Georg M. Oswald 55 Gründe, Rechtsanwalt zu werden
Inhalt Vorwort: Berufsziel: Gerechtigkeit 11 11... weil Rechtsanwälte immer gebraucht werden 17 12... weil Rechtsanwälte gute Schriftsteller sind 21 13... weil Rechtsanwälte einen freien Beruf ausüben 23 14... weil Rechtsanwälte Marketing betreiben dürfen 27 15... weil Rechtsanwälte alles können 30 16... weil Rechtsanwälte reich werden 33 17... weil Rechtsanwälte mit Menschen zu tun haben 37 18... weil Rechtsanwälte viele Geheimnisse erfahren 40 19... weil Rechtsanwälte wissen, was die Wahrheit ist 43 10... weil Rechtsanwälte ihre Eltern glücklich machen 47 11... weil Rechtsanwälte nie einfach ja oder nein sagen müssen 49 12... weil Rechtsanwälte Strafverteidiger werden können 52 5
13... weil Rechtsanwälte anderen helfen können 56 14... weil Rechtsanwälte Fachanwälte werden können 59 15... weil Rechtsanwälte es bis zum Bundesgerichtshof bringen können 62 16... weil Rechtsanwälte gut reden können 66 17... weil auch Frauen Rechtsanwälte sein können 69 18... weil Rechtsanwälte Gesetze machen 73 19... weil Rechtsanwälte Streit vermeiden helfen 76 20... weil Rechtsanwälte Serienhelden sind 79 21... weil Rechtsanwälte sich für die Verwertung von Urheberrechten einsetzen 83 22... weil Rechtsanwälte ihr eigenes Unternehmen führen 86 23... weil Rechtsanwälte kollegial sind 90 24... weil Rechtsanwälte Verantwortung tragen 95 25... weil Rechtsanwälte Krawatten tragen 99 6
26... weil Rechtsanwälte eine gute Altersversorgung haben 103 27... weil Rechtsanwälte Persönlichkeitsrechte schützen 106 28... weil Rechtsanwälte auf jeder Party gern gesehen sind 111 29... weil Rechtsanwälte schöne Briefköpfe haben 114 30... weil Rechtsanwälte nicht nur Dienstleister sind 118 31... weil Rechtsanwälte die Welt verbessern 121 32... weil Rechtsanwälte pünktlich sind 124 33... weil Rechtsanwälte Autoritäten in Frage stellen 128 34... weil Rechtsanwälte Rechtsanwälte fernhalten 130 35... weil Rechtsanwälte für einen da sind, wenn es sonst niemand mehr ist 133 36... weil Rechtsanwälte ihre Arbeitszeit frei gestalten können 138 7
37... weil Rechtsanwälte lernen, wie man Fragen stellt 142 38... weil Rechtsanwälte Politik verstehen 145 39... weil Rechtsanwälte Roben tragen 147 40... weil Rechtsanwälte Organe der Rechtspflege sind 150 41... weil Rechtsanwälte Kammern haben 153 42... weil Rechtsanwälte erfinderisch sind 156 43... weil Rechtsanwälte auch Notare sind 159 44... weil Rechtsanwälte Insolvenzverwalter werden können 161 45... weil Rechtsanwälte helfen, den eigenen Standpunkt zu überdenken 164 46... weil Rechtsanwälte Menschen verteidigen, die sonst niemand mehr verteidigen würde 166 47... weil Rechtsanwälte sich zusammenschließen können 169 8
48... weil Rechtsanwälte klagen können 172 49... weil Rechtsanwälte Vollstrecker sind 175 50... weil Rechtsanwälte helfen, wenn es schnell gehen muss 178 51... weil Rechtsanwälte nicht prominent werden müssen 184 52... weil Rechtsanwälte Verträge lesen und schreiben können 186 53... weil Rechtsanwälte die unterschiedlichsten Berufe ausüben können 190 54... weil Rechtsanwälte für Freiheitsrechte kämpfen 192 55... weil Rechtsanwälte wissen, wie man auftritt 194 Quellen- und Literaturverzeichnis 198 9
Vorwort Berufsziel: Gerechtigkeit Auch wenn es schick geworden ist, das Gegenteil zu behaupten: Ich»liebe«meinen Beruf nicht. Ich übe ihn seit 20 Jahren aus, oft mit Begeisterung, er hat mein Leben und mein Denken geprägt, ich habe mich ihm buchstäblich verschrieben, ich bin auch stolz darauf, aber nein, ich liebe ihn nicht. Ich wurde übrigens auch noch nie von Mandanten danach gefragt, ob ich es tue. Sie hatten andere Probleme, die sie dringender beschäftigten. Liebe ist, wenn es um Berufe geht, aus meiner Sicht einfach die falsche Kategorie. Wenn ich einen Zahnarzt aufsuche, fände ich die Vorstellung, dass er es»liebt«, in meinem Mund herumzuwerkeln, eher befremdlich. Mir ist vor allem daran gelegen, dass er seine Arbeit gewissenhaft und professionell erledigt. Die größte Freude an meiner Arbeit habe ich dann, wenn ich davon überzeugt bin, das Richtige zu tun und dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung zu haben. Was das konkret bedeutet, ist für den Beruf des Rechtsanwalts etwas schwieriger zu beschreiben als für andere. Der Erfindergeist des Ingenieurs erwacht in jedem kleinen Kind, das eine Sandburg baut, auch wenn es sich später für einen anderen Beruf entscheiden sollte. Der Wunsch, Arzt zu werden, beschäftigt es spätestens nach dem ersten bewussten Arztbesuch. Selbstverständlich möchte es gerne jemand sein, der über das Wissen und die Fertigkeiten verfügt, andere Menschen zu heilen. Demgegenüber zählt»rechtsanwalt«nicht zu den Traumberufen der Kinder. Was Rechtsanwälte tun, ist mit Händen nicht zu greifen 11
und bezieht sich auf ein unsichtbares System von Regeln, das die Erwachsenen»das Recht«nennen. Eine Erklärung, die jedes kleine Kind davon überzeugt, lieber etwas anderes zu spielen. Doch, das nur am Rande, auch in der Welt der Kinder taucht schon eine Verhaltensweise auf, die zum Berufsbild des Rechtsanwaltes gehört: Wer bei einem Streit für einen der Beteiligten Partei ergreift und versucht, für ihn zu argumentieren, macht sich zu dessen Anwalt. Wie die Sache ausgeht, hängt davon ab, wie geschickt er argumentiert und ob die anderen ihm dabei folgen. In der Erwachsenenwelt fällt vor allem auf, wie stark sich das öffentliche, insbesondere mediale Bild des Rechtsanwalts von seiner tatsächlichen Tätigkeit unterscheidet. Neulich sah ich mit meinem Sohn die Simpsons: Mister Burns, der Atomkraftwerksbesitzer, drohte jemandem mit seinen Anwälten. Er tat das per Knopfdruck. Eine Schiebetür in der Wand seines Büros öffnete sich, und dahinter standen 20 Männer in Anzügen mit Aktentaschen. Der Anblick schüchterte Mister Burns Gegenüber derart ein, dass er klein beigab. Diese Szene dauert keine drei Sekunden, und doch lacht jeder, der sie sieht, als wisse er genau darüber Bescheid, was hier vor sich geht. Ich will es dennoch kurz zusammenfassen: Anwälte, das sind die Typen, die Reichen in beliebiger Anzahl zur Verfügung stehen. Jeder, der sie sich leisten kann, ist in der Lage, Ansprüche durchzusetzen, die ihm nicht zustehen. Was sie eigentlich tun, weiß keiner so genau, aber der Aktenkoffer gibt zumindest einen Hinweis: Wenn man sie loslässt, produzieren sie Berge von Papier und stoßen ebenso schwer verständliche wie weitreichende Drohungen aus, die jeden Gegner früher oder später erledigen. Als wir das sahen, fand ich, ich müsse etwas zur Ehrenrettung meines Berufsstands sagen.»hey, ich bin auch Anwalt, aber ich verbringe meine Tage nicht wartend hinter einer Schiebetür!«12
»Schon gut, Papa, Mister Burns beschäftigt sicher nur die besten und teuersten Anwälte«war die Antwort. Ich war nicht zufrieden. Schließlich liegt mir daran, dass mein Sohn meine Arbeit respektiert. Aber warum sollte er Respekt vor jemandem haben, der bei Leuten wie Mister Burns als eine Art technokratischer Folterknecht hinter der Schiebetür steht, selbst wenn er dafür gut bezahlt wird? Das Bild des Rechtsanwalts ist in unserer Gesellschaft zwiespältig. Er ist angesehen, gewiss, aber es haftet ihm auch der Ruf der Käuflichkeit an. Kaum ein anderer Beruf wird in den Medien so häufig dargestellt, interpretiert, persifliert, karikiert. Wir alle haben Hunderte Spielfilme, Serien und Gerichtsshows gesehen, bevor wir zum ersten Mal einem echten Anwalt begegnen. Man muss ergänzen, dass es ganz überwiegend amerikanische Produktionen sind, die das öffentliche Bild des Rechtsanwalts prägen. Das angelsächsische Rechtssystem und die Stellung des Anwalts darin unterscheiden sich vom deutschen erheblich. Der Einfluss ist dennoch immens. Auch ich habe schon gehört, wie ein junger Kollege im Eifer einer Verhandlung»Einspruch, Euer Ehren!«gerufen hat. Den Einwurf»Objection, your Honor!«hört man in jedem amerikanischen Gerichtsfilm, aber er findet sich in keiner deutschen Prozessordnung. Selbstverständlich weiß jeder, dass diese Filme nicht unsere Realität darstellen. Dennoch prägen sie unser Bewusstsein und unsere Vorstellungen. Ich vermute, von dort kommt auch jener pseudoaufgeklärte Zynismus, nach dem vor Gericht»sowieso alles ein abgekartetes Spiel«sei. Das zu glauben ist einfacher, als einzusehen, dass Gerechtigkeit nicht immer das ist, was man selbst dafür hält. Menschen, die kaum zwischen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit zu unterscheiden wissen, die nur sehr ungefähr in der Lage sind, ihre verfassungsmäßigen Grundrechte darzulegen, glauben doch, ganz 13
genau zu wissen, dass die Justiz in erster Linie Fehlurteile fällt. Ich spreche hier übrigens keineswegs nur von Angehörigen sogenannter bildungsferner Schichten.»Wer die besseren Anwälte hat, gewinnt.«das mag in manchen Fällen stimmen, und doch ist es gefährlich, so zu denken, denn es erweckt den Eindruck, dass auch vor Gericht Recht immer das Recht des Stärkeren wäre. Es ist nicht naiv, sondern absolut lebensnotwendig, darauf hinzuweisen, dass unsere Rechtsordnung eine andere Auffassung vertritt. Es ist, unter anderem, die Aufgabe der Rechtsanwälte, diese Auffassung zu vermitteln. Die»Verrechtlichung«unserer Gesellschaft wird gerne als Makel beschrieben. Wir sollten uns jedoch vor Augen führen, dass Recht im Grunde nichts anderes bedeutet als Sicherheit. Was rechtlich geregelt ist, unterliegt im Idealfall nicht mehr der Willkür. Genau für diesen Idealfall tritt der Rechtsanwalt ein. Er ist ein Aufklärer im buchstäblichen Sinn. Rechtsanwalt sein bedeutet, sich stellvertretend für andere in Konfliktsituationen zu begeben, die sie selbst nicht (mehr) lösen können. Es kann auch bedeuten, andere zu beraten, um Konflikte zu vermeiden oder herauszufinden, welche Konflikte überhaupt entstehen können. In Deutschland sind derzeit knapp 160000 Rechtsanwälte zugelassen. Zu viele, denken manche. Doch obwohl es eine Plattitüde ist, trifft sie zu: An guten Rechtsanwälten herrscht immer ein Mangel. Die folgenden 55 Gründe, diesen Beruf zu ergreifen, sind natürlich nicht abschließend und sicher auch nicht allgemeingültig. Ein anderer hätte andere gewählt. Wahrscheinlich gibt es 55-mal so viele Gründe, wie es Rechtsanwälte gibt, und noch viel mehr. Aber vielleicht können meine eine erste Orientierung geben. Ist es bei der Berufswahl wirklich so, dass wir wie ein Kunde im Kaufhaus vor einem Regal bunt verpackter Waren stehen und uns aussuchen, 14
was uns am besten gefällt? Und falls ja, nach welchen Kriterien fällen wir unsere Entscheidung? Wir sind durch viele Faktoren beeinflusst, auch unsere Fähigkeiten und Talente spielen dabei eine erhebliche Rolle. Für ein erfolgreiches Jurastudium, sagt man, sind sprachliche Gewandtheit und logisches Denkvermögen von Vorteil. Auffällig viele überdurchschnittliche Juristen waren in der Schule gut in Deutsch und Mathematik. Ein Rechtsanwalt muss darüber hinaus praktische Gewandtheit und einen kühlen Kopf besitzen, den er auch in unübersichtlichen Lagen nicht verliert. Vor allem aber muss ihm eines klar sein: Recht kommt nicht nur aus Büchern, es wird nicht in Gesetzestexten und auch nicht in Schriftsätzen hergestellt. Diese bilden lediglich die Grundlage. Ob der Gerechtigkeit Genüge getan wird, hängt in jedem Fall von neuem von den Menschen ab, die an dem Verfahren zu ihrer Herstellung beteiligt sind. Wem es gefällt, sich mit Haut und Haar in dieses Getümmel zu werfen, wird seine Wahl, Rechtsanwalt zu werden, nicht bereuen. 15
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1 weil Rechtsanwälte immer gebraucht werden Bange machen gilt nicht. Zwar gibt es heute mehr Anwälte als früher. Aber auch die Möglichkeiten anwaltlicher Betätigung sind in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Als ich Mitte der 1980er Jahre mein Jurastudium aufnahm, saß ich mit weit über 1000 Studenten zur Einführungsveranstaltung im komplett überfüllten Auditorium maximum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Kein Professor hatte uns für würdig befunden, zu uns zu sprechen, also tat es ein Assistent, und er gab sich die größte Mühe, ein düsteres Bild unserer Zukunft zu malen. Wir würden uns vom ersten bis zum letzten Tag unseres Studiums in überfüllten Hörsälen wie diesem um Sitzplätze streiten. Und das, obwohl, so wurde uns damals erklärt, 80 Prozent der juristischen Studienanfänger schon vor dem ersten Staatsexamen ohne Abschluss abbrechen. Von den verbliebenen 20 Prozent, die sich dem ersten Staatsexamen unterziehen, so ging die Mär weiter, werden etwa 40 Prozent durchfallen. Von den 60 Prozent, die das Examen bestehen, erreichen 80 Prozent die Staatsnote nicht. Etwa 3 Prozent der Anwesenden könnten also im späteren Leben mit einem Auskommen als Juristen rechnen, der Rest solle sich am besten schon jetzt um einen Taxischein oder eine andere Einkommensquelle bemühen. Angesichts der bereits vorhandenen»juristenschwemme«, so der Assistent damals, sei es geradezu unverantwortlich, die jungen 17
Menschen, die sich hier zweifellos in bester Absicht versammelt hätten, in ihr sicheres Verderben rennen zu lassen. Ich kann gar nicht genau sagen, warum ich mich nach dieser Prognose nicht sofort nach einem anderen Studienfach umgesehen habe. Vielleicht deshalb, weil es dort auch nicht besser aussah. Als ich 1991 die Erste Juristische Staatsprüfung ablegte, hatte sich die Situation grundlegend verändert. Nach der deutschen Wiedervereinigung herrschte nun plötzlich ein eklatanter Mangel an Juristen. In den östlichen Bundesländern wurden Gerichtsbarkeit und Verwaltung von Grund auf neu errichtet. Zehntausende Stellen mussten besetzt werden. Neue Rechtsgebiete wie das Restitutionsrecht wurden entwickelt. Auch diejenigen Juristen, die ihre Examina mit nur mäßigen Noten bestanden, fanden sofort Arbeit. 1991 waren in Deutschland etwa 60000 Rechtsanwälte zugelassen. Heute sind es circa 160000. Ihre Gehälter sind im Durchschnitt dennoch gestiegen, wenn man den alljährlichen Publikationen zu diesem Thema glauben darf. Gleichwohl, ich gebe zu: Immer wenn die neuen Zulassungszahlen der Rechtsanwälte in Deutschland veröffentlicht werden, nehme ich sie mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis. Einer meiner Kanzleikollegen kommentiert sie Jahr für Jahr mit tödlicher Sicherheit mit demselben Satz:»Ist doch kein Problem. Wir sind der einzige Berufsstand, der sich seine Arbeit selbst macht.«je mehr Rechtsanwälte, desto mehr Streitfälle? Ich weiß nicht, ob diese Aussage zutrifft. Tatsache ist aber, dass pro Jahr in Deutschland laut Statistischem Bundesamt über sechs Millionen neue Gerichtsverfahren anhängig gemacht werden. Etwa die gleiche Zahl wird im gleichen Zeitraum erledigt. Nicht erfasst sind hier alle nichtgerichtlichen Auseinandersetzungen und Beratungsfälle. Viele unserer Lebensbereiche sind heute so komplex, dass wir uns nicht auf unser eigenes Urteil verlassen wollen, ohne vorher 18
einen Fachmann befragt zu haben. Jeder, der schon einmal voreilig einen Vertrag unterschrieben hat, weiß das. Die Betätigungsfelder für Juristen sind ins Unübersehbare gewachsen. Die deutsche Wiedervereinigung war zweifelsohne ein historischer Sonderfall. Aber es ergeben sich ständig gesellschaftliche, technische und politische Neuerungen, die ungeahnte neue juristische Möglichkeiten eröffnen. In den vergangenen 15 Jahren waren dies, um nur die beiden wichtigsten zu nennen, die Entwicklung der neuen Medien und die wirtschaftliche Öffnung Chinas. Gemessen daran war die deutsche Wiedervereinigung ein vergleichsweise überschaubarer Vorgang. Wie gut die Einstiegschancen als Rechtsanwalt sind, hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab: den Examensnoten und den Zusatz- 19
qualifikationen. Wer zu den 20 Prozent gehört, die ihre Ausbildung mit der Note»voll befriedigend«oder besser abgeschlossen haben, hat de facto freie Auswahl. Ihm stehen alle Berufsfelder für Juristen offen: Justiz, Verwaltung, Unternehmen und natürlich auch die Anwaltschaft. Unverändert gelten die Examensnoten auch bei den großen internationalen Anwaltskanzleien als das (beinahe) allein seligmachende Einstellungskriterium. Kommen noch eine Promotion, ein ausländischer juristischer Abschluss und eine weitere Zusatzqualifikation hinzu, steht Spitzengehältern schon in den ersten Berufsjahren nichts mehr entgegen. Der Spiegel berichtete im Jahr 2004 über die Einstiegsgehälter von Juristen und vermeldete, dass in der Software- und IT-Branche Juristen durchschnittlich 167000 Euro verdienten. Mag sein. Die höchsten Einstiegsgehälter sehr gut qualifizierter Junganwälte, die ich aus eigener Anschauung kenne, liegen allerdings deutlich niedriger. Doch auch für diejenigen Juristen, die in ihrer Ausbildung nicht ganz so hoch hinausgekommen sind, bestehen unendlich viele Möglichkeiten, als Anwalt erfolgreich zu werden. Vielleicht in einer kleineren Kanzlei, vielleicht aber auch von Beginn an selbständig. Rechtsanwalt ist in hohem Maße ein kommunikativer Beruf. Wer sich leichttut, Kontakte zu knüpfen, sich in verschiedenen gesellschaftlichen Umfeldern zu bewegen und dort seine Kenntnisse und sein Wissen anzubieten, wird als Anwalt Erfolg haben. Und selbst wer mit seiner Anwaltszulassung vorübergehend auf dem Fahrersitz eines Taxis Platz nimmt, muss deshalb nicht in einer Sackgasse gelandet sein. Wenn es ihm gelingt, die Schadensfälle des Unternehmers, für den er fährt, und später vielleicht der gesamten Innung zu akquirieren, kann aus seiner Küchenkanzlei ein florierendes Unternehmen werden. 20
2 weil Rechtsanwälte gute Schriftsteller sind Cicero, Sir Walter Scott, Ludwig Uhland, Ferdinand von Schirach, John Grisham und Louis Begley beweisen es. Die imposante Liste lässt sich beinahe noch beliebig verlängern: Molière, Novalis, Goethe, Balzac, Eichendorff, Claudius, Flaubert, Heine, Hebbel, Hoffmann, Kleist, Storm, Nestroy, Proust und Kafka. Zugegeben, die Letztgenannten waren keine Rechtsanwälte. Aber alle von ihnen haben Jura studiert. Einige sogar fertig. Nicht alle haben es gerne getan. Georg Heym etwa, einer der größten expressionistischen Lyriker, bereitete sich vor knapp 100 Jahren auf sein juristisches Staatsexamen vor. Er musste. Sein Vater, ein hoher Justizbeamter, hatte es so gewollt. In seinem Tagebuch, Eintrag vom 29. November 1910, liest sich das so:»meine Natur sitzt wie in einer Zwangsjacke. Ich platze schon in allen Gehirnnähten. Müßte mein Drama längst vollendet haben. Und nun muß ich mich voll stopfen wie eine alte Sau auf der Mast mit der Arsch-Scheiß-Lause-Sau Juristerei, es ist zum Kotzen «Nicht allen Dichterjuristen waren oder sind ihre juristischen Studien derart zuwider. Juli Zeh etwa ist eine erstklassige Juristin, deren schriftstellerische Arbeit von ihrer juristischen stark beeinflusst ist. Ferdinand von Schirach, ein Strafverteidiger, hat in den vergan- 21
genen Jahren mit seinen Erzählungen und einem Roman ein großes Publikum erreicht. Dabei ist besonders interessant, dass bei seinen Geschichten ein Rechtsanwalt im Mittelpunkt steht, der wie er selbst als Strafverteidiger arbeitet. Aus den Mündern von Juristen, Ärzten, Architekten und Angehörigen anderer sehr ehrenwerter Berufsgruppen hört sich der Satz»Irgendwann werd ich auch noch mal ein Buch schreiben«für gewöhnlich wie eine finstere Drohung an. Weitschweifiges, Selbstverliebtes, Abgedroschenes steht zu befürchten. Warum es unter Juristen und Rechtsanwälten dennoch auffällig viele schriftstellerische Begabungen gibt, hat vielleicht damit zu tun, dass sie eine sprachliche Affinität besitzen, die ihnen auf beiden Feldern, in Recht und Literatur, zugutekommt. Sprachliche Genauigkeit, Präzision im Ausdruck, gewandtes Formulieren, eine gute Beobachtungsgabe, ein feines Ohr, all das sind Dinge, die auf beiden Gebieten nützlich sind. Eine andere Frage ist, ob es möglich ist, beide Berufe gleichzeitig auszuüben, Rechtsanwalt und Schriftsteller zu sein. Albert Drach, Büchner-Preisträger, Romancier und lebenslang praktizierender Anwalt, beantwortete sie wie folgt:»es muss möglich sein, da es bei mir der Fall ist. Ich halte es aber nicht für zweckmäßig. Der Beruf des Advokaten absorbiert zu sehr und ist auch voll von Verantwortungen. Mit Recht hat der größte deutsche Dichter diese Stellung nur ein Jahr lang ausgehalten und sich in der Folge als Minister etabliert. Auch Beaumarchais, Claudel, Perse haben diese Karriere gewählt, weil es bei ihr um Völker statt nur um Einzelschicksale geht.«22
3 weil Rechtsanwälte einen freien Beruf ausüben Ein freier Beruf bringt tatsächlich ein hohes Maß an Freiheit mit sich. Das bedeutet im Zweifel allerdings auch, dass man sich um alles selber kümmern und für alles, was schiefgeht, selber geradestehen muss. Was hier»alles«heißt? Na: alles! Ein freier Beruf? Was soll das heißen? Frei wovon? Frei wozu? Erste Antworten liefert ein Blick ins Gesetz. Genauer: in 1 Absatz 2 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz, dort findet sich folgende ellenlange Legaldefinition:»Die freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt. Ausübung eines freien Berufs im Sinne dieses Gesetzes ist die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Heilpraktiker, Krankengymnasten, Hebammen, Heilmasseure, Diplom-Psychologen, Mitglieder der Rechtsanwaltskammern, Patentanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer (vereidigte Buchrevisoren), Steuerbevollmächtigten, 23
Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Lotsen, hauptberuflichen Sachverständigen, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer und ähnlicher Berufe sowie der Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Erzieher.«Haben Sie s gesehen? Irgendwo da mittendrin wurden sie auch genannt, die»mitglieder der Rechtsanwaltskammern«. Warum steht dort nicht Rechtsanwälte? Weil auch Rechtsbeistände, die keine Volljuristen sind, dort Mitglieder sein können. Auch sie sind somit Freiberufler. Wissen wir nun mehr? Ein bisschen mehr schon. Es sind»persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit«, die wir Rechtsanwälte erbringen. Und wir erbringen sie aufgrund»besonderer beruflicher Qualifikation«. Jedes dieser vielen Worte ließe sich nun als Tatbestandsmerkmal auf seine Bedeutung, seine Definition hin abklopfen. Dahinter käme das gesamte Betätigungsfeld der Rechtsanwälte zum Vorschein. Bleiben wir einstweilen nur bei den Adjektiven»persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig«, denn sie sagen doch schon eine Menge darüber aus, was einen freien Beruf ausmacht. Auch der Rechtsanwalt aus einer großen»anwaltsfabrik«, also einer jener internationalen Anwaltsfirmen, die mit einer Corporate Identity, einem Firmenlogo, imposantem Briefkopf und so weiter ausgestattet sind, ist jedem Mandanten, den er betreut, unmittelbar persönlich verpflichtet. Wie ein Arzt oder eine Hebamme bekommt er Dinge anvertraut, die für den Mandanten von größter Bedeutung sind. Er muss für dieses Vertrauen persönlich einstehen. Das ist eine hohe Anforderung, die mir als Berufsanfänger durchaus zu schaffen gemacht hat. In größeren Kanzleien arbeiten jüngere Anwälte deshalb zunächst den erfahreneren zu und stehen nicht selbst in direktem Kontakt mit den Mandanten. Aber 24
irgendwann, meist schon bald, müssen sie selbst mit dem Auftraggeber»in den Ring«steigen. Ich drücke das so sportlich aus, weil dieses Verhältnis kein einfaches ist. Der Mandant hat bestimmte Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche, die nicht immer mit dem Machbaren in Einklang zu bringen sind. Die Arbeit des Anwalts ist aber nicht damit getan, ihn darüber zu belehren. Er muss andere Mittel und Wege finden, damit er seine Ziele erreichen kann. Es ist deshalb, gerade bei umfangreicheren Aufträgen, ratsam, auch den Mandatsverlauf hinreichend schriftlich zu dokumentieren und zu erklären. Je länger man in einem Beruf arbeitet, desto mehr erscheint einem selbstverständlich, was es für andere, die nicht täglich damit zu tun haben, nicht ist. Die besten Erfahrungen habe ich damit gemacht, alle Fragen, die während der Zusammenarbeit mit dem Auftaggeber auftauchen, sofort anzusprechen und sich darüber zu verständigen, wie sie zu behandeln sind. Die Verpflichtung des Anwalts, eigenverantwortlich zu handeln, bedeutet vor allem, dass er sich seinem Mandanten gegenüber nicht auf Dritte berufen kann. Er selbst muss für das, was er tut, geradestehen, auch wenn er sich dazu anderer Personen bedient. Unterlaufen ihm bei seiner Arbeit Fehler, haftet er, ebenso wie der Arzt und der Architekt, persönlich dafür, auch finanziell. Aus diesem Grund ist jeder dieser freien Berufsträger gesetzlich verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen, die solche Schäden trägt. Fachlich unabhängig bedeutet schließlich vor allem, niemandem und nichts außer den Interessen des Auftraggebers verpflichtet zu sein. Verspürt ein Anwalt in dieser Hinsicht Bedenken, muss er sein Mandat beenden. Der Interessenkonflikt als Vorstufe des Parteiverrats wird schon im mittelalterlichen Sachsenspiegel unter Strafe gestellt, einem der ersten deutschen Gesetzestexte, in dem anwaltliches Berufsrecht geregelt ist. Das zeigt, dass hier von jeher 25
eine besondere Gefahr des Anwaltsberufs gegeben ist. Dabei muss es sich nicht immer nur um offensichtliche Fälle handeln, denn es reicht schon aus, dass die Möglichkeit eines Interessenkonflikts besteht, der sich noch nicht realisiert haben muss und vielleicht auch nie realisieren wird. Fachlich unabhängig bedeutet insbesondere auch, dass der Anwalt keine Drittinteressen vertritt und seinem Mandanten zum Beispiel eine Vorzugsbehandlung für den Fall verspricht, dass er bei ihm eine Rechtsschutzversicherung abschließt. Das klingt nun alles vielleicht sehr streng, humorlos und nicht sehr frei, doch»frei«bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass der Anwalt frei ist, seinen Mandanten vorbehaltlos bei dessen Vorhaben zu unterstützen. Das kann er nur, wenn ihm seine eigenen Interessen oder die von anderen nicht in die Quere kommen. 26