Strukturmechanik Der kritische Moment bei der Rückkehr aus dem Weltraum ist der Eintritt in die Erdatmosphäre. Bei Temperaturen von über 2.000 Grad Celsius werden Material und Raumfahrzeug auf das Äußerste beansprucht. Wissenschaftler im DLR-Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung arbeiten an geeigneten Schutzkacheln. An Bord der russischen Raumkapsel FOTON-M2 haben sie ihre neueste Entwicklung auf eine 16-tägige Reise in die Schwerelosigkeit geschickt. Wohlbehütet im Innern befanden sich 385 Kilogramm europäische Forschungsfracht. Das KERAMIK-Experiment aus dem DLR in Stuttgart war dagegen in die Außenhaut des Raumfahrzeugs eingelassen. Dort vollführte es im wahrsten Sinne des Wortes einen heißen Ritt durch die Atmosphäre. Mit Erfolg. Der Hitzeschutz für zukünftige wieder verwendbare Raumfahrzeuge hat seine Feuertaufe bestanden. Von Thomas Reimer und Harald Pandl In Kasachstan scharten sich im Juni 2005 Wissenschaftler und Raumfahrtexperten um eine mehr als mannshohe leicht deformierte Kugel. Das runde Vehikel war durch Fallschirme und zusätzlich durch eine Bremsrakete gedrosselt soeben aus dem Weltraum zurückgekehrt und vorbildlich auf dem Boden der kasachischen Steppe gelandet. Die anwesenden Fachleute der Europäischen Raumfahrtagentur ESA und anderer Organisationen konnten das Öffnen der Kapsel kaum erwarten. Wie hatte wohl die wertvolle Fracht den Ausflug in den Orbit überstanden? Die Experten aus dem DLR hingegen konnten den Zustand ihres Experiments sofort in Augenschein nehmen. Sie interessierten sich ausnahmslos für die Oberfläche der russischen Kapsel. Mit geübtem Blick und Fotoapparat begann die Auswertung sogleich vor Ort. Das besondere Interesse der Stuttgarter Forscher galt den zwei Keramik-Platten, die sie in die Außenhülle der Kugel eingesetzt hatten. Damit flog zum ersten Mal ein Hitzeschutzsystem aus einem komplett keramischen Verbundwerkstoff (Ceramic Matrix Composite CMC) durch die Atmosphäre. Und schon der erste Eindruck deutete an: Das Experiment KERAMIK war ein voller Erfolg. Die CMC-Platten zeigten sich unbeeinflusst von der starken Hitzebelastung. Nur eine dünne Kondensatschicht hatte sich auf dem Hitzeschild gebildet und die zuvor dunkle Farbe in vornehmes grau gewandelt. Beim näheren Betrachten arbeiteten alle Sensoren sauber und lieferten die erforderlichen Daten für die spätere Auswertung im Institut. Die gesamte Foton-M2-Mission war ein durchschlagender Erfolg, bilanzierte Daniel Sacotte, Programmdirektor für Bemannte Raumfahrt und Mikrogravitationsforschung bei der ESA. Die überschwängliche Freude über die gelungene Mission war allzu verständlich, nachdem der erste Versuch im Jahre 2002 kurz nach dem Start abgebrochen werden musste. Dieses Mal verliefen alle Prozeduren nach Plan vom Start im Kosmodrom von Baikonur bis zur erfolgreichen Landung etwa 140 Kilometer südöstlich der Stadt Kostanay in Kasachstan, unweit der russischen Grenze. Die Kapsel befand sich 16 Tage lang in einer erdnahen Umlaufbahn. 30 Minuten vor der Landung, in einer Höhe von 300 Kilometern und bei einer Geschwindigkeit von 7,8 Kilometern pro Sekunde zündeten die Bremsraketen. Die Temperaturen auf der Außenhaut betrugen etwa 2.000 Grad Celsius, als das Wiedereintrittsmodul die Stratosphäre mit einer Beschleunigung von bis zu neunfacher Erdanziehungskraft erreichte. 8,5 Minuten vor der Landung öffneten sich der Reihe nach die Bremsfallschirme und unmittelbar vor dem Landeaufprall reduzierten schließlich Bremsraketen die Geschwindigkeit der Kapsel auf drei Meter pro Sekunde. Für ihre Verhältnisse durchaus sanft setzte die Kugel in der Steppe auf. Inzwischen sind die einzelnen Experimente wieder an die Forschungseinrichtungen in Europa überstellt. Der technische Nachweis über den Erfolg der Experimente wird mit den jetzt folgenden Auswertungen der Daten aus dem Flug erbracht. In den Labors des Instituts für Bauweisen- und Konstruktionsforschung vergleichen die Wissenschaftler beispielsweise die Veränderungen des Materials bei den jeweils gemessenen Temperaturen. 70 DLR NACHRICHTEN 114
Das DLR arbeitet seit geraumer Zeit an einem neuen Hitzeschutzsystem für ein wieder verwendbares Raumfahrzeug. Es hat dazu einen speziellen Materialtypus entwickelt, der als C/C-SiC bezeichnet wird. Das Material besteht aus Kohlefasern, die in eine Siliziumcarbid-Matrix eingebettet sind. Hergestellt wird es durch eine selbst entwickelte Prozesstechnologie, die auf der so genannten Schmelzinfiltration von Silizium basiert. Das flüssige Silizium dringt dabei in den porösen C/C- Vorkörper ein. In den vergangenen Jahren war das DLR in diverse Entwicklungen von Hitzeschutzsystemen eingebunden. In früheren Foton- und Express-Missionen nahmen Materialproben und -konstruktionen ihren Weg ins All und zurück. Neben diesen Entwicklungen stellte das Institut auch die komplette Nasenkappe für den Raumgleiter X-38 her. Leider transportierte die NASA das geplante Rettungsschiff der Internationalen Raumstation (ISS) DLR NACHRICHTEN 114 71
Strukturmechanik Hitzeschutzsysteme ermöglichen Raumfahrzeugen die unbeschadete Rückkehr aus dem Orbit zur Erde. Die Wärmeleitfähigkeit des Materials muss dabei möglichst gering sein, um die Astronauten und die Geräte vor der entstehenden Hitze zu schützen. Trotz eines flachen Eintrittswinkels in die Erdatmosphäre treten durch die sehr großen Geschwindigaus Kostengründen dann doch nicht in den Orbit. Bislang fehlte den Wissenschaftlern also ein Nachweis über die Tauglichkeit ihres Materials. Jetzt liegt mit dem KERAMIK-Experiment auf der Foton-Kapsel zum ersten Mal ein tatsächlich geflogenes, mit einem vollständigen Wiedereintritt versehenes Hitzeschutzsystem aus keramischer Verbundstruktur vor. Die Foton-M2-Mission beinhaltete alle grundlegenden Elemente für keramische Verbundstrukturen in ihrer Originalgröße. Das Ziel des Experiments bestand darin, das gewählte Konzept für ein Thermalschutzsystem aus CMC-Materialien während eines kompletten Wiedereintritts zu bestätigen. Nicht einzelne Merkmale waren von Bedeutung, sondern alle Komponenten hatten die geforderten Ansprüche gemeinsam zu erfüllen. Hitzeschutzplatte im Detail: Selbst die Schrauben waren aus C/C-SiC-Material gefertigt. 72 DLR NACHRICHTEN 114 keiten bei der Reibung mit der Luft Temperaturen von über 2.000 Grad Celsius auf. Es entsteht Plasma, das den Raumgleiter umhüllt und sogar die Kommunikation mit der Erde für einige Minuten unmöglich macht. Derzeit befinden sich schon verschiedene Arten von Hitzeschutzsystemen im Einsatz. Diese haben jedoch alle gewisse Nachteile. Russische Systeme, wie auch die Foton-Kapsel, verwenden so genanntes Ablator-Material. Dieses Hitzeschutzmaterial ist sehr schwer und brennt beim Wiedereintritt gewissermaßen ab. Es schirmt die darunter liegende Metallhülle ab. Allerdings muss es nach jedem Flug ersetzt werden, ist also nicht wieder verwendbar. Das Thermalschutzsystem des amerikanischen Space Shuttle ist zwar prinzipiell wieder verwendbar, erfordert jedoch einen sehr hohen Wartungsaufwand. Es ist dadurch sehr teuer und darüber hinaus äußerst schadensempfindlich. Im DLR wird ein anderer Ansatz verfolgt. Die Forscher möchten ein wieder verwendbares System entwickeln, das einerseits durch geringes Gewicht und gleichzeitig durch robuste Werkstoffe und Bauweisen besticht. Die C/C-SiC-Faserkeramik der DLR- Konstrukteure in Stuttgart erfüllt diese Anforderungen. Ihre Spezialkacheln hatten die Wissenschaftler auf der Foton-Kapsel so angebracht, dass sie den aerodynamischen und thermodynamischen Gegebenheiten ausgesetzt waren, wie sie bei einem wieder verwendbaren Raumfahrzeug auftreten. Dabei wurden alle wesentlichen Komponenten zukünftiger Hitzeschutzschilde berücksichtigt. Spezielle Halterungen und Befestigungsvorrichtungen wie Schrauben und Winkel haben die Ingenieure ebenfalls aus CMC gefertigt. Da die steife Oberfläche eines Hitzeschutzsystems mit einem Abdichtungsproblem zwischen den anliegenden Platten zu kämpfen hat, sah das Versuchsdesign einen abgetrennten Spalt zwischen zwei Platten vor. Hierdurch konnten die Wissenschaftler auch die darunter liegende Nahtstelle überprüfen. Mit einem speziellen, im DLR-Institut entwickelten Fügeverfahren wurden alle Einzelkomponenten, aber auch große, komplexe Teile aus einem Stück hergestellt. Die Verbindung des Materials erfolgt einzig durch das Silizieren, wodurch gleichzeitig das Fehlerrisiko in der Herstellung vermindert wird. Auch sämtliche Abstandshalter bestehen aus C/C-SiC, genauso wie die Schrauben und Muttern. Dank dieses einheitlichen Material-Designs kann die Hitzebeständigkeit des Materials für die komplette Anwendung genutzt werden, ohne dass auf Temperaturbegrenzungen durch Metallbestandteile Rücksicht genommen werden muss. Die Anordnung der Abstände sorgt für einen Ausgleich zwischen den Platten und dem Unterbau des Raumfahrzeugs, wenn es zur Materialausdehnung durch die Hitze kommt. Auch haben die Wissenschaftler Dichtungsmaterial und einen Wärmeableiter zwischen die Platten und den Verschlussring eingebaut, um die heißen Gase am Eindringen in das Innere der Kapsel zu hindern. Zusätzlich wurden verschiedene Schichten zum Schutz vor Oxidation auf eine der Platten aufgetragen. Hierdurch konnten die Wissenschaftler das Verhalten des Materials mit oder ohne speziellen Oberflächenschutz beim Wiedereintritt direkt miteinander vergleichen. Diese Oberflächenveredelung hat das benachbarte Stuttgarter DLR-Institut für Technische Thermodynamik auf seiner Vakuumplasma-Spritzanlge durchgeführt. Dabei haben die Forscher vier Konstellationen aufgebaut. Beide Platten wurden mit dem Standardschutz, einer dünnen SiC-Auflage beschichtet. Auf die hintere Platte trugen die Forscher zusätzlich weitere Lagen auf, in einem Feld eine Yttrium-
Silikat-Schicht und daneben eine Lage aus Titanium-Dioxid. Schließlich wurde noch ein weiteres Feld mit beiden Zusatzstoffen übereinander beschichtet. Die unterschiedlichen Veränderungen der Oberflächen durch den Flug werden derzeit ausgewertet. Als Messvorrichtungen hatten die Wissenschaftler neun Thermoelemente sowie einen Beschleunigungsmesser in das Kapselinnere integriert. Außerdem bauten sie ein spezielles Messgerät auf Kristallbasis zur Bestimmung der Höchsttemperatur ein. Diese betrug im Bereich der Platten 1.481 Grad Celsius. Inspektion der Raumkapsel FOTON-M2 unmittelbar nach ihrer Landung. Die ersten Auswertungen im Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung zeigen, dass das Konzept für ein neuartiges Hitzeschutzsystem hervorragend funktioniert. Die Bauteile sind völlig unbeeindruckt von der enormen Belastung während des Widereintritts geblieben. Die Oberflächen zeigen keinerlei Beschädigungen. Lediglich an den zusätzlich aufgebrachten Schichten sind Veränderungen zu erkennen, die derzeit noch weiter untersucht werden. Auch ein leichter Materialabtrag, der am Interface-Ring aufgetreten ist, war durchaus erwartet worden. Weitere Detailverbesserungen könnten auf der übernächsten Mission FOTON-M4 im Jahre 2009 getestet werden. Sollten sich die Raumfahrtnationen für die Entwicklung eines wieder verwendbaren Raumfahrzeugs entscheiden, wäre ein wichtiger Schritt für das Hitzeschutzsystem bereits getan. Autoren: Thomas Reimer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Raumfahrtsystemintegration des Instituts für Bauweisen- und Konstruktionsforschung. Harald Pandl verantwortet die Öffentlichkeitsarbeit am DLR-Standort Stuttgart. DLR NACHRICHTEN 114 73