INTERNATIONALER SOMMERKURS AUGSBURG Industriegeschichte und industriearchäologische Denkmäler Augsburgs Yekatierina Koval (Ukraine) Šimon Piksa (Tschechische Republik) Amarbat Batzul (Mongolei) Ibrahim Halil Yetkingöz (Türkei) Augsburg, den 22. August 2017
Geschichte der Wasserversorgung in Augsburg Dem UNESCO-Welterbe-Bewerber Augsburg ging es nicht immer so gut wie heute. Auf den UNESCO-Weltkulturerbestatus, auf den sich Augsburg aktuell unter dem Titel Wasserbau und Wasserkraft, Trinkwasser und Brunnenkunst bewirbt, hätte die Stadt 1876 nicht hoffen können, da eine Choleraepidemie ausgebrochen war. Laut Nicolas Liebig, Geschäftsführer des Landschaftspflegeverbands Augsburg, war die Seuche aufgrund der schlechten Wasserqualität Augsburgs entstanden. Die städtische Textilindustrie habe zu dieser Epidemie beigetragen und den Lech, den rechten Nebenfluss der Donau, beim Färben mit Abfällen verschmutzt. Dazu komme, dass die Stadt damals keine Möglichkeit gehabt habe, den Einwohnern ein Abwassersystem für öffentliche oder private Toiletten zur Verfügung zu stellen. Nach diesen schlechten Zeiten für das Augsburger Wasser seien Forschungsprojekte durchgeführt worden, um die Hygiene und die Reinheit des Wassers zu gewährleisten. Das Augsburger Wasser sei aufmerksam geprüft worden und es habe sich herausgestellt, dass der Stadtwald über eine hohe Wasserqualität verfügt habe. Nicolas Liebig in seinem Büro. 2
Die Wissenschaftler hätten herausgefunden, dass die Augsburger bereits vor 600 Jahren künstliche Bäche und Kanäle durch die Stadt gelegt hätten, um Trinkwasser daraus zu schöpfen. Vor den Toren der Stadt sei ein Brunnen gebohrt worden und das Wasser sei seit dieser Zeit aus dem Stadtwald genommen und in die Stadt transportiert worden. Herr Liebig erzählte uns zudem, dass die Stadt nicht immer den Zugang zum Stadtwald hatte. Vorher habe die Stadt für dessen Benutzung bezahlen müssen. Erst ab 1972 habe der Stadtwald in seinem vollen Ausmaß zu Augsburg gehört. Heutzutage sei der Stadtwald ein Trinkwasserschutzgebiet. Der Schutz der Fassungsbereiche, also der unmittelbaren Umgebung der Grundwassergewinnungsanlagen, und der Trinkwasserversorgung sei eine der Aufgaben des Landschaftspflegeverbandes, so Herr Liebig. Die Fassungsbereiche müssten von Zäunen geschützt werden, um Verunreinigungen in direkter Nähe zur Entnahmestelle zu verhindern. Es sei für diese Gebiete wichtig, unberührt zu bleiben, damit die Wasserqualität dort ihr hohes Niveau behalte: Das Wasser aus dem Wasserhahn sei in Augsburg immerhin besser als das aus dem Laden. Das Wasser brauche innerhalb der Zäune 50 Tage, um zum Brunnen zu fließen. Währenddessen finde die Selbstreinigung des Wassers statt. Zu Herrn Liebigs Aufgaben gehört auch der Schutz der industriearchäologischen Denkmäler im Stadtwald, bspw. der alten Wasserversorgungs- und Wasserkraftanlagen. Der Wald sei sehr alt und gut geschützt. Die einzige Gefahr für die Denkmäler dort sei, dass sie älter würden und irgendwann eine teure Renovierung bräuchten. Ansonsten seien sie nicht gefährdet. 3
Textilindustrie Wasser war schon immer die Grundlage für die Industrie. Man transportiert damit Güter, gewinnt Energie und Strom, färbt damit Kleidung und benutzt es beim Turbinen- und Maschinenbau. Wie bereits erwähnt, spielte die Textilindustrie eine zentrale Rolle für Augsburg. Der Hauptgrund für ihre Entstehung war das Wasser. Dr. Karl Murr, Leiter des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg, ist sich sicher, dass der Schäfflerbach, der unter dem Turbinenhaus der früheren Textilfirma fließt, das Unternehmen geprägt hat. Damals seien viele Hirten nach Augsburg auf die Lechheiden gekommen, um ihre Tiere zu weiden, deren Wolle unter anderem auch für die Textilproduktion genutzt worden sei. Für den Produktionsprozess nutzten die Augsburger Energie aus Wasser. Das Wasser sei dann zu den Unternehmen geleitet worden, wo es die Spinn-, Spül-, und Webmaschinen antrieb. Diese Wasserkraft alleine habe allerdings nicht ausgereicht, weshalb man später Dampfmaschinen angeschafft habe. Dr. Karl Murr, Leiter des Textilmuseums. 4
Heutzutage seien nur noch zwei Textilfabriken in Betrieb, so Dr. Murr. Die Augsburger Textilindustrie sei also Vergangenheit. Ein Grund: Billige Arbeitskräfte seien irgendwann immer schwieriger zu bekommen gewesen. Hinzu komme, dass die Textilindustrie viele Abfälle habe, die ins Wasser geworfen würden. Nach den deutschen Gesetzen müsse eine starke Reinigung stattfinden, was die Textilfabriken viel Geld koste. Im Ausland sei das nicht so. Wegen des Preisdrucks würden jetzt in Augsburg nur noch Putztücher und Gardinen hergestellt. Zudem gebe es noch einen Konfektionsbetrieb. Industriedenkmäler Augsburg ist über 1.000 Jahre alt und war im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Industriezentrum mit europaweiter Bedeutung. Deshalb hat die Stadt sehr viele Industriedenkmäler. Viele frühere Textilfabriken, wie z.b. das Textilmuseum, seien industriearchäologische Denkmäler geworden, so Dr. Murr. Textilfabriken hätten meist über große Flächen verfügt, die nicht mehr so gewinnbringend genutzt werden konnten. Die Augsburger Textilindustrie musste reagieren. Fritz Neuwinger in der Kälberhalle. 5
Heutzutage vermieten viele frühere Fabriken die Flächen und beschäftigen sich mehr mit dem Immobilienbereich. Die Dierig Textilwerke sind ein Beispiel dafür. Laut Fritz Neuwinger, Betriebswirt und Prokurist der Dierig Textilwerke, habe seine Firma eine Entscheidung treffen müssen, als der Staat aufhörte, die Textilindustrie Deutschlands zu unterstützen, um in der Gewinnzone zu bleiben. Die Produktion sei geschlossen worden und man habe kreativ sein müssen. Man habe viel zu viel leeren Platz gehabt. Also habe sich Dierig neu qualifiziert: Seit dem frühen 20. Jahrhundert sei Dierig auch ein Immobilienverwalter. Die Kälberhalle sei früher ein Schlachthof gewesen, heute sei sie ein Denkmal. Der nebenan fließende Proviantbach habe wegen der Wasserversorgung für die Produktion eine wichtige historische Rolle für die Kälberhalle gespielt. Das Gebäude selbst sei ohne Veränderungen geblieben, es werde von Metallsäulen gestützt und stehe unter Denkmalschutz. Laut Herrn Neuwinger ist das Schlachthof-Areal, das mitten in der Stadt liegt, ein tolles und schickes Gebiet mit günstiger Lage. Es sei kein Wunder, dass so viele Unternehmen auf dem Gelände ihre Büros haben. 2006 sei das ganze Gelände von Dierig gekauft worden. Seit 2011 ist die Kälberhalle an die Brauerei Hasen-Bräu vermietet. Herr Neuwinger gibt an, dass die Brauerei sehr gut in das Gebäude passe, weil sowohl die Kälberhalle als auch die Brauerei eine lange Geschichte hätten. Beide, Hasen-Bräu und Dierig, sind Traditionsunternehmen. Die Brauerei als Mieter habe spezielle Anforderungen: große Wassermengen von hoher Qualität und aus großer Tiefe sowie eine leistungsfähige Energieversorgung. Das Ziel der Dierig Textilwerke GmbH sei es, das Gebäude einerseits zu renovieren, das alte Denkmal andererseits aber zu schützen. Zudem würden die Dierig Textilwerke die Entwicklung ihres eigenen Geschäfts als wichtige Aufgabe betrachten. 6
Industriegeschichte Das Wasser hat nicht nur die Textilindustrie der Stadt geprägt. Die Augsburger Wasserkraft war auch für die Herstellung von Schiffs- und Dieselmotoren, Maschinen, Turbinen und Wasserpumpen entscheidend. Augsburg verfügt nicht nur über viele Seen, Kanäle und Parkanlagen, sondern auch über wichtige Industriebetriebe. Ein Beispiel hierfür ist MAN Diesel & Turbo. Rudolf Diesel sei ein wichtiger Name hier in Augsburg, so Horst Köhler, der ehemalige MAN-Mitarbeiter und Dieselspezialist. Herr Diesel habe viele Jahre gebraucht, bis der Motor gut funktioniert habe. Dies sei aber nicht die einzige Erfindung von MAN Diesel & Turbo gewesen. Zu erwähnen seien auch Druck-, Kühl- und Dampfmaschinen. Kühlmaschinen seien damals aber ganz anders gewesen als heute und hätten nur Eisblöcke produzieren können, so Köhler. Diese Blöcke habe man ziemlich schnell und gut verkaufen können, vor allem im Sommer. Große Geschäfte und Bewohner hätten dieses gefrorene Wasser benutzen wollen. Horst Köhler im Gespräch. 7
Welche Verbindung gibt es aber zwischen Dieselmotoren oder anderen Maschinen und dem Wasser? Laut Herrn Köhler braucht man das Wasser für die Kühlung von Dieselmotoren und andere Maschinen. Es habe früher aber auch Schattenseiten gegeben: Große Maschinen hätten einen schlechten Einfluss auf die Natur gehabt, weil das Wasser nach der Benutzung in Flüsse, Bäche und Kanäle gegossen worden sei, was den Fischen geschadet habe. In der Nähe großer Betriebe habe es also viele tote Fische gegeben. Herr Köhler sagte uns, dass heutzutage oft über Alternativen für PKW-Dieselmotoren gesprochen werde, zum Beispiel Elektromotoren. Allerdings kämen diese Motoren für Schiffe nicht in Frage. Diese würden aber immerhin 95% der Güter transportieren, darunter unter anderem Textilprodukte aus China oder Indien. 8
Schluss Im Laufe unserer Arbeit zum Thema Industriegeschichte und industriearchäologische Denkmäler der Stadt Augsburg konnten wir feststellen, dass das Wasser eine zentrale Rolle in der Stadtgeschichte spielte. Das Wasser im Lech fließt mit hoher Geschwindigkeit, wodurch eine große Energiemenge entsteht. Kanäle und Bäche spielten daher eine besonders wichtige Rolle im Hinblick auf die Stadtindustrie, da sie zum Antrieb von Turbinen, Pumpen und anderen Maschinen benutzt wurden. So waren sie unter anderem entscheidend für den damaligen Erfolg der Augsburger Industrie. Auch heute noch prägen die Industriedenkmäler mit den Kanälen und Bächen in unmittelbarer Nähe das Stadtbild und könnten bald noch tiefer in die Geschichte eingehen, wenn Augsburg das Weltkulturerbe Wasserbau und Wasserkraft, Trinkwasser und Brunnenkunst zuerkannt bekommt alle unsere Interviewpartner schätzen die Chancen Augsburgs auf diesen Titel als sehr realistisch ein und sind positiv gestimmt. Nach dem Interview mit Herr Neuwinger. 9