Stille Helden: Erinnerung an Dorothea und Georg Möhring

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Transkript:

Stille Helden: Erinnerung an Dorothea und Georg Möhring Ansprache zur Enthüllung der Berliner Gedenktafel am 16. September 2010 von Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter Gedenkstätte Deutscher Widerstand Wir freuen uns, dass wir heute mutige Menschen wie Dorothea und Georg Möhring ehren können und doch mischt sich in diese Freude immer ein bitterer Beigeschmack. Denn dies Hilfe geschah vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden Europas, dem seit 1941 rund 6 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Die meisten von ihnen wurden erschossen oder mit Giftgas ermordet. Darunter waren auch mehr als 160.000 deutsche Juden. Sie wurden seit Oktober 1941 vor allem in den deutsch besetzten Gebieten Polens und der Sowjetunion deportiert und dort ermordet. Die meisten Deutschen sahen zu, als ihre jüdischen Nachbarn deportiert wurden. Die meisten Deutschen unternahmen nichts, als ihre Mitbewohner, als ihre Freunde und Bekannten deportiert wurden und einem ungewissen Schicksal entgegen gingen. Doch: Etwa zehn- bis zwölftausend deutsche Juden versuchten seit Herbst 1941, sich der tödlichen Bedrohung zu entziehen. Da die Auswanderung verboten war und auch auf illegale Weise nahezu unmöglich geworden war, blieb ihnen nur die Flucht in den Untergrund. Diese Flucht allerdings hatte immer einen höchst ungewissen Ausgang. Denn, wer "untertauchte", widersetzte sich der nationalsozialistischen Diktatur. Die nationalsozialistische Rasseideologie hatte ein Ziel: möglichst viele jüdische Menschen zu deportieren und zu töten. Wer sich der Deportation entzog, widersetzte sich genau diesem Kernstück des nationalsozialistischen Wollens. Wer sich versteckte, musste nicht nur Verstecke finden und diese häufig wechseln. Für ihn oder für sie besteht ständig die Gefahr des Verrats und der Entdeckung. Mehr als die Hälfte derjenigen, der sich in Deutschland der Deportation entzogen haben, taten dies in hier in Berlin. Berlin war die Stadt, in der noch die meisten Juden in Deutschland lebten. Viele von ihnen tauchten erst 1943 unter, als die verbliebenen Juden, die überwiegend in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisten mussten, im Rahmen der sogenannten Fabrikaktion deportiert werden sollten. Von den zehn- bis

zwölftausend deutschen Juden und Jüdinnen, die untertauchten, haben etwa fünftausend überlebt, davon über 1.700 in Berlin. Stellen wir die Zahlen gegenüber: Etwa 160.000 deutsche Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet, etwa 5.000 überlebten. Dies konnte nur gelingen mit Hilfe der Menschen, die bereit waren, die Verfolgten zu unterstützen. Unter Gefährdung ihrer eigenen Person besorgten diese "stillen Helden" Lebensmittel. Sie beschafften falsche Papiere, sie leisteten Fluchthilfe, sie stellten Quartiere zur Verfügung oder versteckten die Verfolgten bei sich. Ein Teil der Helfenden ergriff selbst die Initiative zur rettenden Unterstützung. Sie appellierten so an ihre jüdischen Freunde, sich nicht deportieren zu lassen und sagten ihnen Hilfe und Unterstützung für ein Leben im Untergrund zu. Viele von ihnen wurden zu Rettern, weil sie von Verfolgten oder anderen Helfern gezielt um Unterstützung gebeten wurden. Weltanschauliche und politische Motive waren hier ebenso von Bedeutung wie spontanes Mitgefühl. Es sind also immer zwei Akteure: Wer untertaucht, versucht sich der Deportation und dem drohenden Tod zu entziehen. Wer hilft, unterstützt den Untergetauchten dabei, und tut dies unter großem Risiko für die eigene Person. Wir wissen, dass sich häufig im Verlauf von Rettungsversuchen Netzwerke von Helfern und Helferinnen entwickelt haben. Für jeden "Untergetauchten" waren bis zu zehn, bisweilen auch erheblich mehr nichtjüdische Unterstützer aktiv. Viele Hilfsaktionen jedoch sind gescheitert. Schätzungen gehen heute von insgesamt mehreren zehntausend Menschen aus, die in Deutschland jüdischen Verfolgten geholfen haben. Zu ihnen gehören auch diejenigen, die wir heute ehren, Dorothea und Georg Möhring. Sie versteckten hier in der Kissingenstraße 25 zwischen August 1943 und dem Kriegsende im April 1945 Margarethe und Siegmund Weltlinger. Wer war Siegmund Weltlinger? Siegmund Weltlinger, 1886 in Hamburg als Sohn einer Künstlerfamilie geboren, machte nach seinem Abitur in Kassel eine Banklehre. Danach absolvierte er, wie es damals üblich war, im Jahre 1905 eine einjährige Militärausbildung. 1908 ging er nach Berlin und arbeitete zuerst als Volontär, später als Bankangestellter. 1914 er-

warb er, nachdem er als Bankangestellter und als Finanzjournalist tätig war, das "Börsen-Archiv", für das er sowohl Herausgeber als auch Chefredakteur war. Im Ersten Weltkrieg zuerst bis 1915 Frontsoldat, wurde er im Anschluss daran in die Finanzabteilung der Zentraleinkaufsstelle für Belgien nach Brüssel geholt. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kehrte er nach Berlin zurück, übernahm wieder die Führung seiner Zeitschrift und heiratete 1919 Margarethe Gumpel, die Tochter eines früheren Bankdirektors. 1925 schließlich machte er sich an der Berliner Börse selbstständig. 1933 begann auch für Siegmund Weltlinger die Zeit der Verfolgung. 1938 wurde er im Zuge des Novemberpogroms festgenommen war für einige Zeit im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Seinen Kindern gelang es, noch nach England auszureisen. Nachdem Siegmund Weltlinger nach sechs Wochen als Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges aus dem Konzentrationslager entlassen worden war, engagierte er sich führend in der Jüdischen Gemeinde tätig. Als er im Februar 1943 die Aufforderung erhält, als sogenannter "Ordner" tätig zu werden und Juden aus ihren Wohnungen abzuholen und in die Deportationssammellager zu bringen, war er dazu nicht bereit. Er ging in die Illegalität. In seinem Bericht, der er 1954 als eines der ersten Zeugnisse über die "Stillen Helden" veröffentlichte, hieß es: "In den ersten Monaten nach der Flucht war ich mit meiner Frau in einer Villa im Westen versteckt." Dieses war bei Frau Prof. Else Schiller in Berlin-Friedenau, in der Kirchstraße 24." Hier lebte er mit seiner Frau Margarethe zwischen dem 26. Februar 1943 und dem 27. August 1943. Die Zeit dort endete abrupt: "Dort fand eines Morgens eine Haussuchung durch die Gestapo statt, und im Nachthemd, hinter einem Bücherschrank versteckt, entgingen wir wie durch ein Wunder der Entdeckung. Nun flohen wir zu Bekannten nach Pankow, die uns einmal gesagt hatten, dass wir bei ihnen eine Zuflucht finden könnten, falls es nötig sei. Es waren sehr fromme Menschen; Anhänger der Christlichen Wissenschaft, die es für ihre Pflicht hielten, sich der Verfolgten anzunehmen." Hier in der Kissingenstraße 25 in der ersten Etage verblieben Margarethe und Siegmund Weltlinger vom 27. August 1943 bis Anfang Mai 1945.

Die Verhältnisse in der Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung der Familie Möhring, in der sie mit ihrer Tochter Jutta lebten (die auch an den Hilfsaktionen beteiligt war), waren beengt. Die Küche dienten den "untergetauchten" Weltlingers als Schlafraum. Bei drohender Gefahr mussten sie die Wohnung für kurze Zeit verlassen und kamen bei Johanna Reinhold in der Figarostraße 8 in Berlin-Heinersdorf unter. Doch dies war jeweils nur für kurze Zeit eine Möglichkeit der Zuflucht in einer Laubenkolonie. Erst der 8. Mai 1945 bedeutete für Margarethe und Siegmund Weltlinger die Befreiung. Einer ihrer beiden Helfer, Georg Möhring verstarb unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen in Berlin, am 11. Mai 1945. Dorothea Möhring und ihre Tochter blieben in Ost-Berlin wohnhaft. Nach 1945 engagierte sich Siegmund Weltlinger in der Berliner Landespolitik. Er war einer der Wenigen, der u. a. als Referent für jüdische Angelegenheiten beim Magistrat bzw. beim Senat Berlins sich schon früh für die Versöhnung einsetzte. 1949 war er Gründungsmitglied der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Zwei Jahrzehnte lang war er Erster jüdischer Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die ihn auch zu ihrem zweiten Ehrenpräsidenten nach Ernst Reuter ernannte. Berlin verlieh ihm, der lange Jahre Abgeordneter der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses war, auch dessen Alterspräsident, die Ernst Reuter-Medaille und die Würde eines Stadtältesten. Seine Grabstätte auf dem Friedhof der Jüdischen Gemeinde in der Heerstraße ist heute ein Ehrengrab des Landes Berlin. Ein kleiner Dank des Landes Berlin an einen verdienten Mann. Warum halfen Dorothea und Georg Möhring? Siegmund Weltlinger beschreibt sie so: "Es waren sehr fromme Menschen; Anhänger der Christlichen Wissenschaft, die es für ihre Pflicht hielten, sich der Verfolgten anzunehmen. Sie hatten in ihrem Gottvertrauen niemals die geringste Furcht vor Entdeckung und hielten mich an, täglich in der Bibel zu lesen. Dies hat mir über Vieles hinweggeholfen, und in dieser Zeit begann ich, mich ernsthaft mit religiösen Problemen zu beschäftigen. In der kleinen Zweizimmer-Wohnung, in der die Küche als Schlafraum für uns diente, - die Familie bestand aus vier Personen - lebten wir dann zwei Jahre. Niemals verließen wir das

kleine Zimmer, auch nicht bei Luftangriffen, denn es wohnten manche scharfe Nazis im Häuserblock." Als Dorothea Möhring, die in der Zwischenzeit erneut geheiratet hatte, 1963 nach West-Berlin übersiedeln wollte, setzte sich Siegmund Weltlinger energisch für sie ein und betonte: "Frau Zimmermann hat uns unter großen Gefahren ohne Ausweise und Lebensmittelkarten diese ganze Zeit versteckt gehalten." Er regte bei der Senatsverwaltung für Inneres an, Dorothea Zimmermann, als "Unbesungene Heldin" zu ehren. Ihre Tochter Jutta war bereits am 9. November 1962 in einer Feierstunde wegen ihrer Hilfeleistungen im Rahmen dieser vom früheren Innensenator Joachim Lipschitz initiierten Aktion geehrt worden. Am 1. November 1945 erhielt auch Dorothea Zimmermann eine offizielle Ehrenurkunde: "Der Senat von Berlin spricht Frau Dorothea Zimmermann Dank und Anerkennung aus, daß sie während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit bedrängten Verfolgten Schutz und Hilfe gewährt hat." Diese Urkunde trägt die Unterschrift des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt und des Senators für Inneres, Theuner. Dorothea Zimmermann lebte noch einige Jahre in Berlin-Spandau im Fischer- Dittmar-Heim und starb am 5. November 1967 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Im vergangenen Jahrzehnt haben sich besonders Lehrer/innen und Schüler/innen des Rosa Luxemburg-Gymnasiums im Rahmen ihrer Projektarbeit für die Erinnerung an die Möhrings eingesetzt, ebenso die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.v. Auch in der Gedenkstätte Yad Vashem soll bald an die Möhrings erinnert werden. Dies ist dem angemessen, was diese Menschen über 20 Monate hinweg unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur für die von ihnen versteckten Margarethe und Siegmund Weltlinger getan haben. Lebendige Erinnerungsarbeit hat auch dazu geführt, dass heute diese Gedenktafel enthüllt werden kann. Sie ist ein weiteres Zeichen der Erinnerung an diese beiden mutigen Menschen Dorothea und Georg Möhring. Und doch, und damit greife ich meinen Gedanken wieder auf, bleibt der bittere Beigeschmack, wie wenige Deutsche den verfolgten

Juden beigestanden haben und wie viele Deutsche entweder weggesehen oder den Massenmord unterstützt haben.