schnellen Läufen und Folgen und doch jeder ein Klang für sich allein. Die Melodie, die so anders war als das, was sie normalerweise an Musik kannte, kam eindeutig nicht aus dem Haus. Der Harfner musste irgendwo im angrenzenden Park oder bei dem Hügel hinter dem Herrenhaus sein. Neugierig stand Gunhild auf und griff nach dem Morgenmantel, der neben dem Bett auf dem Stuhl hing. Sie warf sich den Mantel über die Schultern und machte sich gar nicht erst die Mühe, in die Ärmel zu schlüpfen. Dann eilte das Mädchen ans Fenster, um in die Nacht hinauszusehen. Sie beugte sich über die tiefe Fensterbank. Das Fenster war geschlossen, und Gunhild fand keinen Griff, um es zu öffnen. Das Zimmer lag im ersten Stock. Durch die großen Scheiben hatte man einen Blick auf einen begrenzten Ausschnitt des
Parks und den Hügel, der sich dahinter erhob. Der Himmel klar und erfüllt von funkelnden Sternen. Doch trotz des Mondlichts, das über dem Land lag, konnte Gunhild den Harfner nicht ausmachen, der diese wunderbare, gefühlvolle Melodie spielte. Wer dieser geheimnisvolle Musikant wohl sein mochte? Gunhild war nun absolut wach und neugierig. Sie wollte wissen, wer die Harfe schlug, die sie geweckt hatte. Also tappte sie auf nackten Füßen zur Tür. Vielleicht war ja Siggi auch wach. Von seinem Zimmer hatte man einen anderen Ausblick auf den Park; vielleicht war der Harfenspieler von dort aus zu sehen. Gunhild summte leise die Melodie mit, als wäre sie ihr bereits das ganze Leben vertraut. Die Tür öffnete sich mit einem Knarzen, das unnatürlich laut in der Stille klang. Der Gang draußen, erhellt von einem matten
Lichtschein, der aus der Diele heraufdrang, war breit, die kalten Steinfliesen mit alten Teppichen bedeckt, die ein wenig muffig rochen, aber angenehm an den bloßen Füßen kitzelten. Irland, dachte Gunhild. Hier war alles ein bisschen schäbiger als zu Hause, aber dafür mit Geschichte und Tradition durchtränkt. Während das Mädchen den Gang hinunterschlich, schienen ihr die strengen Blicke der Herren von Dunvegan Castle zu folgen, deren Porträts in den Blendnischen des Ganges aufgereiht waren. Fast dreihundert Jahre waren hier versammelt, von Dandys mit Stutzerbärtchen über ernste Herren in steifen Biedermeierkragen und Jagdröcken bis hin zu schelmisch blickenden Männern in absurden Perücken aus jener Zeit, als die Familie noch gar nicht auf der Insel gelebt hatte.
Die Fitzroys, so hatte ihnen Hagen erklärt, waren ein altes Normannengeschlecht, welches im Jahre 1066 als Ritter an der Seite von Herzog Wilhelm nach England gekommen war und deren Urahn Seite an Seite mit dem Eroberer gegen König Harolds Truppen gekämpft hatte. Dann hatten sich seine Nachkommen über Jahrhunderte hinweg in Cornwall angesiedelt, dem äußersten Südostzipfel Britanniens, und schließlich hatte es irgendeinen Sir Soundso Fitzroy - wie er genau geheißen hatte, hatte Gunhild vergessen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Irland verschlagen, auf Befehl des Königs, um die aufsässigen Iren zu befrieden. Dort hatte er auf den Grundmauern einer alten im Zuge vieler Kämpfe und Kriege geschleiften Burg das heutige Dunvegan Castle errichtet. Und seitdem durften die männlichen Nachfahren,
wenn sie erst in Amt und Würden waren, sich Baron Dunvegan nennen.»dunvegan«, hatte Hagen ihnen erklärt,»das kommt vom gälischen dun beag, was nichts anderes heißt als kleiner Hügel. Aber der andere Hügel, der hinter dem Park liegt, heißt Dunmor Hill, was im Grunde doppelt gemoppelt ist.«als Siggi und Gunhild darauf nicht gleich reagierten, hatte er, etwas selbstzufrieden grinsend, hinzugefügt:»naja, dun mor heißt für sich schon großer Hügel.Nicht besonders originell, die alten Iren, was?«, hatte Siggi geknurrt, und für einen Augenblick glaubte Gunhild, etwas wie Feindschaft in der Luft zu spüren, doch dann hatten beide gelacht und sich in die Hände geschlagen. Aber die Lady, eine kleine alte Dame mit schlohweißem Haar»Sagt einfach Tante