit aufrechterhalten [11 14]. Auch Unterschiede im Trinkverhalten zwischen Herkunfts- und Zielland sind mit hoher Wahrscheinlichkeit kulturell bedingt. Verglichen mit Deutschland, das im weltweiten Vergleich mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Konsum von 9,7 Litern Reinalkohol im Jahr 2013 zu den Hochkonsumländern zählt [8, 14], liegt die Trinknorm in den meisten Herkunftsländern der Migranten niedriger. Personen verschiedener kulturell-geografischer Regionen behalten spezifische Trinkmuster häufig nach einer Migration bei. Zudem bestehen kulturelle Unterschiede in Konsummuster und -kontext. In mediterranen Staaten wird Alkohol tendenziell gemäßigt zu Mahlzeiten getrunken, sodass die Konsumfrequenz erhöht ist, die Konsummenge und die Häufigkeit episodischen Rauschtrinkens jedoch vergleichsweise niedrig sind [12, 14 16]. Osteuropäische Staaten hingegen weisen im internationalen Vergleich sehr hohe Konsumwerte auf und episodisches Rauschtrinken sowie riskanter Alkoholkonsum sind verhältnismäßig weit verbreitet [12, 14, 16]. Infolge unterschiedlicher Konsumformen in den Herkunftsländern kann erwartet werden, dass sich der Alkoholkonsum zwischen Personen verschiedener geografischer Herkunftsregionen in Deutschland unterscheidet. Ziel der vorliegenden Studie ist, einen umfassenden Vergleich des Trinkverhaltens von Personen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland zu erstellen. Wie oben dargestellt ist davon auszugehen, dass der Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Alkoholkonsum simultan durch mehrere Prozesse beeinflusst wird, in denen Migrationshintergrund sowohl einen Risikofaktor (als Stressor) als auch einen Schutzfaktor (als Ursache für günstigere Trinkgewohnheiten und -normen) darstellen kann; eine Vorhersage der Richtung des Effekts ist deshalb nicht möglich. Methodik Studiendesign des Epidemiologischen Suchtsurveys Der Epidemiologische Suchtsurvey (ESA) 2012 ist eine bevölkerungsrepräsentative Befragung zur Erfassung von Substanzkonsum in Deutschland [17]. Zielgruppe war die deutschsprachige Wohnbevölkerung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren. Die Stichprobe wurde in einem 2-stufigen Zufallsverfahren gezogen. Im ersten Schritt wurden zufällig 220 Gemeinden bzw. Stadtteile von Großstädten ausgewählt, wobei auf eine möglichst hohe geografische sowie siedlungsstrukturelle Proportionalität der Stichprobe in Bezug auf die Grundgesamtheit geachtet wurde. Anschließend wurden aus den Einwohnermelderegistern der Primäreinheiten die Zielpersonen gezogen. Die Befragung wurde im Methodenmix aus schriftlicher, telefonischer und internetbasierter Befragung durchgeführt. Bei einer Stichprobengröße von n = 9 084 lag die Nettoausschöpfung der Studie bei 53,6 %. Instrumente Migrationshintergrund und Herkunftsregion Dem Statistischen Bundesamt [18] folgend wurden als Personen mit Migrationshintergrund Probanden bezeichnet, die selbst oder deren Eltern nach 1949 in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert waren, oder die in Deutschland mit fremder Staatsangehörigkeit geboren sind. Diese Zuordnung wurde mittels der Angaben zu Geburtsland, Staatsangehörigkeit und Einwanderungsjahr des Probanden sowie seiner Eltern realisiert. Die Herkunftsregion der Personen mit Migra tionshintergrund wurde primär über das Geburtsland sowie die Staatsangehörigkeit ermittelt. Für Migranten der 2. Generation, die in Deutschland geboren wurden, erfolgte die Zuordnung über das Geburtsland und die Staatsangehörigkeit der Eltern. Als Einzelländer mit den größten Gemeinden in Deutschland wurden die Türkei und Polen als eigene Herkunftsregionen klassifiziert [18]. Die Gruppierung der übrigen Staaten erfolgte in Anlehnung an die Klassifikationssysteme des Robert Koch-Instituts [19] sowie des Ständigen Ausschusses für geografische Namen [20]. Ausnahme davon sind die zentralasiatischen Staaten, die in der Analyse durch charakteristische Trinkmuster auffielen und deshalb gesondert gruppiert wurden. Somit ergaben sich 10 Gruppen von Herkunftsregionen von Personen mit Migrationshintergrund: Mitteleuropa, Nord- und Westeuropa, Südeuropa, Südosteuropa, Osteuropa, Polen, Zentralasien, Arabisch-islamische Länder, Türkei und Restwelt (Anhang 1 für eine Zuordnung der Länder zu den Kategorien).

Alkoholkonsum Eine Person wurde als abstinent klassifiziert, wenn sie angab, in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken zu haben. Zudem wurden die durchschnittliche Konsummenge sowie die Prävalenz episodischen Rauschtrinkens bezogen auf die letzten 30 Tage als Konsumindikatoren herangezogen. Da diese Indikatoren maßgeblich von den Abstinenzraten beeinflusst werden, wurden in diese Analysen lediglich Konsumenten der letzten 30 Tage einbezogen. Die durchschnittliche Konsummenge in Gramm Reinalkohol pro Tag wurde mithilfe eines getränkespezifischen Menge-Frequenz-Indexes erfasst [21]. Dazu wurden separat für Bier, Wein, Sekt, Spirituosen und alkoholhaltige Mixgetränke (z. B. Alkopops, Cocktails und Longdrinks) die angegebene Konsumhäufigkeiten mit den Trinkmengen pro Konsumtag in den letzten 30 Tagen multipliziert [17]. Zur Ermittlung der Menge des Reinalkohols wurden getränkespezifische Alkoholgehalte von 4,8 Vol. % (Bier), 11,0 Vol. % (Wein bzw. Sekt) und 33,0 Vol. % (Spirituosen) angenommen [22]. Für alkoholhaltige Mixgetränke wurde eine Alkoholmenge von 4cl Spirituosen berechnet. Anhand des Gesamtwerts wurde die durchschnittlich konsumierte Menge Reinalkohol pro Tag bestimmt. Eine Person wurde aufgrund unrealistisch hoher Angaben zum Durchschnittskonsum von allen Analysen ausgeschlossen. Die Prävalenz des episodischen Rauschtrinkens in den letzten 30 Tagen wurde über die Frage nach dem Konsum von mindestens 5 alkoholischen Getränken an einem Tag erfasst. Alkoholkonsum wurde mithilfe der Parameter Abstinenz, Durchschnittskonsum und episodisches Rauschtrinken erfasst. Statistische Analysen Deskriptive Ergebnisse werden in Form von Durchschnitts- bzw. Prävalenzwerten dargestellt. Inferenzstatistisch wurden die Gruppenunterschiede mithilfe von linearen Regressionen für kontinuierliche Variablen (Durchschnittskonsum) und logistischen Regressionen für dichotome Variablen (Abstinenz, episodisches Rauschtrinken) getestet. Prädiktor war die Variable zur Herkunftsregion. Diese wurde dummykodiert, wobei die Kategorie Herkunftsland Deutschland jeweils als Referenzkategorie verwendet wurde. Aufgrund der rechtsschiefen Verteilung der Variable Durchschnittskonsum wurde die lineare Regression als Gamma-Regression mit log-verknüpfung gerechnet. Zu den linearen Regressionen werden exponierte Regressionskoeffizienten (exp(b)) berichtet. Diese können als prozentuale Veränderung im Kriterium im Vergleich zur Referenzkategorie interpretiert werden. Die Ergebnisse der logistischen Regressionen werden als Odds Ratios (OR) berichtet. Alle statistischen Analysen wurden für Alter, Geschlecht, Bildung und Erhebungsmodus (schriftlich, telefonisch, online) kontrolliert. Die Daten wurden statistisch gewichtet, um die Stichprobe an die Verteilung der erwachsenen bundesdeutschen Bevölkerung hinsichtlich Alter, Geschlecht, Schulbildung, Bundesland und Gemeindegröße anzupassen. Für die statistischen Analysen wurde das Statistikprogramm STATA 12,1 SE (StataCorp LP, College Station, TX) verwendet. Ergebnisse Beschreibung der Stichprobe Die Teilnehmer der Stichprobe waren im Durchschnitt 42,3 Jahre alt, 50,8 % waren Männer. Insgesamt wiesen 17,0 % einen Migrationshintergrund auf; davon waren 69,4 % der 1. Generation zuzurechnen. Abb. 1 zeigt die Aufgliederung der Stichprobe nach Migrationshintergrund und Herkunftsregion. Unter den Personen mit Migrationshintergrund stellten Personen aus Polen die größte Gruppe dar, gefolgt von Personen aus Ost- und Mitteleuropa und Zentralasien. Die sozio-demografischen Charakteristika der Stichprobe sind in Tab. 1 getrennt nach Herkunftsregion dargestellt. Die Altersmittelwerte lagen im Bereich von 34,9 bis 42,6 Jahren. Während Personen mit einem nord-, west- und mitteleuropäischen Hintergrund (inklusive Deutschland und Polen) im Durchschnitt etwa 42 bis 43 Jahre alt waren, lag der Wert für Probanden mit Hintergrund aus arabisch-islamischen Ländern, der Türkei und Zentralasien bei ca. 35 Jahren. Die Gruppen Türkei, arabisch-islamische Länder, Südosteuropa und Südeuropa wiesen mit über 58 % einen erhöhten Männeranteil auf, wohingegen nur 40 % der Personen mit polnischem Migrationshintergrund Männer waren. Abstinenz Insgesamt 25,4 % der Probanden ohne Migrationshintergrund gaben an, in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken zu haben ( Tab. 2). Signifikant höhere Abstinenzraten ergaben sich für die Gruppen Südosteuropa, Osteuropa, Zentralasien, arabisch-islamische Länder, Türkei und Restwelt. Keinen signifikanten Unterschied zu Personen ohne Migrationshintergrund wiesen die übrigen Gruppen auf, die alle aus dem europäischen Raum stammten. Jeder vierte Proband ohne Migrationshintergrund war in den letzten 30 Tagen abstinent. Die meisten Gruppen der Personen mit Migrationshintergrund wiesen höhere Abstinenzraten auf. Durchschnittskonsum Für Alkoholkonsumenten ohne Migrationshintergrund lag der Durchschnittskonsum bei 12,8 Gramm Reinalkohol pro Tag ( Tab. 3). Personen mit südosteuropäischem und zentralasiatischem Hintergrund zeigten im Vergleich dazu einen signifikant niedrigeren Durchschnittskonsum. Alle anderen Gruppen unterschieden sich in der durchschnittlichen Konsummenge nicht von den Alkoholkonsumenten ohne Migrationshintergrund. Episodisches Rauschtrinken Unter den aktuellen Alkoholkonsumenten ohne Migrationshintergrund gaben 36,0 % an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal 5 oder mehr alkoholische Getränke an einem Tag zu sich genommen zu haben ( Tab. 4). Bei Personen mit Migrationshintergrund aus Südosteuropa und Osteuropa lag die Prävalenz des episodischen Rauschtrinkens mit 22,8 bzw. 25,8 % signifikant niedriger. Für Durchschnittskonsum und episodisches Rauschtrinken fanden sich nur wenige Unterschiede zwischen den Migrantengruppen und der Referenzgruppe.

Sucht/605/26.10.2016/MPS Mitteleuropa n=173 Abb. 1 Aufgliederung der Stichprobe nach Migrationshintergrund und Herkunftsregion. Nord-/Westeuropa n=92 Gesamtstichprobe n =9084 Personen ohne Migrationshintergrund n=7092 Personen mit Migrationshintergrund n=1399 Südeuropa n=76 Südosteuropa n=124 Osteuropa n=184 Polen n=219 Personen mit unbekanntem Status n=593 Zentralasien n=150 Arab.-islam. Länder n=93 Türkei n=145 Restwelt n=143 Gesamt Alter Geschlecht männlich Herkunft n a ( %) M (SD) % Deutschland 7 092 83,4 42,6 13,1 51,1 Mitteleuropa 173 2,1 42,6 12,3 45,9 Nord- und Westeuropa 92 1,0 42,3 12,8 50,1 Südeuropa 76 0,9 39,3 13,5 59,9 Südosteuropa 124 1,7 37,9 10,5 58,2 Osteuropa 184 1,9 38,7 14,7 45,0 Polen 219 2,7 41,4 12,4 39,7 Zentralasien 150 1,7 35,9 13,7 50,1 Arabisch-islamische Länder 93 1,1 35,4 13,0 58,6 Türkei 145 2,0 34,9 9,8 58,7 Restwelt 143 1,6 38,2 11,2 49,5 a Fallzahlen sind ungewichtet Tab. 1 Soziodemografie der Stichprobe, aufgeteilt nach Herkunft. Diskussion Ziel dieser Studie war die Gegenüberstellung des Alkoholkonsumverhaltens von Personen mit Migrationshintergrund aus verschiedenen Herkunftsregionen und Personen ohne Migrationshintergrund. Etwa ein Viertel aller Personen ohne Migrationshintergrund war abstinent, während mehr als 70 % der Personen mit türkischem bzw. arabisch-islamischem Migrationshintergrund keinen Alkohol konsumierten. Ähnliche Befunde aus anderen Studien bestätigen dieses Ergebnis [7, 9, 10]. Keine bedeutsamen Unterschiede fanden sich für die Gruppen Mittel europa, Nord- und Westeuropa, Südeuropa und Polen. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit einer Studie von Mäkelä und Kollegen [23], die in Europa insbesondere unter Männern nur wenig Variation in den Abstinenzraten fand. Dies weist darauf hin, dass Abstinenz im europäischen Kontext kein aussagekräftiges Unterscheidungsmerkmal für Alkoholkonsummuster darzustellen scheint. Die Verteilung der durchschnittlichen Trinkmengen unter Alkoholkonsumierenden wies eine deutlich geringere Variabilität auf. Probanden mit südosteuropäischem und zentralasiatischem Migrationshintergrund tranken durchschnittlich signifikant weniger als Personen ohne Migrationshintergrund. Im Gegensatz zu den Abstinenzwerten wiesen Personen mit Migrationshintergrund aus arabisch-islamischen Ländern und der Türkei keinen Unterschied zu Probanden aus Deutschland auf. Während

Tab. 2 30-Tage-Prävalenz für Abstinenz, aufgeteilt nach Herkunft. Herkunft % a n b OR SE p Deutschland 25,4 1 604 (Ref.) (Ref.) (Ref.) Mitteleuropa 32,5 49 1,4 0,3 0,136 Nord- und Westeuropa 34,5 26 1,5 0,4 0,194 Südeuropa 20,9 24 0,7 0,2 0,292 Südosteuropa 41,0 39 2,0 0,5 0,011 * Osteuropa 34,1 59 1,5 0,3 0,044 * Polen 33,5 55 1,3 0,3 0,168 Zentralasien 41,6 58 1,9 0,4 0,002 * Arabisch-islamische Länder 72,0 60 7,2 1,9 0,000 * Türkei 75,7 105 8,9 2,5 0,000 * Restwelt 49,3 59 2,9 0,6 0,000 * OR = Odds Ratio; SE = Standardfehler; inferenzstatistische Berechnung mit logistischer Regression, kontrolliert für Alter, Geschlecht, Bildung und Erhebungsmodus a Angaben in Prozent sind gewichtet. b Fallzahlen sind ungewichtet. * p < 0,05 Tab. 3 Durchschnittskonsum unter Konsumenten der letzten 30 Tage, aufgeteilt nach Herkunft. Herkunft g/tag a n b exp(b) SE p Deutschland 12,8 5 291 (Ref.) (Ref.) (Ref.) Mitteleuropa 17,7 121 1,2 0,3 0,432 Nord- und Westeuropa 14,7 65 1,2 0,1 0,191 Südeuropa 10,7 51 0,8 0,1 0,214 Südosteuropa 8,0 75 0,7 0,1 0,028 * Osteuropa 9,5 113 0,8 0,1 0,110 Polen 15,4 152 1,1 0,2 0,503 Zentralasien 8,3 82 0,6 0,1 0,001 * Arabisch-islamische Länder 11,3 30 0,8 0,1 0,100 Türkei 13,2 34 0,8 0,2 0,260 Restwelt 12,0 80 1,0 0,1 0,864 exp(b) = Regressionskoeffizient; SE = Standardfehler; inferenzstatistische Berechnung mit linearer Regression, kontrolliert für Alter, Geschlecht, Bildung und Erhebungsmodus a Durchschnittlich konsumierte Menge Reinalkohol in Gramm pro Tag für die letzten 30 Tage. b Fallzahlen sind ungewichtet. * p < 0,05 Tab. 4 30-Tage-Prävalenz für episodisches Rauschtrinken unter Konsumenten der letzten 30 Tage, aufgeteilt nach Herkunft. Herkunft % a n b OR SE p Deutschland 36,0 1 944 (Ref.) (Ref.) (Ref.) Mitteleuropa 31,1 41 0,8 0,2 0,458 Nord- und Westeuropa 32,4 19 0,9 0,3 0,661 Südeuropa 34,4 18 0,8 0,3 0,483 Südosteuropa 22,8 21 0,4 0,1 0,010 * Osteuropa 25,8 35 0,5 0,1 0,017 * Polen 34,0 64 1,0 0,2 0,981 Zentralasien 49,4 38 1,2 0,3 0,386 Arabisch-islamische Länder 33,4 10 0,6 0,3 0,240 Türkei 41,7 12 0,8 0,4 0,597 Restwelt 31,2 26 0,7 0,2 0,301 OR = Odds Ratio; SE = Standardfehler; inferenzstatistische Berechnung mit logistischer Regression, kontrolliert für Alter, Geschlecht, Bildung und Erhebungsmodus a Angaben in Prozent sind gewichtet. b Fallzahlen sind ungewichtet. * p < 0,05 vergleichsweise höhere Abstinenzraten in diesen Gruppen in der Literatur religiösen Gründen zugeschrieben wurden [9, 11], scheint kein Zusammenhang mit der Trinkmenge zu bestehen, sobald eine Person Alkohol konsumiert. Generell implizieren die Ergebnisse, dass ein Großteil der Alkoholkonsumenten unabhängig von der Herkunft ähnlich viel Alkohol trinkt. Dies könnte Ausdruck eines Trends sein, der über die letzten Jahrzehnte hinweg eine Harmonisierung des Pro-Kopf-Konsums auf der ganzen Welt zeigt [24]. Personen mit Hintergrund aus arabisch-islamischen Ländern tranken seltener Alkohol; unter Konsumenten bestanden keine Unterschiede im Trinkmuster. Nicht nur bezüglich der Konsummenge, sondern auch hinsichtlich des episodischen Rauschtrinkens zeigte sich nur wenig Variation zwischen den Gruppen. Signifikant niedrigere Werte als die deutsche Vergleichsgruppe erzielten Probanden mit Migrationshintergrund aus Südost- und Osteuropa. Eine aktuelle Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bestätigt, dass Jugendliche mit osteuropäischem Migrationshintergrund seltener Episoden von Rauschkonsum berichten als Jugendliche ohne Migrationshintergrund [25]. Dies stellt einen Widerspruch zu Hinweisen aus der Literatur dar, die vor allem in osteuropäischen Regionen riskante Trinkmuster fanden [12, 14, 16]. Die vorliegende Studie stellt eine Zustandsbeschreibung dar, kann jedoch keine Aussagen zu ätiologischen Ursachen treffen. Migrationsgeschehen beinhaltet zahlreiche Faktoren und komplexe Prozesse, die sich auf Alkoholkonsum auswirken und bezüglich derer sich die untersuchten Personen möglicherweise stark unterscheiden. Dazu gehören bspw. die Umstände (Flucht vor politischer Verfolgung vs. Zuwanderung von Fachkräften) oder der zeitliche Verlauf der Migration (Länge der Aufenthaltsdauer an verschiedenen Orten). Darüber hinaus ist eine Selektion durch das Migrationsgeschehen denkbar: Bei der Entscheidung für einen Zielort spielen vor allem bereits vorhandene soziale Kontakte [26] und familiäre Bindungen [27] eine wichtige Rolle. Das bedeutet, dass Migranten dazu tendieren, sich an Orten niederzulassen, an denen bereits Freunde oder Verwandte leben. Bezüglich des Trinkverhaltens der Migranten ist somit die Assimilation der Alkoholkonsummuster der bereits vorhandenen Population entscheidend. Auch vor dem Migrationsprozess kann Selektion stattfinden. Gemäß dem Healthy-Migrant-Effekt [28] migrieren vorwiegend gesunde Personen. Daraus resultieren geringere Mortalitätsraten von Migranten im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung kurz nach der Migration [29]. Inwiefern sich dieser Effekt auf das Alkoholkonsumverhalten auswirkt, wurde bisher nicht untersucht. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass der Effekt einen protektiven Faktor vor riskanten Trinkmustern darstellt. Verschiedene Selektionsprozesse im Rahmen des Migrationsgeschehens werden als mögliche Erklärung für die Ergebnisse vermutet. Die Ergebnisse müssen auch vor dem Hintergrund der Studienpopulation interpretiert werden. Migranten werden in Bevölkerungsumfragen aufgrund von mangelnden Deutschkenntnissen und kulturellen Barrieren schlechter erreicht als Nichtmigranten [30]. Eine Bedingung zur Teilnahme am Epidemiologischen Suchtsurvey ist zudem die Registrierung im Einwohnermeldeamt [17]. Demnach sind bestimmte Migrantengruppen, darunter potentielle Risikogruppen wie z. B. Asylsuchende, unzureichend erfasst. Eine Analyse der Repräsentativität von Personen mit Migrationshintergrund im Gesundheitssurvey des Robert

Sucht/605/26.10.2016/MPS Koch-Instituts hat ergeben, dass vor allem Zuwanderer der 1. Generation, Personen mit niedrigem Bildungsniveau sowie Personen mit türkischem Migrationshintergrund unterrepräsentiert sind [31]. Es kann angenommen werden, dass mit dem ESA erreichte Personen mit Migrationshintergrund eine Subgruppe darstellen, die die Herausforderung, in Deutschland zu leben, langfristig angenommen und bewältigt hat. Ein methodisches Problem in den statistischen Analysen stellen geringe Fallzahlen dar. Dies betrifft vor allem Probanden mit türkischem bzw. arabisch-islamischem Migrationshintergrund. Durch kleine Teilstichproben könnten Effekte unentdeckt bleiben [32]. Gleichzeitig können geschlechterspezifische Dynamiken oder Unterschiede zwischen erster und späterer Einwanderergenerationen aufgrund der kleinen Fallzahlen nicht berücksichtigt werden. Zur Interpretation der Ergebnisse wären zudem Informationen über die Religionszugehörigkeit und Religiosität hilfreich, zumal ein Migrationserlebnis Einfluss auf die religiöse Partizipation und Praxis der Betroffenen haben kann [33]. Neben der Herkunftsregion hat die UNESCO Variablen wie Glaubensrichtung, Wertesysteme und Traditionen zur Operationalisierung von kulturellen Unterschieden vorgeschlagen [34]. Eine weiterführende Diskussion der Validität verschiedener Parameter zur Definition von Kultur in Zusammenhang mit Alkoholkonsum ist jedoch sehr komplex und in diesem Rahmen nicht realisierbar. Weitere Indikatoren wie z. B. Identifikation mit der Herkunftskultur [35] sowie ethnischer Stolz [13] könnten das Verständnis für den Zusammenhang von Kultur und Alkoholkonsum vertiefen und sollten in zukünftigen Studien berücksichtigt werden. Schlussfolgerungen Hohe Abstinenzraten verschiedener Herkunftsgruppen zeigen eine gesundheitsförderliche Tendenz unter Personen mit Migrationshintergrund. Dies könnte ein früher Ansatzpunkt von gesundheitlichen Programmen sein, um die Bereitschaft zur Abstinenz der betreffenden Personen weiter zu unterstützen und zu fördern. Wenn Personen mit Migrationshintergrund hingegen Alkohol konsumieren, finden sich keine signifikanten Unterschiede zum Trinkmuster der deutschen Vergleichsgruppe, ausgenommen einzelner Gruppen, die geringeren Konsum zeigen. Somit sprechen die Ergebnisse dafür, dass in der untersuchten Population Migrationshintergrund keinen Risikofaktor für riskante Alkoholkonsummuster darstellt und keine spezifischen Maßnahmen für Alkoholkonsumenten mit Migrationshintergrund notwendig scheinen. Diese Ergebnisse erlauben jedoch keine Aussage über die Gruppe der in den letzten Jahren aus Kriegsgebieten nach Deutschland geflüchteten Personen, welche fast vollständig durch den Erhebungszeitpunkt und das Studiendesign ausgeschlossen werden. Generell sollte sichergestellt werden, dass Personen unabhängig von ihrer Herkunft Zugang zu den Angeboten des Gesundheitssystems und Präventionsmaßnahmen haben [6]. Darüber hinaus sollte das Verständnis für kulturelle Hintergründe der Migranten auf Seiten des deutschen Gesundheitssystems gefördert werden, um Barrieren und Schwierigkeiten in der Kommunikation so gering wie möglich zu halten [36]. Die Ergebnisse weisen nicht auf den Bedarf globaler Präventionsmaßnahmen für Personen mit Migrationshintergrund in der Allgemeinbevölkerung hin. Auf Ebene der Allgemeinbevölkerung ist eine langfristige Beobachtung des Alkoholkonsums von Personen mit Migrationshintergrund zu empfehlen; insbesondere vor dem Hintergrund massiv steigender Zuwanderungszahlen von Personen aus sehr problematischen Kontexten ab Mitte des Jahres 2015. Um problematischen Alkoholkonsum besonders vulnerabler Gruppen von Migranten zu untersuchen, die mit generellen Bevölkerungsumfragen nicht identifiziert werden können, ist weitere Forschung nötig. Die vorliegende Studie trifft keine Aussage über die Alkoholkonsummuster von geflüchteten Personen, die seit 2015 in Deutschland angekommen sind. Zur Person Michael Strupf studierte von 2012 bis 2015 Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München mit dem Abschluss Bachelor. Seit 2015 befindet er sich im Masterstudiengang Klinische Psychologie und Kognitive Neurowissenschaft an der LMU. Am Institut für Therapieforschung (IFT) München ist er seit 2014 als studentische Hilfskraft in der Arbeitsgruppe Epidemiologie und Diagnostik tätig. Förderhinweis Der Epidemiologische Suchtsurvey 2012 wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gefördert (AZ: IIA5-2511DSM216). Mit der Finanzierung sind keine Auflagen verbunden. Interessenkonflikt: Ludwig Kraus und Daniela Piontek wurden in einem Forschungsprojekt zur Epidemiologie von Alkoholabhängigkeit von Lundbeck GmbH gefördert. Anhang 1 Gruppierung der Herkunftsländer Gruppe 1: Mitteleuropa Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Österreich, Rumänien, Schweiz, Tschechoslowakei (ehem.), Ungarn Gruppe 2: Nord- und Westeuropa Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland (Rep.), Niederlande, Norwegen, Schweden, UK Gruppe 3: Südeuropa Italien, Portugal, Spanien

Gruppe 4: Südosteuropa Albanien, Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien (ehem.), Moldawien Gruppe 5: Osteuropa Russland, Ukraine, Weißrussland Gruppe 6: Polen Gruppe 7: Zentralasien Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan Gruppe 8: Arabisch-islamische Länder Ägypten, Afghanistan, Algerien, Bangladesch, Indonesien, Irak, Iran, Kuwait, Libanon, Marokko, Pakistan, Palästina, Saudi-Arabien, Senegal, Syrien, Tunesien Gruppe 9: Türkei Gruppe 10: Restwelt Äthiopien, Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Eritrea, Ghana, Indien, Japan, Kamerun, Kanada, Kenia, Kolumbien, Kongo, Kuba, Laos, Malaysia, Mexiko, Mosambik, Namibia, Nepal, Nigeria, Paraguay, Peru, Philippinen, Senegal, Singapur, Sri Lanka, Sudan, Südafrika, Südkorea, Thailand, Togo, Uruguay, USA, Vietnam Literatur 1 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. 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