Urteil des Landgerichts Berlin in der Strafsache gegen Steffen Michael S. vom (Fall Silvio Proksch, erschossen an der Berliner Mauer)

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Transkript:

UrteildesLandgerichtsBerlininderStrafsachegegenSteffenMichaelS.vom9.11.1994 (FallSilvioProksch,erschossenanderBerlinerMauer) Abschrift[Auszug] LandgerichtBerlin Az.:(523a)2Js98/90Ks(5/94) 9.November1994 URTEIL ImNamendesVolkes InderStrafsachegegen denmetallverarbeiter SteffenMichaelS., geboren1959, wegentotschlags. Die23a.großeStrafkammer Schwurgericht deslandgerichtsberlinhat[ ]indersitzung vom9.november1994fürrechterkannt: Der Angeklagte wird wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 1 (einem) Jahr und 9 (neun)monatenverurteilt,derenvollstreckungzurbewährungausgesetztwird.erträgtdie KostendesVerfahrens. AngewendeteVorschriften: 212Abs.1,213,56StGB Gründe: [ ] Seite 1 von 5

II.[Sachverhaltsfeststellungen] [ ] Für die Zeit von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr war der Angeklagte am 25. Dezember 1983 als Postenführer zusammen mit einem nicht identifizierten Posten für den Grenzabschnitt eingesetzt,deru.a.vonderpankebiszurleonhard Frank Str.reichte.DerAngeklagteundder Posten hatten von einem Postenturm, der am nördlichen Ufer der Panke stand, den Grenzstreifenzubeobachtenundzuschützen.DerPfostenturmwarmassivgemauertundbis zurfensterbrüstungetwasechsmeterhoch.dieturmmauerwar25cmdick.aufdiesemauer warenfensterdirektaufgesetzt.esherrschteaufdieserhöheeinerundumverglasung. DasspätereOpferSilvioProkschfeiertezusammenmitseinemBruder,demZeugenCarloP., undseinenelternimhausseinerelterninderflorastraßeinberlin Pankow,dasunweitdes Grenzstreifens gelegen war, den ersten Weihnachtsfeiertag. Alle sprachen erheblich dem Alkohol zu. Bei Silvio Proksch wurde zum Todeszeitpunkt gegen 20.45 Uhr eine Blutalkoholkonzentrationvon2,5%festgestellt.DieAlkoholisierungwarSilvioProkschbeim Fluchtversuch nicht anzumerken. Aus einem spontanen Entschluss heraus entschied er sich gegen19.15uhr,indenwestteilderstadtzufliehen.silvioprokschwar21jahrealtundals Ausbaumaurer in einer Firma beschäftigt. Er steckte sich seinen Versicherungs, Personalausweis und Facharbeiterbrief ein und lief durch den Bürgerpark in die Leonhard Frank Str., die direkt auf den Grenzstreifen zuführte. Sein Bruder folgte ihm und versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Silvio Proksch ließ sich aber nicht umstimmen und überstiegzunächsteinenquerüberdieleonhard Frank Str.gespanntenMaschendraht.Über einen an der nördlichen Seite der Leonhard Frank Str. gelegenen Maschendrahtzaun eines Friedhofs konnte er die etwa zwei Meter hohe Hinterlandmauer des Grenzstreifens erklimmen.seinbruderbliebaneinemtoilettenhäuschenstehenundrannte,nachdemerdie erstenschüssegehörthatte,davon. Von diesem Punkt aus waren es etwa 110 bis 120 m in südlicher Richtung bis zum Postenturm, auf dem der Angeklagte seinen Dienst verrichtete. Vor Silvio Proksch lag der Grenzstreifen,aufdemsichinetwaeinbiszweiMeterEntfernungeinca.zweiMeterhoher Signalzaun befand. Dicht hinter diesem Zaun in westlicher Richtung verlief parallel zum Signalzaun ein befestigter Kolonnenweg. Direkt gegenüber der Hinterlandmauer an der Leonhard Frank Str. befand sich auf dem Grenzstreifen in 30 bis 35 m Entfernung eine alte Pumpstation. Der Grenzstreifen in nördlicher Richtung war an dieser Stelle von der Hinterlandmauer bis zur Grenzmauer etwa 26 bis 30 m breit. Die Grenzmauer knickte kurz vor der Pumpstation im rechten Winkel nach Westen ab und wurde um die Pumpstation herumgeführt, so dass sich auf der nördlichen Seite der Pumpstation ein wenige Meter schmaler Korridor bildete, der sich Richtung Westen später etwas verbreiterte und vom PostenturmdurchdasmehrereMeterhoheBauwerknichteingesehenwerdenkonnte.Vom KorridorauswaresfüreinenFlüchtlingkeineSchwierigkeit,dieGrenzmauerzuübersteigen, da diese hier aus quer verlaufenden Mauersegmenten bestand, die ohne große Mühe erklommen werden konnten. Die Grenzmauer war etwa zwei Meter hoch. Auf dem Grenzstreifen zwischen Kolonnenweg und Grenzmauer befand sich geharkter Sand; etwa in der Mitte verlief eine aus jeweils drei Eisenträgern zusammengeschweißte Reihe von Panzersperren.DieeinzelnenElementestandenjedochsoweitauseinander,dasssiefüreinen FlüchtlingkeinHindernisdarstellten.InunregelmäßigenAbständenwarenindiesemBereich so genannte Flächensperren ausgelegt, die aus eng beieinander liegenden Eisendornen Seite 2 von 5

bestanden und ein überlaufen unmöglich machten. Direkt im Laufweg des Flüchtlings befanden sich jedoch keine Flächensperren. Am Kolonnenweg standen in ca. 25 m Abstand Peitschenlichtmaste, die mit orange leuchtenden Quecksilberdampflampen ausgestattet waren. Der gesamte Grenzstreifen war durch die Lichtkegel der Lichtmasten nicht voll ausgeleuchtet. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Grenzabschnittes wird ergänzend auf die Tatortzeichnung des Grenzverlaufs vom 18. September 1991 (OB Nr. 218/91) und auf die Luftbildaufnahme von Mai 1979 (Nr. 74/92) in der zu den Akten gehörenden Bildermappe des Polizeipräsidenten in Berlin, Dir. VB M I 1 (beides in Hülle am Ende), sowie auf die Luftbildaufnahme vom 24. August 1984 nebst Vergrößerung auf Bl.1/Rückseite dieser Bildermappe Bezug genommen. Alle aufgeführten Objekte wurden in Augenschein genommen. Gegen 19.36 Uhr überstieg Silvio Proksch den Signalzaun und löste dadurch optische und akustische Signale aus, die im Turm beim Angeklagten und der nächstgelegenen Führungsstelle aufliefen. Der Angeklagte bemerkte Silvio Proksch, als dieser auf den Kolonnenwegsprang.SilvioProkschliefeiligenSchrittes,ohnezurennen.Dersichmitdem AngeklagtenaufdemTurmbefindlichePostenliefdieLeiterdesTurmesentsprechendseiner Anweisungen hinunter, um Silvio Proksch möglicherweise auf dem Grenzstreifen zu stellen, während der Angeklagte mit dem Kolben seiner Kalaschnikow ein Fenster des Turmes zerschlug und Silvio Proksch, als dieser auf dem Sandstreifen war, mit den Worten Halt, stehen bleiben oder ich schieße anrief. Als Silvio Proksch keine Reaktion zeigte und weiterlief,stütztesichderangeklagtemitseinenellenbogenaufdenfenstersimsaufundgab ohneanvisiertzuhaben einenwarnschussab,denerindaserdreichzwischensichund dem Flüchtling, etwa 50 m von diesem entfernt, setzte; er wollte diesen nicht durch einen Querschlägergefährden.SilvioProkschbefandsichinzwischenkurzvordenPanzersperren. Auch von dem Warnschuss ließ sich Silvio Proksch nicht beeindrucken, durchquerte die Panzersperren, verharrte kurz, weil ein sich an einer Hundelaufleine befindlicher Hund anschlug,undliefweiter.derhundhattesichnachdemwarnschusszurückgezogen.einbis zwei Sekunden nach dem Warnschuss gab der Angeklagte sechs bis sieben Schüsse Einzelfeuer auf den Flüchtenden ab. Der Angeklagte stützte sich mit seinen Ellenbogen weiterhinaufdenfenstersimsaufundversuchte,diebeinevonsilvioprokschanzuvisieren. Auf dem Turm herrschte Dunkelheit. Durch das Heraushalten der Kalaschnikow aus dem TurmfieletwasLichtaufdieZielvorrichtung,sodasserKimmeundKornerkennenkonnte. EinNachtschussvisierhattendieGrenzsoldatennicht.DasVisierdesAngeklagtenwarauf N eingestellt. AufgrunddergroßenEntfernungzumZiel derflüchtendebefandsichbeiderschussabgabe etwa 110 bis 120 m vom Angeklagten entfernt, des sich bewegenden Zieles, der nicht gradlinigen Laufweise des Flüchtenden, der Tatsache, dass die Kalaschnikow keine Präzisionswaffe ist, und der schlechten Lichtverhältnisse war es dem Angeklagten nicht möglich, gezielte Schüsse auf die Beine von Silvio Proksch abzugeben. Alle diese Umstände waren dem Angeklagten bewusst. Hinzu kam, dass der Angeklagte für die Abgabe der sechs bis sieben Schüsse weniger als zehn Sekunden zur Verfügung hatte. Nach jedem Schuss mit der Kalaschnikow war ein deutlicher Rückstoß zu merken. Die Waffe verwackelte sowohl seitlich, als auch in der Höhe, so dass das Ziel vom Angeklagten nicht in der Visierlinie behaltenwerdenkonnte.nachjedemschussmussaberneuanvisiertwerden,umüberhaupt diemöglichkeitzuhaben,einengenauenschussabgebenzukönnen.dafürbrauchtauchein Seite 3 von 5

guter und geübter Schütze mindestens fünf Sekunden. Auch dies war für den Angeklagten erkennbar. Silvio Proksch hatte in diesem Zeitraum noch einen Weg von 15 bis 20 m zurückzulegen, um den rettenden Korridor zu erreichen. Zwischen den einzelnen Schüssen desangeklagtenlagenetwaeinbiszweisekunden,wobeiderwarnschussvondenanderen Schüssenzeitlichleichtabgesetztwar. Als der Angeklagte den Flüchtling entdeckte, wollte er dessen Flucht entsprechend der Befehlslage unbedingt verhindern. Als der Flüchtende weder auf den Anruf, noch auf den Warnschussreagierte,ergriffdenAngeklagteneineArtPanik,daersichaufkeinenFalleiner UntersuchungwegeneinesgelungenenGrenzdurchbruchesstellenwollteunddenFlüchtling, der aus seiner Sicht ein Verbrecher war, nicht entkommen lassen wollte. Dem Angeklagten warklar,dasssilvioprokschnichtmehrzustellenwar,wennerdenkorridorerreichthatte, dadiemauerdortleichtzuübersteigenwar.derangeklagteschossaufsilvioproksch,ohne genau zielen zu können, und nahm dabei dessen Tod billigend in Kauf. Dabei sah er sein HandelnvonderBefehls undgesetzeslagederddralsgedecktan. BeidenSchüssenkameszumehrerenQuerschlägern,diedadurchverursachtwurden,dass die Schüsse von der Grenzmauer oder den Panzersperren abprallten. Auch die durch die Querschläger verursachte Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Flüchtenden nahm derangeklagteinkauf,umdengrenzdurchbruchzuverhindern. EinerdernachdemWarnschussabgegebenenSchüssetrafSilvioProkschanderlinkenHüfte, drang93cmoberhalbderfußsohleamlinkenäußerenbeckeneinundtrat85cmoberhalb derfußsohleanderrechtenkörperseitewiederaus. BeiSilvioProkschwurdenu.a.dierechteäußereHüftschlagaderunddierechteSchenkelvene zerrissen, was zum späteren Tod wegen Verblutens führte. Dem vom Schuss getroffenen Silvio Proksch war es noch möglich, mehrere Meter weiter zu laufen, bevor er im Korridor zwischen Pumpstation und Grenzmauer verletzt zusammenbrach. Er wurde zuerst vom Zeugen D. erreicht, der ein Posten nördlich vom Angeklagten zu sichernden Grenzabschnitt war. D. war, nachdem er die Signalauslösung gehört hatte, in Richtung des Flüchtenden gelaufen. Silvio Proksch lag verletzt auf dem Bauch und war nicht mehr ansprechbar. Kurz danach kam der Angeklagte mit seinem Posten von der anderen Seite um die Pumpstation herumgelaufen und war überrascht, den Flüchtling zu sehen, da er davon ausging, nicht getroffenzuhaben.aufdenzeugend.machtederangeklagteeinenaufgeregten,wennauch gefassten Eindruck. D. gab ihm ein Verbandspäckchen, woraufhin der Angeklagte den Verwundeten verband. Anschließend machte der Zeuge D. beim Kommandeur des Sicherheitsabschnittes Meldung über den Grenzzwischenfall und forderte insbesondere auf Drängen des Angeklagten einen Krankenwagen an. Es kamen nach und nach mehrere Vorgesetzte des Angeklagten an den Geschehensort. Von diesen und Personen in Zivil offensichtlichmitarbeiterdesmfs wurdederangeklagtezumgeschehensablaufbefragt.er musste seine Waffe abgeben. Der Abtransport des verletzten Silvio Proksch verzögerte sich, da von Vorgesetzten des Angeklagten ein ziviler Krankenwagen nicht in den Grenzstreifen vorgelassen wurde. Der militärische Krankenwagen musste erst aus Treptow herbei fahren und wurde dann noch umdirigiert, weil er am falschen Tor einfahren wollte. Insgesamt dauerteesetwaeinestundebissilvioprokschabtransportiertwurde.kurzdanachverstarb der Verletzte. Er wäre mit großer Wahrscheinlichkeit gerettet worden, wenn er rechtzeitig medizinischversorgtwordenwäre. [ ] Seite 4 von 5

V.[Strafzumessung] Im Rahmen der Strafzumessung ist die Kammer von einem minder schweren Fall des Totschlagsgemäß 2132.Alt.StGBausgegangen.DieTatdesAngeklagtenstelltsichalssonst minderschwererfalldar.[ ] [Quelle:StABerlin,Az.2Js98/90,Bd.5,Bl.1 2,14 22.] Seite 5 von 5