Impulse: Männer und Sucht



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Transkript:

Impulse: Männer und Sucht Erarbeitet von der Arbeitsgruppe Männerspezifische Suchtarbeit der Fachgruppe Gender und Sucht NRW Herausgeberin: Fachbereich Gender und Sucht November 2012

Inhalt Präambel I Männerspezifische Suchtarbeit: ein Gewinn für alle! Peter Bockholdt I Vater Dr. Klaus Höher I Männerfreundschaften eine beachtenswerte Ressource Dr. Arnulf Vosshagen I Sucht beeinflusst Männersexualität Doris Heinzen-Voß I Psychotherapie mit (suchtkranken) Männern Karola Ludwig I Männer Trauma Sucht Hans-Joachim Lenz I Männer als Opfer von Gewalt

Präambel Männerspezifische Suchtarbeit: ein Gewinn für alle! Männerspezifische Suchtarbeit bedarf als erstes eines kritisch-solidarischen Blicks auf die Männer. Lange Zeit wurde die Suchtmittelabhängigkeit von Männern in ihrer spezifischen Genese, ihrem Verlauf und ihrer therapeutischen Ansprechbarkeit - auf dem Hintergrund des persönlichen und gesellschaftlichen Männerbildes - in Therapie und Forschung wenig beachtet. und stellen traditionelle Männerbilder in Frage. Trotz dieser Veränderungen sind männliche Rolle und Identität geprägt von folgenden Faktoren: Das Phänomen Sucht wurde bis in die jüngste Zeit hinein unabhängig vom Geschlecht betrachtet. Der Genderaspekt fand im Zusammenhang zwischen Frausein und Sucht zunehmend Beachtung, was u. a. zu großen Fortschritten in der differenzierten therapeutischen Arbeit beigetragen hat. Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen den verinnerlichten vorherrschenden männlichen Normen und gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen bei Männern, zu denen auch der Suchtmittelkonsum gehört. Insofern ist der problematische Konsum psychoaktiver Substanzen bei vielen Männern als Ausdruck ihres männlichen Rollenverständnisses zu verstehen. Die Abhängigkeit von Drogen und Alkohol ist bei Männern eng mit der sozialen Konstruktion von Maskulinität verbunden. Doing gender with drugs... heißt für Männer, dass der riskante Umgang mit Suchtmitteln zur Demonstration von Stärke, Unabhängigkeit und der kurzfristigen Bewältigung unangenehmer Gefühle und Erlebnisse dient. Gleichzeitig lösen gesellschaftliche Veränderungen traditionelle Bezugsrahmen auf Demonstration von Stärke und Risikobereitschaft, ohne Angst zu zeigen Sozialer und symbolischer Ausdruck dieser Stärke durch Rauchen, Alkoholkonsum, Imponiergehabe (z. B. riskantes Verhalten im Straßenverkehr), körperliche Fitness Keine Schwächen zeigen: Beschwerden oder Krankheiten (= Schwächen) ignorieren, abwehren, keine Hilfe suchen, Probleme zudecken (Drogen) Illusion der Unverwundbarkeit Hohe Bedeutung von Arbeit, Leistungsfähigkeit und Status bei geringer Wahrnehmung von körperlichen und psychischen Belastungen Soziale Konkurrenz, Leistungsstreben im sozialen Vergleich, hohe Belastungen und fehlende Unterstützung Impulse: Männer und Sucht Seite 3

Fortsetzung... Große Bedeutung körperlicher Stärke und sexueller Potenz sowie körperlichmännlicher Attraktivität (Muskeln) und Jugendlichkeit Defizite im emotionalen Bereich: Emotionen als Warnsignale fehlen (Angst vor Risiken, Vertrauen und Zuneigung als Basis von emotionaler Unterstützung) Hohe Gefährdung, wenn zentrale Bereiche scheitern, die für Männer von hoher Bedeutung sind (z. B. durch Arbeitslosigkeit, ausbleibenden beruflichen Aufstieg, Krankheit, Scheidung, Alterungsprozesse) Riskante Bewältigung von Verlusterfahrungen: oft radikale und aggressive Muster, die zu Grunde liegende Motive nicht thematisieren Gewinn von Identität über Abgrenzung von anderen Wird Männlichkeit so verstanden, ist sie eher kontraproduktiv für ein gesundes Leben. Mit einer männerspezifischen Suchtarbeit sehen wir die Möglichkeit, Alternativen zu herkömmlichen Männerbildern aufzuzeigen und so einen Beitrag zur Erweiterung der Beziehungs- und Lebensgestaltung und der Gesundheit von Männern zu leisten. Um eine passgenaue, individuelle therapeutische Arbeit mit Männern durchführen zu können, sind die genderbezogenen Variablen männlicher Substanzabhängigkeit im Behandlungsprozess zu berücksichtigen. Erste Vorschläge zur Implementierung solcher Ansätze liegen vor und bedürfen der empirischen Fundierung. Literatur: Faltermaier, Anton (2009): Männliche Identität und Gesundheit. Vortrag im Rahmen des BZgA-Fachforums Männergesundheit, Köln Jacob, Jutta / Stöver, Heino (Hrsg.) (2006): Sucht und Männlichkeiten. Entwicklungen in Theorie und Praxis der Suchtarbeit. Wiesbaden Landschaftsverband Westfalen-Lippe (2010) (Hrsg.) (Autoren: Peter Bockholdt, Dr. Heino Stöver, Dr. Arnulf Vosshagen): Männlichkeiten und Sucht. Handbuch für die Praxis. Münster Impulse: Männer und Sucht Seite 4

Peter Bockholdt Vater Der Vater ist für jeden Mann die erste männliche Bezugsperson. Biografisch setzt er mit seiner Geburt die männliche Reihe seiner Vorfahren fort bestätigen Untersuchungen, dass ein Drittel der alkoholabhängigen Männer einen alkoholabhängigen Vater hatten/haben. Die Vaterentbehrung und sehnsucht ist bei suchtkranken Männern noch ausgeprägter als bei Männern, die nicht aus suchtbelasteten Familien stammen. Geprägt durch das selbst erfahrene Rollenvorbild des Vaters ist auch die Wahrnehmung der eigenen Vaterrolle. Die Entscheidung fällt zwischen der Variante, es genauso zu machen wie der Vater oder für eine genau gegenteilige Erziehungsform. Väter sind bedeutsam für die gesunde Ausprägung einer männlichen Identität und kann davon ausgehen, dass er Anteile seines Vaters in sich hat. Übernimmt der Vater verantwortlich seine Vaterrolle, prägt er maßgeblich die Entwicklung einer männlichen Identität und fördert geschlechtsrollenspezifische Verhaltensweisen. Die damit beschriebene Bedeutung des Vaters für die Sozialisation des Jungen wird in der aktuellen Männerforschung bestätigt. Gleichzeitig zeigen die Untersuchungen, dass bei nicht angemessener Übernahme der Vaterrolle oder bei Abwesenheit des Vaters gravierende Folgen in der Entwicklung von Jungen entstehen. Diese zeigen sich u.a. in psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten, Suchtmittelkonsum. Auch kriminell auffälligen Jungen und jungen Erwachsenen fehlt in ihrer Biografie häufig der Vater. Insbesondere im Bereich der Suchterkrankungen Da inzwischen die Bedeutung der Väter für eine gesunde Ausprägung einer männlichen Identität durch entsprechende Untersuchungen bestätigt wird und gleichzeitig auch nachgewiesen wird, dass Väter ebenso wie Mütter alle notwenigen erzieherischen und emotionalen Erfordernisse für die Entwicklung ihrer Kinder einsetzen können, wird es heute immer wichtiger, entsprechende politische Vorgaben zu schaffen, die dem Vater die Möglichkeiten eröffnen, seine Vaterrolle einzunehmen (Vereinbarkeit von Beruf und Familie). Literatur: Rohr, Richard / Fthenakis, Wasilios E. u.a. (2008): Vater, Sohn und Männlichkeit Wie der Mann zum Mann wird. Kevelaer Hollstein, Walter (2001): Potent werden. Das Handbuch für Männer. Bern Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005): Monitor Familiendemografie, Ausgabe Nr.3: Väter und Vaterbilder in Deutschland Impulse: Männer und Sucht Seite 5

Dr. Klaus Höher Männerfreundschaften eine beachtenswerte Ressource Neuere Untersuchungen der qualitativ empirischen Sozialforschung zeigen, dass Männerfreundschaften eine vielseitige Ressource sozialer Integration darstellen, das heißt, einen starken sozialen Rückhalt für die männliche Lebens- und Krisenbewältigung bieten. Sie erhöhen die eigene Handlungsfähigkeit, indem sie helfen, soziale Orientierungslosigkeit und Selbstwertverlust zu vermeiden. Bewusstsein zu holen und erlebbar zu machen, wodurch sie der männlichen Neigung entgegen wirken, emotionalen Spannungsfeldern mit Stummheit, Alleinsein, Gewalt und Körperferne zu begegnen. Diese Thematik intensiver ins Blickfeld therapeutischer Betrachtungsweisen und Strategien zu nehmen, könnte dazu beitragen, das Thema Freundschaften als Ressource für den Genesungsprozess suchtkranker Männer zu erschließen. Leider führt der mit der Suchterkrankung in der Regel einhergehende Rückzug, insbesondere nach Verlust des Arbeitsplatzes, zur Vernachlässigung früherer Freundschaften, so dass vor allem ruhende Freundschaften aufgespürt und wenn möglich aktiviert werden können. In jedem Fall sollten suchtkranke Männer ermutigt werden, sich dieser Thematik zu öffnen und gemeinsame Erfahrungen auf diesem Gebiet zu machen. Männerfreundschaften eröffnen die Möglichkeit als Person Gehör zu finden, ernst genommen zu werden, Meinungen zu äußern und Rückmeldungen einzuholen, so dass sie verbindende, einbindende und nutzbringende Wirkungen entfalten. Wesentliche Qualitäten sind Verlässlichkeit, Offenlegungs- und Gesprächsbereitschaft sowie Verschwiegenheit. Männerfreundschaften tragen dazu bei, unterschiedliche Entwürfe von Männlichkeit, die in jedem Mann vorhanden sind, mit den zugrunde liegenden Männerbildern stärker ins Literatur: Stiehler, Steve (2009): Männerfreundschaften Grundlagen und Dynamiken einer vernachlässigten Ressource. Weinheim und München Impulse: Männer und Sucht Seite 6

Dr. Arnulf Vosshagen Sucht beeinflusst Männersexualität Während eine geringe Menge Alkohol eine enthemmende und kontrollreduzierende Wirkung bei Männern hat, senkt Alkohol insgesamt den Testosteron-Spiegel. Ab einem gewissen Blutalkoholpegel wird die Erektion abgeschwächt und die Ejakulation verzögert. Bei einer Abhängigkeit von Alkohol sinkt das sexuelle Interesse und die sexuelle Leistungsfähigkeit, zusätzlich kommt es durch die Veränderung der partnerschaftlichen Beziehung zu einer Beeinträchtigung sexueller Kontakte. Suchtmittelkonsum verstärkt eine Gleichgültigkeit gegenüber Beziehungen und die Tendenz Sexualpartner/innen objekthaft wahrzunehmen. Bisher ist in Therapie und Beratung wenig auf dieses Thema eingegangen worden. Untersuchungen sprechen jedoch davon, dass Alkoholiker zu etwa 50% an Erektionsstörungen und bis zu 25% an Ejakulationsstörungen leiden. Mindestens ein Drittel der alkoholabhängigen Männer haben ein reduziertes sexuelles Interesse. Hinzu kommt, dass Männer allgemein sexuelles Versagen sehr belastend und beschämend erleben und wenig Möglichkeiten und Erfahrungen besitzen, damit umzugehen und darüber zu sprechen. Nach einer Behandlung findet Sexualität nach langer Zeit wieder bzw. erneut ohne Suchtmittel statt, was für die störbare Männersexualität belastend sein kann. Viagra und ähnliche Präparate können dabei den Leistungsund Machbarkeitsaspekt von Männersexualität verstärken. Von daher ist es wichtig, dieses Thema von Seiten der Therapeuten aktiv und sensibel in das therapeutische Geschehen einzubringen. Drogenabhängige Patienten schildern, je nach konsumierter Droge, entweder ähnliche Zusammenhänge zwischen Sucht und Sexualität, wie sie oben beschrieben wurden, oder beschreiben, je nach Suchtmittel (z.b. Kokain), eine Hypersexualität ohne personalen zwischenmenschlichen Bezug. Teils ist es leichter, mit Drogenabhängigen dieses Thema anzugehen, die Beziehungsfähigkeit kann jedoch stärker beeinträchtigt sein. Zu beachten sind auch Neuinfektionen (HIV etc.) unter Einfluss von (Party-) Drogen. Literatur: Suchtmittelkonsum verstärkt eine Gleichgültigkeit gegenüber Beziehungen und die Tendenz Sexualpartner/innen objekthaft wahrzunehmen. Fliegel, Steffen / Veith, Andreas (2010): Was jeder Mann über Sexualität und sexuelle Probleme wissen will. Göttingen www.bundesforum-maenner.de Impulse: Männer und Sucht Seite 7

Doris Heinzen-Voß Psychotherapie mit (suchtkranken) Männern Ein großes Problem für (suchtkranke) Männer ist der verwehrte Zugang zu den eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Sehnsüchten. Der Suchtmittelkonsum kann insofern verstanden werden als eine Möglichkeit, diesen Zugang zu erhalten. Sucht bzw. Rausch erfüllen hier zwei Funktionen: 1. die Befreiung von einem als unangenehm erlebten Realgefühl, 2. die Ermöglichung von Handlungen, die im nüchternen Zustand nicht möglich sind. Auch der Kontrollverlust als Element des Suchtbzw. Rauschgeschehens kann Gefühlsabwehrmechanismen kurzfristig außer Kraft setzen und den Durchbruch von Gefühlen und Bedürfnissen ermöglichen. Bei der Begleitung männlicher Klienten ist es daher wichtig, dies immer wieder zu berücksichtigen. Suchtmittelkonsum und Rauscherfahrungen bei Männern sind als aktive Herstellung der männlichen Geschlechtsidentität zu verstehen. Sie erleichtern die soziale Integration und ermöglichen neben intensiven Kollektiverfahrungen in Männerkontexten den Ausdruck von Überlegenheit sowie die Demonstration von Männlichkeit, Risikobereitschaft und Macht. Je unsicherer Männer in ihrer Geschlechtsidentität sind und je größer ihre Gefühlsabwehr ist, umso höher ist die Prädisponiertheit für eine Suchtmittelabhängigkeit. Mangelnde Bewältigungsstrategien (Problemeinsicht, Hilfesuche, Selbstreflektion) sind bei Männern ein weiteres Problem, dem im Beratungs- und Therapiekontext begegnet werden muss. Grundlegendes Ziel der Psychotherapie mit suchtkranken Männern ist die kognitive und emotionale Annäherung an das eigene Selbst und die Erhöhung der Ambiguitätstoleranz bezüglich der eigenen Geschlechtsidentität, also des eigenen Mann-Seins. Dabei kommt der Beziehungsebene zwischen Therapeut und Klient eine hohe Bedeutung zu. Sie sollte geprägt sein von Solidarität, Wertschätzung und Würdigung und vom Therapeuten so gestaltet werden, dass der Klient in ihm ein Gegenüber erlebt, das ihn auf der einen Seite versteht und spiegelt und auf der anderen Seite behutsam konfrontiert. Der therapeutische Weg kann dann für den Klienten einer Entdeckungsreise ins eigene Selbst gleichkommen, auf der bei ihm das Interesse am therapeutischem Sprechen geweckt wird, er in seinen starren Konzepten mit Humor und liebevoller Konfrontation verwirrt wird, er seine Gefühle entdeckt und letztendlich das Sprechen als eine Ressource und Bewältigungsstrategie entdeckt. Der Therapeut als Wegbegleiter muss dabei laufend die bisherigen Bewältigungsprinzipien (Externalisierung, Rationalität, Stummheit etc.) des Klienten herausfordern und sich selbst authentisch in die Beziehung einbringen (Beziehung, Solidarität, eigene Reaktionen etc.). Er kann dabei in der Regel auf typisch männliche Ressourcen bauen, wie Humor, Vertragen von Konfrontationen, der Fähigkeit zu verzeihen sowie einer grundsätzlichen Handlungsfähigkeit. Literatur: Neumann, Wolfgang / Süfke, Björn (2004): Den Mann zur Sprache bringen. Psychotherapie mit Männern. Tübingen Süfke, Björn (2010). Männerseelen Ein psychologischer Reiseführer. München Impulse: Männer und Sucht Seite 8

Karola Ludwig Männer Trauma Sucht Das Wissen über Traumatisierungen infolge von Gewaltwiderfahrnissen bei Jungen/ Männern ist oftmals nur rudimentär vorhanden, ebenso deren Beachtung im Hilfesystem. Vertraute Bilder vom Mannsein schließen die Kombination Mann und Opfer aus. Gewalt wird mehrheitlich von Männern ausgeübt und richtet sich auch in überwiegender Zahl an sie, mit Ausnahme von sexueller Gewalt. Der Bedeutung traumatisierender Erfahrungen für die Suchtentwicklung von Abhängigkeitserkrankungen bei Männern wird erst in den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, entsprechende therapeutische Maßnahmen finden in der Praxis nur begrenzt statt. Sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlungen (letztere werden von Männern häufiger angegeben als von Frauen) als eine Ursache für Traumatisierungen liegen bei beiden Geschlechtern vor. Zunehmend werden auch frühe interpersonale Traumatisierungen wie emotionale Misshandlungen und Vernachlässigung mehr mit in den Blick genommen. Folgen von Gewaltwiderfahrnissen sind bei beiden Geschlechtern Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Angst, Schuld und Scham. Die Bewältigungsstrategien dieser Erfahrungen werden jedoch stark geprägt von der geschlechtsspezifischen Sozialisation und stereotypen Geschlechterbildern. Traditionelle Männerbilder sind nicht vereinbar mit den Gefühlen von Schwäche und Hilflosigkeit. Insbesondere sexuelle Missbrauchserlebnisse erschüttern die männliche Geschlechtsidentität und die sexuelle Identität. Opfererfahrungen passen nicht zum männlichen Selbstbild und werden abgelehnt, verleugnet und tabuisiert. Dass Drogen von Männern benutzt werden, um Männlichkeit herzustellen und zu erhalten und dies, umso mehr die Betroffenen um ihre Männlichkeit fürchten, ist nahe liegend. Da Opfererfahrungen und die damit verbundenen negativen Gefühle nicht zum traditionellen Selbstbild von Jungen/ Männern gehören, werden sie von den Betroffenen zum Teil anders wahrgenommen und definiert. Schäfer weist auf die Gefahr der Bagatellisierung auf Seiten der betroffenen Männer und der Behandelnden hin und plädiert für ein aktives Ansprechen von Traumatisierungen durch die Helfenden. Symptome posttraumatischer Belastungsstörungen können bei Männern verminderte Impulskontrolle, Aggression und erhöhte Wachsamkeit sein, Störungen des Sozialverhaltens und Aufmerksamkeitsdefizite. Impulse: Männer und Sucht Seite 9

Fortsetzung... Als typische Folgen von Viktimisierungen bei Jungen werden demnach sogenannte externalisierende Verhaltensweisen, wie (sexualisierte) Aggression und Delinquenz gezählt. Die erlernte Externalisierung verhindert den Blick nach Innen und die Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Eine mangelnde Empathie und Beziehungsfähigkeiten können Folgen derartiger Verhaltensmuster sein. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass bei Jungen, die Gewalt erfahren haben, auch autoaggressive, internalisierende Reaktionsweisen auftreten können, zu denen ein exzessiver Substanzmissbrauch zählt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass diese Verarbeitungsmuster bei Jungen/Männern von den externalisierenden verdeckt werden können und zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Dadurch, dass traumatisierte abhängigkeitserkrankte Männer häufig selbst Täter sind, kann der Blick auf deren potenzielle Opfererfahrung verstellt sein. Die Verpflichtung zu Heldentum und Stärke hält betroffene Männer davon ab, Hilfe zu suchen und verführt die Helferseite dazu, Ängsten und weiblichen Verhaltensweisen bei Klienten und Patienten keinen Platz einzuräumen. Auch die Seite der Helferinnen und Helfer ist geprägt durch gesellschaftliche Vorgaben und kulturelle Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie eine eigene geschlechtsspezifische Sozialisation. Suchttherapie mit traumatisierten Männern stellt Behandlungssysteme und Behandelnde vor vielfältige Herausforderungen. Zum einen seien hier die Rahmenbedingungen genannt, beispielsweise das Fehlen von Schutzräumen für männliche Patienten und systematische genderreflektierte Angebote für Männer in Suchthilfeeinrichtungen. Zum anderen stehen suchttherapeutische Verfahrensweisen traumatherapeutischen oft entgegen: Konfrontation versus Vermeidung von therapeutisch induziertem Stress, Gruppentherapie versus Einzeltherapie, allgemein verbindliches Regelwerk versus individuelle Vereinbarungen etc. Darüber hinaus ist eine gendersensible Diagnostik bei traumatisierten Suchtpatienten von besonderer Bedeutung. Eine wirksame Behandlung von Abhängigkeitserkrankten erfordert eine weitergehende Professionalisierung und Sensibilisierung des Fachpersonals zu diesen Themen, damit auch die schambesetzten Übergriffe und Gewalttaten nicht verborgen bleiben, die Verletzbarkeiten und Notlagen wahrgenommen werden und den Betroffenen adäquate Hilfe angeboten werden kann. Literatur: Böhnisch, Lothar / Winter, Reinhard (1993): Männliche Sozialisation. Bewältigungsprobleme männlicher Geschlechtsidentität im Lebenslauf. Weinheim, München Gahleitner, Silke Birgitta / Gunderson, Connie Lee (2009) (Hrsg.): Gender Trauma Sucht. Neues aus Forschung, Diagnostik und Praxis. Kröning Jacob, Jutta / Stöver, Heino (2006) (Hrsg.): Sucht und Männlichkeiten. Entwicklungen in Theorie und Praxis der Suchtarbeit. Wiesbaden Jungnitz, Ludger / Lenz, Hans-Joachim / Puchert, Ralf (2007): Gewalt gegen Männer. Personale Gewaltwiderfahrnisse von Männern in Deutschland. Eine Pilotstudie. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Opladen Schäfer, Ingo / Krausz, Michael (Hrsg.) (2006): Trauma und Sucht. Konzepte Diagnostik Behandlung. Stuttgart Impulse: Männer und Sucht Seite 10

Hans-Joachim Lenz Männer als Opfer von Gewalt Ein Plädoyer wider die Sprachlosigkeit Obwohl Männer als Täter und Opfer von Gewalt überrepräsentiert sind, wird dieser durch die Kriminalstatistik seit den 1970er Jahren kontinuierlich belegte Umstand bis heute im Diskurs um Gewalt und Geschlecht nicht wahrgenommen und/oder verkürzt diskutiert. So zeigt beispielsweise die deutsche Kriminalstatistik von 2010, dass 54,9% der deutschen Tatverdächtigen über 21-jährige Männer waren, verglichen mit 18,7% von über 21-jährigen Frauen. In Bezug auf das Opfersein zeigt sie, dass bei versuchtem Mord und Totschlag 70% der Opfer Männer sind. Bei vollendetem Mord und Totschlag sind 48% der Opfer männlich und 52% weiblich. Auch bei Raub, Körperverletzung und Straftaten gegen die persönliche Freiheit überwiegen die männlichen Opfer nicht so bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung; hier werden hauptsächlich Frauen als Opfer ausgewiesen. Allerdings ist die Aussagekraft der Kriminalstatistik begrenzt, insofern sie als Arbeitsnachweis der Polizei nur die Fälle verzeichnen kann, die bei ihr gemeldet werden. Ein großer Teil der Vorfälle werden nicht aufgedeckt, sie sind Teil der Dunkelziffer (vgl. u. a. Missbräuche in Institutionen der Kirche). Aus den Forschungen zum Missbrauch von Mädchen und seinen Auswirkungen ist schon lange bekannt, dass es Zusammenhänge zwischen den biografischen Vorfällen (insbesondere sexualisierte Übergriffe) und späterem Suchtverhalten gibt. Auch bei suchtkranken Männern verdichten sich die entsprechenden Erkenntnisse. Grundsätzlich existieren verschiedene Konstellationen im Kontext von Geschlecht und Gewalt. So gibt es Gewalt unter Frauen, Gewalt unter Männern und Gewalt zwischen Frauen und Männern. Vor allem die Konstellation, in der Frauen Gewalt durch Männer widerfährt, stand in den letzten 40 Jahren im Zentrum von Forschung und gesellschaftlicher Diskussion. Sie wurde intensiv empirisch erforscht, theoretisch analysiert und öffentlich problematisiert. Daraus abgeleitet liegen vielfältige sozialpolitische Es bestehen erhebliche blinde Flecken hinsichtlich Gewalt gegen Jungen und Männer. Interventionen und Programme vor. Im Gegensatz zum Wissen über und dem Anerkennen von kindlicher und weiblicher Opferschaft und der Beschäftigung mit männlicher Täterschaft ist die gesellschaftliche Wahrnehmung männlicher Opfer von Gewalt kaum entwickelt. Die Problematik männlicher Opfer bleibt gesellschaftlich weitgehend unbeachtet, wird nicht als soziales Problem erkannt und ist damit (bislang) weder Gegenstand der herkömmlichen Fachpolitiken (wie Kriminalpolitik, Rechtspolitik, Familienpolitik, Gesundheitspolitik) noch der Gleichstellungspolitik. Auch in der psycho-sozialen Arbeit steht die Perspektive auf Männlichkeit jenseits hegemonialer Muster (männliche Verletzungsoffenheit) erst am Anfang und ist ein langsam aktuell werdendes Thema. Erst wenige Institutionen stellen sich den entsprechenden Herausforderungen. Selbst in Männerprojekten, die bezüglich des Wandels von Männlichkeit eine Vorreiterposition einnehmen, können erhebliche blinde Flecken hinsichtlich Gewalt gegen Jungen und Männer bestehen, teilweise wird dies wider besseren Wissens ausgeklammert. In der Vergangenheit erfuhren Männerprojekte nicht die gesellschaftliche und politisch notwendige Aufmerksamkeit, die ihnen eigentlich zukommen müsste. Vornehmlich werden solche Projekte gefördert, die Präventionsmaßnahmen für Männer anbieten, die gegenüber ihren Partnerinnen gewalttätig sind. Als Täterarbeit verstandene Männerarbeit ist geschlechterpolitisch zwar eine sinnvolle Aufgabe. Gleichzeitig birgt sie jedoch die Gefahr einer instrumentalisierenden Einengung, wenn sie sich darin erschöpft (im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung) alle Männer als potentielle Täter wahr zu nehmen. Das Nicht-Wahrnehmen-Wollen der Gewaltübergriffe gegen Männer und ihre erheblichen Impulse: Männer und Sucht Seite 11

Fortsetzung... gesundheitlichen Folgen findet sich auch im Diskurs um Männergesundheit. Eine der größten Risikofaktoren für die Gesundheit von Männern wird bisher nicht wahrgenommen. Das gilt auch für Gewalt zwischen homosexuellen Männern, die bislang wenig Beachtung findet. Die Wahrnehmungshistorie des Themas männlicher Opfer verdeutlicht, dass dies in einem hochpolitischen Feld angesiedelt ist. Im toten Winkel des Diskurses um Geschlecht und Gewalt befinden sich Täterinnen und männliche Opfer, aber auch kulturell-rituelle Gewalt, wie der aktuelle Diskurs um das strafrechtliche Verbot religiös motivierter Beschneidung von Jungen zeigt. Die zeitgleiche Perspektive auf männliche Täter und Opfer führt zu einer Verzerrung der Wahrnehmung. Die Täterschaft schiebt sich vor die Opfer: Männliche Täter erzwingen mehr und nachhaltige Aufmerksamkeit als männliche Opfer. Ein männliches Opfer sexualisierter Gewalt steht vor einem riesigen Berg gesellschaftlichklischeehafter Zuschreibungen: kein richtiger Mann zu sein ( Weichei ), der Unterstellung, selbst schuld zu sein, der Vermutung, Täter zu sein, dem Verdacht, homosexuell zu sein. Wie lässt sich dieser Berg überwinden? Zur Verringerung der Gewalt an Männern gibt es mehrere Ansatzpunkte: 1. Institutionelle Unterstützung und Hilfe Ein kompetentes Hilfesystem für gewaltbetroffene Männer und Jungen ist erforderlich. Vor allem bei den bisher tabuisierten Gewaltbereichen muss die Chance auf Unterstützung bei der Beendigung, Aufarbeitung und Bewältigung der gegen sie gerichteten Gewalt ausgebaut werden. Bestehende Systeme sollten im Hinblick auf männer- und jungenspezifische Notlagen und Hilfesuchstrategien verbessert und deren Akteure und Akteurinnen informiert und geschult werden. Auch die Angebotslücke im Hilfesystem bezüglich weiblicher Täterinnen sollte geschlossen werden. Damit Betroffene eine Chance auf Unterstützung bekommen können, ist das Hinterfragen der hegemonialen Männlichkeitsbilder bei Beratern/ Beraterinnen, Ärzten/Ärztinnen, Therapeuten/ Therapeutinnen und anderen Helfern/Helferinnen aber auch im politischen und wissenschaftlichen Feld notwendig. Eine professionelle Haltung zu entwickeln, setzt die Auseinandersetzung mit dem Unaussprechbaren in der eigenen Biografie voraus. Nur auf dieser Grundlage lässt sich die Sprachlosigkeit der Betroffenen im Dialog auflösen. 2. Öffentliche Sensibilisierung Die Entwicklung eines öffentlichen Bewusstseins für Ausmaß und Folgen der Gewalt gegen Männer zielt darauf ab, dass Gewalt gar nicht erst stattfindet oder früh und wirksam beendet wird. Wichtig ist zunächst öffentliche Aufklärung über die Vielfalt und das Ausmaß der Gewalt insbesondere über die bisher nicht wahrgenommenen und übersehenen Facetten. Zentral ist hierbei, Jungen und Männern ihre Verletzbarkeit und den Schutz vor Übergriffen zuzugestehen. Zudem erfordert die Bewusstseinsarbeit ein Entindividualisieren der Problematik, da es sich um ein kollektiv-strukturelles Problem der Wahrnehmungsverleugnung männlicher Verletzbarkeit handelt. 3. Forschung Die Erweiterung des Wissens über Gewaltwiderfahrnisse von Männern ist unverzichtbar. Neben repräsentativer Forschung über die Häufigkeit, mit der Männern die unterschiedlichen Gewaltformen widerfahren, sind spezielle Forschungen darüber nötig, welche Unterstützung sie brauchen, wie sie erreicht werden können und wie die Angebote ausgestaltet werden müssen, damit diese wirklich zur Bewältigung beitragen. Hierher gehört auch die Forderung nach einer repräsentativen Studie über die an Männern in Deutschland gerichtete Gewalt (analog der Frauenstudie). Impulse: Männer und Sucht Seite 12

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Die Arbeitsgruppe Männerspezifische Suchtarbeit ist eine Unterarbeitsgruppe der Fachgruppe Gender und Sucht NRW. Sie hat zum Ziel, die Weiterentwicklung einer geschlechterdifferenzierten Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die spezifischen Belange von Männern voran zu bringen. Dabei werden Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung mit den Erfahrungen aus der Praxis verknüpft und diskutiert. Mit den hier vorliegenden Impulse: Männer und Sucht hebt die Arbeitsgruppe einige ausgewählte Themen hervor und stellt sie der Fachöffentlichkeit zur Verfügung. Die Beiträge sind bewusst kurz gehalten und als Anregung zu verstehen. Die weiterführenden Literaturhinweise sollen zur vertiefenden Lektüre ermuntern. Mitglieder der Arbeitsgruppe Männerspezifische Suchtarbeit Peter Bockholdt, Suchthilfe SPE Mühle e.v., Hilden Doris Heinzen-Voß, Fachbereich Gender und Sucht, Landeskoordination Integration NRW, Köln Dr. Klaus Höher, LVR-Klinik Langenfeld Karola Ludwig, Fachbereich Gender und Sucht, Landeskoordination Integration NRW, Köln Stefan Stolczewski, Fachklinik Beusingser Mühle, Bad Sassendorf Dr. Arnulf Vosshagen, Fachklinik Kamillushaus, Essen Neben den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Männerspezifische Suchtarbeit konnte auch Hans- Joachim Lenz für einen Beitrag in Impulse: Männer und Sucht gewonnen werden. Mehr Informationen zu ihm unter: www.geschlechterforschung.net Alle Fotos aus: http://office.microsoft.com/de-de/images/ Impulse: Männer und Sucht Seite 15