Reinhard Bill Bergelt: Anton Bruckner - eines der größten Genies des letzten Jahrhunderts Es gibt sicher eine Reihe von Gründen, warum das Werk von Anton Bruckner im Musikunterricht der Sekundarstufe I eher eine Randerscheinung bildet. Die Dauer der Sinfonien überschreitet nicht nur das musikalische Fassungsvermögen der meisten Schülerinnen und Schüler, selbst mit der Behandlung einzelner Sätze wird man in vielen Fällen an Grenzen der "Unterrichtbarkeit" stoßen, was im übrigen grundsätzlich für großdimensionierte sinfonische Musik aus dem 19. und 20. Jahrhundert gilt. Um aber auch diese Musik in den Horizont von Schülerinnen und Schülern zu bringen, bietet sich u.a. ein Zugang über Komponistenbiographien an, wie er hier am Beispiel Anton Bruckners vorgestellt wird. Die Mischung aus - schülernah formuliertem - Text, Bild Mitspielsatz und leichten Aufgaben bietet Unterrichtsmöglichkeiten, die sich zu nutzen lohnen. Vor 175 Jahren wurde Anton Bruckner - eines der größten Genies des letzten Jahrhunderts geboren Bruckner - ein Genie? Geburtsjahr:... Todesjahr: 1896 Die Musik des vergangenen Jahrhunderts ordnet man der musikalischen Epoche der... zu. Dies war die "Epoche der Genies", die gleichsam als "Götter" verehrt wurden. So hatten diese "Supermänner der Musik" natürlich auch einen gigantischen Anspruch an sich selbst: Anton Bruckner verbrachte mit der Arbeit an seiner achten Sinfonie - die bei einer Aufführung ca. 80 Minuten dauert - über 4 Jahre. Noch beeindruckender stellt sich dieser Kraftakt des Komponierens dar, wenn man bedenkt, dass Bruckner zeit seines Lebens weder als Komponist noch als Genie anerkannt wurde. Gefeiert wurde er allerdings als Orgelvirtuose und Improvisator. Wie sieht wohl so ein Musikgenie des letzten Jahrhunderts aus? Hier einige Portraits von Anton Bruckner und Komponistenkollegen, die zum Teil Verehrer, aber auch Gegner von ihm waren:
II) Bruckners Leid Anton Bruckner - von seiner Erscheinung her so unverdächtig und "harmlos" aussehend wie beispielsweise ein Sachbearbeiter aus dem Rathaus von nebenan. Von Beruf war er lange Jahre Dorfschullehrer. Als Komponist fand er erst mit ca. 40 Jahren zu seinem eigenen Stil (Mozart starb mit 35, Schubert sogar schon mit 31 Jahren!). Auch Scherenschnitte von Bruckner als Organist, Dirigent und Komponist (der einem Dirigenten für die Aufführung eines Werkes dankt) lassen Bruckner als "bemitleidenswerte" Figur erscheinen. Vielleicht könnt Ihr Euch vorstellen, dass Bruckner mit seiner Erscheinung bei den Frauen keinen großen Erfolg hatte. Tatsächlich litt Bruckner sein Leben lang darunter, dass keine Frau etwas von ihm wissen wollte. Nicht nur, dass er unter seinem privaten Elend zu leiden hatte, auch die einflussreichen Musikkritiker seiner Zeit setzten ihm mächtig zu: "Nichts als Hochverrat, Empörung und Tyrannenmord" seien seine Kompositionen. Sogar noch 50 Jahre nach seinem Tode bezeichnete der Dichter Thomas Mann seine siebte Sinfonie als "halb unsinnig, halb großartig". III) Bruckners Musik Wie aber klingt nun die Musik des Mannes, der eigentlich erst in unserer Zeit unangefochten als einer der bedeutendsten Sinfoniker (=Komponist von Sinfonien) der Musikgeschichte gilt? Ihr hört drei Anfänge von Schlusssätzen romantischer Sinfonien - welcher ist wohl von Bruckner? Passt die Musik zu dem, was ihr über Bruckner wisst? Bsp.1:... Bsp.2:... Bsp.3... IV) Für wen komponierte Bruckner? Bruckner über sich und seine Arbeit: "Ich komponiere nur für mich und die übrige Menschheit zur Erbauung, damit, wenn Gott mich einst hervorruft und fragt: Was hast du denn mit dem Talent getan, das ich dir mitgegeben hab? ich bestehen kann." Bruckner schrieb 9 Sinfonien. Seine "Siebte" widmete er dem bayerischen König Ludwig II, die "Achte" dem Kaiser und die "Neunte" dem "lieben Gott". V) Bruckners Glaube Für Bruckner war der Glaube entscheidender Halt in einem Leben mit wenig Zuspruch durch seine Mitmenschen. Seine tiefe Gläubigkeit ist an entscheidenden Stellen der Sinfonien zu erhören: meistens in der Mitte des "musikalischen Sturmes" oder vor dem letzten "musikalischen Showdown" erklingt ein Choral (= Kirchenlied) - Musik wie von einem Posaunenchor in der Kirche. Bsp.1: erster Satz der 6.Sinfonie vor der Coda Bsp.2: erster Satz der 9. Sinfonie vor der Coda Bsp.3: Schlußsatz aus der 5. Sinfonie
VI) Weitere Merkmale seiner Musik Trotz seines Kummers (mit...,... und...), trotz seiner psychischen und körperlichen Krankheiten gibt es wenige Komponisten, deren Werke mehr Ruhe, Kraft und einen größeren Atem verströmen als die Sinfonien Bruckners. Kennzeichnend für diesen großen Atem ist, dass seine Werke aus dem Nichts entstehen - so wie an einem Oktobertag morgens noch dichter Nebel herrscht, aus dem heraus allmählich die Sonne hervorbricht. Welche der vier Klangbeispiele sind von Bruckner, welche sind von seinen Kollegen - deren Werke auch "unvermittelt", "plötzlich" und "stürmisch" beginnen können? Bsp.1:... Bsp.2:... Bsp.3:... VII) Steigerungen Dass Bruckner sich für Berggipfel, für die Alpen begeisterte, dass er auf Kirchtürme stieg, um zu überprüfen, ob das Kreuz auch höher stand als der Blitzableiter - das dürfte kaum mehr erstaunen. Musikalische Gipfel - Steigerungen, das sind auch wesentliche Merkmale seiner Musik. Hören wir einen solchen musikalischen Höhepunkt - der gleichzeitig der "umwerfendste", "niederschmetterndste" und letzte seines gesamten Werkes ist - am Ende seiner 9. (unvollendeten) Sinfonie. Und nun hören wir den "Aufstieg zu diesem Gipfel". Wie gestaltet ihn Bruckner, so dass man beim Zuhören wirklich aus dem Tal in diese "Höhen" hinaufgehoben wird? Wie erklärst Du Dir das? (Einige Sätze oder Stichworte genügen.) VIII) Die Tanzsätze Die populärsten Sätze in den Sinfonien von Bruckner sind die Tanzsätze - Scherzi (sprich: Skerzi, Singular: Scherzo) genannt, wohl deshalb, weil sie am meisten "Schwung, Pep und Ohrwürmer" aufweisen. Das Scherzo seiner 9. Sinfonie ist als eine lange und gewaltige Steigerung gestaltet. IX) Zusammenfassung Wir haben nun Anton Bruckner als Mensch und Komponist - wir haben seine Musik kennen gelernt. Welche Merkmale seiner Person und seiner Musik wurden behandelt? Versuche mit eigenen Worten eine kurze Zusammenfassung!
Hinweise für Lehrer Wörter für die Lückentexte Romantik - Geniekult - Bruckner als Antigenie - von seiner Erscheinung - Held der Arbeit - bekannt als Organist - Kritiker und Kollegen gegen ihn - kein Glück in der Liebe - Krankheit und Leiden - Glaube als Stütze - Religiöses in seiner Musik (z.b. die Choräle) - widmet seine letzte Sinfonie dem lieben Gott - Sinfonien beginnen aus dem Nichts - Ruhe und Kraft in seiner Musik - das Prinzip der Steigerung als Kennzeichen - Gipfel und Täler - Mittel der Steigerung: Tonhöhe, Tempo, Lautstärke, Verkürzung/Verdichtung (der Motivik) usw. - die Scherzi und Trios - Zu I) Geburtsjahr: 1824 Epoche der Romantik Bild 1) Hugo Wolf 1860-1903, Liederkomponist und glühender Verehrer von Bruckner Bild 2) Richard Wagner 1813-1883, Opernkomponist - von Bruckner vergöttert parbild 3) Gustav Mahler 1860-1911, Sinfoniker, kritischer Schüler von Bruckner Bild 4) Anton Bruckner Bild 5) Johannes Brahms 1833-1897, Komponist, hielt ursprünglich nichts von der Musik Bruckners (erst später erkannte er manche Werke an) Unterrichtserfahrungen: Besonders Brahms, Wagner und Mahler werden auf den hier vorliegenden Bildern als Genies erkannt. Zu II) Bsp. 1) J. Brahms, 2. Sinfonie, 4.Satz, Bsp. 2) A. Dvorak, 8. Sinfonie, 4.Satz, Bsp. 3) A. Bruckner, 8. Sinfonie, 4.Satz, Intentionen: Der Anfang des Schlusssatzes der Achten von Bruckner mit seiner martialisch-marschartigen Wucht ist hier als Verfremdungseffekt gedacht - die Schüler ordnen diese Musik dem Bild, das sie bisher von Bruckner haben, in der Regel nicht zu. Dvorak und Brahms klingen hier demgegenüber harmlos und bescheiden. Viele Schüler ordnen das Brahmsbeispiel Bruckner zu. Einzelne aber meinten auch, dass ja Bruckner im Leben so viel Schwierigkeiten hatte, die er wohl in seiner Musik kompensiert haben könnte - und identifizieren damit das richtige Beispiel. Zu VI) Trotz seines Kummers mit fehlender Anerkennung, mit Krankheiten und mit Frauen... Bsp.1: 4. Sinfonie, 1.Satz, J. Brahms Bsp.2: Don Juan, Tondichtung, R. Strauss Bsp.3: Das Lied von der Erde, 1. Satz, G. Mahler Bsp.4: 7.Sinfonie, 1. Satz, A. Bruckner Auch diese Beispiele wurden gewählt um im kontrastierenden Vergleich Eigenarten der Brucknerschen Musik zu verdeutlichen. Man hätte ja auch die Zweite von Brahms, die Neunte von Mahler und die Alpensinfonie von Strauss wählen können, die ebenso allmählich anwachsen - nur dass bei Bruckner diese tremolierenden, schleierlüftenden Aus-dem-Nichts-Anfänge ein Merkmal aller seiner Sinfonien (mit Einschränkung auch der achten) sind.
Zu VII) Musikalische Mittel der Steigerung: a) der marschartige Pizzikato-Achtel-Bass/walking bass erzeugt - wie auch die Leitton-Triller der Violinen - Erwartungshaltung. b) Demgegenüber steht das getragene Thema in Halben, Vierteln (und Achteln), mit ausgeprägter. Dieses Thema wird verkürzt/motivisch gespalten. c) Die Steigerung verläuft wellenartig - nach einem Anstieg in Tonhöhe und Dynamik werden diese dann wieder etwas zurückgenommen (=Atemanalogie). d) Zur Verstärkung der Wirkung auf dem Höhepunkt der Entwicklung setzt Bruckner Konfliktrhythmen (Sextolen gegen Achtel und synkopische Achtel) Blechbläser und Pauken ein. Zu VIII) Bsp. 1: Trio/ Ländler aus der 4. Sinfonie Bsp. 2: Scherzo aus der 4. Sinfonie Bsp. 3: Scherzo aus der 9. Sinfonie