DIE KINDER Walter Jungleib
DIE KINDER Walter Jungleib Walter Jungleib wurde am 12. August 1932 als Sohn jüdischer Eltern in Hlohovec in der Slowakei geboren. Sein Vater Arnold Jungleib war Goldschmied und Uhrmacher. Die Familie besaß ein Juweliergeschäft, in dem auch Walters Mutter Malvina Jungleib arbeitete. Walter und seine zwei Jahre ältere Schwester Grete besuchten die jüdische Schule. Walter war ein begeisterter Briefmarkensammler. Mit der beginnenden Verfolgung der jüdischen Bevölkerung änderte sich das Leben der Familie schlagartig. Ab 1942 musste die Familie mehrfach umziehen. 1944 wurden Arnold, Malvina, Grete und Walter Jungleib verhaftet und in das Durchgangslager Sered in der Westslowakei gebracht. Bis März 1945 kamen von dort 13 500 Jüdinnen und Juden mit Deportationstransporten in das Konzentrationslager Auschwitz, die Familie Jungleib Ende Oktober 1944. Nach einer Woche im Lager trennte die SS die Männer und die Kinder von den Frauen. Malvina und Grete Jungleib wurden mit 300 Frauen in ein Frauenaußenlager des KZ Buchenwald in Lippstadt in Westfalen gebracht. Dort mussten sie in den Eisen- und Metallwerken Zwangsarbeit leisten. Arnold Jungleib wurde in das KZ Mauthausen deportiert und von dort weiter in das Außenlager Gusen. Walter blieb in Auschwitz zurück. Arnold Jungleib überlebte das Konzentrationslager nicht. Malvina und Grete Jungleib erlebten Anfang April 1945 die Befreiung durch US-amerikanische Truppen. Unmittelbar nach dem Krieg blieb die Suche nach Walter Jungleib ergebnislos. Daher nahm die Familie an, Walter sei auf einem Räumungsmarsch aus Auschwitz ums Leben gekommen. Lange Jahre war in Hamburg über den am Bullenhuser Damm ermordeten Jungen namens W. Junglieb nur bekannt, dass er 12 Jahre alt war und aus Jugoslawien stammen sollte. 2015 beschäftigte sich Bella Reichenbaum, die Frau von Jitzhak Reichenbaum, dessen Bruder ebenfalls am Bullenhuser Damm ermordet wurde, mit Unterlagen zur Familiengeschichte. Darunter war auch eine Liste des Häftlingstransports von Auschwitz nach Lippstadt. Auf dieser Liste fand sie neben den Namen anderer Frauen, deren Kinder am Bullenhuser Damm ermordet wurden, zwei Frauen mit dem Namen Jungleib. Über die Website der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel gelang es ihr, Kontakt mit der Familie aufzunehmen. Es wurde schnell klar, dass Walter Jungleib der seit vielen Jahren gesuchte W. Junglieb ist. Grete Hamburg, geb. Jungleib, erfuhr so erst im Jahr 2015 vom Schicksal ihres Bruders Walter.
DIE KINDER Walter Jungleib Walter Jungleib mit seiner Mutter und seiner Schwester Grete, 1934. Privatbesitz; Kopie: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2015-348
DIE KINDER Walter Jungleib Walter mit seinem Roller, 1935. Privatbesitz; Kopie: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2015-350
DIE KINDER Walter Jungleib Walter mit seinem Vater Arnold, seiner Mutter Malvina und seiner Schwester Grete, 1939. Privatbesitz; Kopie: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2015-346
DIE KINDER Walter Jungleib Die Geschwister Walter und Grete Jungleib, 1939. Privatbesitz; Kopie: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2015-351
DIE KINDER Walter Jungleib Grete, Malvina und Walter Jungleib, 1942. Privatbesitz; Kopie: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2015-347
DIE KINDER Walter Jungleib Das letzte Bild von Walter Jungleib, 1942. Privatbesitz; Kopie: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2015-344
DIE KINDER Walter Jungleib Transportliste von 300 weiblichen Häftlingen von Auschwitz nach Lippstadt, 23. November 1944. Auf dieser Liste fand Bella Reichenbaum neben den Namen anderer Frauen, deren Kinder am Bullenhuser Damm ermordet wurden, zwei Frauen mit dem Namen Jungleib. International Tracing Service, 1.1.5.1/5289156
DIE KINDER Walter Jungleib Häftlingspersonalkarte von Malvina Jungleib. Im Konzentrationslager Buchenwald wurden Malvina Jungleib und ihre Tochter Grete in der Häftlingskartei registriert. Kurz nach ihrer Ankunft in Buchenwald wurden sie in das Außenlager in Lippstadt gebracht. International Tracing Service, 1.1.5.4/7603784
DIE KINDER Walter Jungleib Als Walters Schwester Grete das Erinnerungsblatt der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel ausfüllte, ging sie noch davon aus, ihr Bruder sei in den letzten Kriegsmonaten in Auschwitz umgekommen. Yad Vashem, Erinnerungsblatt, 8.3.2009
DIE KINDER Walter Jungleib Auszüge aus dem Brief von Grete Hamburg, geb. Jungleib, an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme vom 20. Juli 2015. Walter Jungleibs Schwester beschreibt darin Erinnerungen an ihren Bruder und ihre Familie und zeigt sich sehr bewegt über die späte Klärung des Schicksals ihres Bruders. Liebe [ ], ich wende mich an Sie, um an dem tragischen Schicksal meines Bruders Walter teilzuhaben. Mein Name ist Grete Hamburg, geb. Jungleib, und Walter ist mein Bruder, geboren am 12. August 1932 in der Slowakei. [ ] Mein Vater, meine Mutter, Walter und ich wurden Ende Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Eine Woche waren wir zusammen im Familienlager, danach wurden Männer und Kinder von uns Frauen getrennt. Walter hatte seine Kappe vergessen und ist zurückgekommen, um sie zu holen, danach war er der letzte in den Reihen, hat sich umgedreht, gewinkt und gelächelt, und das war das letzte Mal, dass meine Mutter und ich Walter gesehen haben. [ ] Meine Mutter und ich wurden nach Lippstadt transportiert, mein Vater nach Mauthausen, wo er auch starb. Nach unserer Befreiung [ ] vergingen Wochen, und von Walter gab es kein Lebenszeichen. Da waren wir der Meinung, dass Walter am 18. Januar von Auschwitz evakuiert wurde und auf dem Weg umgekommen ist. Dennoch habe ich mein ganzes Leben lang gehofft, er ist vielleicht am Leben geblieben und wir werden uns wiedersehen. Vor einigen Wochen bekam ich einen Anruf von Frau Bella Reichenbaum, sie erzählte mir über die Kinder und ob es möglich ist, dass Walter mein Bruder ist!? Ich war und bin so erschüttert und fassungslos, kann gar nicht meine Gefühle beschreiben. Ich bin mit den Gedanken Tag und Nacht bei Walter und den Kindern. Mir ist es, als wäre diese schreckliche Tragödie erst unlängst passiert. Ich bin Bella dankbar, mir über Walter berichtet zu haben, jetzt ist er kein unbekanntes Kind mehr und hat wieder Familie. [ ] Grüße Sie herzlichst Grete Hamburg
DIE KINDER Walter Jungleib Grete und Jitzhak Hamburg im Kreis ihrer Kinder, Enkelkinder und Urenkelkinder, 2015. Privatbesitz