Janice Herder schreibt uns aus Paraguay: freue mich schon wieder auf das EGM... Die Welt ist ein Buch. Und wer nicht verreist, der liest nur die erste Seite. (Aurelius Augustinus) Seit drei Monaten lebe ich als Austauschschülerin von Rotary nun in Paraguay und es ist schon so viel passiert und ich habe viel erlebt. Erstmal fragen sich bestimmt viele, warum eigentlich Paraguay. Vielleicht auch: wo liegt das überhaupt? Was spricht man da? Paraguay ist ein kleines Land zwischen Brasilien, Argentinien und Bolivien - im Herzen Südamerikas. 95% der Bevölkerung leben in der Provinz Central und ein großer Teil des Landes ist einfach nur Chaco, Wüste sozusagen; dort leben die Farmer. Man spricht größtenteils Spanisch, aber auch Guaraní, die Ursprache. Paraguay ist übrigens das einzige Land Südamerikas, das noch seine Ursprache spricht. Im Chaco wird sogar nur Guaraní gesprochen. Ich lebe mit meiner Gastfamilie in der Stadt Luque, die ist circa 45 Minuten mit dem Auto von der Hauptstadt Asunción entfernt. Warum Paraguay? Um ganz ehrlich zu sein, habe ich mich das zwischendurch auch ab und zu gefragt. Paraguay ist eines der ärmsten Länder Südamerikas. Außerdem hat Paraguay keinen Zugang zum Meer, der Verkehr ist ehrlich schlimm (ich brauche manchmal fünf Minuten, um über eine einfache Straße zu laufen...nein, zu rennen), es liegt sehr viel Müll herum, man begegnet kleinen bettelnden Kindern auf der Straße, die ans Autofenster klopfen, im Sommer ist es 40 bis 45
heiß, das Spanisch ist oft mit Guaraní vermischt (was das Ganze erschwert), und du begegnest einem ganz anderen Lebensstandard. Aber inzwischen bin ich an einem Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich mich an all das einigermaßen gewöhnt habe. Außerdem gibt es auch schöne Seiten: warmherzige Menschen, sehr leckeres Obst, jeder ist entspannt (alles ist tranquilo ), und dadurch, dass Paraguay mitten in Südamerika liegt, habe ich auch eine gute Chance, den Rest Südamerikas etwas zu erkunden: in Argentinien habe ich nun schon vieles gesehen und ich werde wahrscheinlich auch noch Brasilien besuchen. Zur Schule gehe ich in meiner Nachbarstadt San Lorenzo. Meine Schule heißt La Leonarda, ist sehr klein und sehr anders. Zurzeit habe ich drei Monate Sommerferien, danach komme ich in den Abschlussjahrgang Tercero Curso del Nivel Medio (das wäre dann bei uns die Zwölfte), denn hier beginnt das Schuljahr immer im Februar. Es gibt keine Grundschule und weiterführende Schule, sondern alle sind auf der gleichen Schule. Der Kindergarten gehört auch noch dazu; die jüngsten sind also 4 Jahre alt, die ältesten 17. Ein Schultag beginnt morgens um 7 Uhr und endet gegen 11 bis14 Uhr (das kommt auf den Stundenplan an). Die Unterrichtsstunden dauern 40 Minuten lang, es gibt aber immer Doppelstunden. Und ein Fach hat man manchmal mehrmals am Tag. Ein Jahrgang besteht aus einer Klasse; bei mir sind wir also 45 Leute in einer Klasse. Und der Klassenraum ist nicht besonders groß... Es kann also sehr eng werden. Und ich muss natürlich eine Schuluniform tragen! Aber das mag ich. Und es sieht auch schön aus. Vor allem so kleine Kinder in Schuluniformen sind richtig süß. Außerdem hat es auch Vorteile, man muss morgens nicht groß überlegen, was man anziehen soll, sondern kann eben in die Uniform schlüpfen. Wenn du morgens auf dem Weg zur Schule zufällig jemanden mit grünem Rock und weißem T-Shirt siehst, weißt du direkt, du bist nicht die einzige, die zu spät kommt. Es stellt irgendwie eine Verbundenheit her, man gehört zusammen. Alle, egal welches Alter. Das merke ich hier übrigens auch immer wieder; die Schüler kennen sich untereinander und klassenübergreifend und sind gut befreundet. Der Unterricht an sich ist ziemlich entspannt. Und völlig anders als bei uns. Um ehrlich zu sein finde ich es bei uns aber besser und freue mich schon wieder auf das EGM dieses Jahr. Manchmal ist es ein bisschen langweilig für mich, aber ziemlich laut! Da stört es die Lehrer nicht, wenn die Hälfte entweder schläft, laut singt, herumschreit, lacht, tanzt, sich die Nägel lackiert, genau vorne mit dem Rücken zum Lehrer sitzt und sich laut mit jemandem unterhält... Da musste ich mich erst dran gewöhnen, jetzt geht es einigermaßen. Examen sind übrigens auch ziemlich entspannt: sie dauern nur 20-30 Minuten...! Und ich unterrichte ab und zu Erst- bis Drittklässler in Englisch! Das ist zwar manchmal schwierig, weil die Kleinen auch schon so laut sind, aber es macht mir viel Spaß! Als Austauschschüler ist man ziemlich bekannt in der Schule; dauernd kommt mir jemand lächelnd mit "Hola, Janice!" entgegen, was total nett ist. Einmal mussten wir aber sogar Autogramme geben... das ist dann ein bisschen zu viel. Ich denke aber immer wieder, dass ich meine Schule wirklich mag! Es ist zwar total anders, das System finde ich auch nicht so ganz toll (zumindest mag ich es in Deutschland lieber), aber ich liebe das Kollegium und die Schüler. Alle sind richtig nett! Und es herrscht ein viel entspannteres Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern.
Ansonsten besuche ich jeden Sonntag meine Jugendgruppe JOB in einer kleinen katholischen Kapelle. Wir sind circa 20-30 (es sind nicht immer alle da) Jugendliche und es ist sehr lustig! Man redet, betet, spielt, lacht und vieles mehr. Mit den anderen Austauschschülern habe ich im November und Dezember eine große Reise nach Patagonien mitgemacht! Das war sehr, sehr beeindruckend ich habe wunderschöne Orte dieser Welt sehen und bestaunen dürfen, tolle Menschen kennengelernt und eine sehr schöne Zeit gehabt. Wir sind drei Wochen in ganz Patagonien (das ist im Süden Argentiniens) herumgereist und haben so viel erlebt. Weihnachten und Silvester in einem anderen Land zu feiern, ist ziemlich aufregend, aber auch etwas traurig, weil man vor allem bei solchen Festen die gute alte Heimat vermisst. Und es ist in jedem Fall sehr anders. An Heiligabend (Nochebuena) zum Beispiel wartet man bis 12 Uhr und dann wird mit der ganzen Familie gegessen, es gibt Feuerwerke und man hat ein gemütliches Beisammensein. Ich habe mich vorher überhaupt nicht weihnachtlich gefühlt. Ich habe die Kälte, den Schnee, Kerzenschein, Weihnachtsgebäck und Adventskranz vermisst. Es war so anders. Einem Plastikweihnachtsbaum kann ich leider auch nicht ganz so viel Begeisterung entgegenbringen. Ich hatte vorher nicht gedacht, dass Weihnachten hier besonders schön oder besonders weihnachtlich sein wird doch hinterher war es besonders schön und auch besonders weihnachtlich, aber eben auf eine andere, besondere Weise. Feuerwerke, solange aufbleiben, bis Jesus geboren wird und dann feiern, Familie, Beisammensein, Lichter, eine Krippe im Garten und um drei Uhr nachts barfuß auf der Schaukel sitzen und zum Sternenhimmel schauen. Und ich habe gemerkt: die Weihnachtsfreude ist überall. Ob zuhause bei -5 in Deutschland, oder hier bei +40 in Paraguay. Silvester habe ich mit meiner Gastfamilie in Buenos Aires verbracht! Das war total schön! Es ist ein bisschen mit Deutschland zu vergleichen, um zwölf gibt es Feuerwerke und man stößt an. Allerdings gibt es hier die Tradition, etwas Weißes zu tragen. Das steht sozusagen für einen reinen Neuanfang.
In diesen drei Monaten habe ich schon viel gelernt, Erfahrungen gemacht; bin dabei, eine andere Kultur richtig kennenzulernen, eine Sprache (oder sogar zwei) zu lernen, und mir hier ein Leben aufzubauen. Aber es gibt auch schwere Zeiten; am Anfang fühlt man sich allein, wenn man kaum etwas versteht, weil einfach alle so schnell sprechen. Man will Freundschaften aufbauen, aber wie soll das gehen, wenn man sich im wahrsten Sinne des Wortes einfach nicht versteht? Man hat ein blödes Gefühl, weil man nicht richtig ausdrücken kann, was man sagen will oder weil man nicht zum vierten Mal nachfragen möchte. Doch man lernt auch, über seinen Schatten zu springen und hinterher ist man stolz auf sich, weil man mutig war. Man hat ein Erfolgserlebnis, weil man endlich eine Unterhaltung führen kann oder plötzlich einige Liedpassagen im Radio versteht. Ich habe noch circa sechs weitere Monate vor mir und habe gewiss noch nicht alles von Paraguay gesehen, möchte noch mehr von Südamerika erkunden, die Kultur und Geschichte besser kennenlernen; mein Spanisch ist noch längst nicht perfekt und ich möchte auch noch mehr Guaraní lernen. Aber ich freue mich auch sehr wieder auf Deutschland wenn man so weit weg von Zuhause ist, lernt man einiges noch einmal mehr zu schätzen. Wie sehr ich ein richtiges Frühstück mit Brötchen und Nutella vermisse! Und ich vermisse meine Familie sehr; wenn man andere Familien kennenlernt, für einige Zeit in einer anderen Familie lebt, merkt man mal wieder, wie gut man es daheim hat. Und dass du dir nie eine andere Familie gewünscht hättest. Insgesamt bin ich sehr froh, nun schon ein paar mehr Seiten dieser Welt zu kennen und hoffe, auch weiterhin noch welche zu lesen! Text: Janice Herder (z.z. Austauschschülerin in Paraguay)