ZWINGLIANA. Andreas Lindt und Otto Erich Strasser zum Gedenken

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Transkript:

ZWINGLIANA BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE ZWINGLIS DER REFORMATION UND DES PROTESTANTISMUS IN DER SCHWEIZ HERAUSGEGEBEN VOM ZWINGLIVEREIN 1986/1 BAND XVII / HEFT 1 Andreas Lindt und Otto Erich Strasser zum Gedenken Zwei markante Persönlichkeiten, die sich um die Geschichte der Kirche verdient gemacht haben, sind nicht mehr: Am 9. Oktober 1985 ist, kurz nach seinem 65. Geburtstag, Andreas Lindt unerwartet verschieden, und wenige Wochen später, am 17. Dezember, ist Otto Erich Strasser, der Nestor unter den schweizerischen Kirchenhistorikern, in Bern in seinem 98. Lebensjahr gestorben. Der vergangene Sommer war für Andreas Lindt eine an Höhepunkten reiche Zeit gewesen: Bei sei- ^^^ nem Rücktritt vom akademischen Lehramt, anläß- ^flpy4j[hn^h lieh seines 65. Geburtstages und im Rahmen einer von ihm angeregten wissenschaftlichen Tagung hatte er viel Anerkennung und Wertschätzung erfahren dürfen. Auch an seinem letzten Lebenstag - er nahm in Sigriswil an einem Symposium der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft teil - hat er den wissenschaftlichen Austausch und die herbstlich klare Thunerseelandschaft intensiv erlebt und genossen. Andreas Lindt ist in Bern aufgewachsen und hat hier, in Neuchätel und Basel Theologie studiert. Er wirkte in Pratteln und Worb als Gemeindepfarrer und in Basel und Bern als Rektor der dortigen Kirchlich-theologischen Schulen. Nachdem er sich 1963 in Bern für Kirchengeschichte habilitiert hatte, wurde er 1971 an die Universität von Münster/Westfalen und 1974 auf jenen Lehrstuhl seiner Vaterstadt Bern berufen, den zu Beginn dieses Jahrhunderts bereits sein Großvater mütterlicherseits, Fritz Barth, innegehabt hatte. 1

Andreas Lindts Studienjahre fielen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Vor allem «das intensive Miterleben des deutschen Kirchenkampfes und der Eindruck, daß gerade die Barthsche Theologie mit ihrer starken Öffentlichkeitswirkung zu Ende der dreißiger Jahre ein verläßliches Widerstandspotential gegen Hitlers Revolution des Nihilismus sei» 1 - vor allem dies hat ihn nach seinen eigenen Worten geprägt. Deshalb hatten sich für ihn theologisches Reden und christliches Handeln, wenn sie dem Evangelium gemäß und der jüngsten geschichtlichen Erfahrung gewahr sein wollten, stets in einer Haltung echter ökumenischer Offenheit und in aktiver, politischer und sozialer Mitverantwortung zu bewähren. Wo er menschliche und demokratische Grundrechte in Gefahr sah, da hat Andreas Lindt denn auch weder geschwiegen noch die Hände in den Schoß gelegt, sondern sich in Wort und Tat für deren Achtung eingesetzt. Sein literarisches Lebenswerk besteht in einer Fülle grundlegender Editionen und profunder Studien zur Geschichte der Kirche vor allem der beiden letzten Jahrhunderte. Vier Themen klingen darin immer wieder an und lassen sich, stellvertretend für viele andere, durch je einen Titel aus früheren und einen solchen aus späteren Schaffensjahren dokumentieren: Die Forschung zur Geschichte und Theologie des Religiösen Sozialismus verdankt Andreas Lindt ein gründliches, bahnbrechendes Buch über Leonhard Ragaz 2 und eine sorgfältige Edition von Hermann Kutters Briefwechsel 3. Aus seiner engagierten Beschäftigung mit Fragen der Ökumene sind ein erhellendes Buch zum Kulturkampf 4, eine von spürbarer Sympathie getragene Studie über Papst Johannes XXIII. 5 und - das sei hier noch besonders erwähnt - sein Beitrag zur wertvollen Textsammlung «Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen» 6 hervorgegangen. Zum Kirchenkampf in Deutschland (und zur Geschichte der Ökumenischen Bewegung) hat Andreas Lindt den Briefwechsel zwischen seinem Schwiegervater Alphons Koechlin und George Bell, dem Bischof von Chichester 7, und 1 Andreas Lindt (2.Juli 1920 bis 9. Oktober 1985). Trauerfeier in der Nydegg-Kirche in Bern am 16. Oktober 1985, S. 4. 2 Leonhard Ragaz. Eine Studie zur Geschichte und Theologie des religiösen Sozialismus, Zollikon 1957. 3 Hermann Kutter in seinen Briefen (1883-1931), hg. v. Max Geiger f und Andreas Lindt unter Mitarbeit von Uli Hasler und Frieder Furier, München 1983. 4 Protestanten - Katholiken - Kulturkampf. Studien zur Kirchen- und Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Zürich 1963. 5 Johannes XXIII.: Gestalten der Kirchengeschichte, hg. v. Martin Greschat, Bd. 12, Stuttgart 1985, 297-312. 6 Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch, hg. v. Heiko A. Oberman, Adolf Martin Ritter und Hans-Walter Krumwiede, Bde. IV/1 und 2: Neuzeit, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Hans-Walter Krumwiede, Martin Greschat, Manfred Jacobs und Andreas Lindt, Neukirchen-Vluyn 1979 und 1980. 7 George Bell - Alphons Koechlin. Briefwechsel 1933-1954, hg., eingeleitet und kommentiert von Andreas Lindt, Zürich 1969. 2

schließlich sein Werk «Das Zeitalter des Totalitarismus. Politische Heilslehren und ökumenischer Aufbruch» 8 veröffentlicht. Ein packender Aufsatz über die Auseinandersetzung und schließliche Begegnung zwischen Christian Friedrich Spittler und Wilhelm Martin Leberecht de Wette 9 und ein Essay über Spittlers Gesamtwerk 10 schließlich belegen die Bedeutung, welche Andreas Lindt dem Pietismus und im besonderen der Erweckungsbewegung beigemessen hat. Die drei ersten Themen verbinden sich im Totalitarismusbuch von 1981 zu einem Werk, hinter dem die unverwechselbare Persönlichkeit des Autors erscheint und das zu Recht als ein Vorbild historisch solider, theologisch reflektierter und ansprechender Geschichtsschreibung gilt. Kirchengeschichte, wie Andreas Lindt sie verstanden und betrieben hat, hilft die Vergangenheit mit ihren Belastungen und Chancen besser verstehen und befähigt so zur Orientierung in der Gegenwart und auf die Zukunft hin. Im Hinblick auf seinen Rücktritt hat sich Andreas Lindt bereits mit zwei neuen, großen Projekten befaßt: Als Mitglied der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus hatte er die Verantwortung für den dritten Band eines Handbuches zur Geschichte des Pietismus übernommen, und auf dem Gebiet der kirchlichen Zeitgeschichte hätte er sich den Jahren nach 1945 nun intensiv zuwenden wollen. Wenn es darum geht, diese beiden Projekte weiterzuverfolgen, dann wird der kompetente, engagierte und im Umgang mit Mitarbeitern umsichtige Architekt, der er war, auf Schritt und Tritt fehlen. Andreas Lindt hinterläßt aber mehr als eine schmerzliche Lücke: für das Handbuch ein wohldurchdachtes Konzept und für die Zeitgeschichtsforschung einen Impuls, von dem man sich viel versprechen darf: Ende September noch war er als einladender Veranstalter, Gesprächsleiter und Referent Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Tagung, die unter dem Titel «Die Zeit nach 1945 als Thema kirchlicher Zeitgeschichte» stand und die evangelischen und römisch-katholischen Kommissionen für kirchliche Zeitgeschichte zum ersten Mal zusammengeführt hat. Andreas Lindt hat es in seltener Weise verstanden, zwischen Menschen verschiedener Generationen, Fakultäten, Konfessionen und Nationen Brücken zu bauen. Eben dies trifft auch zu auf 8 9 0 Stuttgart 1981 (Christentum und Gesellschaft 13). C. F. Spittler und W. M. L. de Wette. Zur Begegnung von Erweckungsfrömmigkeit und Universitätstheologie im Basel des 19. Jahrhunderts: Gottesreich und Menschenreich. Ernst Staehelin zum 80. Geburtstag, Basel 1969, 361-384. Christian Friedrich Spittler und Basel: Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus, im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus, hg. v. Martin Brecht, Friedrich de Boor, Klaus Deppermann, Hartmut Lehmann, Andreas Lindt und Johannes Wallmann, Bd. 7-1981: Die Basler Christentumsgesellschaft, Göttingen 1982, 115-127. 3

Otto Erich Strasser Unionsbestrebungen der Reformationszeit, lebendige Beziehungen zwischen dem Protestantismus französischer und deutscher Sprache und ökumenische Gemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten in Gebet, theologischem Austausch und praktischer Solidarität: das waren seine Themen, mit denen er sich in Geschichte und Gegenwart ein Leben lang forschend, predigend, lehrend und schreibend befaßt hat. Daß er in seiner gründlichen, vom Ökumeniker Wilhelm Hadorn angeregten Lizentiatsarbeit «Capitos Beziehungen zu Bern» den Berner Synodus als «Unionsschrift» herausgestellt hat 11, weist bereits in diese Richtung. Auf derselben Linie liegen aber auch die Titel der Beiträge, die er im Verlauf der Jahrzehnte in dieser Zeitschrift hat erscheinen lassen: «Die letzten Anstrengungen der Straßburger Theologen Martin Bucer und Wolfgang Capito, eine Union zwischen den deutschen Lutheranern und den schweizerischen Reformierten herbeizuführen» 12 ; «Antworten von Alexandre Vinet auf kirchliche Fragestellungen unserer Zeit» 13 ; «Der Consensus Tigurinus» 14 ; «Bern am Kreuzweg ökumenischer Begegnung zur Reformationszeit» 15. Leben und Miterleben wiesen die Richtung auch von Otto Erich Strassers Fragen und Forschen. Am 31. Juli 1888 (im Erscheinungsjahr von Nietzsches «Antichrist») in Sigriswil geboren, hat er in Bern, Heidelberg und Montauban Theologie studiert und während seines Frankreichaufenthaltes «den französischen Protestantismus, und zwar in bester evangelisch-hugenottischer Prägung, kennen» 16 und lieben gelernt. Von 1912 bis 1920 wirkte er als Pfarrer unter den Deutschsprachigen der reformierten Kirchgemeinde Pruntrut, von 1920 bis zu seiner Pensionierung an der Berner Friedenskirchgemeinde. Daneben (oder wohl besser: in Verbindung damit) hat er über drei Jahrzehnte hinweg, von 1928 bis 1958, in Bern als Privatdozent und in Neuchätel als außerordentlicher Professor Kirchengeschichte gelehrt. Daß er dabei, wie er einmal freimütig gestand, oft aus zweiter Hand hat leben müssen, ist unter solchen Umständen nicht weiter verwunderlich. Erstaunlich hingegen ist, daß die Bücher und Auf- 11 12 13 14 15 16 4 Leipzig 1928 (Quellen und Abhandlungen zur Schweizerischen Reformationsgeschichte, 2. Serie, Bd. 4). Zwingliana VI (1934/1) 5-15. Zwingliana VI (1935/2) 223-236. Zwingliana IX (1949/1) 1-16. Zwingliana XIII (1971/2) 400-406. Zitat aus dem vom Verstorbenen selbst verfaßten Lebenslauf, den mir Herr Pfarrer Walter Ammann in Bern freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

sätze, die er auch noch geschrieben hat, auf sorgfältigen und ausgedehnten Quellenstudien basieren. Für sein schönes Buch über Alexandre Vinet 17 hat ihm die Lausanner Fakultät den Titel eines theologischen Ehrendoktors verliehen. Otto Erich Strasser hat den Kirchen diesseits und jenseits der Sprach- und Landesgrenzen durch seinen Mittlerdienst viel gegeben. Unermüdlich hat er über das kirchliche Zeitgeschehen hüben und drüben Bericht erstattet und andern mitgeteilt, was er selber als Bereicherung erlebte. Noch einmal neue Weiten haben sich ihm dann in der Ökumenischen Bewegung erschlossen, die ihm in der Gestalt des Lyoner Abbe Paul Couturier, des Begründers der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, und dessen «Oecumenisme spirituel» begegnete. In der Festschrift für Ernst Staehelin hat er in anschaulicher Weise geschildert, wie daraus eine Fratemite bernischer evangelischer und französischer katholischer Theologen entstanden ist, die weder der Zweite Weltkrieg noch kirchenamtliche Rügen zu sprengen vermocht haben 18. Otto Erich Strasser war, als sein Capito-Buch erschien, bereits vierzigjährig. Fast ein halbes Jahrhundert später hat die deutschsprachige Kirchengeschichtsschreibung im Handbuch «Die Kirche in ihrer Geschichte» von ihm auch noch die konzentrierte Summe seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem französischen Protestantismus entgegennehmen dürfen 19. Zwei markante Persönlichkeiten, die sich um die Geschichte der Kirche verdient gemacht haben, sind nicht mehr. Wer sie gekannt hat, wer von ihnen gelernt hat und lernt, wird Andreas Lindt und Otto Erich Strasser in dankbarer Erinnerung behalten 20. Rudolf Dellsperger 17 18 19 20 Alexandre Vinet. Sein Kampf um ein Leben der Freiheit, Erlenbach-Zürich 1946. Aus den Anfängen der ökumenischen Bewegung im Bernbiet: Gottesreich und Menschenreich (Anm. 9) 429-451. Die evangelische Kirche in Frankreich: Die Kirche in ihrer Geschichte (Lieferung M 2), hg. v. Bernd Moeller, Göttingen 1975. Hoffnung der Kirche und Erneuerung der Welt. Beiträge zu den ökumenischen, sozialen und politischen Wirkungen des Pietismus. Festschrift für Andreas Lindt zum 65. Geburtstag am 2.Juli 1985. Unter Mitarbeit von Robert Herren und Hermann Kocherhg.v. Alfred Schindler, RudolfDellsperger und Martin Brecht: Pietismus und Neuzeit (Anm. 10) Bd. 11-1985, Göttingen 1985. - Für Wahrheit und Frieden. Festschrift für Otto Erich Strasser zum 80. Geburtstag am 31. Juli 1968, Bern 1968, zugleich erschienen: Reformatio 17 (1968) 349-408. 5