Versicherungsforen Leipzig 11. Arbeitstreffen der User Group Anwendungsentwicklung im Versicherungsunternehmen 11. März 2009 Software Engineering im Spiegel konzeptueller Grundmodelle der Wirtschaftsinformatik Prof. Dr. Elmar J. Sinz Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Systementwicklung und Datenbankanwendung Otto-Friedrich-Universität Bamberg Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik http://www.seda.wiai.uni-bamberg.de Seite 1
Gliederung SE im Spiegel konzeptueller Grundmodelle der WI 1. IT-Business Alignment als Herausforderung für die betriebliche Anwendungsentwicklung 2. Automatisierung betrieblicher Aufgaben 3. Wirtschaftsinformatik und Software Engineering 4. Modellgetriebene Ansätze als gemeinsame Basis 5. Modellgetriebene Systementwicklung im Semantischen Objektmodell (SOM) 6. Synergiepotenziale und Sprachbarrieren zwischen Wirtschaftsinformatik und Software Engineering Seite 2
1. IT-Business Alignment IT-Business Alignment Strategic Alignment Model (J.C. Henderson / N. Venkatraman 1993) External Strategic fit Business Strategy IT Strategy IT-Business Alignment: Wechselseitige Abstimmung von Zielen, Strategien, Infrastrukturen und Prozessen zwischen IT und betriebswirtschaftlichen Fachbereichen. Internal Organizational Infrastructure and Processes Business Functional Integration IT Infrastructure and Processes Information Technology Seite 3
1. IT-Business Alignment Metapher: Modellierung eines Dampfkessels Temperatur Druck Thermodynamik Makroebene: Druck und Temperatur in Abhängigkeit von der Energiezufuhr IT-Business Alignment Abstimmung auf Makroebene: Außensicht von Infrastruktur und Prozessen Makroarchitektur Globale Kenngrößen Mikroebene: Thermodynamisches Modell auf molekularar Ebene Abstimmung auf Mikroebene: Innensicht von Infrastruktur und Prozessen Mikroarchitektur Entwicklungsmethodik Energiezufuhr Seite 4
1. IT-Business Alignment Mensch - Aufgabe - Technik Betriebliches Informationssystem als Mensch-Aufgabe-Technik- System (L.J. Heinrich 1993) Unternehmensarchitektur der SOM-Methodik (O.K. Ferstl / E.J. Sinz 1995) A Aufgaben- ebene Außenperspektive Aufgabenträgerebene Unternehmensplan M T Aufgaben- ebene Innenperspektive Geschäftsprozessmodell Aufgabenträgerebene Spezifikationen der Aufbauorganisation Anwendungssysteme Maschinen und Anlagen Unternehmensarchitektur Seite 5
2. Automatisierung betrieblicher Aufgaben Aufgabenebene Aufgabenmodell Vorereignis Sachziel Formalziele Lösungsverfahren Aufgabenobjekt Nachereignis Aufgabenbegriff der BWL: Aufgabe = Zielsetzung für zweckbezogenes menschliches Handeln (Kosiol). Außensicht einer Aufgabe: Aufgabenobjekt Ziele Vor- und Nachereignisse Innensicht einer Aufgabe: Lösungsverfahren mit Bezug zum Typ des Aufgabenträgers Aufgabenträgerebene nicht-automatisierte Aufgabe teilautomatisierte Aufgabe automatisierte Aufgabe Aufgabenträger führt Lösungsverfahren durch: Mensch (nicht-automatisierte Aufgaben) Maschine (automatisierte Aufgaben) Mensch-Maschine-System (teilautomatisierte Aufgaben) Aufgabenbegriff der WI: Erweiterung des Aufgabenbegriffs der BWL um maschinelle Aufgabenträger! Seite 6
2. Automatisierung betrieblicher Aufgaben Informationssystem und Anwendungssystem Aufgabenebene Aufgabenträgerebene Teilaufgabe nicht-automatis. Betriebliches Informationssystem (IS) Personeller Aufgabenträger (Teil-) Aufgabe teilautomatisiert Teilaufgabe teilautomatisiert Mensch- Computer- Kommunikation Info-Bez. Anwendungssystem (AwS) Teilaufgabe automatisiert Maschineller Aufgabenträger Betriebliches Informationssystem: Informationsverarbeitendes Teilsystem eines betrieblichen Systems. Funktion eines Anwendungssystems: Maschineller Aufgabenträger für automatisierte (Teil-) Aufgaben des betrieblichen Informationssystems. Rolle des Menschen: Aus Sicht des IS: Personeller Aufgabenträger für nichtautomatisierte (Teil-) Aufgaben. In Beziehung zum AwS: Nutzer eines Anwendungssystems. Seite 7
2. Automatisierung betrieblicher Aufgaben Nutzungsperspektiven der Mensch-Computer-Interaktion A = Aufgabe M = Mensch C = Computer M A C M A C M A C Maschinenperspektive Systemperspektive Werkstattperspektive Beschreibung Automatisierung der IV steht im Vordergrund, Mensch ist Störfaktor Mensch und Computer sind Partner, die sich synergetisch ergänzen Computer stellt Werkzeuge für den Anwendungsexperten bereit Rolle des Menschen personeller Aufgabenträger für Hilfstätigkeiten, z.b. Dateneingabe personeller Aufgabenträger für nicht- oder teil-automatisierte Aufgaben, lokale Sicht personeller Aufgabenträger mit globaler Sicht auf die Anwendung Verantwortung für die Aufgabendurchführung Systementwicklung Nutzer: nicht-automatisierte Aufgabenteile Nutzer Informationsmanagement: automatisierte Aufgabenteile nach H. Oberquelle (1991) Seite 8
2. Automatisierung betrieblicher Aufgaben Durchführung teilautomatisierter Aufgaben auslösendes Ereignis Ziele Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt teilautomatisierte Teilaufgabe Aktionen m p Formen der teilautomatisierten Aufgabendurchführung m m p m p m p m p m m Lösungsverfahren Aktionensteuerung Vorgangsauslösung p m p m p m p m = maschinell, p = personell m p Automatisierungsgrad Vollautomatisierung Nicht-Automatisierung Personelle Vorgangsauslösung (z.b. Auslösung einer Zahlung beim POS-Banking) Automatisierung der Aktionen (z.b. Vorgangsbearbeitung durch Sachbearbeiter) Automatisierung der Steuerung (z.b. Gerätemontage anhand von Montageplan) Workflow-Management-Systeme Seite 9
3. Wirtschaftsinformatik und Software Engineering Fachsystematische Charakterisierung von WI, SE und RE Wirtschaftsinformatik Software Engineering Requirements Engineering Gegenstand IS als informationsverarbeitendes Teilsystem betrieblicher Systeme Große Softwaresysteme, speziell Anwendungssoftware Funktionale und nichtfunktionale Anforderungen an Softwaresysteme Ziele Analyse und Gestaltung von Informationssystemen (IS) in Wirtschaft und Verwaltung Professionelle Entwicklung großer Softwaresysteme Erstellung, Analyse, Spezifikation und Validierung von Anforderungen an Softwaresysteme Methoden aus... Wirtschaftsinformatik i.e.s., BWL, Informatik, (Psychologie, Soziologie) Informatik, Mathematik Informatik, Mathematik, Linguistik, Methoden der Anwendungsdomänen WI RE SE WI = Wirtschaftsinformatik SE = Software Engineering RE = Requirements Engineering Seite 10
3. Wirtschaftsinformatik und Software Engineering Klassisches Software Engineering Softwaresystem-Modell Phasenmodell Anwendungssoftware im Kontext Anwendungssoftware Verfahrensumgebung Nutzermaschine A D R Programme Basismaschinen Systemumgebung P: Projektplanung A: Anforderungsanalyse und -definition D: Softwareentwurf R: Realisierung E: Abnahme und Einführung Requirements Engineering Software Engineering Seite 11
3. Wirtschaftsinformatik und Software Engineering Modellbasierte Systementwicklung Business -Modell Fachliche Anforderungen an die IT-Unterstützung IT-Unterstützung Klassisches Software Engineering: Ausgangspunkt ist ein Anwendungsmodell (z.b. in Form von Use Cases) Modellbasierte Systementwicklung: Ausgangspunkt ist ein vollständiges und hinreichend differenziertes Business - Modell. Seite 12
4. Modellgetriebene Ansätze als gemeinsame Basis Model Driven Architecture (MDA) Strategie der OMG zur modellgetriebenen und generativen Softwareentwicklung. Durch klare, sachzielbezogene Trennung unterschiedlicher Modellebenen soll die Wiederverwendbarkeit und die Langlebigkeit von Modellen erhöht werden. Abk. CIM PIM PSM Code Ebene Computation Independent Model Überführung Platform Independent Model Transformation Platform Specific Model Generierung Source / Executable Code Erläuterung Anforderungen an das Softwaresystem ohne Bezug zur softwaretechnischen Realisierung Überführung der Anforderungen in eine Softwarelösung Fachliche, implementierungsunabhängige Spezifikation eines Softwaresystems parametrisiert mithilfe eines Platform Model Technische, implementierungsabhängige Spezifikation eines Softwaresystems (Automatisierte) Codeerzeugung Quellcode bzw. ausführbarer Code Seite 13
4. Modellgetriebene Ansätze als gemeinsame Basis MDA: Vom GP-Modell zur Workflow-Spezifikation Lieferant Produzent V V Geschäftsprozessebene Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt AO S K D Transaktion Aufgabe auslösendes Ereignis Transaktionskanal D Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt AO Kunde Seite 14
4. Modellgetriebene Ansätze als gemeinsame Basis MDA: Vom GP-Modell zur Workflow-Spezifikation GP-Ebene Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt AO auslösendes Ereignis Transaktionskanal Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt AO Workflowebene S S S S S S WFMS Vorgangsauslösung Aktionensteuerung Ressourcenmanagement Datenfluss S S S S Ressourcenebene P PPPP Seite 15
4. Modellgetriebene Ansätze als gemeinsame Basis MDA: Vom GP-Modell zur Serviceorientierten Architektur GP-Ebene Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt AO auslösendes Ereignis Transaktionskanal Aktionensteuerung Aktionen Aufgabenobjekt AO VOS KOS Bezug zu: Humm, Voß, Hess (2006) VOT Orchestrierung OOT Choreographie (unter Berücksichtigung von Automatisierung: Interaktions- Komponenten) LOT TOT VOT OOT BPEL-Prozesse (Prozess- Komponenten) Elementare Web-Services (Funktions- und Bestands- Komponenten) Seite 16
4. Modellgetriebene Ansätze als gemeinsame Basis Geschäftsprozessmodelle und Workflow-Spezifikationen Spezifikationsziel Spezifikationsebene Gegenstand der Spezifikation Sicht auf Aufgabenträger Geschäftsprozessmodelle Spezifikation von Lösungsverfahren zur Umsetzung des Unternehmensplans Typebene, die Instanzebene (Extension) wird nicht betrachtet Koordination von betrieblichen Objekten und deren Aufgaben Personelle und maschinelle Aufgabenträger auf Typebene Aufgabenträger werden als ideal betrachtet Workflow-Spezifikationen Spezifikation der Durchführung von GP-Aufgaben in Form von Vorgängen (= Workflows) Typebene, die Instanzebene (Extension) wird ebenfalls betrachtet und vom WFMS gesteuert Ablauf und Ablaufsteuerung von Aktionen im Rahmen von Vorgängen Personelle Rollen sowie Programme auf Typ- und Instanzebene Aufgabenträger werden als real betrachtet ( z.b. Vieraugenprinzip als Constraint für Workflows) Seite 17
5. Modellgetriebene Systementwicklung im SOM Modellarchitektur der SOM-Methodik (2./3. Ebene) Sichten Metamodell Interaktions- Schema (IAS) Vorgangs-Ereignis- Schema (VES) Geschäftsprozessmodell Anwendungs- System-Spezifikation Konzeptuelles Objektschema (KOS) Vorgangsobjektschema (VOS) CIM: Business -Modell in Form eines Geschäftsprozessmodells PIM: Fachliche Spezifikation der Anwendungssoftware Seite 18
5. Modellgetriebene Systementwicklung im SOM Ableitung von KOS und VOS aus dem GP-Modell Strukturorientierte Sicht Verhaltensorientierte Sicht Interaktionsschema (IAS) Vorgangs-Ereignis-Schema (VES) Geschäftsprozessmodell Server A: Anbahnung V: Vereinbarung D: Durchführung Client Server Client A> >V D> Anbahnung Vereinbarung Durchführung >A V> >D Konzeptuelles Objektschema (KOS) Vorgangsobjektschema (VOS) Anwendungs- System-Spezifikation OOT LOT OOT Server Leistung Client interacts_with TOT Durchführung Vereinbarung TOT Anbahnung TOT Server A> VOT >V D> Anbahnung Vereinbarung Durchführung Seite 19
5. Modellgetriebene Systementwicklung im SOM Beispiel: Interaktionsschema eines Hotelbetriebs Transaktionszerlegung: D: Beherbergung A: Hotelprospekt A (spez): ProspektDir A (spez): ProspektVA V: Reservierung V (spez): ResDir V (spez): ResVA D: Zimmernutzung D (seq): Übernachtung D (seq): Abrechnung A: Abreisewunsch V: Rechnung D: Zahlung D: Öffentliche Sicherheit Objektzerlegung: Beherbergungssystem Hotel Rezeption Zimmer S: Zimmerzuweisung K: Nutzungsmeldung Kasse S: Forderung K: Zahlungsmeldung Verkehrsamt D: Vermittlung V: Prospekte D: Vermittlungen Gast Polizei Seite 20
5. Modellgetriebene Systementwicklung im SOM Beispiel: Vorgangs-Ereignis-Schema eines Hotelbetriebs Seite 21
5. Modellgetriebene Systementwicklung im SOM Beispiel: Vorgangs-Objekt-Schema Rezeption Seite 22
5. Modellgetriebene Systementwicklung im SOM Beispiel: Methode WeiseZimmerZu des VOT Zimmerzuweisung> Zimmerzuweisung> Zimmerzuweisung> WeiseZimmerZu (GastNr): Reservierung.GetReservierung(GastNr, Merkmal) Zimmer.GetZimmer(Merkmale,ZimmerNr) Zimmerkonto.SetKonto(GastNr, ZimmerNr) Zimmerausweis.Print(GastNr,ZimmerNr) BMPN-Modell Ermittle Reservierung Ermittle freie Zimmer Richte Zimmerkonto ein Erstelle Zimmerausweis Realisierung z.b. als BPEL-Prozess Seite 23
6. Synergiepotenziale und Sprachbarrieren Synergiepotenziale Synergiepotenziale einer engeren Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsinformatik und Software Engineering ergeben sich sowohl auf der Makroebene als auch auf der Mikroebene des IT-Business Alignment: Makroebene: Entwicklung strategischer Optionen, Abstimmung von Strategien und Infrastrukturen, Analyse und Bewertung technologischer Plattformen usw. Mikroebene: Entwicklung und Erprobung komplementärer Methodiken für die Systementwicklung (dieser Aspekt steht hier im Vordergrund), insbesondere auf der Basis modellgetriebener Ansätze. Seite 24
6. Synergiepotenziale und Sprachbarrieren Einige Sprachbarrieren aus Sicht der WI Problem Keine Trennung zwischen Aufgaben- und Aufgabenträgerebene Unklare Nutzermodelle Methodische Verkürzungen Fehlende Differenzierung zwischen Geschäftsprozess und Workflow Fachliches Modellverständnis Erläuterung Freiheitsgrade und Gestaltungspotenziale (z.b. für wiederverwendbare, generische Services) werden verschenkt Mensch als Störfaktor, als Partner oder als Anwendungsexperte Die Beziehungskette Geschäftsprozess Aufgabe Workflow Automatisierung BPEL-Prozess wird häufig auf die Beziehung Geschäftsprozess BPEL-Prozess verkürzt GP = Lösungsverfahren(Unternehmensplan) GP-Aufgabe = Baustein(GP) Workflow = Lösungsverfahren(GP-Aufgabe) CIM als Sammlung von Anforderungen (Kontext) versus CIM als Business -Modell Seite 25
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Im Vortrag referenzierte Literatur: Ferstl, O.K.; Sinz, E.J. (2008): Grundlagen der Wirtschaftsinformatik. 6. Auflage, Oldenbourg, München Ferstl, O.K.; Sinz, E.J. (1995): Der Ansatz des Semantischen Objektmodells (SOM) zur Modellierung von Geschäftsprozessen. In: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 37 (3), S. 209 220 Heinrich, L.J. (1993): Wirtschaftsinformatik, Einführung und Grundlegung. Oldenbourg, München Henderson, J.C.; Venkatraman, N. (1993): Strategic Alignment: Leveraging Information Technology for Transforming Organizations. In: IBM Systems Journal, 32 (1), S. 4 16 Humm B.; Voß, M.; Hess, A. (2006): Regeln für serviceorientierte Architekturen hoher Qualität. In: Informatik-Spektrum 29 (6), S. 395-411 Kosiol, E. (1976): Organisation der Unternehmung. 2. Auflage, Gabler-Verlag, Wiesbaden Oberquelle, H. (1991): MCI-Quo Vadis? Perspektiven für die Gestaltung und Entwicklung der Mensch-Computer-Interaktion. In: Ackermann, D.; Ulich, E. (Hrsg.): Software-Ergonomie 91. Teubner-Verlag, Stuttgart, S. 9-24 Seite 27