Beispiel 6: Forschendes Lernen in der Biologie Oliver Planz 1 Beschreibung der Lehrveranstaltung Bei dem hier vorgestellten Konzept handelt es sich um ein vierwöchiges, ganztägiges Laborpraktikum. Die Teilnehmer sollten aus den Studiengängen Biologie oder Biochemie mit einem Schwerpunkt in Immunologie/Zellbiologie kommen. Die Veranstaltung wurde für 6 bis 8 Teilnehmer konzipiert, die sich im Hauptstudium befinden. Im Hinblick auf die Umgestaltung der Studiengänge auf gestufte Studienstrukturen und Modularisierung eignet sich die Veranstaltung sehr gut als Blockmodul im dritten Jahr des Bachelor-Studienganges Biologie oder Biochemie. Die Veranstaltung ist hervorragend geeignet, um forschendes Lernen im Studium zu praktizieren, da die Organisationsform der Veranstaltung sehr eng an relevante wissenschaftliche Fragestellungen des Institutes oder der Arbeitsgruppe gebunden sein kann. Prinzipiell kann eine Problemstellung wie folgt beschrieben werden: Für unsere wissenschaftlichen Untersuchungen im Institut/in der Arbeitsgruppe benötigen wir dringend einen monoklonalen Antikörper, der bisher nicht zur Verfügung steht bzw. nicht kommerziell erhältlich ist. Daher möchten wir mit Ihnen in diesem Praktikum solch einen Antikörper herstellen. Für die Betreuung von 6 bis 8 Teilnehmern werden zeitweise 2 bis 3 Assistenten benötigt. Der personelle Aufwand für die Betreuung des Praktikums ist somit relativ hoch. Allerdings steht dagegen, dass bei erfolgreicher Durchführung des Praktikums monoklonale Antikörper generiert werden können, die für die Forschungsarbeiten im Institut/in der Arbeitsgruppe benötigt werden. Daher ist ein hoher Grad an Motivation der Assistenten bei der Betreuung der Lehrveranstaltung gegeben; die Teilnehmer werden bis zu einem gewissen Maß in die Arbeitsgruppe integriert und nicht als lästiges Anhängsel in einem grauen Pflichtprogramm wahrgenommen, was dem Konzept des forschenden Lernens entgegenstehen würde. Die Hauptaufgabe des Leiters dieser Lehrveranstaltung sollte die didaktische Verknüpfung der einzelnen Abschnitte des Praktikums sein. In den meisten dieser Lehrveranstaltungen wurden erfolgreich monoklonale Antikörper generiert, die teilweise seit Jahren routinemäßig im Labor für Forschungszwecke eingesetzt werden. Dieses Konzept einer Lehrveranstaltung zeigt einen SEITE 34
hohen Synergismus zwischen Forschung und Lehre und unterstützt das Humboldtsche Konzept der Einheit von Forschung und Lehre. 2 Struktur der Lehrveranstaltung Die Kernidee der Veranstaltung ist es, monoklonale Antikörper zu generieren. Die praktischen Tätigkeiten sollen mit theoretischen Einheiten kombiniert werden, so dass den Teilnehmern die theoretischen Grundlagen für ihre praktischen Arbeiten vermittelt werden. In der Einführungseinheit am ersten Tag der Lehrveranstaltung werden die Teilnehmer mit der Problemstellung vertraut gemacht. Bereits in dieser frühen Phase des Praktikums empfiehlt sich ein,theorieblock, der auf den Hintergrund Bezug nimmt, warum gerade gegen das bestimmte Protein ein monoklonaler Antikörper benötigt wird. Weiterhin sollten am ersten Praktikumstag die theoretischen Grundlagen zur Herstellung monoklonaler Antikörper mit den Teilnehmern erarbeitet werden. Hierfür bieten sich verschiedenste didaktische Methoden an. Bereits am zweiten Tag der Lehrveranstaltung sollen die Teilnehmer unter Anleitung Milzzellen mit Hybridomazellen fusionieren. Die Milzzellen wurden aus Mäusen isoliert, die mehrmals mit dem spezifischen Antigen immunisiert wurden. Nach erfolgreicher Fusion dauert es 7 bis 10 Tage, bis Hybridomakulturen wachsen und die Spezifität der sekretierten Antikörper getestet werden kann. In der Folgezeit (3 Tage in der ersten und ca. 3 Tage in der zweiten Woche) werden die Teilnehmer mit den Labormethoden vertraut gemacht. Weiterhin sollten theoretische Grundlagen erarbeitet und verfestigt werden. Für beide Prozesse bietet sich eine Vielzahl didaktischer Methoden an. Wahrscheinlich muss bereits am Ende der zweiten Woche mit dem Testen der Hybridomaüberstände begonnen werden. Als eine geeignete Labormethode bietet sich ein Antigen-spezifischer ELI- SA-Test an. Dieser ermöglicht die Testung einer Vielzahl von Kulturüberständen pro Tag. Weiterhin sind die Western-Blot-Analyse sowie der IgG-Nachweis als biologische Nachweismethoden geeignet. Hybridomakulturen, die in einem der Tests,positiv getestet werden und daher den spezifischen Antikörper sezernieren, werden von den Teilnehmern protokolliert und in größere Kulturgefäße überführt. Diejenigen Kulturen, die zweimal,negativ getestet wurden, werden vernichtet. Am letzten Praktikumstag (vierte Woche, Tag 5) werden die Teilnehmer ihre Ergebnisse im Plenum präsentieren. Das Plenum setzt sich aus dem Leiter der Lehrveranstaltung, den Teilnehmern und den Assistenten/innen zusammen. Insbesondere die Teilnahme der Assistenten/innen kann das Interesse des Instituts bzw. der Arbeitsgruppe an den Ergebnissen der Teilnehmenden der Lehrveranstaltung demonstrieren und unterstützt das Konzept des forschenden Lernens. Die Ergebnisse werden diskutiert und anschließend wird gemeinsam eine Gesamtauswertung aller Ergebnisse durchgeführt. SEITE 35
Tabelle 1: Inhalt und Struktur der Lehrveranstaltung Thema: Form: Zeitraum: Fakultät: Zielgruppe Lernziel: Herstellung monoklonaler Antikörper Laborpraktikum 4 Wochen ganztägig Biologie, Schwerpunkt Immunologie und Zellbiologie 6 Studierende; Hauptstudium Verständnis für die Rolle, Funktion und Herstellung monoklonaler Antikörper Struktur des Laborpraktikums Woche 1 Tag 1 Tag 2 5 Seminar ganztägig Inhalt: Was sind Antikörper? Was ist die biologische Funktion von Antikörpern? Wie werden monoklonale Antikörper (mak.) hergestellt? Literatur zum Thema Problemstellung: Es werden mak. benötigt, die gegen das Protein xy gerichtet sind. Auftrag: Stellen Sie diese in unserem Labor her. Einteilung der Studierenden in 3 Gruppen. Beginn der Experimente. Praktische Arbeiten und theoretische Einheiten im Wechsel. Woche 2 Praxis: Erlernen von Screening-Methoden Woche 3 Praxis: Screening, Auswertung, Dokumentation Woche 4 Tag 1 4 Tag 5 Praxis: Screening, Auswertung, Dokumentation Seminar ganztägig Inhalt: Gruppenpräsentation der Ergebnisse Diskussion der Ergebnisse Zusammenführung der Ergebnisse Gesamtauswertung Reflexion der Lehrveranstaltung SEITE 36
3 Lernziele Die Lernziele dieser Lehrveranstaltung lassen sich in kognitive, psychomotorische und affektive Lernziele unterscheiden (siehe Tabelle 2), wobei die kognitiven Lernziele hauptsächlich durch theoretische Untereinheiten erreicht werden. Es sollte ein besonderer Schwerpunkt auf die Auswahl didaktischer Methoden gelegt werden, um den Teilnehmern auch in diesen Einheiten ein aktives Lernen zu ermöglichen. Die psychomotorischen Lernziele werden durch die praktischen Arbeiten erreicht. Allgemein lässt sich während des vierwöchigen Praktikums eine deutliche Progression der,handwerklichen Fähigkeiten bei den Teilnehmern feststellen, was eine essentielle Voraussetzung für steriles Arbeiten mit Zellkulturen ist. Die affektiven Lernziele werden durch die Kombination der theoretischen Einheiten mit den praktischen Einheiten erreicht. Nur wenn z. B. die Teilnehmer wissen, dass eine bestimmte Substanz ein gewisses Gefahrenpotential besitzt, können sie im Labor damit verantwortungsbewusst umgehen. Tabelle 2: Kognitive, psychomotorische und affektive Lernziele Lernziele Die Teilnehmer sollen. Kognitiv die Grundlagen der humoralen Immunantwort kennen. die Definition von monoklonalen Antikörpern wissen. die Methode zur Herstellung monoklonaler Antikörper beschreiben können. die Methoden zum Screening nennen können. Psychomotorisch eine Fusion durchführen können. die Nachweismethoden praktisch durchführen können. Affektiv lernen im Team zu arbeiten. lernen verantwortungsbewusst im Labor zu arbeiten. SEITE 37
4 Reflexion der Lehrveranstaltung Die Lehrveranstaltung setzt ein gewisses Maß an Planung und Organisation voraus. Während bei den theoretischen Einheiten die Planung im Vordergrund steht, die durch den Leiter der Lehrveranstaltung erfolgen sollte, ist es durchaus möglich, dass die Organisation der praktischen Laborarbeit durch die Assistenten/innen durchgeführt werden kann. Dennoch obliegt dem Leiter die zeitliche Koordination beider Einheiten. Bereits bei der Einführung soll durch die Problemstellung Interesse an dem Thema geweckt werden, da Motivation der Teilnehmer stark zu dem Erfolg der Lehrveranstaltung beitragen kann. Die theoretischen Einheiten, insbesondere in der ersten Woche der Lehrveranstaltung, dienen dazu, dass die Teilnehmer in das Thema einsteigen können. Durch das relativ freie Arbeiten hauptsächlich in der dritten und vierten Praktikumswoche sollen die Teilnehmer lernen, ihre Laborarbeit zu organisieren. Die Rolle der Assistenten/innen ist hierbei eine gezielte Steuerung der Forschungsaufgaben, so dass die Kontrolle gegeben ist und der Freiraum gewährt werden kann. Wie bereits erwähnt, ist die Organisation der Lehrveranstaltung verhältnismäßig aufwendig. Dem muss entgegengestellt werden, dass eine Vielzahl von Lernzielen in dieser Veranstaltung erreicht werden kann. Weiterhin sollte angemerkt werden, dass in den meisten dieser Praktika Antikörper generiert werden, die dem Labor zur Verfügung stehen. Der Nutzen für die Teilnehmer, aber auch für die Durchführenden dieser Lehrveranstaltung überwiegt somit den Aufwand. Diese Lehrveranstaltung umfasst alle Phasen eines Forschungsprozesses: Durch die Problemstellung wird der Forschungsstand gesichtet, die Fragestellung entwikkelt und gleichzeitig das Problem eingegrenzt. Bei der Erstellung des Forschungsplans (Praktikumsplans) können die Lernenden aktiv eingebunden werden. Es werden Methoden gewählt, Untersuchungen durchgeführt und ausgewertet, Erkenntnisse eingeordnet und bewertet, die Ergebnisse dargestellt und interpretiert. Die beschriebene Lehrveranstaltung realisiert somit in relativ umfassender Weise das Konzept des forschenden Lernens. Die Einheit von Forschung und Lehre, ein Ideal der Hochschulbildung, wird durch das dialogische Prinzip und den diskursiven Prozess von Lehren und Lernen während der gesamten Lehrveranstaltung gefördert. Daraus erfolgt, dass die Prozesse der Wissensgewinnung und Wissensvermittlung ineinander übergreifen und sich gegenseitig bedingen. SEITE 38