Gelehrtes Christentum in der Schule: Emanzipation zur individuellen Anverwandlung des Religiösen

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Transkript:

Gelehrtes Christentum in der Schule: Emanzipation zur individuellen Anverwandlung des Religiösen Andreas Feige / Werner Tzscheetzsch 8. März 2005 Vorwort: Zeichen und Wunder Kath. Akademie Stuttgart-Hohenheim im März 2001. Zu einer Tagung in Sachen Religionspädagogik bringt Kollege Werner Tzscheetzsch von der Universität Freiburg die Nachricht mit, dass die Erzdiözese Freiburg die Hälfte der veranschlagten Forschungskosten der von uns geplanten Studie finanzieren wird. Damit ist gesichert, dass auch bei kath. ReligionslehrerInnen Baden-Württembergs jener Fragebogen zum Einsatz kommen kann, der schon in der von Andreas Feige geleiteten Niedersachsen-Studie bei den ev. KollegInnen hochinteressante und für das Thema religiöse Bildung wichtige Ergebnisse erbracht hat. Am Abend des ersten Tages fragen wir den Ausbildungsreferenten der Württembergischen Landeskirche etwas freundlich-provozierend, ob denn auch die Evangelischen mit ins Boot steigen wollten oder es lieber vorzögen, außen vor zu bleiben, wie seinerzeit die kath. Kollegen in Niedersachsen. Diese kleine Stichelei lässt OKR Baur aus Stuttgart natürlich nicht auf sich sitzen, zumal er die niedersächsischen Ergebnisse schon genau studiert hat und um ihre Bedeutung weiß. Nach kurzer Rücksprache mit seinem Kollegen aus der Badischen Landeskirche teilt er mit, dass beide Landeskirchen mit von der Partie sein werden. Am nächsten Tag ist auch die Zusage der Diözese Rottenburg-Stuttgart in trockenen Tüchern. Wohl selten dürfte eine Finanzierung so schnell und unbürokratisch gestanden haben, die gemeinsam von vier Kirchen bzw. Diözesen beider großen christlichen Konfessionen getragen ist - und dies für ein interdisziplinär von Soziologie und Reli- 1

gionspädagogik konzipiertes Forschungsprojekt, das zudem interuniversitär an der TU Braunschweig und der Universität Freiburg beheimatet ist. Wir lernen daraus: Es geschehen auch im Raum kirchlicher Führungsetagen noch Zeichen und Wunder. Und so sind die beiden Projektverantwortlichen den vier Leitern der kirchlichen Schulabteilungen in Baden-Württemberg von Herzen dankbar für ihr Engagement. Sicherlich: Es war kein Aufbruch ins Ungewisse. Wenige Wochen vor dieser Hohenheimer Tagung im März 2001 war in Buchform die Niedersachsen-Studie erschienen. Deren Ergebnisse waren nicht nur in Fachkreisen, sondern auch von den Medien sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen worden. Gleichwohl: Würde es gelingen, das norddeutsch-evangelische Instrument angemessen auch auf den südwestdeutschen Bereich zu übertragen und darüber hinaus auch dem katholischen Raum anzupassen, ohne es im Kern zu verändern? Wie würden die ReligionslehrerInnen reagieren? Sie reagierten überwältigend positiv: Von den knapp über 8.000 Fragebögen, die die ReligionslehrerInnen beider Konfessionen nach statistisch-repräsentativem Schlüssel mit ministerieller Unterstützung über die Schulen des Landes erhalten hatten, kamen rd. 53 % zurück - eine bei sog. postalischen Fragebogenaktionen wahrlich beeindruckende Rücklaufquote! Diese 4.196 Lehrenden haben die umfangreiche Fragensammlung sorgfältig und geduldig ausgefüllt. Nicht wenige sagten hinterher, man habe sich eigentlich zum ersten Mal so richtig konzentriert über all diese Fragen im Zusammenhang Gedanken gemacht. Dass das mit diesem Instrument möglich war, ist vor allem dem Projektbegleitkreis zu danken, der ebenso kreativ wie diszipliniert die Anpassung des Instruments auf die süddeutschen Verhältnisse vorgenommen hat und mit namhaften Vertretern aus Wissenschaft und Praxis bestückt war: Dr. Katja Böhme von der PH Freiburg, Prof. Dr. Bernhard Dressler, Universität Marburg, Frau Studienleiterin Elvira Feil-Götz vom Schuldekanat Ludwigsburg, Prof. Dr. Lothar Kuld, damals noch PH Karlsruhe, jetzt PH Weingarten, Prof. Dr. Hartmut Rupp vom RPI der Badischen Landeskirche in Karlsruhe und PD Dr. Clauß-Peter Sajak von der Schulabteilung des Generalvikariats des Bistums Mainz. Sie haben nicht nur die Fragebogenanpassung mit bearbeitet und danach die Auswertung und Interpretation der Daten durch Andreas Feige aufmerksam-kritisch begleitet. Sie haben auch selber berufsbiographische Tiefeninterviews durchgeführt und fallanalytisch-aufwendig ausgewertet. Die z. T. hochspannend zu lesenden Berufsbiographien werden in einer gesonderten Veröffentlichung zu Be- 2

ginn des Herbstes 2005 dem interessierten Publikum vorgestellt. Auf Bewährtes sollte man zurückgreifen. Schon in der Niedersachsen-Studie war es zu einer fachlich wie kollegial-menschlich wundervollen Zusammenarbeit mit den altvertrauten Kollegen Frau Prof. Dr. Ingrid Lukatis und Prof. Dr. Wolfgang Lukatis vom Pastoralsoziologischen Institut der Ev. Fachhochschule Hannover (jetzt Sozialwissenschaftliches Institut Hannover der EKD) gekommen, die auch damals schon begleitet war von der engen Kooperation mit Michael Schramm, M. A., vom Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig. Alle drei haben auch diesmal wieder mitgetan, alle Berechnungen - und davon gibt es wahrlich viele! - fachmännisch erstellt und geprüft, ob die Interpretationen vom Datenbestand gedeckt sind. Und zum Team ist auch wieder Angela Hennig, Hannover/Dollbergen, zu zählen, die, wie schon für das Niedersachsen-Buch, die Verantwortung für das trefflich gelungene Layout übernommen hat, ebenso wie Dr. Rosemarie Oesselmann, Stolzenau, die die undankbare Aufgabe des Korrekturlesens hatte. Empirische Arbeiten erfordern insbesondere in der sog. Feldphase große Anstrengungen: Drucken, Verschicken, Einsammeln, Daten eingeben. Hier war ein Team von Studierenden der Universität Freiburg tätig, das in Katrin Gergen stets eine kompetente Führung und Ansprechpartnerin hatte. Sie hat auch die zahlreichen Treffen der Projektbegleitungsgruppe immer effizient-lautlos organisiert. Hat sich die dreijährige Anstrengung so vieler ergebnismäßig gelohnt? Darauf wollen die Projektverantwortlichen nicht apodiktisch-sorglos mit einem vorschnellen Ja antworten. Sie wollen das Urteil den LeserInnen dieser Studie überlassen. Freilich bleibt richtig: Mit dieser Studie stellen sie eine kirchlich-konfessionell gemeinsam finanzierte Untersuchung unter Lehrenden beider Konfessionen vor, die in absoluter wissenschaftlicher Unabhängigkeit durchgeführt werden konnte - ein Umstand, den vielleicht so manche andere, von Kirche oder Staat in Auftrag gegebene Untersuchung auch gern für sich realisieren würde. Denn wissenschaftliche Unabhängigkeit ist sachlich sehr vonnöten: Es muss möglichst unverfälscht und ungeschminkt Aufklärung darüber gewonnen werden, was der Fall ist. Das gilt auch und gerade für die Untersuchung einer Berufsgruppe, deren Aufgabe in Kirche und Gesellschaft immer wichtiger wird: Kommt es in den Schulen zu Gewaltakten, wie in Erfurt oder Hildesheim, dann rufen Politiker und Medien unverzüglich nach mehr und besserer Werte-Weitergabe in der Schule, die dort dann sehr schnell an die ReligionslehrerInnen delegiert wird. Und es sind dieselben Lehrerinnen und Lehrer, die heute die Mehrheit der jungen 3

Generationen auf die religiöse Dimension des Menschseins systematisch und professionell ansprechen und aufmerksam machen - jene Mehrheit der Nachwachsenden, die andernfalls mangels vorhandener bzw. nicht wahrgenommener Kontakte mit der Kirche vor Ort dieser Frage nicht mehr in auch kirchlich-konfessionell beheimateter Form begegnen würde. Über die Ziele, Vorstellungen und Einstellungen dieser Berufsgruppe gilt es besonders sorgfältig Kenntnisse zu sammeln, wenn man an einer Weitergabe der Tradition christlichen Denkens und Handelns interessiert ist, die den sich wandelnden Strukturen angemessen ist. Dieses Buch will einen Beitrag dazu leisten. Überblick: Die Highlights der Befragung in Schlagzeilen Wer den Fragebogen ausgefüllt hat, weiß es bereits und auch diejenigen, die nur das Inhaltsverzeichnis dieses Buches studieren, bekommen es anschaulich vorgeführt: Es ist in der pädagogischen Professionsforschung nicht gerade häufig, dass eine Berufsgruppe so gründlich unter die Lupe genommen worden ist, wie dies jetzt mit den ReligionslehrerInnen aus beiden Konfessionen in Baden-Württemberg geschehen ist. Dabei können hier nur die wichtigsten Ergebnisse der statistisch repräsentativen Befragung vorgestellt werden; auf die Präsentation und Einarbeitung der berufsbiographischen Tiefeninterviews muss leider ganz verzichtet werden. 1 Aber für die, die es genauer wissen wollen/müssen, ist vorgesorgt: Mit Erscheinen dieses Buches werden die ausführlichen, nach Konfessionen getrennten Forschungsberichte ins Internet gestellt und können von dort herunter geladen werden: 1 Im Rahmen dieses Forschungsprojektes sind auch 12 berufsbiographische Fallanalysen (neun katholische und drei evangelische Fälle) erstellt worden, die zusammen mit einer religionspädagogischen/religionssoziologischen Analyse im Herbst 2005 als Buch erscheinen werden. Wer sich bereits jetzt mit den faszinierenden Einsichtsmöglichkeiten vertraut machen möchte, die durch diesen qualitativen Forschungszugang speziell zu ReligionslehrerInnen eröffnet werden, der sich zudem spannend liest, sei auf folgende Veröffentlichung aufmerksam gemacht: B. Dressler/A. Feige/A. Schöll (Hg.), Religion - Leben, Lernen, Lehren, Münster 2004. Diesem kleinen Buch liegt eine CD bei, die die vollständigen Fassungen aller 17 seinerzeit in Niedersachsen erstellten Fallanalysen der berufsbezogenen Selbstbeschreibungen ev. ReligionslehrerInnen enthält, die im Rahmen des dortigen Projekts erarbeitet worden waren (vgl. A. Feige u. a., Religion bei ReligionslehrerInnen, Münster 2000). 4

www.rl-studie-baden-wuerttemberg.de Dort sind alle der außerordentlich zahlreichen Berechnungen grafisch und tabellarisch dokumentiert sowie detailliert kommentiert worden. Schlagzeilen sind eine problematische Sache. Dennoch: Bei sorgfältiger Formulierung ist es möglich, die LeserInnen mit den zentralen Informationen darüber zu versorgen, was bei dieser Befragung der ev. und kath. ReligionslehrerInnen Baden- Württembergs (im Folgenden: RL) letztlich herausgekommen ist. Dazu soll der folgende Überblick dienen. WAS SIE WOLLEN: Unterrichtsziele, Gestaltungsvorstellungen, Unterrichtsbelastungen und Fortbildungsinteressen Ein wichtiger Grundbefund: In ihren professionsbezogenen Überzeugungen sind die RL über die Konfessionsgrenzen hinweg charakterisiert durch eine außerordentlich hohe Meinungshomogenität im Blick auf die zahlreichen Einzelfragen. Die Urteilsübereinstimmungen sind selbst bei Vergleichen zwischen den Schulformen noch sehr ausgeprägt. Bei den rd. 10.500 durchgeführten Differenzierungsberechnungen je Konfession gibt es jeweils nur ca. 6 % inhaltlich bedeutsame Abweichungen einzelner Untergruppen (Alter, Geschlecht, Schulstufenzugehörigkeit, Ausbildungsherkunft usw.). Tiefergehende, statistisch komplexe Analysen der bei den Lehrenden untergründig wirkenden Präferenz-Struktur im Blick auf den Gesamtzusammenhang Religionsunterricht in der Öffentlichen Schule können aber aufdecken, dass sich Unterschiede zeigen (können), wenn es um die Frage geht, wofür - im Spiegel des Synchron-Vergleichs zwischen den Gruppierungen - das Herz am meisten schlägt (vgl. den letzten Punkt dieses Überblicks). 1. Welche Unterrichtsziele und Gestaltungsinteressen haben die RL? Ev. und kath. RL wollen die Emanzipation ihrer SchülerInnen zur christlich-religiösen Entfaltung ihrer personalen Existenz fördern: Auf der Basis der Kernvorstellung christlicher Ethik ( Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ) und kognitiv wie emotional fundiert durch eine christliche Grundbildung möchten sie ihren SchülerInnen Bildungs- Angebote machen, die eher weniger zur Schulroutine zu gehören pflegen: 5

auf dem Weg besonderer persönlicher Ansprache Hilfestellungen anbieten für den schwierigen Lernprozess, seine eigene Weltsicht zur Sprache bringen zu können (und zu dürfen); Erarbeitung gemeinsamer Kriterien für die Erschließung von Lebensals Glaubensfragen im Sinne eines Stücks christlich-praktischer Lebensethik. Damit wollen die RL nicht religiöse Emanzipation von etwas, sondern zu etwas unterstützen: Ihre SchülerInnen sollen befähigt und frei werden zur persönlichen Anverwandlung dessen, was ihnen aus der christlichen Tradition dafür zur Verfügung gestellt werden kann. Es geht im RU nicht um religiös-dogmatische Indoktrination, sondern um ein lehrerseits begleitendes Entlassen der SchülerInnen in die Freiheit des Ergebnisses, kurz: um religiöse Bildung. Dort, wo noch alle Kinder in einer Schulform versammelt sind und die soziale Fragmentierung der Gesellschaft noch am geringsten ist, in der Primarstufe, steht die kirchlich-sozialgestaltliche Option in der Unterrichtsgestaltung des RU besonders hoch im Kurs: Bezüge zu gelebter Religion zeigen und praktisch herstellen sowie SchülerInnen in der Kirche beheimaten. Die RL der Sekundarstufen/BBS bevorzugen Zielvorstellungen, die die kognitiv-diskursive Seite des Unterrichtens betonen. Sie sind besonders damit konfrontiert, dass unser Bildungssystem zunehmend von naturwissenschaftlich- szientistischen Verkürzungen bei der Antwort auf die Frage geprägt ist, was der Mensch sei und was die Welt konstituiere. Deshalb versuchen sie die Frage nach Gott wach zu halten als Möglichkeit, wie man sich zur Welt verhalten kann. Dazu setzen sie beim religiös grundsätzlich autonomen, aber gleichwohl bildungsbedürftigen Subjekt an. Lehrinhalte in Richtung betont konfessionell-dogmatischer Prägung werden von Seiten der Mehrheit sehr deutlich nachrangig behandelt. Tiefergehende statistische Analysen können zeigen, worauf es den kath. und ev. RL für ihren komplex verstandenen religiösen Bildungsauftrag ankommt: auf eine traditionsfundierte Orientierung an christlich-biblischer Religion, eine christlich-handlungspraktische Ethik und auf die Ästhetik des Religiösen. Es ist eine Orientierung, die jeweils eine Rückbindung 6

zur konfessionellen Herkunft der SchülerInnen und Lehrenden ermöglicht, diese aber nicht zum dominierenden Faktor werden lässt. Die RL haben Interesse an einem Weg, auf dem sie auf bildende bzw. gebildete Weise als Lehrende religiös kommunikationsfähig werden, weil dieser Kommunikation bereits das Religiöse inhärent ist und zugleich bildungsmäßig explizit bearbeitet werden kann. 2. Fühlen sich die RL besonders belastet? Von Berufsmüdigkeit in Sachen Religionsunterricht kann keine Rede sein: 80 % weisen diesen Gedanken deutlich von sich. Nur 4 % der gesamten ReligionslehrerInnenschaft beider Konfessionen sprechen dem Fach Religion grundsätzlich eine besondere Belastungsqualität zu. Für alle Befragten gilt, dass sich eine Mehrheit von ca. 53 % noch eine Steigerung ihres Stundendeputats im Fach Religion vorstellen kann; dass rd. 25 % der RL es einschränkungslos für möglich halten, auf die Erteilung von Religionsunterricht zu verzichten, wenn sonst in den anderen Fächern Unterrichtsausfall zu erwarten wäre; dass nur knapp ein Drittel der Befragten davon berichten müssen, dass sie auf die Erteilung von Religionsunterrichtsstunden aus Gründen haben verzichten müssen, die nicht in ihrer Person gelegen haben. Konkret-schulinterne Behinderungs-Faktoren dementieren die RL mit Mehrheiten zwischen 80 % und 90 %. Der Religionsunterricht ist also auch schulintern ein akzeptierter Raum, in dem die Chance besteht, die Unvertrautheit der meisten Schülerinnen und Schüler mit der christlich-biblisch fundierten Herkunft unserer Kultur zumindest ansatzweise abzubauen. Das bedeutet: Die ev. und kath. RL in Baden-Württemberg sind in der glücklichen Lage, dass sie ihren Unterricht nicht in einer Situation ständiger Verzichts- bzw. Kürzungsbedrohung erteilen müssen, sondern dass sie in der Geborgenheit ihrer konkreten Schule bzw. der kirchlichen Schulbegleitung unterrichten können. 3. Welche Fortbildungsbedürfnissse haben die RL? 7

Rd. 60 % der LehrerInnen des Faches ev./kath. Religion nehmen an regionalen Fortbildungen teil ( Religionspädagogische Tage ); rd. 50 % mindestens einmal jährlich an zentralen Fortbildungen. Und noch 38 % der kath. und 52 % der ev. RL engagieren sich einmal/mehrmals im Jahr in Religionspädagogischen Arbeitsgemeinschaften, die z. B. von SchuldekanInnen/FachberaterInnen angeboten werden. Die RL erwarten Fortbildungsunterstützung bei der Ausbildung ihrer Lehrbzw. Darstellungskompetenz. Die benötigen sie (a) für die Kommunikation (handlungs-)ethischer Fragestellungen, (b) für die ästhetisch-sinnliche Erschließung von Religiosität sowie (c) für die lebenspraktisch-erfahrungsbezogenen Zugänge zu Geschichten und Personen der Bibel. Mit diesen Fähigkeiten soll den SchülerInnen der Zusammenhang von Religion und Ethik, die Ästhetik des Religiösen und die christentumspraktische Orientierungsfunktion der Bibel vermittelt werden können. 26 % der ev. RL bringen großes bzw. sehr großes Interesse an der Einübung spiritueller Praxis als Thema der Fortbildung auf. Bei den kath. KollegInnen sind es noch einmal deutlich mehr: 36 %! Die damit verbundene Bereitschaft zur diskursiven Bearbeitung des eigenen religiösen Selbstverständnisses ist ein wichtiges Charakteristikum eines nicht nur marginalen Teils der Religionslehrendenschaft beider Konfessionen. Damit stehen für die Fortbildung also nicht allein instrumentelle Fertigkeiten/Fähigkeiten auf der Agenda. Einbezogen ist auch eine Reflexionsebene, auf der die eigene Person zum Thema werden könnte - bei LehrerInnen ein sonst eher seltenes Phänomen. WAS SIE MEINEN: Einstellungen zur konfessionellen Kooperation, zum Verhältnis Kirche-Schule, zu religiösen Praxiselementen in der Schule sowie zu den Aufgaben der Kirche in der Gesellschaft 1. Wie stehen die RL zu Modellen konfessioneller Kooperation? Fakt ist, dass in Baden-Württemberg etwa ein Drittel der Religionsunterricht erteilenden LehrerInnenschaft aus organisatorischen Gründen bereits SchülerInnen beider Konfessionen gemeinsam unterrichtet. Für 93 % gibt 8

es keine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber einer weitergehenden Kooperation mit KollegInnen der anderen Konfession. Einerseits: Es findet sich kein Kooperationsmodell, das bei den Befragten eine überschäumende Begeisterung auslöst. Aber: Auf der Basis eines erkennbaren Interesses an der Bewahrung der eigenen konfessionellen Beheimatung bringen die RL ein Gespür für die Gefahr auf, dass das Thema Religion überhaupt aus dem Schulkanon verschwinden könnte. Deswegen entscheiden sie sich im Zweifel für eine eher allgemein-christliche Variante als dafür, die Gefährdungen des Faches zu ignorieren, die drohen, wenn es unter allen Umständen zur Aufrechterhaltung des status quo kommen soll. Nur ca. ein Viertel der RL meint, es solle und könne bleiben wie es ist. Zugleich wehren sich rd. 86 % gegen die Vorstellung, das Thema Religion könne außerhalb eines spezifischen Fachunterricht-Zuschnitts sozusagen unter andere Themen gemengt werden. Komplexere statistische Analysen können aufdecken: Die professionspolitischen Problemdifferenzierungen zur konfessionellen Kooperationsfrage stimmen zwischen den Lehrenden beider Konfessionen hochgradig überein: Die RL unterscheiden bei ihrer Analyse der angebotenen Modelle zwischen einem eher inter-konfessionellen Akzent des christlichen Religionsunterrichts mit einer Tendenz zu einer gewissen Unschärfe bei der onfessionell-kirchlichen Identität und einem klar bikonfessionellen Kooperations-Akzent des Religionsunterrichts auf der Basis einer eher konfessionell-kirchlich akzentuierten Identität. Und drittens identifizieren sie ein eher allgemein-christliches Inhaltsprofil vom Typ Religion(en) für alle SchülerInnen des Klassenverbandes mit einer dann eher (christlich- )zivil-religiösen Akzentsetzung. Insgesamt finden sich Signale, die für eine pragmatische Weiterentwicklung ökumenisch-konfessioneller Kooperation auf dem Fundament der jeweiligen konfessionell-biographischen Herkunft der ReligionslehrerInnen sprechen. 2. Wie beurteilen die RL das Verhältnis Kirche-Schule? Es zeigt sich ein eindrucksvolles Bild der Zustimmung der RL zur verfassungsrechtlichen Position der Kirchen im Bereich des Schulischen 9

Religionsunterrichts. Die inhaltliche Schulaufsicht wird als ein Element der kirchlichen Unterstützungs-Funktion begriffen. Die herrschaftlichfremdbestimmte Komponente im Begriff der Schulaufsicht erscheint zwar vielleicht nicht als völlig verdrängt, so doch aber nicht betont. Das Verhältnis Kirche - Schule wird insgesamt als ein symbiotischkonstruktives verstanden, das in freundlicher Offenheit praktiziert wird: Die Kirche erscheint den weitaus meisten Lehrenden des Faches Christliche Religion als eine gesellschaftliche Instanz, die sie bei ihren Bemühungen um die religiöse Bildung junger Menschen unterstützen kann, ja unterstützen muss, wenn es ihnen darum geht, den Schülerinnen und Schülern bei ihren Schwierigkeiten zu helfen, unter den heutigen, materiell überwiegend reichen, ansonsten aber massiv anstrengenden Lebensbedingungen ein Leben führen zu können, in dem auch die religiöse Dimension einen Platz haben kann. Eine Instanz, die den RL dabei hilft, empfinden sie weniger als eine Kontroll-Größe, sondern als einen (möglichst verlässlichen) Bundesgenossen: Schulaufsicht als Bollwerk gegen befürchtete Abschaffungs-, zumindest Minimierungstendenzen im Blick auf das Fach im Kanon des schulischen Bildungs-Angebotes. Die kirchliche Beauftragung für den Religionsunterricht (missio/vocatio) wird auch als Aktivität der Qualitätssicherung des Unterrichts begriffen. Sie verhindert, dass jedermann/-frau ohne ein Minimum an religionspädagogischer Qualifizierung in diesem Themenfeld tätig sein darf. Jedenfalls soll nach Meinung der RL ohne eine solche Qualifizierung keine Lehr- Berechtigung von der Kirche erteilt werden. 3. Gibt es religiöse Praxiselemente im Schulleben? In Baden-Württemberg gehört in irgendeiner Form eine religiös-rituelle Feiergestalt zur lebensweltlichen Ausstattung des Schullebens: 90 % berichten davon. (In Niedersachsen sind es demgegenüber 50 %.) Christliche Feste (Weihnachten) und schulische Gelegenheiten (Einschulung, Abschlussfeiern) liegen an der Spitze der Anlässe: Im Blick auf rituellkirchliche Feiergestalten ist Baden-Württembergs Schulleben volkskirchlich geprägt, aber nicht binnenkirchlich oder gar spirituell. Dieser Befund besagt: In den öffentlichen Schulen des Landes wird zumindest ein Teil 10

der SchülerInnen aus den nachwachsenden Generationen mit ästhetischen Eindrücken einer christlich-rituellen Feierkultur bekannt gemacht: SchülerInnen, die ansonsten - möglicherweise selbst an Heiligabend - mehrheitlich außerhalb ihrer Reichweite aufwachsen. Welche Wirksamkeitsfolgen ein solches Erleben im Raum der Schule besitzt, muss offen bleiben, aber es ist wichtig zu sehen, dass es für die nachwachsende Bevölkerung flächendeckend Kontakte zu solchen Symbol-Gelegenheiten christlicher Kultur zumindest in Ansätzen gibt - und dies in den Schulen, nicht in den Kirchen. 4. Welche Aufgaben in der Gesellschaft messen die RL der Kirche zu? Einerseits hat die Kirche eine geistlich-kulturelle Orientierungsfunktion: 90 % der RL sprechen sie ihr zu. Zugleich fordert eine ähnlich hohe Zahl von Befragten - bei den ev. RL von 72 %, bei den kath. RL mit 84 % noch deutlich mehr - zugleich von der Kirche, sie müsse ihre eigenen Traditionen kritischer überprüfen. Insbesondere bei den kath. RL zeigt sich, dass sie das dialektische Problem der Kirche sehr scharf wahrnehmen: religiöser Ort sui generis sein zu sollen und dies zugleich in der Welt tun zu müssen, d. h. in einem osmotischen Austauschprozess von System und Umwelt zu stehen. Die Ebene, auf der nach Auffassung der RL beider Konfessionen diese osmotischen Prozesse stattfinden können sollen, ist die der Lebenspraxis. Dafür muss nach ihrer Auffassung nach neuen Lebensformen gesucht werden. Die aber können ihren Bezug zum Religiositätsraum Kirche nur behalten bzw. gewinnen durch eine kritisch-kreative Gegenwartsöffnung eben desselben Raums. Zugleich signalisieren die RL freilich auch dies: Eine Öffnung in die Welt hinein macht nur Sinn, wenn es eine zugleich lebbare spirituelle Alternative gibt, die in Gestalt eines institutionalisierten Religiositätsraums konkret werden kann. Es ist wohl diese Welt-Wahrnehmung der RL beider Konfessionen, die dazu beiträgt, der Idee eine klare Absage zu erteilen, das Thema Religion könne thematisch in anderen Unterrichtsfächern aufgehen. Es gilt aufmerksam zu sein für die Vorstellung der RL von dem, was heute Spiritualität sei bzw. zu sein habe und aus welcher Kraftquelle sich die 11

für nötig befundenen Orientierungshilfen in die Gesellschaft hinein speisen könnten. Dabei ist Spiritualität heute eine ausgesprochen polyvalente Kategorie. Sie konnotiert weder allein mit einer kritisch-religiositätsoffenen Variante noch ausschließlich mit einer herkömmlichen geistlichen Lesart. In jedem Fall wird für die erfolgreiche Orientierungsaufgabe der Kirche die geistlich-binnensystemische Selbstbeschränkung als der dominante Modus genau nicht für angemessen gehalten. In dieser Diagnose der kirchlichen Aufgaben spiegeln sich, wie in einem Brennglas, die nicht leicht bewältigbaren Kommunikationsanforderungen wider, die ev. und kath. RL im Kontakt mit ihren SchülerInnen zu bewältigen haben. Die damit verbundenen Schwierigkeiten können sicherlich nicht nur unilinear dem Desinteresse der SchülerInnenschaft zugeordnet (um nicht zu sagen: zugeschoben) werden. Vielmehr liegt ein Problem auch und nicht zuletzt in einem massiven Selbstorientierungs-Bedarf des konfessionellen Christentums und seiner theologisch-institutionellen Fundierung begründet. Wo Sie stehen: Elemente christlichen Glaubens und die Haltung zur konfessionellen Akzentsetzung im Unterricht 1. Elemente christlichen Glaubens Der christliche Glaube ist ohne gedankliche Auseinandersetzung nicht möglich, andernfalls bleibt der Glaube leer : 90 % der RL beider Konfessionen sind dieser Auffassung. Bekehrung als Glaubensvoraussetzung wird von einer bei 75 % liegenden Mehrheit in beiden Konfessionen als nicht zu den Profil-Elementen ihres christlichen Glaubens gehörend ausgesondert. Zugleich gilt: Dieser Glaube, der nicht ohne gedankliche Auseinandersetzung zu haben ist, braucht seine soziale Manifestation in Gestalt einer Institution. Christlicher Glaube ohne eine auch sozialgestaltliche Basis wäre nicht begründungs-, d. h. nicht kommunikationsfähig und damit letztlich: nicht existenzfähig. Für die RL beider Konfessionen kann gezeigt werden, durch welches Charakteristikum das christliche Glaubens-Geschehen ihrer Auffassung nach wesentlich getragen wird: von der Vorstellung eines aktiv operierenden (denkenden/sich verhaltenden) Glaubens-Subjekts. Dieses 12

Subjekt ist nicht als abhängige Funktion der Sozialität/Institutionalität zu denken, sondern zur Realisierung seiner Autonomie bedient es sich eben dieser Sozialität/Institutionalität. Es lässt sich freilich auch von ihr - sie zugleich im Blick auf sich kontrollierend - beanspruchen. 2. Konfessionelle Akzentsetzungen im Unterricht? Die ev. RL sind sich in beeindruckender 75 %-Mehrheit einig: Das Anliegen, das sie mit ihrem Religionsunterricht verfolgen, soll von der Einsicht geprägt sein, dass Christen im Verhältnis zu Gott durch nichts und niemanden vertretbar sind. Diese zentrale Akzentsetzung ist (mit etwas abgeschwächten Zustimmungsausprägungen) von weiteren protestantischen essentials begleitet: von Vorstellungen vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, von der Bibel als alleinigem Maßstab, von der unbedingten Wichtigkeit von Kirche und Gemeinde bei gleichzeitiger Nicht-Heilsnotwendigkeit der Institution Kirche sowie von einem persönlichen Verhältnis zu Jesus. Die kath. RL gehen in ihrem Unterricht mit konfessionellen Akzentsetzungen eher etwas zurückhaltend um, insofern die Zustimmungsquoten nur zwischen 50 % und 60 % liegen. Sie sehen den Akzent ihres Religionsunterrichts davon geprägt, dass das Christsein durch ein persönliches Verhältnis zu Jesus bestimmt sein sollte, dass es für Christen ein allgemeines Priestertum aller Gläubigen gibt, durch das sich die Gleichheit aller Christen verwirklichen lässt, dass Gemeinde und Kirche (zwar) für den persönlichen Glauben unbedingt wichtig, aber nicht heilsnotwendig sind, dass Christen in ihrem Verhältnis zu Gott durch nichts und niemanden vertretbar sind und dass kirchliche Feste, Bräuche und Frömmigkeitsformen (z. B. Fronleichnamsprozessionen, Patronats- oder Marienfeste, Buß- und Bettage, Reformationstag) selbstverständlich zum Vollzug des Glaubens gehören. 13

Die institutionelle Prärogative im Status theologischer Wahrheitsansprüche (Papstamt/Unvermeidbarkeit konfessioneller Trennung) wird von den RL beider Konfessionen aus dem Kanon der Akzentuierungen des eigenen Religionsunterrichts überwiegend ausgeschlossen. In ihrem Religionsunterricht müssen sie sehr deutlich hinter jene Grundaussagen zurücktreten, die von beiden christlichen Konfessionen geteilt werden. In der Grundstrukturierung ihrer unterrichtlichen Zielsetzungen stimmen die kath. RL mit ihren ev. KollegInnen weitgehend überein. Unterschiede finden ihre Begründung in der Verwurzelung in spezifischer Konfessionalität. So wird im Vergleich zwischen den Konfessionen deutlich, dass die Existenz der Institution in der Wahrnehmung der kath. RL (nicht gleichzusetzen mit: Zustimmung) stärker bewusstseinspräsent ist. Beispielsweise hat die Aufgabenstellung die Lehrmeinung der Kirche verständlich machen eine ebenso institutionen-orientierte Affirmationsperspektive wie eine theologisch-argumentative Aufgabenfunktion. Für die kath. RL gehört das Ineinanderverwoben-Sein von Theologie als solcher und Theologie in Gestalt eines Lehramtes zum proprium des Katholischen. Anders ausgedrückt: Wahrgenommen (nicht aber automatisch auch: unterstützt) wird die Theologizität des Amtes bzw. die Amtlichkeit von Theologie. Die nach Konfessionen getrennte Faktoren-Analyse vermag deutlich zu machen, dass - unbeschadet der für die Lehrenden beider Konfessionen gemeinsam geltenden SchülerInnen-Orientierung - im kath. Bereich die Gesamtheit der unterrichtlichen Ziele und ihrer Verwirklichungsversuche in einer Weise begriffen wird, die (auch) ein spezifisch katholisches Profil aufweist: Katholisch-religiöses Bildungsbemühen strukturiert sich deutlich stärker erkennbar als bei den ev. KollegInnen durch einen Ansatz, in dem Individualität und Institutionalität nicht nur nicht apart gesetzt, sondern in ihrem - sicherlich auch dialektisch-spannungsvollen - engen Bezug zueinander begriffen werden. Es gibt eine Trias von Individualität, Transzendentalität und Institutionalität im Wahrnehmungsmuster. Bei einer Mehrheit von 85 % der kath. RL zeigt sich eine kritische Haltung gegenüber kirchenamtlichen Versuchen, die derzeitige konfessionelle 14

Trennungssituation als die einzig mögliche Form des Christseins darzustellen. Das verbietet es dieser Mehrheit, ihren Unterricht mit einer solchen Akzent-Setzung zu versehen. Freilich: Zum kritischen Abstand zu dieser Position des katholisch-institutionellen Anspruchs gehört zugleich - und gleichsam dennoch - die lebensweltliche Verankerung der ReligionslehrerInnenschaft im Bereich ihrer Kirche. Sie macht nachvollziehbar, dass es den kath. RL auf eine solche konfessionspolitische Akzentuierung nicht ankommen muss. Vielmehr können sie sich eine Aufgeschlossenheit gegenüber einer konfessionell-ökumenischen Öffnung leisten. Und sie müssen sie sich ihrer Auffassung nach leisten können, denn wesentlicher als alles andere ist für sie die Wahrnehmung der Chance, unter den heutigen Bedingungen im öffentlichen Schulwesen eines religionsneutralen Staates überhaupt christlichen Religionsunterricht erteilen zu können. Wofür das Herz am meisten schlägt: Untergründig wirksame Präferenzen im Gesamtzusammenhang Christlicher Religionsunterricht in der Öffentlichen Schule Für die Beschreibung des in dieser Untersuchung eingesetzten statistischmathematischen Analyseansatzes muss auf den Teil III des nachfolgenden Textes verwiesen werden. An dieser Stelle ist wichtig zu wissen, dass es sich bei den folgenden Ergebnissen nicht um ein entweder-oder, sondern um ein eher mehr dies als das handelt - Haltungen, die permanent auch unsere Alltagsentscheidungen prägen. Unter der Frage Was ist den RL am relativ wichtigsten? gilt: Den Frauen unter den RL geht es mit ihren Unterrichtszielen allererst (aber eben, wie gesagt, nicht ausschließlich) um die Öffnung für christlich(-kirchliche) Religion/Religiosität und um die Dimension der Selbstfindung und Persönlichkeitsförderung ihrer SchülerInnen. Demgegenüber spielen - im Unterschied zu den männlichen Kollegen - die Unterrichtszielfaktoren Aufschließung für eine allgemeine Religiositätsdimension oder gar die kritisch-konstruktive Diskussion von Lehrtraditionen eine relativ nachgeordnete Rolle. Während also den Frauen unter den Religionslehrenden beider Konfessionen allererst eine anthropozentrische Orientierung mit sozial- und sakralkultureller Verankerung am Herzen liegt, fühlen 15

sich die Männer eher der theologisch-lehrmäßig unterfütterten und institutionenbezogenen kognitiven Aufmerksamkeit für die anthropologische Grundkonstante des Religiösen im Menschen als Motiv ihrer Bildungs-Anstrengungen am nächsten. In einer Super-Dimensionen-Analyse sind die angestellten Faktorenanalysen ihrerseits noch einmal einer Bündelung unterzogen worden. Dadurch sind die Bausteine des Gesamtkonzepts RU erfassbar geworden. Unterzieht man nun auch diese Bausteine einer synchronen Präferenzen-Analyse, dann ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Schulformen-Differenzierung u. a. folgende Ergebnisse: Die an der Primarstufe unterrichtenden RL fungieren allererst als eine Art Wegweiser- bzw. Hinführungs-Instanz in Richtung auf eine Religion/Religiosität, deren alltagspraktische Lebbarkeit den SchülerInnen besonders auf der Ebene kirchlicher Sozialgestalt bekannt gemacht werden soll, um sie dadurch mit einem kulturpraktisch-religiösen Basisvokabular zu versorgen - ein Vokabular, das ihnen in ihrer Lebenswelt heute nicht mehr selbstverständlich zuwächst bzw. ganzheitlich zur Verfügung steht. Demgegenüber kennzeichnet die KollegInnen der BBS die Intention, die SchülerInnen für die im Menschen per se angelegte allgemeine Religiositätsdimension sensibel zu machen bzw. dafür zu öffnen. In den Sekundarstufen des Gymnasiums und in der Realschule dominiert die Intention der Sensibilisierung für Dimensionen des Religiösen in Verknüpfung mit diesbezüglich theologisch formuliertem Wissen. Für die KollegInnen der Hauptschule sowie Förder-/Sonderschule geht es allererst darum, die Persönlichkeit der ihnen anvertrauten SchülerInnen zu bilden, sie bei ihren Selbstfindungs- und Persönlichkeitsbildungsprozessen zu fördern und dabei eher nicht auf konfessionsspezifische Schwerpunktsetzungen zu achten. Als nicht-geweihter/nicht-ordinierter Lehrender des Themas Religion möchte man seinen SchülerInnen erst einmal jenseits der konfessionellen Deklinationen und im Bewusstsein der kultur- und politikprägenden Kraft sozial-religiöser Praxis einen Umgang mit Religion ermöglichen, mittels dessen die SchülerInnen 16

ihre Chance erhöhen können, sich als Person wahrnehmen und damit auch in Relation zum Nächsten einordnen zu können. Im Vergleich dazu sehen sich etwa die kath. Priester im Schuldienst ganz besonders - aber auch, weniger ausgeprägt, die ev. GemeindepfarrerInnen - am ehesten von dem Bestreben getragen, den SchülerInnen die Transzendenz-Dimension ihrer Existenz zu verdeutlichen und dabei auf die Sozial- und Sakralgestalt von Religion mit ihrem Vorrat an Symbolsprache zu verweisen. Verknüpft man statistisch-analytisch den Professionsaspekt einer konfessionellen Akzentsetzung im Unterricht mit dem allgemeinen Gesichtspunkt der persönlich-privaten Einstellung zur konfessionellen Trennungslage, dann zeigt sich, dass das Potenzial in Richtung auf eine konfessionelle Identität der Religionslehrendenschaft beider Konfessionen in Baden-Württemberg größer und stabiler ist, als es für sich gesehen die Zustimmungsverteilung auf die Frage nach Alternativen zur konfessionellen Trennung vermuten lassen könnte. Pointiert formuliert: Der Professionalitätsraum Schule formt einen schuleigenen Umgang mit Religion, der sehr stark von der Situation der SchülerInnen her denkt und auf sie weniger mit konfessionsspezifischen als vielmehr mit allgemeinchristentumskulturellen Angeboten reagiert. Wenn aber auch die personale Identität des Lehrenden stärker im Blickpunkt steht, dann zeigen sich konfessionelle Verwurzelungen, die im Hintergrund bleiben, wenn man sich allein auf die professionelle Selbstkonturierung der Lehrenden konzentriert. Beides aber ist nachweislich vorhanden. Das bedeutet: Im professionspraktischen Selbstentwurf der ReligionslehrerInnen beider Konfessionen werden die professionelle und die privat-persönliche Sphäre getrennt. Im Bereich der ev. RL bilden sich auf der hier zugrunde liegenden, nochmals verdichtenden Bündelungsebene die Positionen zur konfessionellen Trennung eher etwas profilunscharf ab. Das kann als Ausdruck der Freiheit verstanden werden, seine protestantische Christlichkeit nicht immer auch konfessionell-institutionell affirmieren zu müssen - eben weil dies protestantismusfremd wäre. Für den kath. Bereich dagegen zeigen die gefundenen Relationierungen eine eher zirkuläre Begründungsfigur: Es ist katholisch zu unterrichten, weil es nicht anders geht, als katholisch zu unterrichten. Das ist eine selbstreflexive Legitimationsstruktur und vielleicht liegt gerade darin ihre Pointe, bzw. in dieser Pointe die Wirk- 17

samkeit im Sinne eines hermetisch abgeschlossenen Begründungszirkels. Der ist davon geprägt, dass man nicht über ihn nachdenkt. Wenn damit etwas Richtiges beschrieben sein sollte, bedeutete es, dass die katholische ReligionslehrerInnenschaft Baden-Württembergs in einer wichtigen Frage am ehesten durch Nähe oder eben Distanz zu diesem Zirkel-Schluss zu differenzieren ist. Der sich ergebende Quotient des Verhältnisses zwischen (a) denjenigen, die die konfessionelle Akzentsetzung vornehmen wollen und (b) denjenigen, die genau dazu das Gegenüber bilden und kein in beiden Fragen konsistentes Verhalten zeigen, könnte als Ausdruck für das Ausmaß der Selbstverständlichkeit/Nicht- Selbstverständlichkeit und damit der Hinterfragbarkeit/Nicht-Hinterfragbarkeit konfessioneller Beheimatung im Kreis der kath. RL verstanden werden. Als empirischer Befund wäre dann zu konstatieren, dass bei den vorliegenden Daten für den etwas größeren Teil der katholischen Religionslehrendenschaft Baden- Württembergs (57 %), der hier konsistentes Verhalten an den Tag legt, von solch kulturell-konfessioneller Selbstverständlichkeit im Sinne einer selbstreflexivzirkulären Begründungsstruktur nicht (mehr?) gesprochen werden kann. 1 Ausblick: Christlicher Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen eines religionsneutralen Staates: Worauf kommt es dabei den ReligionslehrerInnen heute an? Verunsicherungsmomente der Gesellschaft sind sowohl offen sichtbar als auch versteckt gelagert: Ängste vor Hartz IV und einer finanziell kaum noch abgesichert erscheinenden Altersphase sind im Jahr 2005 für jeden offenkundig. Demgegenüber zählen zu den Indikatoren einer eher untergründigen Verunsicherung die Debatte um die Aufnahme der Türkei in die EU oder der sog. Kopftuchstreit. Dadurch wird nämlich die Frage virulent - d. h.: sie bleibt diffus und ist nur gefühlsgebettet wahrnehmbar -, was uns Europäer eigentlich ausmache. Das bewegt die Bevölkerung intensiver als die Frage, ob der Begriff Gott explizit in der künftigen EU-Verfassung auftauchen soll. Hat das alles etwas mit dem Thema der Befragung zu tun, die man ja auch mit dem 18

Titel versehen kann: Christlicher Religionsunterricht im religionsneutralen Staat? Die angesprochenen Spannungspunkte verdeutlichen es: Wie ist es zusammen zu denken, dass wir uns - wenn auch nur gespiegelt über solche Streitpunkte wie das Kopftuch - unserer europäisch-christlichen Identität zu versichern versuchen und zugleich die Frage nach der Platzierung des Gottesbegriffs den Europa-Politikern und juristischen Fachleuten überlassen? Haben wir vielleicht eine christlich-religiöse Identität, aber kein christlich-konfessionelles Profil? Und: Wie öffnen wir uns auch kulturell der Globalisierung, ohne das zu verlieren, von dem wir jetzt langsam wieder zu entdecken scheinen, dass wir es überhaupt besitzen? Diese Fragen waren in der Vergangenheit in Deutschland häufig genug verdeckt durch die Fokussierung auf die These von der Entchristlichung und Säkularisierung Europas. Diese meinte man besonders durch den Hinweis auf Kirchenaustritte und Gottesdienstbesucherzahlen belegen zu können. Die derzeit behauptete Krisensituation der beiden christlichen Großkirchen in Deutschland ist aber allererst den Folgen der Steuerreform und der Veränderung der Alterspyramide und dann erst den Kirchenaustrittszahlen zuzurechnen. Gleichwohl wird in der kirchlich-politischen Öffentlichkeit zuerst gefragt, warum die Leute aus der Kirche austreten statt danach, was so viele bewegt, diesen Schritt trotz winkender finanzieller Ersparnis nicht zu tun? Diese Fragen sind für Staat und Kirche gleichermaßen relevant. Wenn an Öffentlichen Schulen wie etwa in Erfurt 2002 oder an einer Berufsschule in Hildesheim Gewalt ausbricht, oder wenn Katastrophen wie die von Eschede und vom nineeleven von buchstäblich fassungslos gewordenen SchülerInnen nicht allein verarbeitet werden können und es den meisten an Ausdrucksformen für ihre Empfindungen fehlt, dann wird von allen Seiten schnell nach mehr und besserer Werte-Weitergabe gerufen. In den Schulen reichen die meisten dann gern ( zuständigkeitshalber ) diese Frage an die KollegInnen weiter, die Religionsunterricht erteilen. Dadurch wird offenkundig, dass funktional-faktisch der RU weit mehr ist als die kognitive Wissensvermittlung in Sachen des Traditionsgutes Religion. Deutlich wird durch diese in der Schule aufbrechenden Bedürfnisse und internen Funktionszuweisungen vor allem dies: Bildung ist in der Öffentlichen Schule auch in dieser Hinsicht - und nicht nur aus wissenschaftstheoretischen Gründen - in ihrem Kern nicht ohne ihre religiöse Komponente zu begreifen bzw. zu bestimmen. Und für die Kirche stellt sich die Frage, ob es möglich ist, bei ihren Untersuchungen der Kirchenmitgliedschaft und der Bedingungen ihrer Möglichkeit den Umstand 19

weitgehend auszublenden, dass die Zahl der Stunden, in denen SchülerInnen heute mit dem Thema Religion im Rahmen des Schulischen Religionsunterrichts befasst sind (in welcher Weise auch immer), weitaus höher ist, als jene, in denen es um (Bildungs- )Kontakte im Sakralraum Kirche oder im Beziehungsraum Gemeinde geht. Auch wenn es bei der jetzigen Datenlage aus methodologischen Gründen nicht verlässlich genug belegt werden kann: Es spricht nicht wenig dafür, dass die Entscheidung über die Beibehaltung der Mitgliedschaft in einer der beiden christlichen Großkirchen mit davon abhängt, inwieweit das Thema Religion (sorgfältig zu unterscheiden von Kirche ) ein mehr oder weniger durch stetigen Schulunterricht selbstverständliches Lebensweltelement (geblieben) ist. Jedenfalls ist in der kommerziellen Werbung die tief emotionale Qualität des Religiösen hinreichend bekannt und wird von ihr mit Bezügen auf das christliche Symbolreservoir und auf christliche Moralstandards erfolgreich instrumentalisiert. Das gelingt ihr nur, weil sie auf Kenntnisse und Urteilskriterien, zumindest aber auf Anmutungen Bezug nehmen kann, die irgendwo/irgendwann vermittelt worden sein müssen. Es spricht eher wenig dafür, dass das für die meisten der Binnenraum der Kirche(n) gewesen ist. Solche Einsichten ergeben sich zwar nicht durch eine berufsbezogene Befragung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Wohl aber wird dadurch deutlich, wie sich die Lehrenden verstehen, was ihnen am Herzen liegt und mit welchen pädagogisch professionellen Mitteln sie arbeiten wollen. Von den durch die Untersuchungen in Baden-Württemberg und Niedersachsen erhobenen Befunden erscheinen für die Frage der christlichen Herkunftspflege die folgenden von sicherlich großer Bedeutung: die Präferenz der Primarstufen-LehrerInnen, als eine Art Wegweiser- und Hinführungsinstanz zu einer kirchlichen Sozialgestalt des Religiösen fungieren zu wollen, um die SchülerInnen mit einem kulturpraktisch-religiösen Basisvokabular auszustatten und damit zumindest in Ansätzen eine sozial- und sakralkulturelle Verankerung des Religiösen zu versuchen; das Interesse an einer stabilen, aber auch überzeugungspflichtigen Institution Kirche, deren dialektisches Problem der Positioniertheit inner- und außerhalb von Gesellschaft anerkannt wird und für dessen Bearbeitung die RL auf die Entwicklung einer angemessen-gegenwartsoffenen Spiritualität verweisen; das starke Fortbildungsengagement, durch das überdies belegt wird, dass die 20

Kirche nicht als eine Kontroll-, sondern als Unterstützungsinstanz wahrgenommen wird. Diese Punkte sind zweifellos von hoher Relevanz für die Frage, welche Funktion die RL im Prozess der Erhaltung einer kulturell-gesellschaftlichen Religiositätstradition spielen. Diese Tradition muss sich, bewirkt durch die nun auch den Einzelnen direkt treffende Globalisierung, heute mitten in der Gesellschaft - und nicht nur an ihren Rändern - in Beziehung setzen zu anderen Mustern politischer und religiöser Weltwahrnehmung und Problemverarbeitung: Multikulti ist heute in den Primarstufen Deutschlands kein feuilletonistisches Modewort, sondern lebensweltlicher Alltag. So funktionell wichtig also die vorgenannten Punkte sind, so liegt doch die wichtigste Erkenntnis dieser Untersuchung in Folgendem: Der zentrale Punkt der Selbstpositionierung der RL im zunehmend poly-ethnisch strukturierten Funktionsraum Gesellschaft ist das Interesse der RL beider Konfessionen an einer religiösen Emanzipation der SchülerInnen nicht von etwas - etwa von Repression -, sondern zu etwas : nämlich zur persönlich-autonomen Anverwandlung dessen, was ihnen von der Botschaft des Christlichen angeboten wird. In theologischer Formulierung: Das ist die nur in der Dimension von glauben zu formulierende Zusage ihrer in Christus Jesus grundgelegten Gerechtfertigtheit vor Gott. Das Entscheidende der religionspädagogischen Bildungsintention des Schulischen RU ist dabei, diese Zusage gerade nicht in einem Indikativ zu formulieren, der heute allein als naturwissenschaftlichbeweispflichtig gehört wird, was oft, nicht nur bei Jugendlichen, dazu führt, dass diese Zusage bei Nicht-Annahme gar als Drohung gegenüber dem ( verstockten ) Individuum aufgefasst wird. Entscheidend ist also der Ansatz, durch professionelle, d. h. vor allem schulstufenspezifisch angemessen kommunizierte religiöse Bildung den Prozess der Anverwandlung anstoßen zu wollen und dabei zu wissen, dass kein Mensch und keine Institution für dessen Erfolg/Nichterfolg verantwortlich gemacht werden kann. Dieser von den RL in Baden-Württemberg wie in Niedersachsen (und sicherlich auch anderswo in Deutschland) eindeutig bevorzugte Ansatz ist bildungstheoretisch ein holistischer. Das meint: Er berücksichtigt pädagogisch-handlungspraktisch die Bedingungen der zweiten Moderne, in der die von Max Weber vor 100 Jahren diagnostizierte Entzauberung ihrerseits entzaubert wird. Denn Fakt ist: Es gibt den uns immer stärker bewusst werdenden Verlust einer funktionierenden Allgemeinbildung. Er wird bewirkt von den weiter anwachsenden Ausdifferenzierungen der gesellschaftlichen For- 21

mationen und der zunehmend disparaten bzw. inkompatiblen Wissensgebiete. Deshalb muss es darauf ankommen, den SchülerInnen zu helfen, in dieser ihnen desintegriert erscheinenden Welt durch einen religiös formulierten Rückbezug auf sich selbst ein einigermaßen kohärentes Muster gelingenden Lebens entwerfen zu können. Nach Auffassung der RL kann das nur ein Muster sein, das diese Desintegriertheit nicht leugnet und nicht zu unterlaufen versucht. Das bedeutet: Es soll eben genau nicht eine religiöse Vereinnahmung des Subjekts und damit eine neue Verzauberung versucht werden - etwa mit Hilfe fundamentalistisch-aktivistischer Bewusstseinsvernebelung USamerikanisch-evangelikaler Provenienz oder pfingstlerisch-katholisierender Attitüde. Der von den RL favorisierte Ansatz meint nicht die Etablierung einer religiösen SuperInstanz (in institutionalisierter und/oder dogmatisierter Gestalt). Vielmehr vermag der angestrebte religiös-individuell zu gestaltende Versuch zur Zusammenbestehbarkeit des Handelns in einer desintegriert erscheinenden Welt (V. Drehsen) nach Auffassung von 95 % der RL nicht durch einen Bekehrungsakt erreicht werden, sondern allererst durch gedankliche Auseinandersetzung, ohne die der Glaube leer bliebe. Dabei wird durch diese Gedankenaktivität die Dimension der Hoffnung keineswegs ausgeschlossen. Für die so verstandene religiöse Bildung, die sowohl auf christliche Individualität setzt als auch die Individualisierungsentwicklung respektiert, wird nicht etwa ( nur ) deswegen auf das Christentum zurückgegriffen, weil nun mal eine andere Kulturkulisse nicht zu Hand ist. Vielmehr zeigen die Verknüpfungen, die die RL beider Konfessionen zwischen den verschiedenen Ebenen ihres Handelns vornehmen, dies: Es sind die Kerngedanken des Christlichen - die Nächstenliebe und der geglaubte Gedanke der grundlosen Gerechtfertigtheit vor Gott -, die die RL zum Versuch motivieren, ihre SchülerInnen zu etwas (und nicht von etwas ) zu emanzipieren. Das tun sie in der Kontrolle der gesellschaftlicher Öffentlichkeit, nämlich in der Schule - und nicht, wie so manche Koranschule, in der Heimlichkeit von Hinterhöfen. In dieser Gestalt der zivilgesellschaftlich getragenen Religion nach der Aufklärung (Lübbe) tragen sie auf eine Weise, die den Menschen der europäischen Moderne heute wohl am ehesten angemessen ist, dazu bei, dass die nachwachsenden Generationen zumindest untergründig-gefühlsmäßig wissen, was sie zu christlichen Europäern macht, denen eine fundamentalistische Verkennung - weil Vereinfachung - der Welt als für ihr Leben unauthentisch erscheint. Und: Dieser Prozess christlicher Aufklärung über Möglichkeiten des Verhaltens zum Unverfügbaren (Kambartel/Lübbe) ist begleitet von 22